Schattenblick →INFOPOOL →THEATER UND TANZ → FAKTEN

INTERNATIONAL/008: Wake up - Moderner Tanz aus Südafrika (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2014

Wake up - Moderner Tanz aus Südafrika
ZUSAMMENHALT UND GEMEINSCHAFT - INKLUSION ODER GEWALT. Diese Themen übersetzt das Vuyani-Tanztheater aus Johannesburg in ausdrucksstarke Körpersprache.

von Rita Schäfer



Zwei junge Tänzerinnen und vier Tänzer bewegen sich zunächst freundlich gestikulierend, dann mit immer mehr Imponiergehabe aufeinander zu. Sie repräsentieren unterschiedliche Typen - Vielfalt und Gegensätzlichkeit, die keineswegs nur die junge südafrikanische Gesellschaft kennzeichnen. Scherzende Fröhlichkeit schlägt allmählich in Provokationen untereinander um. Einige schmieden Allianzen, um dann genauso rasch gegeneinander anzutreten. Mit dynamischen und einnehmenden Bewegungsformationen bringt diese Tanzgruppe gestenreiche Spielarten von Kooperation und gegenseitiger Unterstützung auf die Bühne. Dazwischen sind immer wieder abrupte Unterbrechungen, in denen Einzelne ausgegrenzt, ja angefeindet werden. Mühsam, teils verzweifelt müssen sie um die Gunst der Anderen ringen. Diese spannungsgeladene Atmosphäre überträgt sich auf das Publikum, zumal auch die speziell für das Stück komponierte Musik den immer schnelleren Herzschlag nachempfindet. Bei überfallartigen Gewaltattacken wechseln Opfer und Täter/-innen rasch ihre Rollen und Zugehörigkeit. Es sind dramatische Szenen, die sich auch auf Schulhöfen von Eliteinternaten oder an den Treffpunkten von Township-Cliquen abspielen könnten.

Das Stück ist ein Weckruf an Jugendliche, über das eigene Verhalten nachzudenken - das Gegeneinander in ein Miteinander zu verwandeln. Wie wichtig dies ist, zeigt die Zusammensetzung der Gruppe: Neben südafrikanischen Tänzer/-innen aus verschiedenen Landesteilen wirkt auch der kongolesische Jungstar Chris Many Babingui mit. Er kommt aus Brazzaville und wurde vom dortigen Choreographen Florent Mahoukou ausgebildet. Der junge Tänzer träumt davon, in seiner Heimatstadt selbst Kinder und Jugendliche im modernen afrikanischen Tanz zu schulen. Babingui möchte seine Erfahrungen teilen, denn er ist überzeugt, dass dieser kreative Tanzstil nicht nur ihm, sondern auch anderen jungen Menschen viele unterschiedliche Ausdrucksformen ermöglicht.

"Wake up" ist eine klare Stellungnahme gegen Xenophobie und für Kooperation. Denn das Stück entwickelte Florent Mahoukou gemeinsam mit Gregory Vuyani Maqoma, dem Gründer und künstlerischen Leiter des Johannesburger Vuyani Dance Theatre. Maqoma, der zu den bedeutendsten Choreographen des Kontinents zählt, wuchs in Soweto auf und ging in den 1990er Jahren bei Moving into Dance in Ausbildung. Dieses Pionierprojekt der Tanzlehrerin und Anti-Apartheidaktivistin Sylvia Glasser, deren Eltern jüdische Einwanderer aus Litauen waren, verband noch vor der politischen Wende auf subversive Weise südafrikanische und europäische Tanztraditionen. 1999 gründete der junge Maqoma die Kompanie Vuyani. Als Nachfahre des legendären Xhosa-Chiefs Maqoma musste er viele Vorurteile gegen Männer als professionelle Tänzer überwinden. Mit Vuyani entwickelte er einen eigenen, inzwischen mehrfach ausgezeichneten Tanzstil.


Trennlinien

Maqoma und Mahoukous Zusammenarbeit fruchtete auch im Stück "Between us", in dem Shawn Mothupi und Thulani Chauke in khakifarbigen Kolonialuniformen und alten Brillen von Verwaltungsangestellten aufeinander treffen. Zunächst reichen sich die zwei jungen Männer die Hände und es scheint so, als ob sie mit ihren tastenden, spiegelbildlich gleichen Bewegungen eine sinnliche Symbiose eingehen. Doch aus dem ruhigen Erkunden verbindender Harmonie wird allmählich ein bedrückendes Ringen um Nähe und Distanz. Wenn ein Tänzer individuelle Bewegungsspielräume auslotet, beginnt der andere angstvoll zu zittern. Egoistisches Machtgebahren und Gesten der Untertänigkeit gewinnen Überhand, was auch die eingespielten verzerrten Klangfetzen unterstreichen. Diffuse Übergänge zwischen Licht und Schatten erschweren schon optisch die Suche nach einem Ausweg. Da helfen auch die glaslosen Brillen nicht - Symbole von bürokratischer Kontrolle, aber auch von intellektueller Reflexion, die die Tänzer während des gesamten Auftritts weiter tragen.

