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HIPPOS/06: Gefängnis oder Rehahaft - keine Freiheit für wilde Pferde (SB)


EQUUS PRZEWALSKII PRZEWALSKII

- das letzte Wildpferd in Gefangenschaft


Unter "Wildpferd" im Lexikon nachgeschlagen, finden wir: "Equus przewalskii - Familie Equidae - Ordnung Unpaarhufer Perissodactyla - Klasse Säugetiere, Mammalia"

Hinter diesem komplizierten Namen (sprich: Pschewalski) und seiner weiteren wissenschaftlichen Klassifizierung verbirgt sich das wirklich letzte und einzig echte Wildpferd, das bis in unsere Tage hinein überleben konnte, wenn auch nur in Gefangenschaft. Während jede andere Pferderasse oder -unterart auf der Erde außer ihrem zoologischen Platz im Ordnungssystem auch einen eigenen Namen besitzt, so hat sich nie jemand die Mühe gemacht, den Przewalskipferden eine andere als diese zungenbrechende Bezeichnung zu geben, vielleicht, weil sie in den Köpfen der Pferdekenner und -züchter eher ein frühgeschichtliches Relikt bzw. das genetische Beweismittel einer langgehegten Theorie darstellen, als beachtete und attraktive Vertreter einer weiteren Unterart der Pferde - eben nur ein Ausstellungsstück wie der Dinosaurier im prähistorischen Museum. Darüber hinaus gibt es für das Przewalskipferd keine Verwendung. Nach heutigen ästhetischen Gesichtspunkten nicht gerade als Schönheit zu bezeichnen, auch wenn robuste Pferderassen immer mehr an Beliebtheit zunehmen, ist es darüber hinaus weder besonders "sportlich" noch läßt es sich leicht zu irgendwelchen Arbeiten einspannen. Es eignet sich also gerade noch für's Kuriositätenkabinett der Tiere, der vielumstrittenen Schutzhaft "Zoo", in dem eine zahlende Öffentlichkeit das letzte Wildpferd gleich neben den Zebras, Eseln und anderen Equiden besichtigen kann.

An den Gitterstäben seiner Par"zelle" finden wir ein
Täfelchen mit der Aufschrift:

Urwildpferd: Equus przewalskii przewalskii oder Mongolisches Wildpferd

ursprünglicher Lebensraum: die Wüste Gobi im chinesisch- mongolischen Grenzgebiet vom Ural an ostwärts.

Heute ausgestorben!

Womit seine Gefangenschaft gerechtfertigt wird. Gäbe es doch, zumindest nach Meinung der Zoologen, das Przewalskipferd ohne die pflegende, hegende Umgebung dieser staatlichen oder privaten Einrichtungen schon lange nicht mehr.

1968 wurden Przewalski-Pferde das letzte Mal in freier Wildbahn gesehen. Nur die Exemplare, die schon zuvor zu Anschauungszwecken in Tiergärten übergesiedelt worden waren, hatten offenbar überleben können. Als 1958 die Hamburger Zoologin Dr. Erna Mohr ein Zuchtbuch zur Rettung der Art eröffnete, zählte man insgesamt nur noch 56 Tiere. Diesen Restbestand - inzwischen gibt es mehr als 1.500 Stück in zoologischen Gärten - versucht man durch gezielte Zucht unter Führung eines internationalen Zuchtbuches und unter dem Schutz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens weiter aufzubauen und dabei die Gefahren der Inzucht weitestgehend auszuschalten. Tiergärten und Tiere werden auf diese Weise zwangsläufig zu Genbanken; sie bewahren unwiederbringliches Genmaterial vor dem endgültigen Verschwinden vom Planeten Erde.

Mit dem ursprünglichen Wildpferd, das die Steppen der inneren Mongolei beherrschte und sich seine Gefährten und seinen Lebensraum selbst wählte, haben diese gezüchteten Pferde nur noch äußerlich gewisse Ähnlichkeit. Das Wildpferd in ihm ist schon lange tot, sonst könnten diese Tiere die Gefangenschaft gar nicht ertragen. Es ist überhaupt schwer vorstellbar, daß sich diese freiheitgewohnten, scheuen Tiere in der Mongolei gefangennehmen ließen, außer, daß es sich bei diesen Exemplaren schon um degenerierte, besonders anpassungsfähige oder sogar aus Vorteilserwägungen zur Domestikation neigende Tiere handelte, wie sie ja bei Wildtieren immer wieder vorkommen (anders hätten sich nie unsere Haustiere züchten lassen).

So kann man angesichts der unergründlichen Weiten dieses wenig besiedelten Landstrichs noch hoffen, daß sich vielleicht das eine oder andere echte Wildpferd seit Jahrzehnten immer noch vor Menschenaugen gut verborgen hält. Doch bleibt dies wohl der Traum des Pferdenarren, der in die gebrochenen Augen eines Zootieres geschaut hat. Welch grausam eingeschränktes Schicksal, wenn man an die Geschichte ihrer stolzen Ahnen denkt, und welch zweifelhafte Dankbarkeit, die wir diesen aufgrund ihrer "pferdehistorischen" Verdienste mit einer solchen "Behandlung" erweisen.


