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KOMMENTAR/243: Fußballfelder, Schweigegelder ... (SB)


Moderner Pyramidenbau in Katar: Bayern München und Co. gehen über Leichen


Wegen der Wahl seines Trainingslagers steht der FC Bayern abermals in der Kritik. "Bayern München sollte kein Trainingslager in Katar aufschlagen. Sie legitimieren damit ein System der modernen Sklaverei", erklärte Kommunikationsdirektor Tim Noonan vom Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) im ZDF. [1] Der deutsche Rekordmeister hatte zum mittlerweile sechsten Mal sein Trainingslager in Katar absolviert und sich damit in die Phalanx internationaler Sport-, Bau-, Logistik- und Technologieunternehmen eingereiht, die kein Problem damit haben, lukrative Geschäfte mit dem erdgas- und erdölreichen Wüstenstaat zu machen, während Gewerkschaftsverbände, Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, salopp gesagt, im Karree springen.

Inzwischen kritisieren sogar eingefleischte Bayernfans die Sponsorendeals der Klubführung. Seit neuestem ist der Hamad Airport Doha, ein katarisches Staatsunternehmen, "Platinpartner" des FC Bayern - "ein weiterer Schritt in der Internationalisierungsstrategie", wie der Verein frohlockt. Sehr zum Unmut vieler FC-Fans, die während eines Bundesligaspiels auf Bannern fragten, ob für den Klub Geld mehr zählt als Menschenrechte oder Moral. Die sich aufdrängende Frage, ob für einen Global Player wie Bayern München "Moral" oder "Werte" nicht nur weitere strategische Instrumente darstellen, das eigene Produkt noch effektiver vermarkten zu können und Kritik an den Geschäftspraktiken systemkonform zu integrieren, wurde allerdings nicht gestellt. Investments in sogenanntes Sozialmarketing, wozu auch philantropische Kultur- oder Gedenkveranstaltungen gehören können, sind in der globalisierten Wirtschaft inzwischen ein probates Mittel, um davon abzulenken, zu wessen Lasten die profitable Kapitalverwertung geht.

Vor dem Hintergrund, daß die Besatzungsmacht Israel zahlreiche Kriegsverbrechen begangen hat und sich fortdauernder Menschenrechtsverletzungen gegen das palästinensische Volk schuldig macht, bedarf es nicht des doppelzüngigen Arguments, daß Katar "israelfeindlich" sei, keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhalte und es immer wieder Probleme bei der Einreise für Israelis gegeben habe, um darauf zu kommen, daß Bayern München mit seinem neuesten Sponsoring-Vertrag ein Eigentor geschossen hat. So warnte die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), die sich seit Jahren darum bemüht, die Arbeitsbedingungen bei Qatar Airways zu enthüllen, den Klub davor, "sich mit einem Unternehmen eben dieses katarischen Staates zu verbinden, der das Verhalten der Fluggesellschaft sanktioniert und das massive Unrecht billigt, das Tausenden von nicht-katarischen Arbeitskräften, die sich beim Bau der Anlagen für die Fußballweltmeisterschaft abschinden, zugefügt wird". [2] 

Die ITF, die 689 Gewerkschaften in 148 Ländern vertritt, machte öffentlich, daß die katarische Fluggesellschaft bei ihrem Personal eine extreme Geschlechterdiskriminierung betreibt (u.a. Schwangerschaftsverbote und Erlaubnisanfragen bei Ehe- bzw. Partnerschaftswünschen von Frauen). Die Zustände sollen sich angeblich zum Besseren gewendet haben, dennoch hielt der Verkehrsexperte Robert Hengster (ITF/verdi) den Vorwurf aufrecht, daß der FC Bayern "sklavenähnliche Dienstverhältnisse" unterstütze, weil er Doha Airport und Qatar Airways in den Markt verhelfe und eine Bühne bereite, sich reinzuwaschen. [3]

Wegen der elenden Arbeits- und Lebensverhältnisse, der ausbeuterischen Hungerlöhne und des menschenunwürdigen Kafala-Systems, aber auch wegen der Mißachtung oder der Verweigerung grundlegender Rechte hagelt es immer wieder schwere Kritik gegen Katar, dessen größtes Renommierstück im Ringen um globalgesellschaftliche Anerkennung die Fußball-WM 2022 darstellt. Der Internationale Gewerkschaftsbund IGB, der vergangenen Dezember seinen "Frontlines-Bericht 2015" [4] über die Kosten der modernen Sklaverei in Katar publizierte, spricht inzwischen von 7.000 Bauarbeitern, die bis zum WM-Beginn aufgrund der katastrophalen Arbeitsbedingungen ums Leben kommen könnten. Ursprünglich war von 4.000 Toten die Rede gewesen. Sharan Burrow, die IGB-Generalsekretärin, geht davon aus, daß sich trotz der angekündigten Gesetzesänderungen in Katar das Leiden der Gastarbeiter noch verschlimmern werde. "Alles, was die Regierung getan hat, ist, die Sklaverei zu kodifizieren", sagte Burrow. "Arbeitgeber können Arbeitnehmer bald sogar an andere Unternehmen ausleihen - für ein Jahr und ohne, dass die Arbeiter ihre Zustimmung geben müssen." [5]

Das seit langem versprochene Arbeitsgesetz, das erst 2017 in Kraft treten soll, wird weitere Repressionen für die rund 1,8 Millionen Wanderarbeitskräfte zur Folge haben, schreibt der IGB in seinem "Frontlines-Bericht 2015", nach dessen Lektüre sich der gemeine Sportfan alles abschminken kann, was ihm die Unterhaltungsindustrie an Wohlgefühlen einzuflößen vermag, wenn sie die "Erlebniswelt" des geschäftstüchtigen Sports einschließlich seiner "völkerverbindenden Funktion" anpreist.

