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KOMMENTAR/267: Olympia - Ballerspiele abgelehnt ... (SB)



IOC-Präsident Thomas Bach hat Vertretern der Computerspiele-Industrie, die auf eine Aufnahme von E-Sport ins Programm für die Sommerspiele 2024 in Paris und 2028 in Los Angeles drängen, vorerst eine Absage erteilt. "Wir können kein Spiel im Olympischen Programm haben, das Gewalt und Diskriminierung propagiert", sagte der IOC-Chef der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). "Sogenannte Killerspiele" stünden aus Sicht des IOC im Widerspruch zu den olympischen Werten und könnten daher nicht akzeptiert werden. [1]

Seine Absage dürfte vor allem beliebten Ego- und Taktik-Shootern wie "Counter-Strike", "Fortnite", "Overwatch", "Call of Duty" oder "Rainbow Six Siege" gegolten haben, die gemeinhin mit "Tötungsspielen" assoziiert werden, während Sport- und Wirtschaftssimulationsspiele wie "FIFA" oder "SimCity" wohl eher nicht gemeint waren. Auf Nachfrage des AP-Reporters räumte Bach ein, daß Kampfsportarten wie Boxen, Ringen oder das von ihm selbst einst sehr erfolgreich betriebene Fechten ihre Ursprünge in realen Kämpfen unter Menschen hätten. Gleichzeitig sei aber der Sport eine zivilisierte Form ("civilized expression") dieser Duelle. Wenn es jedoch wie bei E-Games darum gehe, jemanden zu töten, könne das nicht mit den olympischen Werten in Einklang gebracht werden.

Das ursprüngliche Duellfechten zielte darauf ab, den Gegner mindestens kampfunfähig, wenn nicht gar ihm den Garaus zu machen. Die Absicht, einem Gegner mitunter tödliche Hiebe oder Stiche beizubringen, ist im modernen Sportfechten durch Regeln, Schutzmaßnahmen und technische Zählwerke so stark verfremdet, daß es heute nur noch um elektronisch angezeigte "Treffer", denn um das Beibringen letaler Verletzungen geht. Zwar dürften auch E-SportlerInnen nicht ernstlich annehmen, einen realen Kampf in der virtuellen Welt des Gamings auszufechten, doch eine Vielzahl der populären Videospiele werden in einem Setting ausgetragen, wo die rigorose Zerstörung des Gegners in stilisierter wie möglichst realitätsnaher Form audiovisuell in Szene gesetzt wird. Solcherlei Zuspitzungen finden im Traditionssport definitiv nicht statt. Auch beim olympischen Sportschießen, das seine Ursprünge im Jagen und Kriegführen hat, wird nicht auf Ziele geschossen, die lebende Gestalt haben, sondern ausschließlich auf Scheiben.

Die eng mit Militärtraditionen verflochtene Geschichte des Sports belegt allerdings, daß auch Schieß- oder Kampfsportarten in den Dienst des Zerstörens und Tötens bzw. zur Hebung der militärischen Tauglichkeit gestellt werden können. Der Wehrsport im Nationalsozialismus zeigt dies auf besonders drastische Weise. Noch heute gilt der Sport als wichtiges Instrument, die Menschen nicht nur fit für Arbeit und Produktivität zu machen, sondern auch für die Grund- und Einsatzbereitschaft der Armee. Sportvordenker wie Prof. Carl Diem, der die Sporterziehung, Sportwissenschaft, Olympische Bewegung und staatliche Sportverwaltung in Deutschland maßgeblich mitgestaltet hat, haben "Bürgertüchtigkeit" und "Wehrtüchtigkeit" immer zusammengedacht. Zwar sind wehrsportliche Übungen in Schule und Sportvereinen nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu verschwunden (die DDR betrieb Wehrerziehung mit wehrsportlichen Elementen; für die Streitkräfte der BRD gilt noch heute das Deutsche Sportabzeichen "als Grundlage für die Fitness der Soldaten"), doch in Zeiten, wo die Bundeswehr mit Hilfe von "Olympix"-Veranstaltungen wieder gezielt auf Rekrutenfang geht, Sportdachverbände wie DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) und DBS (Deutscher Behindertensportverband) bei der Medaillen- und Vorbildproduktion verstärkt Kooperationen mit dem Verteidigungsministerium eingehen, sportliche Fitness in der Militärausbildung wieder eine größere Bedeutung zukommen soll und die FDP die Etablierung von "Invictus Games" für physisch und psychisch verwundete Soldaten in Deutschland fordert, sind Zweifel angesagt. Zumal sich die Bundeswehr keineswegs mehr nur auf die Landesverteidigung beschränkt, sondern zur professionellen Interventions- und Besatzungsarmee gewandelt hat - mit den Worten des früheren Verteidigungs-, Innen- und Sportministers Thomas de Maizière zur "Armee im Einsatz".

