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KOMMENTAR/159: Fußballprofis - nationale Vorbilder zum Abgewöhnen (SB)




Lieber deutscher Fußballprofi,

nimm es mir nicht übel, daß ich Dich duze. Ich versuche nur, die Distanz zu Dir zu überbrücken. Auch wenn es mir vergeblich erscheint. Denn Du bist mir fremd geworden, so fremd, wie nur irgend etwas. Die Funktionäre in Sport und Politik haben Dich zum Vorbild erkoren, Du sollst den Kindern, Jugendlichen - einfach allen - ein Muster an Leistungsbereitschaft und Tugendhaftigkeit sein. An Dir sollen sich alle Menschen ein Beispiel nehmen. Du verkörperst die Moral und die Regeln dieser Gesellschaft, die zwar nicht wenige für verlogen halten, aber sei's drum. An Dir will, nein, wollte ich mir immer ein Beispiel nehmen. Das klappte so lange ganz gut, wie ich für bare Münze nahm, was in den Medien über Dich berichtet wird: Du lebst für Deinen Sport, er bringt Dir Spaß, Du hast Dein Hobby zum Beruf gemacht - die Erfüllung aller Träume. Dein eigener Mund hat es bestätigt - in der Presse, in Interviews, in Talkshows, in unzähligen Sportsendungen.

Doch mir sind von Grund auf Zweifel gekommen, nachdem ich gehört habe, alles sei eine politisch wohlfeile Inszenierung und Du seist in Wirklichkeit nur ein geknechtetes Wesen, das von seinen sozialen An- und ökonomischen Einpreisungen lebt. Ich wollte es nicht glauben. Alles? Ich machte mich sofort daran, die Nachrichten nach Gegenbeispielen zu durchforsten. Die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine bot sich dafür an.

Je intensiver und länger ich jedoch suchte, desto verzweifelter wurde ich. Ich fand nur Aussagen und Berichte, die den bitteren Verdacht bestätigten. Oft mußte ich zwischen den Zeilen lesen, da die Medien ja Teil der Inszenierung sind. Bei den Jubel- und Gänsehautmedien fiel mir das leicht. Etwas schwerer war es bei den sogenannten Qualitätsmedien, wo auch Kritik geäußert, pardon, inszeniert wird - so eine Art negative Gänsehautkritik. Da wird gegen verbale Entgleisungen, Alkoholismus, Doping, Pyrotechnik, Korruption, Wettmanipulation, Schiedsrichterbestechung, Rassismus, Nationalchauvinismus, Antisemitismus, Männertümelei, Homophobie, Duzmaschinen, Sexismus, Hooligans, Platini, Blatter und noch vieles mehr geschimpft. Und dann die Timoschenko-Story, die EM-Boykotteure, Politiker, Oligarchen und ihre so lauteren wie hinterhältigen Absichten.

Was ist eigentlich keine Inszenierung? Dir hätte ich noch am ehesten glauben wollen, da Du doch den reinen Sport verkörperst. Spaßarbeit im Schweiße Deines Angesichts. Doch dann stellte ich fest, daß auch ihr, die reichen Nationalspieler, in einem Imagekäfig lebt, streng bewacht von euren Funktionären und Medienmanagern. Nichts darf nach außen dringen, was der Inszenierung, oder soll ich sagen Vermarktung, abträglich wäre. Ihr dürft keine "Interna" nach außen geben. Nichts, was "Irritationen" in der Öffentlichkeit auslösen könnte. Keine Sponsorenkritik, keine Verbandskritik, keine Trainerkritik. Ständig müßt ihr aufpassen, was ihr sagt. Nicht mal eure Unterwäsche dürft ihr zeigen, weil dort Schleichwerbung versteckt sein könnte, die nicht dem Reibach des Dachverbandes dient.

Zwar hat euch die Teamleitung erlaubt, via Twitter oder Facebook zu kommunizieren. Doch auch in den neuen Medien sollt ihr auf der Hut sein. Interna über Mitspieler, Trainer, die Aufstellung oder Verletzungen stehen weiter auf dem Index. Alle sensiblen Informationen müssen zurückgehalten werden. Wie bei den Bundeswehrsoldaten. Die sollen im Socialweb auch nicht aus dem Innenbereich berichten - wegen der guten Sache, den fair geführten Kriegen. Immer den staatstragenden Gutmenschen herauskehren, immer den perfekten Profi mimen. Am besten das sagen, was euch die DFB-Führung gebrieft hat, auch zu politischen Dingen. Jedes "falsche" Wort könnte Munition für die Medien sein - der heimliche Feind, den ihr aber nicht so nennen solltet, weil er für eure Show wichtig ist.