Während koloniale Erfahrungen im Kongo schon eine Generation zurückliegen, ist das dominante Auftreten weißer Machthaber gegenüber schwarzen Untergebenen in Südafrika noch ganz präsent. Über Jahrhunderte haben zahllose junge Schwarze Demütigungen durch weiße Vorgesetzte ertragen müssen, was ihr Verhältnis untereinander beeinflusste. Selbst persönliche Beziehungen und Freundschaften zwischen schwarzen Männern sind nicht frei davon. Ob trotz der Überwindung kolonialer Hierarchien die Kluft zwischen den Männern überbrückt werden kann, bleibt fraglich, denn Unterdrückungspraktiken hinterlassen auch bei den Herrschenden Spuren. Expressiv zeigen Chauke und Mothupi die Konflikte zwischen Menschen, die eine geteilte Geschichte verbindet und gleichzeitig trennt.


Tanzen als Beruf

Shawn Mothupis Lebensweg illustriert, wie wichtig moderner Tanz für junge Township-Bewohner sein kann. Er wuchs in Mamelodi bei Pretoria auf und hatte die Möglichkeit, am dortigen Tanzunterricht von George Oliphant teilzunehmen. Während einige Gleichaltrige seine Tanzbegeisterung als unmännlich belächelten, ermutigte ihn seine Großmutter, diesen Weg weiterzugehen. Nach der Schule absolvierte Mothupi ein Wirtschaftsstudium und arbeitete zunächst für Unternehmen, dann brachte ihn eine zufällige Begegnung mit dem Choreographen Gregory Maqoma wieder zurück zu seinem Kindheitstraum: dem modernen Tanz. Seit über zehn Jahren gehört Mothupi zu den professionellen Tänzern des Vuyani-Teams. Beim Stück Emoticons (eingerahmte Gefühle) leitete er selbst die Choreographie; darin geht es um die Prägung, Bedrohung und Unterdrückung wahrer Gefühle und die Verzerrungen der Persönlichkeit durch Konformitätszwang.

Shawn Mothupi wirkte an vielen Inszenierungen des Vuyani-Teams mit, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur sowie den Jahreszeiten auseinandersetzten. Ganz aktuell tritt er beim Stück Vollmond auf, das zum Nachdenken über Südafrikas Platz in der Welt zwanzig Jahre nach der demokratischen Wende anregen will. Eine fantastische Bühnenschau mit ideenreichen tänzerischen Interpretationen, kreativen Kostümen und neuen Kompositionen verwebt Hoffnungen, Träume und Mythen. Mothupi nahm an nationalen Festivals und an internationalen Tourneen teil, so am Dance Dialogue Africa-Programm, das ihn nach Düsseldorf, Dresden und Münster führte. Die Tanzausbildung von Kindern und Jugendlichen ist sein persönliches Anliegen.

Das Vuyani-Tanzteam organisiert Nachmittagskurse in Townships im Großraum Johannesburg, auf diese Weise können Mädchen und Jungen einiger Grundschulen in Alexandra, Orange Farm und Soweto die ausdrucksstarke Körpersprache des modernen Tanzes erlernen. Kurse für Aids-Waisen und gehörlose Kinder stehen ebenfalls auf dem Programm. Für Shawn Mothupi und seine Kollegen/-innen bietet die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auch eine Möglichkeit, choreographische Kompetenzen weiterzuentwickeln, indem sie neue Themen gemeinsam mit der nächsten Generation erproben und in den Townships aufführen. Ein zusätzliches Mentoring-Programm fördert junge Tanztheatertalente vor Ort. Solche Angebote stärken das Selbstbewusstsein der beteiligten Jugendlichen und vermitteln ihnen neue Zukunftsperspektiven.


Afrikanische Tanzdialoge

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Tanzteams aus verschiedenen Ländern wurde vom zweijährigen Programm Dance Dialogues Africa ermöglicht, an dem fünf Zentren für modernen afrikanischen Tanz in Kongo, Südafrika, Mosambik, Mali und Tunesien sowie fünf Tanzzentren in deutschen Städten teilnahmen. Stefan Schwarz, Projektleiter vom Tanzhaus NRW in Düsseldorf, setzte alles daran, dass diese Tanzkooperationen möglich wurden. Eine finanzielle Förderung durch die Bundeskulturstiftung schuf schließlich die Grundlage für das ambitionierte Austauschprogramm zwischen bedeutenden Choreographen und deren Tanzkompanien. Das Ergebnis waren dreizehn Koproduktionen, die in den beteiligten Ländern gezeigt wurden. Gemeinsame mehrwöchige Proben der Tänzer/-innen und Tandem-Kooperationen der Choreographen zeugten von der Intensität der Zusammenarbeit und der Weiterentwicklung ästhetischer Ansätze. Bewusst verbanden sie unterschiedliche Tanz- und Musiktraditionen aus afrikanischen Ländern mit neuen körperlichen Ausdrucksformen und Kompositionen.