In einem SZ-Interview aus dem Jahr 2011 erklärte der CDU-Politiker einmal, daß zum Aufgabenspektrum der Bundeswehr heute auch Auslandseinsätze gehörten: "Die können gefährlich sein - Töten und Sterben gehören dazu. Damit kann man nicht werben, aber man muss die Wahrheit sagen." [2]

Um zu unterstreichen, daß in der Bundeswehr nicht schießwütige Abenteurer sind, sondern Soldaten, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Waffen pflegen, kam Thomas de Maizière im besagten SZ-Interview auch auf sogenannte Ballerspiele am Computer zu sprechen. "Heute sind junge Menschen in extensiver Weise einem verantwortungslosen Umgang mit Waffen ausgesetzt, zum Beispiel mit Computerspielen", meinte der Minister. "Da kann man andere umballern und hat selbst angeblich mehrere Leben. Wer aber lernt, was es heißt, eine Handgranate in der Hand zu halten und den Abzugsring zu ziehen, der geht später auch verantwortungsvoller mit dem Thema Gewalt um." [2]

Wenn es doch um einen verantwortungsvollen Umgang mit den "Waffen" geht, warum sollte den ein Gamer nicht erlernen können? Es ist sicherlich zutreffend, daß E-Sportlern ein echter haptischer Umgang mit den Waffen ihrer durch die Spieleindustrie vorgeprägten Zerstörungsphantasie fehlt. Diese Entfremdung ist allerdings in einer weitreichend technifizierten Gesellschaft, in der z.B. Daten- und Kommunikationsträger genutzt werden, ohne daß die Anwender auch nur einen Gedanken daran verschwenden, zu wessen mitunter tödlichen Lasten die Extraktion der dafür benötigten Rohstoffe und Arbeitskräfte geht, längst Usus. Die tödliche Wahrheit steht, frei nach de Maizière, auf einem anderen Blatt - auf keinen Fall dort, wo Werbung, Unterhaltung und das ökonomische Kalkül die Akzente setzen.

Thomas de Maizières Einlassungen sind vor dem Hintergrund, daß das 2011 eingerichtete Nationale Cyber-Abwehrzentrum Personalmangel beklagt und die Bundeswehr 2017 damit begonnen hat, ein Kommando Cyber- und Informationsraum aufzubauen, dem knapp 14.000 Soldaten und Soldatinnen zugeordnet wurden, sowie des Erwerbs von bewaffnungsfähigen Kampfdrohnen und des perspektivischen Einsatzes von halb- oder vollautonomen Drohnenschwärmen, wie sie bereits heute über der Ostsee getestet werden, ohnehin veraltet. Denn die Bundeswehr sucht nicht nur sportlich gut trainierte Soldaten und Soldatinnen, die wissen, wie man mit Handgranaten umgeht, sondern auch solche, die sich auf den digitalen Schlachtfeldern von morgen bewähren - sei es als Hacker, Computer-Programmierer oder -techniker, sei es als Drohnenpilot/in, die Aufklärungsdienste für aktuelle Kriegseinsätze leisten, sei es als Cyberkrieger in spe, um wie die US-Soldaten in Ramstein per "Joystick" die tödliche Bombenfracht ins Ziel zu lenken. Cybercrime und Cyberwar, die sich zusehends vermischen, sind IT-Boombranchen; da wollen auch die deutschen Sicherheits- und Rüstungsfirmen, die mit der Bundesregierung bestens harmonieren, nicht zurückstecken.

Folgerichtig war auf der jüngsten "gamescom", der weltgrößten Videospielmesse in Köln, auch die Bundeswehr vertreten, um junge, e-sport-affine Menschen für eine Karriere in Flecktarn anzuwerben. Auf Plakaten, die der Zielgruppe entsprechend in Computerspieloptik gehalten waren, prangten Slogans wie "Multiplayer at its best" oder "Mehr Open World geht nicht", was bezüglich der Bundeswehr offenbar positive Assoziationen wie "Teamgeist" oder "Einsatz für eine freie Welt" wecken sollte. Im Kleingedruckten war zu lesen: "Echte Kameradschaft statt Singleplayer-Modus? Mach, was wirklich zählt. Lerne Teamwork kennen und bewirb dich für eine Karriere bei der Bundeswehr". Und: "An deine Grenzen gehen statt in deinem Level festhängen?" [3]

