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BERICHT/094: Kampnagelsommer - Eine Bühne für Praxis und Konsequenz ... (SB)


Im Rahmen des Kampnagel Sommerfestivals 2017 fand vom 17. bis zum 24. August am Südrand der Hamburger HafenCity das vielschichtige und spannende Projekt Free Port Baakenhöft statt. Urheber der Aktion war das Künstlerkollektiv Geheimagentur, das mit der Initiative Hamburg Port Hydrarchy schon seit einigen Jahren der Monopolisierung des Hafens der Hansestadt durch die Hamburg Port Authority (HPA) kritisch gegenübersteht. Der Schattenblick wollte die Aktivitäten am Baakenhöft nicht verpassen und besuchte die Veranstaltung am letzten Tag.


Transparent des Free Port Baakenhöft überdeckt an eine ganze Containerseite - Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Hamburg Port Hydrarchy läßt grüßen
Foto: © 2017 by Schattenblick

Der Termin des Besuchs war optimal. Es gab am Nachmittag eine Führung durch die gigantische, leerstehende Kakao-Halle des früheren Afrika-Terminals einschließlich einer Erläuterung alternativer Nutzungspläne. Danach kam es vor der offenen Bar am Free Port Baakenhöft zu einer informativen Diskussion darüber, wie zumindest die Westspitze der noch unbebauten, mehrere hundert Meter langen Landzunge am Baakenhafen als Raum gestaltet werden könnte, in dem die künstlerische und nicht die kommerzielle Nutzung im Vordergrund steht. An der Diskussion, die von zwei Mitgliedern der Geheimagentur geleitet wurde, nahmen seitens des Kampnagels Intendantin Amelie Deuflhard und Sommerfestivalleiter András Siebold, Harald Neidhart vom Projekt MLOVE, das sich mit der Zukunft des urbanen Lebens befaßt und mit einem eigenen Containerdorf samt Kleinbetrieben am Baakenhöft angesiedelt ist, Ulf Blaser, Kapitän des zum soziokulturellen Veranstaltungsboot umgebauten, ehemaligen Kühlschiffs M. S. Stubnitz, Siri Keil, die kulturpolitische Referentin der Fraktion Die Linke in der Hamburger Bürgerschaft, und Ellen Blumenstein, seit kurzem die erste Kuratorin für Kulturprojekte der HafenCity GmbH, teil.


Im Vordergrund das Containerdorf des Free Port Baakenhöft samt Anleger an der Kaimauer - Foto: © 2017 by Schattenblick

Der Blick vom Baakenhöft auf die Nordseite des Baakenhafens mit der HafenCity Universität am Petersenkai
Foto: © 2017 by Schattenblick

Danach kam es in der sommerlichen Frühabenddämmerung im Baakenhafen zu der mit Spannung erwarteten Battle of Baakenhöft. Extra zu diesem Zweck hatten mehrere Künstlergruppen in liebevoller Handarbeit eigene schwimmende Kreationen zusammengebastelt. Um die maritimen Kunstobjekte, die man an verschiedenen Stellen geankert bzw. festgemacht hatte, wurde ein Hindernisrennen per Floß veranstaltet, bei dem es weniger auf Geschwindigkeit als vielmehr auf seemännischen Umgang mit den Naturkräften ankam. Nacheinander haben sich jeweils zwei Mitglieder der vier teilnehmenden Mannschaften - "Grasschopper", "Heid & Griess", "Nonstop Schwitzen" und "We Are Visual" - aufs Wasser begeben und den Hindernislauf so gut wie möglich absolviert.

Die Zeit wurde gemessen, und nach jedem Lauf gab es Punkte für die stilistische Ausführung. Während die Lieblingsmusik der Teams über große Boxen erschallte - die Titelmelodien des Kinofilms "Fluch der Karibik" sowie der Fernsehserie "Das A-Team", "Sabotage" von den Beastie Boys und "Cool in the Pool" von Holger Czukay - wurden die Teams vom Ufer und Anleger aus angefeuert. Als mittendrin die Schaluppe, ein Kulturfloß für Hamburg, mit rund 20 Personen an Bord in den Baakenhafen einbog, um der Veranstaltung beizuwohnen, gab es am Ufer kein Halten mehr. Nach sorgfältiger Auswertung aller Daten ergab sich am Ende eine Pattsituation. Es wurden alle zu Siegern erklärt, was gleich im Anschluß mit einem kleinen Champagner-Umtrunk gebührend gefeiert wurde. Noch vor der Führung, der Diskussionsrunde und der Battle of Baakenhöft hatte der Schattenblick Gelegenheit, ein Interview mit einem Mitglied der Geheimagentur zu führen.