Intern macht ihr euch heiß dafür, den Gegner platt zu machen. Leistungszwang, Konkurrenzkampf und wirtschaftlicher Erfolgsdruck fordern das. Leistung, Konkurrenz und Erfolg sind gut - sagen alle, vor allem die Wirtschaft. Auch die Trainer. In martialischen Kabinenansprachen fordern sie, keine Angst zu zeigen, aggressiv vorzugehen, unbedingten Einsatz zu zeigen. Brutal im sportlich fairen Sinne eben. Nur verbal zum Ausdruck bringen dürft ihr eure soldatischen Härtetugenden nicht. Nicht offen, nicht überall. Und wehe, es rutscht euch doch einmal eine "mißverständliche" Wortwahl heraus. Dann müßt ihr euch für den "Versprecher" sofort entschuldigen. Wie eurer Co-Trainer Hansi Flick. Der hatte bei Freistößen von Portugals Superstar Cristiano Ronaldo zu "Stahlhelm aufsetzen und großmachen" geraten. Ein "verbaler Fehltritt", monierten die Medien, erst recht unter politischem und historischem Blickwinkel. Hitlers "Stahlhelme" hatten am 1. September 1939 in Danzig den Krieg gegen Polen begonnen.

Aber einige von euch hatten ja zuvor Sensibilitätspunkte gesammelt, als ihr eine Woche vor EM-Start die Holocaust-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besuchtet. Als Vertreter Deutschlands wolltet ihr ein Zeichen setzen. Gegen das Vergessen und für ein tolerantes, menschliches und vorurteilsfreies Miteinander, so der Begleittext. Und dennoch bekamt ihr eins aufs Dach, weil ihr nicht in Mannschaftsstärke aufgelaufen seid und kein öffentliches Spektakel daraus machen wolltet. Hättet ihr es anders gemacht, wäre euch auch das vorgeworfen worden. Dank der scharfen Kritik von Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, wurde aber auch dieser Ausflug zum Medienereignis.

Aber vielleicht hast Du es selbst noch nicht zur Gänze gemerkt? Auch ihr seid Verfolgte. Im Fußball werde genausoviel gedopt wie in anderen Sportarten, lautet der Vorwurf. Sportjournalisten, die sich auf die Dopingjagd spezialisiert haben und nicht die soziale, sondern die legalistische Frage stellen, wollen euch an den Kragen. Mehr Kontrollen, mehr Überwachung, mehr Repression. Hauptsache "mehr", das versteht im rekordsüchtigen Sport jeder. Die Ankläger haben den vollen gesellschaftlichen Rückhalt. Der Doper ist als soziales Feindbild inzwischen gut etabliert. Wir werden den Anti-Doping-Pogrom noch erleben, er wird nur anders heißen. Die Faschisierung der Sprache hat bereits begonnen. Kürzlich erklärte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper, daß Doping ein Übel sei, "das wir im Interesse aller fairen Sportler versuchen müssen, auszurotten" [1]. Dies sagte der ehemalige Grünenpolitiker ungeachtet aller wissenschaftlichen Erkenntnisse, daß das Dopingproblem im System des Leistungssports begründet ist und die Athleten in einem sogenannten Gefangenendilemma stecken. Doch statt die sozialen und ökonomischen Ursachen für das Dilemma zu problematisieren, wird das moderne Gefängnissystem des Leistungssports weiterentwickelt. Demnächst sollt ihr auch ohne Schmerzmitteleinsatz funktionieren, denn er gilt bereits als eine Vorstufe zum Dopingmißbrauch. Dann heißt es erst recht, die Zähne zusammenzubeißen. Denn nicht das so schmerzliche Leistungs- und Erfolgsprimat und seine strukturellen Verankerungen sollen beseitigt werden, sondern eure - Deine - "Betrugsmentalität". Das ist einfacher - einfacher für die Sportfunktionäre, -wissenschaftler, -journalisten, -pädagogen, -juristen. Denn an der Personalisierung des Dopingproblems können auch sie noch verdienen.

