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BERICHT/013: YES-Theater Hebron - Leben unter Besatzung auf die Bühne gebracht (SB)



"Leben im Flüchtlingslager" im Dietrich Bonhoeffer Haus in Bonn am 18. September 2010

Eröffnungsszene - vier Akteure verschränkt - © 2010 by Sabine Werner

Eröffnungsszene "Leben im Flüchtlingslager"
© 2010 by Sabine Werner

Wer als Palästinenser in der Stadt Hebron im Westjordanland aufwächst, wird von Kindesbeinen an mit der Erfahrung konfrontiert, daß Menschen auf höchst unterschiedliche Weise privilegiert sind. Während sich eine kleine Zahl israelischer Siedler, von Soldaten geschützt, frei in der Stadt bewegen können, müssen ihre palästinensischen Bürger erhebliche Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit in Kauf nehmen. Die Hauptdurchgangsstraße der Stadt dürfen sie nicht benutzen, sie ist der exklusiven Nutzung der im Zentrum lebenden Siedler vorbehalten. Wer im Flüchtlingslager lebt, für den verschärfen sich die widrigen Lebensumstände um ein weiteres. Das eklatante Mißverhältnis zwischen der einheimischen Bevölkerung und den nach dem 1967er-Krieg in Hebron angesiedelten Israelis wirkt sich zudem negativ auf das wirtschaftliche Leben der Palästinenser aus, so daß die politischen Repression häufig von materieller Armut begleitet ist.

Symbolische Darstellung eines israelischen Checkpoints - © 2010 by Sabine Werner

Warten am israelischen Checkpoint
© 2010 by Sabine Werner

Diese Widersprüche im Rahmen einer zivilgesellschaftlichen Entwicklung, deren Voraussetzungen in den von Israel besetzten Gebieten der Palästinenser kaum schlechter sein könnten, mit künstlerischen Mitteln greifbar zu machen liegt nahe, wenn man verhindern will, daß Jugendliche für einen Kampf radikalisiert werden, der bereits zahlreiche Heranwachsende das Leben gekostet hat. Das Hebroner YES-Theater widmet sich dieser Aufgabe denn auch als nichtkommerzielle und parteiungebundene Nichtregierungsorganisation, die sich vorgenommen hat, insbesondere Kinder und Jugendliche für Schauspiel und Theater zu begeistern. Den fünf Initiatoren des Projekts geht es darum, Identität und Kultur der Palästinenser auf eine Weise zum Ausdruck zu bringen, die die künstlerischen Fähigkeiten der meist jugendlichen Akteure wie das gemeinschaftliche und kulturelle Leben Hebrons fördert.

Erzähler und vier Schauspieler - © 2010 by Sabine Werner Erzähler und vier Schauspieler - © 2010 by Sabine Werner

Ein Erzähler setzt den szenischen Rahmen
© 2010 by Sabine Werner

Seit 1997 haben die drei Schauspiellehrer Ihab Zahdeh, Raed Shiokhi und Muhamed Titi, die die künstlerische Leitung des Theaters innehaben, mehrere Stücke zur Aufführung gebracht. Zudem veranstalteten sie zahlreiche Workshops und Seminare, in denen sich Kinder, Jugendliche und Pädagogen mit allen Aspekten der Theater- und Bühnenproduktion befaßten. Noch unter dem Namen Theatre Day Productions waren sie auf diversen Festivals in Europa und Nahost vertreten. 2007 wurde die Hebroner Bühne unter dem Namen YES-Theater auf neue organisatorische Beine gestellt.

Derzeit befindet sich die palästinensische Truppe mit dem Stück "Leben im Flüchtlingslager" auf Tournee in Deutschland und Österreich. Die vier jugendlichen Akteure vermitteln dem Publikum auf der mit Requisiten äußerst sparsam bestückten Bühne einen Eindruck davon, was es heißt, unter den beengten Bedingungen des Lagers zu leben. Die Geschichte der Vertreibung und Besatzung tritt ebenso in Erscheinung wie Momente ausgelassener Freude und jäher Trauer. Die Schattenblick-Leserin Sabine Werner hatte Gelegenheit, die Aufführung des YES-Theaters am 18. September in Bonn zu besuchen.

Plakat 'Intifada 1987' - © 2010 by Sabine Werner Drei Akteure lesen aus Geschichtsbüchern vor - © 2010 by Sabine Werner

links: Stationen palästinensischen Widerstands ...
© 2010 by Sabine Werner

rechts: Geschichte wird gemacht ... von den Stärkeren
© 2010 by Sabine Werner

"Leben im Flüchtlingslager"

Ein Abend mit dem Jugendtheater "YES" aus Hebron.

Am Morgen danach versuche ich zusammenzufassen, was ich gestern erlebt habe.

Ja, was war es? Ein großer Theaterabend? - Nein, es fand eigentlich kein Theater auf der Bühne statt, sondern gespieltes, authentisches Leben!

Vier Jungen im Alter von 13 bis 16 Jahren berichten von ihrem Leben im besetzten Land, von ihrem Leben im Flüchtlingslager 'Al Fawwar, südlich von Hebron.

In der Vorbereitung dieses Stückes, hat jeder dieser vier jungen Menschen seine Lebensgefühle versucht in Worte zu fassen. Daraus entstand eine schriftliche Vorlage, die die Grundlage zu dieser szenischen Darbietung legte. In behutsamer und einfühlsamer Regie entwickelt sich so eine höchst lebendige, beklemmende, ausgelassene, kraftvolle Aufführung, in der die bedrängenden Themen ihres Lebens im Flüchtlingslager Ausdruck finden.

Die Sprache ist natürlich arabisch, gelegentlich englisch, ein auf deutsch gelesener Text führt durch die einzelnen Szenen. Aber das wäre kaum nötig , denn in der ausdrucksstarken, teils pantomimischen Darstellung versteht man, worum es geht.

Man versteht, dass es um die territoriale und mentale Einschnürung durch die israelische Besatzung geht - und um die unerträgliche Enge des Lebensraumes im Flüchtlingslager.

Die Zuschauer nehmen teil an der Freude einer Hochzeit und der lähmenden Trauer, als während der fröhlichen Hochzeitstanzes die Nachricht vom Tod eines Angehörigen hereinbricht. Eine Schulstunde wird persiflierend dargestellt und eine Fahrt im Taxi, bei der die Fahrgäste, bedingt durch die vielen Schlaglöcher, durchgeschüttelt und hochgeschleudert werden. Das wird urkomisch und grandios dargestellt.

So lag Komisches und Tragisches, Verzweiflung und Freude dicht beieinander in dieser Stunde, die wohl alle Zuschauer tief bewegte.

Das Publikum zeigte seine Begeisterung , indem es sich spontan von den Sitzen erhob, und mit nicht endenwollendem Applaus den vier großartigen Darstellern Mohammad, Muath, Wa'ad und Mohammed seine Ehrerbietung und seinen Dank darbrachte.

Für dieses nachhaltige Erlebnis bin ich dem Institut für Palästinakunde sehr dankbar, das in zähem Bemühen diesen Theaterabend für Bonn ermöglichte.

Sabine Werner

Die vier Akteure trauern um einen Angehörigen - © 2010 by Sabine Werner

In Trauer vereint ...
© 2010 by Sabine Werner

20. September 2010