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KOMMENTAR/185: Sport als Gleitbahn der Aufrüstung (SB)


Drohnen beim Confed Cup in Brasilien treiben Militarisierung des öffentlichen Raumes voran



Als milliardenschweren Umschlagplätzen industrieller Herrschaftstechnologien kommt sportlichen Megaevents schon seit vielen Jahren eine große Bedeutung zu. Es vergeht kaum ein internationales Großereignis, bei dem nicht die neusten und modernsten Sicherheits- und Rüstungstechnologien zum Einsatz kommen. Mit der Militarisierung des öffentlichen Raumes durch die umstrittene Drohnentechnologie soll nun eine weitere Lücke bei der Einhegung sozialer Konflikte zum Zwecke umfassender Herrschaftssicherung geschlossen werden.

Wie in mehreren europäischen oder US-amerikanischen Großstädten, wo Aufklärungs- und Militärtechnik dazu eingesetzt wird, die Armutsbevölkerung zu überwachen und mögliche Protest- und Aufstandsaktivitäten bereits im Keim zu ersticken, sollen auch in Brasilien anläßlich der Eröffnungs- und Schlußfeier beim Confederations Cup des Weltfußballverbandes FIFA (15. bis 30. Juni) unbemannte Flugkörper zum Einsatz kommen. Das aufstrebende Schwellenland verfügt über vier Drohnen vom Typ "Elbit Hermes" aus israelischer Produktion. Diese werden bereits entlang der Grenzen zu den Nachbarländern eingesetzt, um den Transport "von Waffen, Drogen und verdächtige Bewegungen" besser erfassen zu können, wie Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, die als überzeugte Verfechterin des in Lateinamerika boomenden Drohnenmarktes gilt, schon vor Jahren pries. Sowohl dem Militär als auch der Bundespolizei stehen die unbemannten Flugobjekte zur Verfügung.

Zwei unbewaffnete Drohnen, die aus 2000 bis 5000 Metern Höhe Bilder und Daten an bodenständige Militär- und Polizeizentralen senden können, sollen nun auch im Inland zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden. Als Testballon für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 dient der diesjährige Confederations Cup der FIFA. Wie Mario Luis da Silva Jordao, Chef des Luftwaffen-Operations-Zentrums von Brasilien, gegenüber dem Nachrichtenportal G1 bestätigte, sollen beim Confed Cup Drohnen, die mit Radar und hochauflösenden Kameras ausgestattet sind, Bewegungen von Personen und Fahrzeugen aufzeichnen und für mehr "Sicherheit" sorgen. Vom Erfassungsradius betroffen sind nicht nur die Stadien in Brasilia und Rio de Janeiro, sondern ausdrücklich auch die umliegenden Gebiete, welche die extremen sozialen Gegensätze innerhalb der brasilianischen Gesellschaft in Form von eng beieinander liegenden Elends- und Reichtumsvierteln nicht deutlicher widerspiegeln könnten. Da gewöhnlich nicht die Reichensiedlungen und Geschäftszonen als Bedrohung der Sicherheit angesehen werden, ist klar, wem die innere Aufrüstung aus der Luft gilt ...

In konsequenter Erweiterung der 2008 in Rio de Janeiro eingeführten Befriedungspolizei (UPP: Unidade de Polícia Pacificadora), die mit zahlreichen, teilweise tausend Mann starken Einheiten vor allem in jenen Favelas Stellung bezogen hat, die für die kommerzielle und touristische Bewirtschaftung der kommenden Großereignisse wichtig sind, wird die polizei-militärische Besetzung des öffentlichen Raumes auch durch die Luft vollzogen. Daß die Drohnen aus Israel stammen, ist sicherlich kein Zufall, verfügt das Land mit dem von ihm besetzten Gazastreifen und dem Westjordanland doch über ein streng bewachtes Groß-Laboratorium, um seinen weltweiten Exportschlager mit zum Teil tödlicher Gewalt testen und fortentwickeln zu können.

Während extralegale Hinrichtungen von Menschen, die ohne Anklage oder Verfahren durch bewaffnete Drohnen liquidiert werden, üblicherweise durch das Entmenschlichungsprogramm des "Anti-Terror-Krieges" legitimiert werden, wird die vermeintlich harmlose Überwachung "verdächtiger Bewegungen" (heißt: aller Bewegungen) in der Armutsbevölkerung durch unbewaffnete Drohnen meistenteils durch den "Anti-Drogen-Krieg" oder "Bandenkriminalität" gerechtfertigt. Tatsächlich stellt die Überwachungs- und Aufklärungstechnik der Drohnen eine akute Gefahr für offene Gesellschaften mit demokratischer Gewaltenteilung dar, weil hier Sicherheits- und Rüstungstechnologien sowie Polizei- und Militäraufgaben auf kaum noch zu unterscheidende Weise miteinander verschmelzen und Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und Krieg praktisch in eins fallen.