Blick auf den Baakenhöft aus nördlicher Richtung von der Baakenhöft-Brücke aus - Foto: © 2017 by Schattenblick

Free Port Baakenhöft bei Niedrigwasser
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick: Wie ist die Geheimagentur überhaupt auf den Themenbereich Hafen, Globalisierung, Seefahrt und Citizenship gekommen?

Geheimagentur: 2011 haben wir mit Hamburger Schulkindern ein Projekt über somalische Piraterie gemacht. Anlaß war die Überstellung von zehn somalischen Piraten in die Hansestadt im Jahr zuvor, um ihnen hier den Prozeß zu machen. Das hat uns darauf aufmerksam gemacht, was für ein wichtiger Knotenpunkt Hamburg in der globalen Seefahrt ist. Wir stellten fest, daß Hamburg quasi eine eigene Außenpolitik betreibt, ohne daß diese auf demokratische Weise entstanden wäre. Also haben wir beschlossen, uns damit näher zu befassen.


MLOVE Container samt Logos, im Hintergrund die große, alte Kakao-Halle - Foto: © 2017 by Schattenblick

Das MLOVE Smart City Containerdorf
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Erklären Sie uns bitte das Anliegen der Geheimagentur beim Projekt Free Port Baakenhöft.

GA: Es ging uns darum, Menschen in der Stadt kurzfristig die Erfahrung zu ermöglichen, wie ein anderer Umgang mit, ein anderer Zugang zum Hamburger Hafen aussehen könnte. Wenn man mit Hamburgern darüber spricht und ihnen sagt, daß einem der Hafen fehlt, dann verstehen viele den Einwand erst gar nicht, weil angeblich so viel Hafen vorhanden ist. Der Hafen kommt praktisch in jeder Stellungnahme der Hamburger Politik vor, denn er ist wirtschaftlich und auch für den Tourismus von überragender Bedeutung. Aber einen Hafen, der nicht nur ökonomischer Standort, sondern tatsächlich mit dem Alltag der Bürgerinnen und Bürger verbunden ist, der ihnen die Möglichkeit bietet zu erleben, daß in dieser Stadt Seehandel betrieben wird, daß es eine Tide gibt, daß uns überall so viel Wasser umgibt, das man als öffentlichen Raum auch nützen könnte, gibt es in Hamburg praktisch nicht. Auf diesen Umstand wollten wir hinweisen und den Mangel mit dem Free Port Baakenhöft ein Stückweit beheben.

SB: Nehmen Sie Anstoß am Ansatz der Stadt zur Errichtung der HafenCity? Bringt das neue Stadtviertel die Menschen dem Hafen nicht oder nur unzureichend näher?

GA: Man kann das auf verschiedenen Ebenen diskutieren. Zunächst werden mit der HafenCity die Interessen wichtige Akteure des Hamburger Hafens verwirklicht. Die großen Reedereien, Logistikunternehmen usw. haben hier alle ihre Büros. Insgesamt handelt es sich um einen Stadtteil, in dem wegen der hohen Mieten hauptsächlich Leute mit dem entsprechenden Einkommen wohnen bzw. ihre Firmen betreiben können. Das entspricht ganz genau der strengkapitalistischen Art, nach der auch der Hamburger Hafen geführt wird.


Die Gruppe 'Nonstop Schwitzen' bastelt am Floß - Foto: © 2017 by Schattenblick

Am Wassergefährt werden letzte Korrekturen vorgenommen
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Im Vergleich zu vor fünfzig Jahren arbeiten heute sehr wenige Hamburger im Hafen. Die Technologie der modernen Logistik hat die meisten Arbeitsplätze wegrationalisiert. Könnten Sie uns die Entwicklung vielleicht etwas näher erläutern?

GA: Von den 1960er bis zu den 1980er Jahren hat Hamburg wie alle großen Seehäfen der Welt auf die standardisierten 40-Fuß-Container umgestellt, die auf Schiffen gestapelt und vergleichsweise leicht auf Lkw und Zug geladen bzw. von diesem entladen werden können. In Folge dieser Umstellung ist die Verbindung der allermeisten Menschen in Hamburg zur Seefahrt abgerissen. Die Schauerleute zum Beispiel, die früher zu Tausenden jeden Tag Schiffe gelöscht haben, gibt es nicht mehr. Zum Arbeitsplatzabbau im Hafenbetrieb kommt hinzu, daß heute, verglichen mit früher, nur noch ganz wenige Leute aus Hamburg zur See fahren. Aufgrund der Technologie hat sich die durchschnittliche Schiffsbesatzung personell deutlich verringert. Während die heutigen Schiffe aus steuerrechtlichen Gründen in der Regel meistens ausgeflaggt sind, das heißt unter Flags of Convenience von Staaten wie Liberia oder Panama fahren, kommen die meisten Seeleute der unteren Ränge von den Philippinen und die Kapitäne und Offiziere aus Osteuropa oder aus Rußland.

