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KOMMENTAR/254: Sportkonzerne ... (SB)


Mediensport im digitalen Wandel: Distanzsuche statt ungeteilte Aufmerksamkeit


Ist im Gefälligkeitsjournalismus der Sportunterhaltung eigentlich noch eine Steigerung möglich? Aber sicher! Sie wird von den unternehmerischen Sportverbänden, -vereinen und -organisationen gerade mit aller Monopolgewalt und Kapitalmacht vorangetrieben. Damit sind nicht die standardisierten Sportberichte gemeint, die schon heute von Computer-Automaten in Sekundenschnelle generiert werden. Der normale Konsument merkt es kaum, denn seine Gefühlspegel gehen ohnehin schon seit langem synchron mit der 1:0-Berichterstattung, wie sie allenthalben durch den Blätterwald rauscht. Nein, es geht um einen vermeintlichen "Präzedenzfall", wie ihn Erich Laaser, Präsident des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS), anläßlich der Handball-Weltmeisterschaft der Männer in Frankreich (11. bis 29. Januar) reklamierte. Der Premium-Partner des Deutschen Handball-Bundes (DHB) und Titelsponsor der Männer-Bundesliga hatte sich die Rechte an Livebildern gesichert, nachdem sich der katarische Rechteinhaber beIN SPORTS weder mit öffentlich-rechtlichen noch mit privaten Fernsehsendern in Deutschland einigen konnte. Auch Pay-TV-Sender sowie weitere Streamingdienste hatten die Rechte - einst vom Handballweltverband unter zweifelhaften Umständen teuer nach Katar verscherbelt - nicht bekommen. Die Deutsche Kreditbank (DKB) zeigte dann 51 WM-Partien auf ihrem Youtube-Kanal und der Internetplattform handball.dkb.de, was nach den Titelkämpfen von der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten als rechtswidrig beanstandet wurde. Die Internet-Liveübertragung hätte einer rundfunkrechtlichen Zulassung bedurft. [1]

Noch nie sei eine Sport-Großveranstaltung ausschließlich über die Internetseite eines Sponsors gezeigt worden, berichtete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) im Vorfeld der Handball-WM. Was für die deutschen Fans eine gerade noch zu verschmerzende Notlösung darstellte, da sie ansonsten ganz auf Livebilder hätten verzichten müssen, sei für Fernsehsender und andere Medien-Unternehmen eine Bedrohung der freien Berichterstattung. "Wehret den Anfängen. Wenn nicht Journalisten das Geschehen filtern, sondern PR-Leute, dann hat das nichts mit objektiver Berichterstattung zu tun", zitierte dpa den Fachverbandspräsidenten Laaser. "Gerade in der heutigen Zeit braucht man Journalisten zum Einordnen." Man müsse die WM-Berichterstattung durch die Bank "genau beobachten, ob sie tendenziös ist". [2]

Erich Laaser konnte zum Zeitpunkt seiner Einlassung noch nicht wissen, daß die Kreditbank später mit Markus Götz und Uwe Semrau kompetente Vertreter ihres Faches ans Kommentatorenpult setzen würde. Dennoch stellt sich die Frage, was der VDS-Chef eigentlich meint, wenn er in der Sportunterhaltung von "objektiver Berichterstattung" spricht - von "Journalisten", die in Abgrenzung zu "PR-Leuten" das Geschehen "filtern". Welche Scheinwidersprüche werden hier aufgebaut und was sollen sie verschleiern?

An von den Medien bereitwillig weitererzählte Sommer- oder Wintermärchen im Sport, an Einladungsjournalismus und Hofberichterstattung hat sich das Massenpublikum ja schon hinlänglich gewöhnt. Daß die Brot-und-Spiele-Programme der Herrschenden einer Filterfunktion durch den etablierten Sportjournalismus bedürfen, der dem Volk erklärt, wie die Regeln, Normen und Werte der Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft, eben auch in der Arena des Hochleistungssports, zu verstehen sind, ist mindestens schräg. Daß Sportjournalisten als Korrektive oder Wächter über "tendenziöse Berichterstattung" geeignet wären, stellt jedoch eine frappante Verklärung der grundlegenden Geschäftsbeziehung zwischen Medien, Sport und Wirtschaft dar. Der Sportjournalismus, ursprünglich aus England kommend, entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem die Medien entdeckt hatten, daß sich mit Hilfe der aktionsgeladenen, emotionalisierenden Sportberichterstattung "Aufmerksamkeitsökonomie", so würde man heute sagen, zu Gunsten der eigenen Auflage betreiben läßt. 1886 bekam der Sport in den "Münchner Neuesten Nachrichten" erstmals einen eigenständigen Teil. Diese geteilte Sicht auf Politik und Unterhaltung ist heute noch Pressestandard. Durch Sportthemen verkauften sich damals auch die ersten Boulevardzeitungen prächtig.

