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VETERINÄR/348: Clostridium botulinum und Botulismus (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2013
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Clostridium botulinum und Botulismus

Von Prof. Dr. Helge Böhnel und Dr. Frank Gessler
(miprolab GmbH, Göttingen)



Die Mikroorganismen können grob in Pilze, Bakterien und Viren eingeteilt werden. Sie alle spielen im Naturhaushalt eine außerordentlich wichtige Rolle, doch es gibt auch viele Krankheitserreger unter ihnen. Einige Arten sind meistens zwar harmlos für Mensch und Tier, werden unter bestimmten Bedingungen aber gefährlich. Zu ihnen gehören die Clostridien, und hier besonders Clostridium botulinum, der Erreger des Botulismus.

Die Clostridien kommen weltweit vor und gehören zu den sogenannten Bodenbakterien, die im Erdreich leben und sich dort vermehren können. Im Versuch wurde gezeigt, dass Clostridium botulinum als Wachstumsförderer zum Beispiel bei Klee wirken kann: Je mehr C. botulinum im Boden ist, desto besser wächst der Klee - eine erfreuliche Wirkung. Doch je massenhafter C. botulinum vorkommt, desto höher wird auch das Risiko, dass es seinen Stoffwechsel ändert und hochgiftige Eiweißmoleküle bildet, die zu den gefährlichsten Toxinen (Giften) gehören, die auf natürlichem Wege gebildet werden; bereits geringste Mengen können tödlich sein.

Da die anfängliche Vermehrung der Clostridien nicht mit einer Toxinproduktion einhergeht, können sich unerkannt Krankheitspotentiale im Boden aufbauen und erst plötzlich beim Ausbruch der Krankheit sichtbar werden, so dass dann niemand mehr sagen kann, wie es zur Krankheit kam und wer dafür verantwortlich zu machen ist. Zu diesen Krankheiten gehört der chronische Botulismus. Er ist eine Tierseuche, denn wenn zum Beispiel in einer Rinderherde die ersten Tiere erkranken, dann steigt die Ansteckungsgefahr für die anderen Tiere der Herde.

Ob es bei C. botulinum außer hoher Siedlungsdichte noch weitere Faktoren gibt, die die Toxinproduktion ebenfalls anregen können, ist noch nicht bekannt. Deshalb lassen sich die natürlichen Vorgänge nur schwer im Experiment nachmachen. Man kann aber davon ausgehen, dass die Toxinbildung nicht gezielt gegen Tiere gerichtet ist, weil sie auch in fauligem pflanzlichem Material stattfindet. Andere Clostridium-Arten können andere, ebenfalls sehr wirksame Toxine bilden. Der Vorteil, den die Clostridien durch die Toxinbildung haben, ist nicht bekannt.

Bei Clostridium botulinum gibt es unterschiedliche Typen (A-G) mit weiteren Subtypen, die jeweils unterschiedliche Wirkungen auf Mensch und Tier haben. Kommt es im Boden, im Wasser oder im Futter zur Massenvermehrung und dadurch zu starker Toxinbildung und werden diese Toxine in hoher Dosierung mit dem Futter aufgenommen, kommt es zu einer akuten Vergiftung, die innerhalb von Stunden zum Tod führen kann und als akuter Botulismus bezeichnet wird. Werden dagegen die Bakterien aufgenommen und kommen diese erst im Magen-Darm-Trakt zur starken Vermehrung und chronischer, eher schwach dosierter Toxinbildung, wird ein Krankheitsbild erzeugt, das als chronischer Botulismus bezeichnet wird. Er kann sich über Monate erstrecken und zu Siechtum bis hin zum Tode führen; aber auch Heilung ist möglich.

Die Toxine werden in beiden Fällen über die Darmwand aufgenommen und mit dem Blut im Körper verteilt. Sie lagern sich an einzelnen Zielorganen an und bewirken bei ihnen Ausfallserscheinungen im Stoffwechsel. Je nach befallenen Zielorganen kann das klinische Krankheitsbild sehr unterschiedlich sein. Deshalb spricht man vor allem beim chronischen Botulismus von einem Krankheitssyndrom. Wie bei allen physiologisch wirksamen Substanzen hängen die klinischen Erscheinungen von der Menge des Wirkstoffes und dessen Einwirkungszeit ab, aber auch von der Empfindlichkeit beziehungsweise Empfänglichkeit des tierischen Organismus.

Die Diagnose wird durch Erkennen der klinischen Symptome gestellt oder vermutet. Ähnliche Krankheiten müssen ausgeschlossen werden (Differentialdiagnose). Laboruntersuchungen können bei der Diagnose helfen und sind in manchen Fällen sogar unbedingt durchzuführen.