Zur Sicherung der kommenden Sportgroßereignisse sowie des Papst-Besuches im Juli hat die brasilianische Regierung zudem 34 gebrauchte Exemplare des Flugabwehrpanzers Gepard 1A2 aus deutschen Beständen geordert. Die 35-mm-Geschütze sollen Flugobjekte auf kürzere Distanz abschießen können. Der Gesamtpreis für die von Krauss-Maffei, Blohm + Voss und Siemens gefertigte Panzerflotte soll knapp 40 Millionen US-Dollar betragen. Zudem bestellte Brasilien bei der US-Firma iRobot 30 Roboter vom Typ Packbot 510. Die ferngesteuerten Automaten sind mit Kameras und Chemie-Detektoren ausgestattet und können neben der Erkundung auch zur Bombenräumung eingesetzt werden. Knapp 2.000 solcher für das Militär entwickelten Roboter sind im Irak und in Afghanistan in Betrieb. Den brasilianischen Steuerzahler wird die Anschaffung rund fünf Millionen US-Dollar kosten.

Expertenberichten zufolge soll der Kauf von Rüstungstechnik auch auf Forderungen der FIFA zurückgehen. Das Internetportal amerika21 zitiert den brasilianischen Soziologen und Stadtplaner Prof. Carlos Vainer mit den Worten: "Die FIFA wandte sich als militärischer Berater an unsere Streitkräfte und bestimmt, welche Art von Waffen sie kaufen sollten. Das ist eine komplette Verhöhnung der nationalen Souveränität." Zugleich kritisierte der Professor, daß mit den bevorstehenden Megaevents die Militarisierung der öffentlichen Sicherheit, die er als das "hartnäckigste Erbe der Militärdiktatur" bezeichnet, neue Impulse gewinne. [1]

Als Monopolist und Sachwalter der hinter der FIFA stehenden Sponsoren, Investorengruppen und Medienkonzerne kann der Weltverband gewaltigen Druck auf die Ausrichterländer und WM-Orte erzeugen. Trotz bisweilen gegenläufiger Marktinteressen arbeiten die FIFA und die herrschende Klasse in Brasilien, die sich mit ähnlich zähen Korruptionsskandalen herumplagt wie der Fußballweltverband, größtenteils Hand in Hand. Anders wäre kaum zu erklären, daß für die Errichtung der hochmodernen Sportanlagen, Wohnungen, Hotels, touristischen Sehenswürdigkeiten und der ausgedehnten Infrastrukturprojekte in Kauf genommen wird, daß Zehntausende Familien - in der Regel aus minderbemittelten Bevölkerungsschichten - aus ihren Häusern vertrieben und zwangsumgesiedelt werden. Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen, die sowohl an die brasilianische Regierung als auch an die Vereinten Nationen Protestschreiben versandt haben und die Achtung von Lebens- und Wohnrechten anmahnen, rechnen damit, daß bis zu 170.000 Menschen ihr angestammtes Heim verlieren werden.

Vielerorts führt die Umstrukturierung der Favelas zu einer Gentrifizierung des Wohnraums mit steigenden Mieten und Immobilienpreisen sowie zu einer Privatisierung öffentlicher Räume, letzthin also zu einer weiteren Ausgrenzung und Verdrängung der armen Bevölkerungsschichten in die Randbereiche der Metropolen. Behördliche Überrumpelungsaktionen, mangelhafter Ersatz oder zu geringe Entschädigungen stürzen die betroffenen Familien vielfach in arge Existenznöte. Viele der staatlichen Eingriffe, die oft von polizeilichen Gewaltübergriffen begleitet sind, verstoßen gegen bestehende brasilianische Planungs-, Flächennutzungs-, Wohn- und Baurechte. Durch die von Behörden, Polizei und (Para-)Militärs forcierten Säuberungs- und Befriedungsaktionen wird zwar auch die Banden- und Drogenkriminalität partiell eingedämmt, doch anders, als es wohlfeile Verlautbarungen mit gelegentlichen Vorzeigeerfolgen glauben machen sollen, wird das Gewaltproblem der brasilianischen Gesellschaft, die eine der höchsten Mordraten der Welt aufweist, lediglich in andere urbane Räume verlagert. Der Zweck scheint damit vorerst erfüllt: Weitgehend ungestört vom Schmutz und Elend der Slumbevölkerung und abgeriegelt durch einen eigens dafür geschaffenen "Sicherheitsgürtel" kann Brasilien seine "Samba-Party" während der Sportspiele steigen lassen.