Die Wandlung über die Gesinnungs- zur Geschäfts- oder Massenpresse vollzog sich in Schüben und hat sich unter den veränderten Herrschaftsverhältnissen, Marktbedingungen und technischen Möglichkeiten stetig weiterentwickelt. Meilenstein für die weltweite Direktübertragung im Radio und die Heroisierung von Athletenkörpern in Film- und Fernsehbildern waren die Nazi-Spiele 1936 in Berlin. Die Reichs- und Propagandaminister Goebbels nahestehende Regisseurin Leni Riefenstahl, die einen bombastischen zweiteiligen Dokumentarfilm Olympia (1938) produzierte, wird noch heute als Ikone der modernen Sportinszenierung verehrt. Der olympische Fackellauf feierte 1936 ebenso Premiere wie der Medaillenspiegel, der in der deutschen Spitzensportförderung nach wie vor als Maß aller Dinge gilt. Im Jahr 1948 begann in Europa der Sportrechtehandel, erste Übertragungslizenzen wurden mit den Olympischen Spielen von London ausgegeben. Die Einführung von Privatfernsehen und Pay-TV - in Deutschland Mitte der 1980er Jahre - trieb die Preisspirale für den Ein- und Verkauf von Verwertungsrechten weiter an. In Zeiten des Internets mit seinen aufgespreizten Verwertungsmöglichkeiten können die Rechtepakete differenzierter gepackt und für noch mehr Geld verkauft werden.

In Anbetracht der totalen Kommerzialisierung und Medialisierung des Sports dienen die "Werte", auf die insbesondere die sportpolitischen Funktionseliten in ihren Sonntagsreden abheben, nur noch zu seiner besseren Vermarktung. Im Zeitalter des globalen Kapitalismus sind althergebrachte Diktionen, der Sport - treffender wäre von Mediensport zu sprechen - möge völkerverbindend sein und dem Frieden in der Welt dienen, nicht mehr als fromme Lippenbekenntnisse, allenfalls geeignet, das bürgerliche Klagelied über die Aushöhlung der "Werte" in marktgerechter Form fortzusetzen und die immer offenkundiger werdenden Leerstellen mit Reminiszenzen an vermeintlich gute alte Zeiten zu füllen. Was auch immer man dem Sport - begreift man ihn als Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit den Widrigkeiten körperlicher und sozialer Interaktion und nicht als Zurichter für leistungsgesellschaftliche Paßförmigkeit und soziale Reproduktion - noch an emanzipatorischem Potential zuschreiben mag, am wenigsten davon ist im großen Mediensport zu finden.

"Der Showsport und die Unterhaltungsmedien sind heute nur noch zusammenzudenken. Ihre Massenwirksamkeit verdanken sie ihrer Allianz. Der Gladiator und sein Propagandist arbeiten für denselben Zirkus", urteilte schon in den 1970er Jahren der Journalist Eric Ertl. [3] Zu diesem Zeitpunkt existierte das Internet noch nicht, mithin war es gar nicht abzusehen, welche Rolle die sozialen und digitalen Medien für die Verwertungsketten des Mediensports spielen und zu welchen Kräfteverschiebungen es innerhalb der zu gigantischen Vermarktungsmaschinerien angewachsenen Massentheater kommen würde.