In dem Report prangert der Gewerkschaftsbund u.a. die Unternehmen an, die im "Sklavenstaat Katar" ihren Reibach machen: "Wenn ein Unternehmen Gewinne mit Sklavenarbeit macht, akzeptiert es die Entwürdigung von Menschen. (...) Alle Vorstandsvorsitzenden, die in Katar Geschäfte machen, sind sich bewusst, dass ihre Gewinne durch niedrige Löhne in die Höhe getrieben werden, Löhne, die oft auf einem diskriminierenden rassistischen Lohnsystem basieren, und dass für diese Gewinne die Sicherheit aufs Spiel gesetzt wird, was unhaltbare arbeitsbedingte Verletzungen, Krankheiten und Todesfälle zur Folge hat." Auch die hehre Wissenschaft bekommt in dem Gewerkschaftsbericht ihr Fett ab: "Und 'westliche' Universitäten, deren intellektuelle Freiheit der Grundpfeiler ihres Wertes als akademische Einrichtungen ist, unternehmen nichts gegen Sklaverei auf ihrem Campus in Katar."

Leider läßt auch der Gewerkschaftsbericht die Gelegenheit aus, einen kritischen Blick auf die internationalen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen zu richten, die sich in Katar insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Kriminalitätsbekämpfung, Kommunikation und Recht angedockt haben und als Legitimatoren des milliardenschweren Sportgeschäftes dienen (siehe beispielhaft die Lobbyplattform International Centre for Sport Security (ICSS) und ihre internationale Keyplayer-Politik).

Als die großen Gewinner der gewaltigen Investitionen gelten Bauunternehmen aus Westeuropa und den USA, die im Rahmen von Joint Ventures mit katarischen Partnern Bauaufträge erhalten haben. Laut Gewerkschaftsschätzungen sind mehr als 40 Prozent der 250 internationalen Spitzenbaufirmen der Welt aktiv an Projekten in Katar beteiligt, verfügen über ein Büro in dem Land oder lassen keine Chance ungenutzt, um dort Fuß zu fassen. Dazu gehört auch der in Deutschland ansässige, vielfach diversifizierte Baukonzern Hochtief, der mit zahlreichen Millionen-Projekten in Katar involviert ist. Zugleich hält das Emirat Beteiligungen an Hochtief, Volkswagen, Siemens und Deutsche Bank.

Alles wird gedeckt durch die "bilateralen Wirtschaftsbeziehungen", die die Bundesregierung mit dem "Boomland" Katar unterhält. Im ersten Halbjahr 2014 genehmigte Berlin milliardenschwere Rüstungsexporte an den Wüstenstaat, wo die USA die "Al-Udeid Air Base" unterhalten, die auch von Großbritannien und Australien genutzt wird. Von der längsten Start- und Landebahn der Golfregion startet die Kriegsallianz Bombenangriffe auf Länder wie Afghanistan, Irak oder Syrien. Jüngste Rekordmeldungen über deutsche Waffengeschäfte bestätigen, daß das Golf-Emirat 62 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 sowie 24 Panzerhaubitzen für insgesamt 1,6 Milliarden Euro bekommt. Neben Saudi-Arabien steht auch der katarische Herrscherclan in Verdacht, Gruppierungen zu unterstützen, aus denen der "Islamische Staat" (IS) hervorgegangen ist, was kriegsbedingt wiederum zur weltweit anwachsenden Fluchtdynamik beiträgt.

Inzwischen muß die Sport-, Bau- und Waffenindustrie in einem Atemzug genannt werden - denn natürlich geht es bei all diesen "Partnerschaften" um massive Wirtschaftsinteressen sich gegenseitig bekämpfender Konkurrenten. Zum Teil sind die ökonomischen Verflechtungen der einzelnen Multis, staatlichen oder privaten Institutionen sowie Medien und Wissenschaftsbetriebe so eng und übergreifend, daß jedweder Versuch, klare Trennlinien zwischen den Interessen oder Akteuren zu ziehen, einer Sisyphusarbeit gleicht.

Wer indessen in das Horn des ehemaligen DFB-Präsidenten und FIFA-Mitglieds Theo Zwanziger (CDU) stößt, der in einem auch Anwälte beschäftigenden FAZ-Interview vor knapp drei Jahren moniert hatte, daß der unendliche Reichtum des kleinen Landes Katar sich fast wie ein "Krebsgeschwür" über den Fußball und den Sport ausbreite, befindet sich voll auf der Leimspur der internationalen Eliten in Politik und Business, die die Cashcow melken wollen, ohne sich die Hände dabei schmutzig zu machen. Es hat noch keinen Pyramidenbau in der Menschheitsgeschichte gegeben, der nicht unsägliches Leid über die zur Sklavenarbeit genötigte Armenbevölkerung gebracht hätte.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/news/2016-01/10/fussball-gewerkschafter-bayerns-katar-trip-legitimiert-system-der-modernen-sklaverei-10104604. 10.01.2016.

[2] http://www.itfglobal.org/de/news-events/press-releases/2016/january/itf-probes-bayern-munich-over-qatar-deal/. 29.01.2016.

[3] http://www1.wdr.de/fernsehen/information/sport_inside/sendungen/bayern-katar-100.html. 12.02.2016.

[4] http://www.ituc-csi.org/frontlines-bericht-2015-katar. 17.12.2015.

[5] http://www.welt.de/politik/ausland/article150086819/Gewerkschaft-rechnet-mit-7000-Toten-bis-zur-WM.html. 18.12.2015.

26. Februar 2016


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