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BERICHT/082: Der Widerspenstigen Zähmung - tonlos in die Luft gepfiffen ... (SB)



Den Kampf um die Spitze der Unterhaltungsmedien hat das Theater schon seit dem Aufkommen der ersten Kinos vor rund 100 Jahren verloren. Dennoch schwebt es bis heute nicht in Gefahr auszusterben, bringt es doch Elemente mit sich, die Film, Fernsehen und Internet nicht kopieren können. Der direkte Kontakt zwischen Schauspieler und Publikum, die Herausforderung für beide Seiten, mit minimalen visuellen Mitteln eine ganze Welt zu erschaffen und die vielen kleinen Imperfektionen, die einer Inszenierung erst Leben einhauchen, kann man über einen Bildschirm nicht vermitteln. Wenn ein Theatermacher sich aber entscheidet, alle Alleinstellungsmerkmale des Mediums über Bord zu werfen und stattdessen eine Fernseh-Sitcom auf einer Bühne aufzuführen versucht, dann ist das Scheitern vorprogrammiert. So geschehen ist es auch in Volker Lechtenbrinks Interpretation von Shakespeares Komödie "Der Widerspenstigen Zähmung", deren Ansatz einer freien und modernen Inszenierung leider nach hinten losgeht.

Schon im Aufmacher der Aufführung ist eine sich durch das ganze Stück ziehende Schwäche zu erkennen: den Rahmen des Stücks bildet eine Improvisation, die darauf hinausläuft, dass eine Gruppe von Handwerkern, Kostümbildnern und sonstigen Theatermitarbeitern die Rolle der Schauspieler in einer Shakespeare-Inszenierung übernehmen müssen. Alle Charaktere bewegen sich dabei durchweg im Bereich alberner und altbackener Klischees. Die Handwerker sind versoffene Rheinländer, der Regisseur ein divenhafter, übergewichtiger Herr mit buntem Hemd und Schal und der Intendant kommt als hysterischer Lackaffe daher, der ununterbrochen in sein Handy brüllt. Entsprechend einfallslos ist dann auch die Interaktion auf der Bühne, die in keiner Szene über schlechte Witze und Slapstick-Einlagen mit Getrampel und Geschrei hinausreicht. Der so gespannte Bogen um das eigentliche Stück kommt für die Zuschauer unerwartet und ungewollt. All das wäre in einer eigenständigen Inszenierung vielleicht noch zu verschmerzen, doch wird hier Shakespeare als Steigbügelhalter für Theater benutzt, dessen inhaltliches und sprachliches Niveau dem einer Karnevalssendung im Privatfernsehen entspricht.

Gerade Shakespeare lebt von seiner pointierten Sprache, durch die Witz, Charme und Vielschichtigkeit seiner Stücke entstehen. Versucht man, dies in einen modernen Kontext zu setzen, so ist eine absolute Grundregel, eben dieser Sprache treu zu bleiben. Ein Paradebeispiel dafür wäre die Verfilmung von Romeo und Julia aus dem Jahr 1996 mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes. Obwohl der Film mit seiner wüsten Mischung aus 90er Jahre Actionkino und schnulzigen Pop-Liedern eher wie ein überlanges Musikvideo daherkam, machte Regisseur Baz Luhrmann nicht den Fehler, Shakespeares Texte zu verändern und durch popkulturelle Anspielungen in einen modernen Kontext zu zwingen. Durch das Zitieren des Originaltextes entstand so eine moderne Fassung des klassischen Stückes, die trotz der kitschigen Hollywood Blockbuster Aufmachung in sich stimmig war.

"Der Widerspenstigen Zähmung" ist im Original eine stimmige und lustige Komödie über das Wechselspiel von Zank und Zuneigung in der Beziehung zwischen Mann und Frau. Wo aber ein Theatermacher wie Lechtenbrink versucht, durch seine freie Übersetzung und Überarbeitung das Ganze "noch lustiger" zu machen, braucht sich niemand wundern, wenn das Ergebnis bestenfalls den Charme von einem Teller Grünkohl hat: Die selbst erdachten Reime haben das Niveau einer Büttenrede im örtlichen Karnevalsverein und die peinlichen Versuche, "Slang" einzuflechten, lassen vermuten, der Übersetzer habe deutlich zu oft im Langenscheidt Wörterbuch "Jugendsprache" nachgeschlagen. Abgerundet wird die Blamage durch diverse Medleys deutscher Schlager und Popsongs, die von den Schauspielern dargeboten werden. Spätestens bei dem Gassenhauer "Wenn bei Capri die Rote Sonne im Meer versinkt ..." muss auch dem betagteren Publikum klargeworden sein, dass diese Aufführung nicht das war, was sie erwartet hatten.

Auf Eines ist Verlass: Es gibt viele moderne Stücke mit Witz und Charme und unverwüstliche Klassiker, die dem Theater immer wieder Leben einzuhauchen vermögen. Allein, es gilt zu hoffen, dass dabei die Qualität siegt und Aufführungen wie diese eine Ausnahme bleiben. Zumindestens jedoch sollten sie bei der Inanspruchnahme geradezu klassischer Titel nach Shakespeare, und sei es nur zur bloßen Information, so etwas wie Verständnisbrücken zum ursprünglichen Theaterstück und seinen Inhalten, besonders für die Neulinge unter den Zuschauern, aufweisen.


Petruchio hält die irritiert blickende Katharina im Arm und macht mit der anderen Hand eine effektvolle Geste. - © Oliver Fantitsc, c/o Ernst Deutsch Theater

"Funkenmarie und Tanzmajor?"
© Oliver Fantitsc, c/o Ernst Deutsch Theater


Der Widerspenstigen Zähmung
William Shakespeare
Übersetzung und freie Überarbeitung von Volker Lechtenbrink
Vorstellung am 07.04.2017 im Ernst Deutsch Theater Hamburg

10. April 2017


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