SB: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Afrika-Terminal quasi zu besetzen?

GA: Der Afrika-Terminal steht auf dem Baakenhöft, dem letzten Teil des HafenCity-Geländes, der noch unverplant ist. Hier war rund 150 Jahre lang der Terminal des Hamburger Hafens für den Afrikahandel angesiedelt. Der Baakenhöft spielt daher eine tragende Rolle in der deutschen Kolonialgeschichte. Direkt vom hiesigen Kai, wo wir gerade sitzen, sind die kaiserlichen Truppen des damaligen Deutschen Reichs an Bord gegangen, die von 1904 bis 1908 im heutigen Namibia den Aufstand der Herero und Nama niedergeschlagen und diese Volksgruppen fast gänzlich ausgelöscht haben. Hier sind auch die ganzen Kolonialwaren aus den deutschen Überseegebieten gelöscht worden.


Afrikaner diskutieren vor offenem Container über die Beladung - Foto: © 2017 by Schattenblick

Container für den Afrika-Handel wird geladen
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Was waren das für Waren?

GA: In erster Linie Kakao, Kaffee und Gewürze - eben Nahrungsmittel und Rohstoffe, mit denen Hamburgs Geschäftsleute reich geworden sind. Auch nach den beiden Weltkriegen ist der Afrikahandel vom Baakenhöft aus noch lange weitergegangen. Bis vor drei Jahren wurden hier in der Halle Kakao und Kaffee gelagert. Heute weiß offenbar niemand so recht, was mit dem Riesengebäude passieren soll. Das Lagerhaus samt umliegendem Areal ist zum Spielball diverser Spekulationen geworden. Weil es bisher kaum eine öffentliche Debatte in der Stadt darüber gibt, wie dieser Ort künftig gestaltet werden soll, wollten wir eine solche anregen. Dabei haben wir verschiedene Punkte ins Spiel gebracht, die wir für wichtig erachten. Der eine ist die besondere Geschichte des Afrika-Terminals, die historisch sehr belastet ist, nicht nur aus der Kolonialzeit, sondern auch wegen der wirtschaftlichen Bedingungen danach. Wir schlagen vor, aus dem ehemaligen Afrika-Terminal das African Terminal zu machen. Hier sollen angehende und bereits tätige afrikanische Geschäftsleute, von denen wir nicht wenige in Hamburg haben, einen Ort bekommen, wo sie Märkte abhalten und von wo aus sie den Seehandel mit Westafrika betreiben, ausbauen und weiter entwickeln können.

SB: Haben Sie diesen Vorschlag dem Senat unterbreitet?

GA: Offiziell noch nicht. Es kommt nachher hier zu einer Diskussionsveranstaltung, zu der wir Parteien der Bürgerschaft eingeladen haben. Es wird allerdings nur eine Vertreterin der Linken erscheinen, was vor allem an der Urlaubszeit liegt. Als Performancegruppe wollten wir den Vorschlag erst einmal ausprobieren, bevor wir ihn in die Behörden hineintragen. Free Port Baakenhöft bildet sozusagen eine Testphase. In dem Zusammenhang haben wir auch die African Terminal Association gegründet, wo wir mit zehn Leuten, die aus Westafrika über das Mittelmeer hierher geflüchtet sind, dieser Tage einen 40-Fuß-Container nach Gambia schicken. Den haben wir mit gebrauchten Haushaltsgegenständen, teilweise von Hamburgerinnen und Hamburgern gestiftet, beladen. Dabei lernen alle Beteiligten, wie man Logistik im kleinen Stil mit Packing-Listen, Zollformularen und Umgang mit den Hafenagenturen et cetera macht.


Der riesige Afrika-Terminal verwahrlost - Foto: © 2017 by Schattenblick

Die alte Kakao-Halle
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Könnte man die Zusammenarbeit mit den afrikanischen Flüchtlingen als Ansatz in Richtung Fair Trade verstehen? Steckt ein solcher Gedanke dahinter?