Ein abschließendes Festival mit über fünfzig Auftritten in etlichen deutschen Städten rundeten das facettenreiche Programm ab. Vor allem jüngere Choreographen, die erstmals ihre ideenreichen Stücke in Europa vorstellten, ließen ihr Publikum teilhaben an der Ausdrucks stärke, Vielfalt und Ästhetik heutiger Tanzkunst aus Afrika. Einzelne Tänzer wie Mothupi boten auch Workshops zum Austausch mit deutschen Kollegen an. Wünschenswert wäre es, wenn Dance Dialogues Africa den Grundstein für den Aufbau kontinuierlicher Kooperationen gelegt hätten und weitere afrikanische Gruppen darin einbezogen würden.

*

Weitere Artikel in afrika süd Nr. 3, Mai/Juni 2014

DIE WÜRFEL LIEGEN BEIM ANC
Gastkommentar von Steven Friedman zu den Wahlen in Südafrika.

AKTUELL


SÜDAFRIKA: WAHLEN

KEIN GRUND ZUM FEIERN
Bei den Wahlen in Südafrika ist der ANC bestätigt worden. Die heimlichen Wahlsieger aber sind die Nichtwähler, meint Henning Melber.

NACH DER WAHL - BEGINN EINER NEUEN POLITISCHEN ÄRA?
Über die Zukunft Südafrikas nach den Wahlen wurde auf einer Podiumsdiskussion der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin debattiert. Rita Schäfer war da.


SÜDAFRIKA: JUGEND

JUGENDLICHE UND JUNGE MENSCHEN - DIE ZUKUNFT SÜDAFRIKAS
Zum Schwerpunkt "Jugend in Südafrika"

JUGEND IN ZEITEN DES ÜBERGANGS
Von Jan Schenk und Jeremy Seekings.

SÜDAFRIKAS JUGEND - AKTEURE DES WANDELS
Von Angelique Thomas.

GENERATION Z UND DIE REVOLUTION DER SÜDAFRIKANISCHEN LESEKULTUR
Von Sandra Stadler.

XOLELWAS ZORNIGES HERZ
Von Lutz van Dijk.

ICH MÖCHTE EINFACH NUR LEBEN
Von Hanspeter Reihling.

TRADITIONELLE JUNGENBESCHNEIDUNGEN
Von Louise Vincent.

ZWISCHEN SCHULBÜCHERN UND BABYS
Von Robert Morrell, Deevia Bhana und Tamara Shefer.

WAKE UP - MODERNER TANZ AUS SÜDAFRIKA
Von Rita Schäfer.

AUSGEGRENZT IN ZWEI WELTEN
Von Ruth Weiss.


DR KONGO: LITERATUR

IM FLUSS DER ERINNERUNG
Die Plünderung der Ressourcen im Kongo hat seine Autoren inspiriert. Manfred Loimeier über Literatur in der DR Kongo.

SINUSBOGEN ÜBERM KONGO
Textausschnitt aus "Sinusbogen überm Kongo" von In Koli Jean Bofane.


ANGOLA

ISLAM ALS SÜNDENBOCK
Angolas Regierung hat 194 Religionsgemeinschaften verboten, neben christlichen Sekten auch den Islam. Rafael Marques de Morais zur Rolle von Islam und Staat.


LESOTHO

NEBENSACHEN AUS MASERU
Von Brigitte Reinhardt.


SWASILAND

TRAUERN ODER ÜBERLEBEN
Witwen in Swasiland sind für die Trauerzeit ans Haus gebunden. Dagegen begehren sie nun auf, wie ein IRIN-Bericht zeigt.


NAMIBIA

VATER, DER DU RAGST IN DEN HIMMEL
In Windhoek wurden neue Staatsdenkmäler enthüllt. Über den Personenkult berichtet Joachim Zeller.


SÜDLICHES AFRIKA

CUBANGO KAVANGO OKAVANGO
Drei Namen, drei Länder, ein Fluss. Über das Wassermanagement an diesem Angola, Namibia und Botswana verbindenden Fluss schreiben Thomas Weinzierl und Janpeter Schilling.

GUTES GESCHÄFT MIT KLEINBAUERN
Das Südliche Afrika wird zu einem Eldorado für ausländische Gentech-Lobbyisten, warnt Ute Sprenger.


SERVICE

REZENSIONEN

*

Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
43. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2014, S. 24 - 25
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org
 
"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2014