Das Problem der Laboruntersuchungen bei Botulismusverdacht ist die Tatsache, dass die Toxinmoleküle, von denen ja schon relativ wenige die Krankheit auslösen können, im Körper nicht mehr nachzuweisen sind, wenn sie ihre Zielzelle gefunden haben. Man muss sich stattdessen mit Hilfskonstruktionen und Rückschlüssen behelfen: 1) Nachweis der Erreger in Futter oder im Magen-Darm-Trakt, in der Umwelt (zum Beispiel in Boden, Wasser, Staub, Insekten, Vögeln, Katzen), in ausgebrachtem Dünger (zum Beispiel in Mist, Gülle, Kompost, Biogasgärrest), in Schlamm oder in Schlick. 2) Nachweis der Toxine in den genommenen Proben oder zumindest Nachweis, dass die möglicherweise enthaltenen Bakterien unter Laborbedingungen Toxin bilden können. Alle Laborverfahren haben Nachteile, weil sie durch zum Teil unbekannte Einflüsse gestört werden. Um sicher zu gehen, müsste man verschiedene Verfahren gleichzeitig anwenden. Der Nachweis von natürlich oder im Labor gebildetem Toxin ist immer noch das beste Hilfsmittel für die Diagnose.

Durch die modernen Fütterungsverfahren in der Rinderhaltung sind bei einem Krankheitsausbruch meist mehrere Tiere betroffen. Sogar ganze Herden können verloren gehen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass auch Landwirte selbst in Gefahr kommen zu erkranken, wenn sie sich mit dem kranken Vieh befassen (müssen). Milch von erkrankten Kühen kann Toxin oder Erreger enthalten. Dringend sind weitere Forschungsarbeiten nötig, denn die Clostridien können als Dauerstadien Sporen bilden, die in der Umwelt viele Jahre überleben und die mit Staub und Wasser übertragen werden können. Dies sollten auch Pferdeliebhaber beachten: Für Säuglinge sollte der Pferdestall tabu sein, wenn dort erkrankte Tiere stehen.

Eine Behandlung erkrankter Tiere oder des Menschen ist nur mit typspezifischen Antitoxinen möglich, die durch die Spritze verabreicht werden. Sie wirken ausschließlich gegen die spezifischen Toxine.

Leider stehen diese weder für alle Toxintypen noch in ausreichender Menge zur Verfügung. Sie müssen möglichst sofort nach Krankheitsausbruch verabreicht werden, denn sie wirken nur gegen etwa aufgenommene Toxine im Blut, jedoch nicht gegen die Bakterien selbst oder gegen die Toxine, die an den Zielorganen schon angekommen sind. Eine Impfung bewirkt die körpereigene Bildung von Antikörpern, die dann vorhanden sein müssen, wenn sie gebraucht werden. Von einer Impfung lassen sich keine Wunder erwarten. Zudem muss der Impfstoff gegen die spezifischen (Sub-)Typen des Toxins gerichtet sein. Kommerziell sind nur wenige erhältlich, in Deutschland sind sie nur mit Ausnahmegenehmigung anzuwenden. Die Herstellung von bestandsspezifischen Impfstoffen scheitert meist daran, dass sich vor allem die Typen C und D, die für das Rind wichtig sind, im Labor kaum isolieren lassen, weil die Isolate innerhalb kurzer Zeit ihr Toxinbildungsvermögen verlieren. Beim erkrankten Menschen kann eine Intensivbehandlung mit künstlicher Beatmung und Kreislaufunterstützung erforderlich sein.

Ein mit C. botulinum kontaminierter Boden bleibt unter Umständen Jahre oder Jahrzehnte ein Gefährdungspotential. Mit "kontaminiert" wird in diesem Fall nur die eingeschränkte Sicht des Menschen auf Bakterien bezeichnet, die schon seit Urzeiten die Erde bevölkern. Unter Praxisbedingungen ist es nicht möglich, Boden dauerhaft zu dekontaminieren. C. botulinum kann bis etwa einem Meter im Boden nachgewiesen werden. Regenwürmer, Mäuse, Maulwürfe oder auch Kaninchen können die Erreger aus der Tiefe an die Erdoberfläche bringen. Tiefes Pflügen, Drainagearbeiten, Verlegen von Kabel- und Rohrleitungen können ebenfalls dazu beitragen, dass in den obersten Bodenschichten bis dato unbekannte Clostridien auftauchen. Regenwasser oder Überschwemmungen können die Erreger weiter verbreiten. Schließlich können Höchstleistungstiere, Höchstleistungsfutter und Höchstleistungsmanagement C. botulinum veranlassen, auch auf Höchstleistung bei der Toxinproduktion zu kommen.

Das vermehrte Auftreten von Botulismus bei Kühen seit Mitte der 1990er Jahre geht einher mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft, der zum Einsatz von Chemiedünger und Bioziden, veränderter Fruchtfolgen und zum Ausbringen von organischem Dünger führte, der mit Fremdstoffen oder exotischen Krankheitserregern belastet ist. Obwohl alle diese Einzelmaßnahmen jede für sich als ungefährlich deklariert werden, können sie gemeinsam das gesamte Bodenleben nachhaltig verschlechtern. Mittlerweile sind viele tausend Kühe von Botulismus betroffen, aber an wen soll sich der Landwirt wenden, wenn er dem Verursacherprinzip folgen will?

Die Politik verschließt noch die Augen vor dem Problem und kann das kurzfristig auch weiterhin tun. Den Clostridien wird diese Zeit nützen. Als Ziel muss gelten, ein Gleichgewicht zwischen Krankheitserregern und Landwirtschaft herzustellen, und wenn möglich bald, da C. botulinum als Zoonose-Erreger auch den Verbraucher direkt betrifft.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2013, Seite 20-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2013