GA: Ja und nein. Zuerst lernen wir das Geschäft, wie es das tatsächlich schon gibt, denn es wird in Sachen Gebrauchtwaren bereits heute von Hamburg aus viel mit Westafrika gehandelt. Das ist ein Geschäftszweig, den fast alle Afrikaner in Hamburg kennen und machen wollen. Dies festzustellen hat mich auch selber sehr überrascht. Ich habe viele Geflüchtete aus Afrika kennengelernt, und die haben alle Interesse am Seehandel bekundet. Aktuell findet der Seehandel mit Westafrika leider in ziemlich übel beleumdeten Gewerbegebieten am Rande Hamburgs statt. Die Afrikaner, die ins Geschäft einzusteigen versuchen, stoßen auf miserable Arbeitsbedingungen. Es gibt keinerlei Unterstützung und auch nicht so etwas wie Business Schools. Das Gegenteil ist der Fall. Die Stadt will diesen Handel partout nicht fördern, was wir von der Geheimagentur grundlegend falsch finden. Wir reden hier vom Handel der kleinen Leute. Leider scheint die Stadt, ganz konkret die Hamburg Port Authority, lediglich an Großprojekten interessiert zu sein und nicht daran, einen Handel zu fördern, der sowohl hier wie auch in Westafrika von kleinen Leuten betrieben wird.


Teilnehmer der Diskussionsrunde sitzen auf Holzstühlen vor den Containern des Free Port Baakenhöft - Foto: © 2017 by Schattenblick

Diskussionsrunde zum Thema künftiger Verwendung des Afrika-Terminals
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Die Aktion Free Port Baakenhöft bezieht sich nicht nur auf das Beladen und die Verschiffung von Containern mit Second-Hand-Waren. Worum geht es noch dabei?

GA: Zum "anderen Hafen", zum African Terminal in der kleinen Testversion, wie wir ihn hier versucht haben zu realisieren, gehört auch der Forschungsanleger. Das war nicht unkompliziert, denn wir haben hier Ebbe und Flut. Das heißt, wir mußten mit den Tidebedingungen klarkommen, weshalb wir auch einen Stelzenponton hingestellt haben. Auf dem Anleger forschen Künstler in Teams an kleinen, selbstgebauten schwimmenden Strukturen. Da wir in Hamburg sehr viel freie Wasserfläche haben, die kommerziell gar nicht mehr im Rahmen des Hafenbetriebs benutzt werden, machen die Künstler halt erste Erkundigungen, wie man diese Wasserflächen als öffentlichen Raum für die Hamburgerinnen und Hamburger zurückgewinnen könnte. Es geht um die Frage, was man am Wasser alles machen könnte, das über das von A nach B mit einem Motorboot zu brettern hinausgeht. Den Künstlern schweben Ideen wie schwimmende Gärten und/oder Schwimmbäder auf der Elbe vor. Zum Abschluß findet hier am Baakenhafen die Battle of Baakenhöft statt, bei der die verschiedenen maritimen Konstruktionen der Künstler zum Einsatz kommen sollen. Da der Baakenhafen eine Sackgasse ist, die kein Schiffsverkehr durchläuft, eignet er sich für derlei Spaß.


Zwei Teilnehmer der Battle of Baakenhöft steigen von einem Floß auf ein anderes um - Foto: © 2017 by Schattenblick

Vorsicht statt Geschwindigkeit ist das Gebot beim Hindernisrennen
Foto: © 2017 by Schattenblick

Den Anleger am Baakenhafen zu stationieren war relativ kostspielig, nicht zuletzt weil die HPA uns unglaubliche Sicherheitsbestimmungen auferlegt hat. Zum Free Port Baakenhöft gehört auch ein kleines Hafenmuseum, in dem man sich über all die Dinge informieren kann, die in Hinblick auf alternative Hafenentwicklung in Hamburg in den letzten zwanzig, dreißig Jahren ausprobiert worden sind, ganz viele verschiedene Kunstaktionen, politische Aktionen auch, die sonst nirgendwo dokumentiert sind, weil sie unter dem Radar der HPA gelaufen sind. Dann haben wir in unserem Free Port noch die Schiffsbegrüßungsanlage. Das ist eine Anlage, mit der man selber zu der Besatzung auf den großen Schiffen sprechen kann - sozusagen public speaking auf dem Wasser. Das ist ein Boot, auf dem wir eine PA-Anlage montiert haben.

SB: Etwa wie sie das mit dem Willkomm-Höft in Wedel machen?