So verlagern sich die bestimmenden Kräfte in der klassischen Dreiecksbeziehung zwischen Journaille, Wirtschaft und Sport immer mehr in Richtung der Sportorganisationen, Verbände und Vereine, die mit Hilfe des digitalen Mediums inzwischen ihr eigenes Sport- bzw. Markenprodukt herstellen und selbst des Anscheins "objektiver" oder "unabhängiger" Sportberichterstattung nicht mehr bedürfen. Schon bei den nächsten Olympischen Spielen sind öffentlich-rechtliche Sender wie ARD oder ZDF nicht mehr Hauptlizenznehmer des Fernsehsignals, sondern nur noch Nebenakteure. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) um seinen Wirtschaftsjuristen Dr. Thomas Bach hatte die TV-Rechte an Discovery Communications/Eurosport vergeben. Der Milliarden-Deal für die europäischen Übertragungsrechte umfaßte aber nicht nur die Fernsehrechte an den kommenden Megaevents, sondern verpflichtete das US-Unternehmen Discovery auch dazu, gemeinsam mit dem IOC einen neuen Olympia-Kanal zu entwickeln. Der Haussender des IOC ging nach den Spielen in Rio de Janeiro an den Start und kann im Internet als Stream angewählt werden, selbstverständlich auch mittels Smartphones oder Tablets. Features, News und Erklärvideos, die man downloaden kann, runden dort, wo laut Eigenwerbung "die Spiele niemals enden", die Dauerwerbesendung des IOC ab. Das Ringeprodukt soll die nach Sportunterhaltung gierenden Menschen nicht nur alle zwei Jahre, sondern immer und überall berieseln. Das gilt insbesondere für die Zielgruppen, Social Media-Plattformen und Absatzmärkte, die das IOC noch nicht erschlossen hat.

Ähnlich wie der YouTube-Stream der Deutschen Kreditbank während der Handball-WM in Frankreich ist auch der "Olympic Channel" frei von Kritik an der sauber inszenierten Hochglanzwelt des Sports. Das gilt nicht nur für Selbstverwertungs-Programme des IOC, sondern in zunehmendem Maße auch für Großorganisationen wie die FIFA oder Vereinsunternehmen wie Bayern München oder HSV Hamburg, welche bereits über eigene Funk- oder Printredaktionen verfügen, die Vergleiche mit klassischen Sportredaktionen nicht zu scheuen brauchen. Auch die Deutsche Fußball-Liga (DFL) will sich in den Online-Medien besser positionieren und hat mit dem Streamingdienst DAZN, eine Tochter der englischen Performgroup, einen Kontrakt für den nächsten Rechtezyklus geschlossen.

Global Player wie das IOC, die Host Broadcaster ins Boot geholt haben, um von den Sportereignissen eigene Livebilder produzieren zu können, kontrollieren heute schon das Fernsehsignal und damit auch die Wahrnehmung der Massen. Die IOC-eigene Produktionsfirma Olympic Broadcasting Services (OBS), die ihre auf die jeweiligen Sportarten abgestellten Fernsehteams, Kameras und Sendekonzepte zu den Spielen schickt, hat ihren Sitz in Madrid - gleich neben dem "Olympic Channel", für dessen Aufbau das IOC 446 Millionen Euro (bis 2021) bereitgestellt hat. Das kann sich der Ringekonzern leisten, weil er als von großen Fernsehsendern und kapitalen Sponsoren gepäppelter Monopolist über eine marktbeherrschende Stellung verfügt, die er nun auch auf das digitale Medium auszuweiten sucht. Gestützt wird die marktwirtschaftliche Offensive von einer Beteiligungsstruktur, die weit über den kommerziellen Sport-Medien-Komplex hinaus bis in die heiligen Hallen von Kultur, Wissenschaft, Medizin und Recht reicht. Die bittere Wahrheit ist, daß mehr Akteure direkt oder indirekt aus dem skandalträchtigen Futternapf von FIFA, IOC oder anderen auf Gewinnmaximierung und Wachstum ausgerichteten Sportunternehmen fressen, als es der Mediensport zuzugeben vermag, um sich nicht selbst zur Disposition zu stellen.