Rückführung oder Reha-Zentrum?

In den letzten Jahren hat ein Projekt Gestalt angenommen, das die erneute Auswilderung der Prezwalskipferde in der Mongolei vorsieht, wo diese letzten Urwildpferde auch Mitte des letzten Jahrhunderts 1879 von dem polnischen Forscher Przewalski auf einer seiner Reisen entdeckt wurden. Für dieses Fernziel muß aber in der Mongolei erst ein Naturpark geschaffen werden, und das kostet Geld. Das in Gefangenschaft geborene "Wildpferd" könnte jedoch in der unkultivierten Wildnis, in den Wüsten, Halbwüsten und salzigen Hochsteppen der Dsungarei, unter den heutigen Bedingungen überhaupt nicht mehr existieren, was die obige These erhärtet, daß es sich bei den Zooinsassen nicht mehr um das echte Wildpferd handeln kann. Darüber hinaus kann es sich die heutige Gesellschaft nicht mehr leisten, einem so großen, wenn auch relativ genügsamen Tier, das dennoch gewaltige Mengen an Gräsern, Moosen und Laub vertilgt und dadurch in dieser kargen, mit nur spärlicher Vegetation bewachsenen Landschaft ohne Frage auch Flurschäden hinterläßt, bedingungslose Freiheit zu schenken, zumal die Herden auf der Suche nach Weide und Wasserstellen über weite Strecken wandern müssen und oftmals mit ihren Hufen im Boden nach Wurzeln von wildem Rhabarber oder Zwiebeln von wilden Tulpen scharren. So hofft man auf zahlende Touristen, die den Naturpark besuchen und dem vermeintlichen Wildpferd so eine Existenzberechtigung verschaffen werden. Doch sind öde Sandflächen und Wüstenränder, die das Przewalskipferd zumindest in seiner Vergangenheit als Aufenhaltsort bevorzugte, oder auch die bizarre Steppennatur aus Saxaul- bzw. Haloxylono-Sträuchern, Tamarisken, Salzkräutern, Wermut und Pfriemengras, die den einzigen Weidebewuchs des Wildpferds darstellen, für Besucher überhaupt ausreichend attraktiv?

Die Rückführung in die fragwürdige Scheinfreiheit eines Wildgeheges oder Wildtierparks bringt ebenfalls einige Schwierigkeiten mit sich. Die Tiere müssen erst wieder lernen, selbst nach Nahrung und Wasser zu suchen, und nicht zuletzt Herden und soziale Gemeinschaften zu bilden.

In der kargen Landschaft ihrer Heimat werden sich auch die Przewalskipferde wieder mit harten Gräser, Saxaul-Büschen, Tamarisken, Zygophyllum- und Erbsensträuchern begnügen müssen. Ursprünglich können Wildpferde bis zu drei Tage ohne Wasser auskommen. Im Winter reicht ihnen oftmals der Schnee. Und auch die Aufnahme von salzhaltigem Wasser macht ihnen nur wenig aus.

Für die Wiederaussiedler wird dies lebensnotwendig werden, dann die Niederschlagshöhe dieser Gebiete übersteigt kaum 100 mm im Jahr. Nur nach Regenfällen füllen sich die Ebenen, durch die die Wildwechsel der Tiere führen sollen, als flache Salzpfannen für kurze Zeit mit Wasser, und die Öden verwandeln sich in blühende Täler. Man kann sich vorstellen, daß ein derart empfindlicher Kreislauf wenig Toleranz für touristischen Verkehr oder weitere Tierherden aufweist, die hier inzwischen schon lange fremd geworden sind.

Derzeit wurden bereits etliche Tiere in 40 bis 100 Hektar große Semi-Reservate umgesiedelt - Wildpferd-Rehazentren sozusagen, in denen sie das Leben in Freiheit "üben" sollen. Dort sind die Pferde, von einer Aufsicht abgesehen, beinahe vollständig auf sich selbst gestellt, bleiben das ganze Jahr über im Freien und müssen sich selbst ernähren.

Die Anwesenheit von Wildpferden in einer Gegend ist gewöhnlich an den tief ausgetretenen Wechseln und an den daneben liegenden umfangreichen Dunghaufen zu erkennen. Die Tiere suchen wiederholt dieselben Kotplätze auf. Nachts ziehen sie zur Tränke und in die Weidegründe. Tagsüber kehren sie in die offeneren Teile der Steppe oder Wüste zurück. Bei Tage ruhen sie. Alle diese zum Teil lebenswichtigen Verhaltensweisen konnten in der Beengtheit der Tiergärten nicht ausgeübt werden und müssen neu erlernt oder erinnert werden.