GA: Nur umgekehrt. Da ist es an Land und sie begrüßen die vorbeifahrenden Schiffe. Wir dagegen sind mit unserer Schiffsbegrüßungsanlage auf dem Wasser und verfolgen die großen Frachter.

SB: Die Erfahrungen, die Hamburg mit der Gentrifizierung des Hafens gemacht hat, ist doch eine weltweite Entwicklung. Wie ist Ihre Meinung dazu?

GA: Gentrifizierung steht nicht im Mittelpunkt unserer Auseinandersetzung mit dem Thema Hafen. Sieht man von der HafenCity ab, gibt es im Hamburger Hafen ganz viele Gebiete, in denen von Gentrifizierung keine Rede ist und welche die HPA einfach für große Konzerne und Großprojekte zurückhält. Eine weltweite, im Vergleich zur Gentrifizierung aber bislang wenig thematisierte Entwicklung ist die Lösung der klassischen Beziehungen zwischen Hafen und Stadt. In allen großen Hafenstädten sind die Industriehäfen praktisch nach Offshore, das heißt in hermetisch abgeriegelte Sonderzonen, verlagert worden, die mit der Stadt nichts mehr zu tun haben. Das ist etwas ganz anders als vor 100 Jahren, als Stadt und Hafen noch eine funktionelle Einheit bildeten.


Anleger voller Leute und Fahnen mit Baakenhöft-Brücke im Hintergrund - Foto: © 2017 by Schattenblick

Vom Anleger aus feuern die Zuschauer die Battle-Teilnehmer an
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Aber vor der Entstehung der HafenCity waren doch die Speicherstadt und der Freihafen vom restlichen Hamburg zolltechnisch abgeschnitten und mit einem großen Zaun umgeben.

GA: Stimmt. Der Freihafen ist ein Konzept, das Hamburg im Mittelalter parallel zu den Städten Norditaliens miterfunden hat. Historisch hat er eine ganz wichtige Rolle im Wachsen der Stadt gespielt. Obwohl er zollmäßig abgeriegelt war, trug der Freihafen trotzdem zum städtischen Alltagsleben bei, da alle auch ständig durch diese Kontrollen fahren mußten. Doch den Freihafen gibt es seit einigen Jahren nicht mehr und es findet keine Diskussion darüber statt, wie die Beziehung zwischen Stadt und Hafen aussehen sollte. In politischen und wirtschaftlichen Kreisen benutzt man inzwischen den Modebegriff Smartport, doch dieses Modell läuft auf eine menschenleere, logistische Sperrzone hinaus. Dagegen will die Geheimagentur halten.

SB: Die Geheimagentur hat sich in Westafrika umgetan und über die dortigen Möglichkeiten des kleinteiligen Seehandels informiert. Wie soll man sich eine solche Handelsform hier in Hamburg vorstellen?

GA: Erst einmal ist es wichtig, daß die kleinen Firmen und kleinen Leute darin unterstützt werden, ihre globalen Kontakte zu pflegen. Lange Zeit was es so, daß nur große Konzerne globale Partnerschaften aufrechterhalten konnten. Doch durch die Digitalisierung haben sich die Rahmenbedinungen radikal geändert. Heute kann jede kleine Firma eine kontinentübergreifende Partnerschaft unterhalten und davon profitieren. Von daher sind wir die Meinung, daß eine Stadt wie Hamburg dazu verpflichtet werden soll, solche Unternehmungen zu unterstützen und sie nicht aufgrund eines überkommenen Konzepts von Großprojekten aus dem Hafen herauszuhalten. Es geht erst einmal darum, der Kleinwirtschaft weltweiten Zugang zur bereits existierenden Logistikinfrastruktur zu verschaffen.

Darüber hinaus steht uns allen demnächst ein großes Thema bevor, nämlich der Rückgang der fossilen Energieträger und das Ende der Öl-Ära. Was dann mit der weltweiten Verschiffung von Waren in ungeheuren Mengen, wie wir sie im Moment betreiben, passieren soll, ist völlig unklar. Das wird ein großes Forschungsgebiet werden. Die Karten werden neu gemischt. Es wird sich noch zeigen, wer gewinnt und wer verliert. Nur müssen wir die richtigen Leute auch rechtzeitig an den Start bringen.

SB: Das war ein schönes Schlußwort. Vielen Dank an die Geheimagentur für das Interview.


Gemütliches Rudern im Stehen auf dem Floß, im Hintergrund die Schaluppe, das zweistöckige Kulturfloß für Hamburg, das an einen Mississippi-Dampfer erinnert - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Summertime, and the livin' is easy ..."
Foto: © 2017 by Schattenblick


30. August 2017


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