Fluchtpunkt der sich am Sport nährenden Professionen ist der Legalismus, der verspricht, daß man die Probleme, Widersprüche oder Aporien des Hochleistungssports - stellvertretend für die Abgründe der warenförmigen Leistungsgesellschaft - mit einer progressiven Law-and-Order-Politik in den Griff bekommen könnte. Die Kriminalisierung von Sportregelverstößen wie Doping - bald wohl auch Wettmanipulation und Spielabsprachen - sowie die institutionelle Verpolizeilichung des Sports wird von einem desillusionierten Transparency-Journalismus der Leitmedien vorangetrieben, der durch "kritische Distanz" zu den Wirtschaftsakteuren Qualität gewinnen will. Daß diese kritische Distanz von ähnlicher Natur ist wie die Jovialdistanz der Marke "Waldi" Hartmann (Ex-ARD-Moderator), nur daß jetzt viel härtere Register von Konsens und Vermeidung gezogen werden, darf niemals Gegenstand kritischer Selbstreflexion werden. Der neue kalte Sportjournalismus fraternisiert nicht mehr wie die seifigen "Duzbrüder" des Gewerbes mit den Sportinterpreten, sondern mit den drahtigen Kriminalisten vom Schlage Travis Tygart (Chef der US-Anti-Doping-Agentur), Jeff Novitzky (Food-and-Drug-Agent der USA) oder Günter Younger (WADA-Chefermittler). Statt auch diesen Sicherungsagenten des globalen Sportsystems den Handkuß zu verweigern, setzt der sogenannte Qualitätsjournalismus, der sich wie die Süddeutsche Zeitung Hardliner-Funktionären wie Clemens Prokop (Leichtathletik-Präsident und Jurist) oder "PR-Kopf des Jahres 2008" Hans-Wilhelm Gäb (Ex-Tischtennis-Präsident und -Automobilmanager) verbunden fühlt, auf die Schlagkraft des kriminalpolizeilichen Apparats.

Dieser Sportjournalismus, der die Verdachtsschere im Kopf schon so verinnerlicht hat wie der gemeine Sportreporter die Vereins-PR, tritt für härtere Gesetze, schuldunabhängige Kollektivstrafen, lückenlose Verdachtskontrollen und permanente Polizeirazzien ein und jagt den Sünder genauso unbarmherzig durch das mediale Dorf wie der Hofberichterstatter den Radprofi über die Pyrenäen. Damit befindet sich dieser Nach-Wende-Journalismus voll auf der Höhe des gesellschaftlichen Zeitenwandels. In digitalen Postdemokratien, in denen biometrische Gesichtserkennung öffentlicher Räume, elektronische Fußfesseln für "Gefährder", geheimdienstliche Massenausspähung oder präventives Policing Zug um Zug legalisiert werden, geht es nicht mehr um die soziale Frage, die auch beim Sport vornean stehen sollte, sondern nur noch darum, wie man die Funktionstüchtigkeit der kapitalistischen Eigentumsordnung unter den sich abzeichnenden Kriegs-, Krisen- und Mangelentwicklungen aufrechterhält. Weil Kritik in der von Sportkonzernen, Sponsoren oder medialen Selbstverwertern abhängigen Sportberichterstattung kaum noch oder gar nicht mehr möglich ist, wie VDS-Vertreter rundheraus einräumen, die sich ihres Dilemmas als Dienstleister der Unterhaltungsindustrie durchaus bewußt sind, bleibt nur noch der Ausweg, andere Umstände oder Personen für die eigene Misere verantwortlich zu machen. Also prügelt man weiterhin auf Dopingsünder ein, verortet publikumswirksam das Böse in Rußland und dreht den marktsauberen, extrem anpassungswilligen Athleten unverdrossen durch den Wolf medialer Leistungsschau.

Daß Sportjournalisten die Freiheitseinschränkungen der wie potentielle Schwerverbrecher behandelten Athleten zu akzeptieren bereit sind, welche sie sich selbst tunlichst verbitten würden, zeigt deutlich, welchen Abstand sie zu den modernen Spiele- und Sportgladiatoren bereits eingenommen haben - von der als "normal" hingenommenen Trainingsfolter, den Wettkampfqualen und Verletzungsfolgen bei Spitzensportlerinnen und -sportlern gar nicht erst zu reden. Der kalte Qualitätsjournalismus, der sich den "ethisch reinen", "code-complianten" oder von "unabhängigen Instanzen" kontrollierten Hochleistungswettbewerb der Körper erträumt, noch dazu unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen, hat selbst ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

Fußnoten:

[1] http://www.die-medienanstalten.de/presse/pressemitteilungen/kommission-fuer-zulassung-und-aufsicht/detailansicht/article/zak-pressemitteilung-022017-zak-beanstandet-internet-liveuebertragung-der-handball-wm-2017.html. 31.01.2017.

[2] http://www.zeit.de/news/2017-01/06/handball-nach-streaming-loesung-vor-wm-kritik-an-rechteinhaber-06132603. 06.01.2017.

[3] Eric Ertl, Sport-Journalismus. Wie der Leistungssport auf den Begriff kommt, in Gerhard Vinnai (Hrsg.), Sport in der Klassengesellschaft, Frankfurt 1972.

14. Februar 2017


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