Diesem schönen Schein arbeitet letztlich auch die brasilianische Regierung zu, die bereits 2011 innerhalb des Justizministeriums das "Sondersekretariat für die Sicherheit von Großveranstaltungen" eingerichtet hatte, das neue Repressionsstrukturen im Bereich der öffentlichen Sicherheit implementierte. Stets war der Regierung klar, daß sie sich den weitreichenden Wünschen des FIFA-Partners würde beugen müssen. So hat sich das Land zu zahlreichen Zugeständnissen rund um die Ratifizierung des WM-Rahmengesetzes bereiterklärt, welches der FIFA die Kontrolle über private und öffentliche Räume zusichert, damit sie ihren Reibach machen kann. Das Sondergesetz "Lei Geral da Copa" regelt die Beziehungen zwischen dem Gastgeberland und der FIFA sowie die organisatorische Zusammenarbeit während der WM und überträgt dem privaten Fußballunternehmen nahezu diktatorische Vorrechte. Während die Medien hierzulande vor allem darüber berichteten, daß Brasilien sein Alkoholverbot in Stadien zugunsten des FIFA-Sponsors aufgeben mußte, dafür aber ermäßigte WM-Tickets für sozial Schwächere durchsetzen konnte, wurde kaum bekannt, daß auf Druck des Fußballweltverbandes die brasilianische Regierung auch eine Vielzahl an Gesetzesänderungen vornehmen mußte, die der inneren Aufrüstung der Gesellschaft dienen und den urbanen Ballungsraum praktisch in den Ausnahmezustand versetzen. So werden mit dem Rahmengesetz unter anderem Streikrechtsbeschränkungen, ein neuer Straftatbestand des "Terrorismus", Sondergerichtsbarkeiten und Schnellgerichte eingeführt. Auch private Sicherheitsfirmen, die bereits die Wohnviertel der reichen Oberschicht bewachen, sollen im Dienste der FIFA tätig werden. Mit den Maßnahmen einher geht die Kriminalisierung des informellen Straßenhandels und die Vertreibung der kleinen HänderlerInnen, um die Exklusivität der FIFA-Lizenzpartner sicherzustellen. Die verschärften Möglichkeiten etwa zu Platzverweisen und Aufenthaltsverboten richten sich nicht nur gegen das informelle Marktgeschehen, sondern gegen die Zivilgesellschaft insgesamt. Die Bevölkerung, die sich trotz pausenlosen Reklamerummels durch die Großmedien nicht für dumm verkaufen läßt, könnte die umstrittenen Megaevents zum Anlaß nehmen, ihren Unmut über die rücksichtslos durchgesetzten Kapitalinteressen, wie sie nicht nur in der Sportwirtschaft virulent sind, kundzutun.

Vergangenes Jahr verbreiteten die Heinrich-Böll-Stiftung und das Brasilien-Netzwerk KoBra e.V. ein ins Deutsche übersetztes Dossier der brasilianischen Comitês Populares (Volkskomitees) "Sportliche Großereignisse und Menschenrechtsverletzungen", in dem auch die "Militarisierung der öffentlichen Sicherheit" sowie die "Unterdrückung und Kriminalisierung der Zivilgesellschaft" angeprangert wurde: "Die öffentliche Sicherheit wird selektiv durch die para-militärische Besetzung von armen Gebieten hergestellt, um wirtschaftlich und strategisch wichtige Gebiete zu sichern. Die Bewohner/innen klagen über repressive Polizeiaktionen, wie die Durchsuchung von Wohnungen ohne richterlichen Beschluss, erniedrigende Personenkontrollen, Ausgangssperren und Sonderregelungen, die u.a. gegen das Recht auf Bewegungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit verstoßen. Diese Vorgehensweise bekommen viele Bewohner/innen der betroffenen Gebiete am eigenen Leib zu spüren." [2]

Als das Dossier geschrieben wurde, war noch nicht hinreichend bekannt, daß die brasilianische Regierung in Vorbereitung auf die künftigen Weltsportereignisse auch Drohnen über WM-Städten kreisen lassen würde, da es in den Jahren zuvor immer hieß, sie dienten der nationalen Grenzsicherung. Nun bekommt die Armutsbevölkerung am eigenen Leib zu spüren, daß die Kontrolle, Überwachung und Abwehr ihres marginalisierten Lebens buchstäblich auch "von oben" kommt.

Fußnoten:

[1] "Brasilien rüstet für Olympia und WM auf". Von Christian Russau und Malte Daniljuk. 02.06.2013
http://amerika21.de/2013/05/83091/brasilien-ruestet-fuer-mega-even

[2] http://www.boell.de/downloads/E-Paper_Menschenrechtsverletzungen_Brasilien.pdf. 29.11.2012.

10. Juni 2013