Mit ähnlichen, auf die Alters- und Zielgruppe zugeschnittenen Abenteuer- und Teamgeist-Slogans wirbt die Bundeswehr auch im Traditionssport, ohne daß dies von den Spitzenfunktionären, die sich angeblich um die Werte des olympischen Sports sorgen, moniert wird. Im Gegenteil, als Thomas Bach noch DOSB-Präsident war, pries er die Bundeswehr, die bei den letzten Olympischen Winterspielen in Pyeongchang fast 40 Prozent aller deutschen Kadersportlerinnen und -sportler stellte und einen erheblichen Anteil der Fördergelder für den Elitesport trägt, mit den Worten: "Weit über die gewonnenen Titel und Medaillen hinaus ­geben die Erfolge der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ein attraktives Gesicht." [4]

Wie unschwer zu erkennen, sollen die Bürger fit für die Digitalisierung der Gesellschaft sowohl in der Produktion als auch für künftige Auslands- und Cybereinsätze gemacht werden. Der Sport mit seinen medial aufgehübschten Erfolgsmaskeraden trägt sein Scherflein dazu bei - wobei es heute nicht mehr nominell um Wehrtüchtigkeit geht, sondern um Wettbewerbsfähigkeit. Daß sich hinter der Larve des E-Sports mehr verbirgt als bloßer Zeitvertreib und Unterhaltung für Millionen von Gamern, deutet der Koalitionsvertrag an, auf den sich CDU/CSU und SPD geeinigt hatten, um der wachsenden Bedeutung der "e-Sport-Landschaft" in Deutschland gerecht zu werden: "Da e-Sport wichtige Fähigkeiten schult, die nicht nur in der digitalen Welt von Bedeutung sind, Training und Sportstrukturen erfordert, werden wir e-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen." [5]

Nach dieser vollmundigen Ankündigung ruderte die Koalition später wieder etwas zurück. Dem DOSB soll es nun überlassen bleiben, im Rahmen der Verbandsautonomie eine "sportfachliche Position zu entwickeln". Der Dachverband hatte Ende 2017 die "AG eSport" gegründet und wird sich im Dezember erneut mit der Frage des E-Sports befassen.

Trotz bissiger Zwischenrufe von Sportfunktionären, E-Sport sei kein richtiger Sport, sondern eine absolute Verarmung für Kinder und Jugendliche, die sich immer mehr mit mobilen Endgeräten beschäftigten (DFB-Präsident Reinhard Grindel), oder von Jungfunktionären der Gamingindustrie, wonach es eine Spaltung in einen guten oder bösen E-Sport mit den Branchenvertretern nicht geben werde (Hans Jagnow, Präsident des E-Sport-Bunds ESBD), werden sich die Spiele-Lobbyisten schon auf einen marktkonformen Modus Vivendi einigen. "Killerspiele" werden höchstwahrscheinlich ebensowenig Teil des olympischen Programms wie beispielsweise "Handgranatenwurf", der internationalen Militärsportwettkämpfen vorbehalten bleibt. Das ist auch nicht nötig, denn um Kinder und Jugendliche mit Hard und Soft Skills auszustatten, die sie für ein gutes Funktionieren in der Cyberwelt tauglich machen, reichen auch E-Sport-Varianten aus, in denen der gegenseitige Überbietungswettbewerb weniger martialisch in Szene gesetzt wird. Als Motor zur Entwicklung industriegesellschaftlicher Paßförmigkeit hat der Sport schon immer eine herausragende Rolle gespielt. Zwar wird Körperlichkeit im E-Sport immer mehr auf hochreaktive Anpassungsleistungen an digitale Muster und kognitive Scheinwelten reduziert. Doch auch dabei lassen sich Medaillen, Pokale und Prämien gewinnen.

Fußnoten:

[1] https://apnews.com/3615bd17ebb8478ab534691080a9a32a. 01.09.2018.

[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/verteidigungsminister-de-maizire-im-sz-interview-toeten-und-sterben-gehoeren-dazu-1.1113624. 16.07.2011.

[3] https://meedia.de/2018/08/23/double-kill-multi-kill-bundeswehr-wirbt-auf-der-gamescom-im-stil-von-ego-shootern-und-zieht-kritik-auf-sich/. 23.08.2018.

[4] https://www.bundeswehr.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmE2ODMzNzk2NDZjNzgyMDIwMjAyMDIw/Konstant%20in%20der%20Erfolgsspur_September%202010_barrierefrei.pdf. September 2010.

[5] https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1

4. Oktober 2018


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