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MELDUNG/003: Heimliche Mitbewohner - Wie Wildkaninchen die Städte erobern (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 1/11
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Wildkaninchen


Heimliche Mitbewohner
Wie Wildkaninchen die Städte erobern

Von Linda Baumann


In unseren Gärten und Parks, auf Friedhöfen, am Straßenrand und in Hinterhöfen, sogar auf Flughäfen, Verkehrsinseln und in der begrünten Mitte eines Kreisverkehrs machen sie es sich gemütlich. Wildkaninchen sind mittlerweile nicht mehr nur auf Feld, Wiese und im Wald zu Hause. Man findet sie auch in großer Zahl in unseren Dörfern und Städten.


Importware aus dem Süden

Doch der Siegeszug der Mümmelmänner begann bereits viel früher. Ursprünglich kamen Wildkaninchen nur in Nordafrika und auf der Iberischen Halbinsel vor. Im ersten Jahrhundert vor Christus entdeckten die Römer in den Kaninchen eine wohlschmeckende Nahrungsquelle und begannen sie zu importieren. Durch Zutun des Menschen wurden die Tiere so im riesigen Römischen Reich auch nach Mitteleuropa gebracht. Im Mittelalter kam es zu ersten Zuchtversuchen, aus denen unsere heutigen Hauskaninchen entstanden, parallel dazu wurde die grau-braune Wildform zu Jagdzwecken ausgesetzt.

Nicht ohne Grund gebrauchen wir noch heute das Sprichwort "sich vermehren wie die Karnickel", denn Kaninchen haben eine ausgesprochen hohe Paarungsrate. Die Weibchen sind die meiste Zeit ihres Zyklus fruchtbar. Während der Paarungszeit zwischen Februar und Juli kann ein Kaninchen daher bis zu fünf Würfe auf die Welt bringen. Ein Wurf umfasst dabei mindestens fünf Junge, kann aber auch erheblich größer sein. In einer Saison kann ein einzelnes Weibchen mindestens 25 junge Kaninchen hervor bringen.


Jagdbeute und Plagegeist

So ist es wenig verwunderlich, dass die ausgesetzten Individuen sich ab dem 18. Jahrhundert über ganz Europa verbreiteten. Mit der Besiedlung durch die Europäer gelangte das Kaninchen schließlich auch nach Übersee. In einigen Gebieten, in denen das Kaninchen auf ideale Lebensbedingungen und kaum natürlich Feinde traf, hatte das fatale Folgen. In Australien zum Beispiel kam es zu einer regelrechten Kaninchenplage. Die sich unkontrolliert vermehrenden Tiere ästen das Weideland ab, vernichteten ganze Ernten und trugen als Nahrungskonkurrenten sogar zum Aussterben heimischer Arten bei. Die Australier versuchten den Kaninchen bei zu kommen, zum Beispiel mit einem 3.000 Kilometer langen "kaninchensicherem Zaun", aber auch mit Gift, Fallen und sogar durch das Aussetzen von Krankheitserregern.

Kaninchen hierzulande entscheiden sich aus ganz ähnlichen Gründen gegen ein Leben auf dem Land und ziehen in unsere Städte. In unseren zahlreichen Grünanlagen finden Sie ideale Lebensbedingungen und ausreichend Futter wie Gräser, Knospen, Blätter und Rinde oder sogar die ein oder andere Delikatesse in Form eines Salat- oder Kohlkopfes aus unseren Gärten. Kaninchen leben gemeinsam in Kolonien von acht bis zwölf Tieren in einem territorial abgegrenzten Gebiet, in dem sie ein weit verzweigtes Höhlensystem anlegen. Dazu bevorzugen sie Lebensräume mit halboffenen Strukturen und sandigen, leicht durchlässigen Böden, in denen sie ihre Baue graben können.


Idealer Lebensraum Stadt

Solche Lebensräume finden sie zuhauf in unseren Städten - Parkanlagen mit Busch- und Baumbestand und weitläufigen Rasenflächen, Friedhöfe, Gärten aber auch Flugplätze, auf denen die Kaninchen zwischen den Start- und Landebahnen sogar weitgehend ihre Ruhe vor uns Menschen haben, sind beliebte Wohngegenden der Langohren.

Aber auch aus einem weiteren Grund bevorzugen die hoppelnden Gesellen das Leben in unseren Städten. Paradoxerweise bleiben die Kaninchen in den Städten meist von ihrem größten Feind verschont - dem Mensch selbst. Als wildlebende, herrenlose Tierart unterliegt das Wildkaninchen zwar dem Jagdrecht, gejagt werden darf aber in der Regel nur auf land-, forst- oder firschereiwirtschaftlich genutzten Flächen. Außerhalb dieser Gebiete, insbesondere in sogenannten "befriedeten Bereichen", zu denen auch alle Grünanlagen, Wohngebiete, Friedhöfe und Gärten gehören, ist das Jagen aus Sicherheitsgründen grundsätzlich verboten. Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel wenn eine ernsthafte Gefahr von einem Wildtier ausgeht, kann die Jagdbehörde einen Abschuss erlauben. So sind es logischerweise diese Flächen, auf die sich die Langohren bevorzugt zurückziehen.


Drohende Überbevölkerung?

Zu einer Kaninchenplage kommt es aber in unseren Städten in der Regel nicht. Hier gibt es noch genügend natürliche Feinde, wie den Fuchs oder Greifvögel, die ihrer Beute zunehmend in die Städte folgen und den Kaninchenbestand regulieren. Außerdem lauern in den Städten auch neue Gefahren, wie der Straßenverkehr, dem viele der tierischen Mitbewohner zum Opfer fallen.

Auch durch Krankheiten werden die Kaninchenbestände immer wieder reduziert. Während die australischen Kaninchen mittlerweile eine Immunität gegen viele Erreger entwickelt haben, haben Viruserkrankungen wie Myxomatose oder die in den letzten Jahren gehäufte auftretende Chinaseuche zu einem starken Bestandsrückgang in Mitteleuropa geführt. Über eine Überschwemmung unserer Städte mit Kaninchen müssen wir uns also keine Sorgen machen. Und auch, wenn sich der ein oder andere Hobbygärtner über einen angenagten Kohlkopf ärgert, bleiben Kaninchen für die meisten zweibeinigen Stadtbewohner die niedlichen Mümmelmänner mit den langen Ohren.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/11, S. 44-45
(Text in der Internet-Fassung)
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2011