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MELDUNG/066: Ruhrtrienale - Abschiedsrede des Intendanten Willy Decker (Ruhrtrienale)


Newsletter Ruhrtriennale vom 14. Oktober 2011

Am 9. Oktober endete die diesjährige Saison und damit der dritte Zyklus der Ruhrtriennale von 2009 bis 2011.


Die Abschiedsrede des Intendanten Willy Decker:

»Ich hatte die große Ehre, dieses wunderbare Festival in den zurückliegenden drei Jahren als Intendant leiten und zusammen mit meinem Team gestalten zu dürfen. Wir haben über diesen Zyklus mit einem verbindenden Thema einen Bogen gespannt und unter dem Motto der »Urmomente« Fragen nach der Beziehung zwischen Spiritualität und Kunst in den Mittelpunkt unserer Arbeit gestellt.

In diesem letzten Jahr sind wir dem Buddhismus begegnet und haben in der Mandala - Tradition des Tibetanischen bzw. des Bhutanischen Buddhismus ein besonders eindringliches Beispiel für die Durchdringung von künstlerischer und spiritueller Aktivität, zwischen der Materialität des Visuellen und der Immaterialität des Geistigen gefunden. Dieses hochkomplexe Abbild sowohl des Kosmos als auch unseres Bewusstseins ist aus dem denkbar flüchtigsten Material geformt, dem gefärbten Staub zermahlener Steine und verkörpert damit in seiner innersten Essenz das Prinzip der Vergänglichkeit und Flüchtigkeit aller Phänomene, dem zentralen Aspekt Buddhistischen Denkens. So ist dieses Mandala auch und vor allem ein Bild der Vergänglichkeit und ist selbst ein vergängliches Bild.

Auch wir, die Macher und vor allem die Künstler haben aus vergänglichen Bildern, genauso flüchtig wie der Sand des Mandalas, das künstlerische Gesamtbild dieser vergangenen drei Jahre aufgebaut. Wir haben sozusagen unser eigenes Mandala, ein Mandala der Künste aufgebaut, genauso vielgestaltig in den Formen und genauso vielfältig in seinen unterschiedlichen Farben. Als Endpunkt dieser Arbeit steht nun sehr bewusst die Errichtung und vor allem die Zerstörung dieses Mandalas, auch symbolhaft als Spiegelung der Flüchtigkeit all unserer Kunst.

Theater und Musik bilden das Hauptmaterial unseres Mandalas und sind unter den Künsten diejenigen, die am stärksten der Zeit und damit der Vergänglichkeit ausgesetzt sind. Wenn am Ende einer Theateraufführung das Licht erlischt oder der Vorhang sich schließt, bleibt nichts zurück, nur Schauspieler, die zu ihrer Alltagswirklichkeit zurückgekehrt sind. Von der Musik bleibt, wenn der Ton verklungen ist, der Musiker, der sein Instrument abgesetzt hat, nur Erinnerung an Klang, nichts Greifbares zurück.

Luk Perceval hat von Theater und Kunst als dem »Schreiben im Sand« gesprochen. Theater und Musik ereignen sich immer nur im gegenwärtigen Moment, existieren nur im JETZT.

Und so wird schon am Ende des heutigen Tages alles was diese Hallen in den letzten 3 Jahren mit Leben und der Intensität von »Urmomenten« gefüllt hat, verflogen sein - wie Staub im Wind. Es bleiben nur die ganz und gar immateriellen Bilder unserer Erinnerungen zurück.

Mit der Zerstörung des Chakrasamvara - Mandalas wollen wir die Vergänglichkeit als Bedingung für jeden neuen Anfang nachdrücklich bejahen und gleichzeitig einen Kreis schließen, von diesem letzten Tag des Zyklus zum ersten Tag dieser Triennale 2009-2011. An diesem Eröffnungs-Tag der ersten Saison fand die Premiere von Moses und Aron statt und wir haben erlebt, wie Moses die Tafeln des Gesetzes zertrümmert, zerstört hat. Er wollte keine Abstraktion des reinen Gedankens zulassen - kein Bild, wie er verzweifelt ausruft »falsch wie ein Bild nur sein kann - so war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe, - - und kann und darf nicht gesagt werden.«

Moses erkennt in Bild und Wort den flüchtigen Staub, aus dem wir das Mandala unserer Vorstellungen zusammenbauen, aus unseren vergänglichen Gedanken, die zu Konzepten werden, aus denen Muster sich bilden, die zu Systemen werden und schließlich zu Ideologien erstarren. In verzweifelter Raserei muss er diese zu Gesetzen erstarrten Worte und Bilder zerstören, um zurückzukehren zur Reinheit der Gedanken, zur Wunschlosigkeit der Wüste, der Flüchtigkeit des Sandes, zutiefst verwandt dem buddhistischen Begriff der Leere.

Beginnend bei Moses schließt der Kreis sich heute, und endet wieder mit einer Zerstörung. Aber anders als in der verzweifelten Wut und Verneinung durch Moses ist die Zerstörung des Mandalas ein zutiefst bejahender Akt. Die Vergänglichkeit wird angenommen, ja, sie wird zur Vorbedingung für jeglichen geistigen Fortschritt.

Wir, das Team der Ruhrtriennale und ich, wollen mit diesem symbolhaften Akt der Auflösung des Mandalas bei dem das Bild zu Staub zerfällt, zu Staub, der eingesammelt und aus der Halle hinausgetragen wird, genauso wollen wir die Hallen räumen und Platz schaffen für das was kommt. Der Grundgedanke der Ruhrtriennale ist ihre permanente Erneuerung, alle drei Jahre ein Neuanfang, neue Gedanken, neue Konzepte. Diese wunderbare Ur-Idee der Triennale wollen wir durch die Zerstörung des Mandalas heute leidenschaftlich und nachdrücklich bestätigen, und wünschen denen die nachkommen, meinem Nachfolger Heiner Goebbels und seinem Team, Glück und Kraft in diesen grandiosen Hallen, die nun auf andere, auf neue Bilder warten.

IHNEN allen danke ich für Ihr Interesse und Ihre Treue zur Ruhrtriennale und setze nun ganz an den Schluss die zwei Worte, die hier im Revier diesen ganz besonderen, wunderbaren Klang haben: Glück auf!«

Willy Decker
Intendant der Ruhrtriennale 2009-2011


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Quelle:
Kultur Ruhr GmbH
Leithestraße 35, 45886 Gelsenkirchen
E-Mail: info@ruhrtriennale.de
Internet: www.ruhrtriennale.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2011