Ich gestehe, gegen Ende der Europameisterschaft seid ihr mir dann doch noch ein bißchen sympathisch geworden. Nicht weil ihr die gebeutelten Griechen vom Platz gefegt hattet. Sondern weil euch Italien - auch so ein Krisenland, das von deutsch-europäischen Spardiktaten traktiert wird - den Schneid abgekauft hat. Die "Leere" im DFB-Team nach dem "Halbfinal-Schock", von der die Medien berichten, die "Niedergeschlagenheit, Enttäuschung und Ratlosigkeit" ist mir lieber als ein erfolgreiches Siegertypenteam, das den vermeintlich harmlosen Partypatriotismus in Deutschland anheizt und überall Wir-sind-wieder-wer-Gefühle entfacht.

Auch ihr Spieler seid von der "Du bist"/"Wir sind"-Deutschland-Welle betroffen. Schon die Jüngsten werden beim konservativen DFB auf stolz getrimmt. Sie sollen sich mit Haut und Haaren mit Deutschland identifizieren. Nicht so wie damals, als die Nationalsozialisten mit dem Motto "Auch du bist Deutschland" warben. Sondern modern, offen, unverkrampft, selbstbewußt, positiv.

Unter Sportdirektor Matthias Sammer hat der Verband eine Begründungspflicht für Nachwuchsspieler eingeführt, wenn sie die deutsche Nationalhymne nicht mitsingen. Bei Nationalmannschaftsmaßnahmen der Junioren hängen seit neuestem überall Plakate mit dem Titel "Ich spiele für Deutschland" an den Wänden, die die Jungen daran erinnern sollen, daß Eliteförderung und Nationalbewußtsein eine Einheit bilden, um die erfolgreich gestritten werden soll. Persönlichkeitsformung à la DFB. Ein U16-Nationalspieler berichtete, daß der Nationaltrainer schon mal in den Frühstücksraum kommt und laut und selbstbewußt sagt: "Guten Morgen Deutschland!" [2]. Es bedarf nicht der Rede, welche Einstellungen solche Ansprachen bei den Elitekickern von morgen fördern. Der emotionalisierende, "unbeschwerte" Patriotismus im neoliberalen Gewand treibt Blüten ohne Ende.

"Wir sind ein Vertreter des Landes nach innen und außen", stellte Teammanager Oliver Bierhoff anläßlich des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im DFB-Quartier in Danzig noch einmal das gesellschaftliche Selbstverständnis der deutschen Mannschaft klar. An erster Stelle käme aber trotzdem "die Freude an unserem Erfolg", so Bierhoff [3]. Der Erfolg ist hinfällig, die politische Instrumentalisierungsfunktion des Sports nicht. Kurz bevor Oliver Bierhoff im Juli 2004 seinen Job als "Markenbotschafter und Marketingberater" im DFB antrat, war er noch einmal für die neoliberale "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" in die Bütt gestiegen. Die Unternehmerkampagne tritt für Eigenverantwortung, Selbstoptimierung, Privatisierung, Standortkonkurrenz und Wettbewerbssolidarität ein - nicht für die Solidarität mit den Verlierern, Schwachen, Ausselektierten, Überflüssigen und Abgehängten der Hochleistungsgesellschaft. Solche Subjekte repräsentieren auch die Landesvertreter des elitären Fußballs nicht. Deshalb seid ihr nicht Vertreter der Massen, sondern Vorbilder für die beherrschten Massen.

Anmerkungen:

[1] Die baden-württembergische Justiz und der DOSB wollen gemeinsam gegen Doping kämpfen. 19.06.2012. http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/doping/doping-bekaempfung-kritik-an-bayerischen-kollegen-11791854.html

[2] Nachwuchskicker und deutsche Tugenden. Verhaltensregeln für junge Nationalspieler. Von Wolf-Sören Treusch. 17.06.2012. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/nachspiel/1785758/

[3] DFB-Teammanager Bierhoff kritisiert Platini. 12.06.2012. http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article106529733/DFB-Teammanager-Bierhoff-kritisiert-Platini.html

2. Juli 2012