In den Semi-Reservaten werden kleine Herden von 5-20 Stuten und Jungtieren zusammengebracht, die von jeweils einem Leithengst angeführt werden. Innerhalb der Herden können Jungtiere eines Jahrganges einen eigenen kleinen Verband bilden. Das entspricht auch den "natürlichen" Verhältnissen. Pferde sind äußerst soziale Tiere, doch sind außer zwischen Stute und Fohlen die Bindungen untereinander nicht allzu eng. Bei jeder Änderung der Zusammensetzung der Herde muß die Rangordnung unter den Stuten neu ausgekämpft werden. Später genügen Drohgebärden, um das Herdengefüge aufrechtzuerhalten.

Im Gegensatz zu ihren domestizierten Verwandten reagiert eine Wildpferdeherde ohne ihren Leithengst regelrecht "kopflos" und kann sich z.B. auf der Flucht nicht für eine bestimmte Richtung entscheiden. Es findet sich jedoch meist schnell ein neuer Hengst, der die Führung übernimmt, oder die ranghöchste Stute muß die Führerrolle übernehmen. Bei Gefahr folgen Wildpferde dem Leittier im Gänsemarsch. Wenn Fohlen in der Herde sind, bildet der Hengst die Nachhut. Gelegentlich greift der Leithengst auch die Verfolger an, während die Herde die Flucht fortsetzt. Außer dem Menschen wird nur der Wolf den Wildpferden gefährlich. Eine geschlossene Herde wird jedoch selten von Wölfen angegriffen werden, eher schon ein Einzeltier. Man hat beobachtet, wie in solchen Fällen Fohlen oder schwache Tiere bewußt zurückgelassen und geopfert wurden, damit sich die Herde selbst retten konnte.

Eine wichtige soziale Funktion hat bei allen Pferden die gegenseitige Fellpflege. Diese Verhaltensweise beobachten wir auch bei Ponys und domestizierten Hauspferden, und auch wir Menschen nutzen das intensive Hals-, Mähne- und Rückenkraulen, um mit den Tieren Kontakt aufzunehmen. Pferde stellen sich dabei vorzugsweise in entgegengesetzer Richtung parallel zueinander auf und beknabbern sich gegenseitig das Fell mit den Schneidezähnen.

Weitere möglicherweise neu zu erlernende Verhaltensweisen sind die verschiedenen Möglichkeiten der Fellreinigung, um es beispielsweise von Ungeziefer zu befreien. Dabei scheuern sich die Tiere an Stämmen und Steinen, wälzen sich in Sand und schütteln anschließend den Staub vom Körper.

Viele Verhaltensweisen sind auch angeboren, beispielsweise die Sprache bzw. das Wiehern der Pferde, die dem des Hauspferdes gleicht. Beide Geschlechter wiehern zur Begrüßung und als Imponiergeste. Außerdem kennt man bei Pferden ein kurzes Wiehern oder auch "Lachen", das beispielsweise ein brünstiger Hengst von sich gibt. In Erregung oder bei Wohlbehagen schnauben alle Pferde.

Ein Leithengst duldet in der von ihm bewachten Herde keinen Nebenbuhler. Ein Hengst droht jedem in seiner Nähe auftauchenden Gegner mit gesenktem Kopf und zurückgelegten Ohren. Nicht ohne Grund, denn alle jungen Hengste versuchen, sobald sie geschlechtsreif sind, was gewöhnlich mit drei bis vier Jahren der Fall ist, Weibchen aus der Herde zu entführen. Der Leithengst muß die Herde ständig bewachen. Er umkreist sie daher, um sie zusammenzuhalten und führt ein recht unruhiges und wenig beschauliches Leben. Während die Herde grast, beobachtet er sie aus kurzer Entfernung oder von einer kleinen Bodenerhebung aus. Läßt sich ein Gegner nicht vertrieben so kommt es zum Kampf, wobei sich die Hengste auf die Hinterhand erheben und versuchen, dem Gegner von oben her in den Kamm, den Muskellstrang des Nackens, zu beißen. Dennoch gelingt es verführenden Hengsten immer wieder, heranwachsende Stuten aus der Herde wegzulocken.

Reichlich brutal geht es auch beim Paarungsvorspiel der Pferde zu, für das die Tiere in Freiheit ebenfalls recht viel Platz brauchen und das in Gefangenschaft kaum durchführbar ist. Dabei treibt der Hengst die rossige Stute und versucht, seitlich aufholend dicht an sie heranzukommen. Auf diese Weise ist er vor ihren auskeilenden Hufen sicher, denn das abwehrende Weibchen "schmeißt" wie man sagt. Sie schlägt mit beiden Hinterbeinen ziemlich hoch nach hinten aus. Züchter bevorzugen deshalb oft aus Sorge um ihre edlen Zuchttiere die künstliche Besamung. Aber offensichtlich hat die Stute auch jeden Grund, sich so massiv zu wehren, denn der aufreitende Hengst geht auch nicht gerade zimperlich mit ihr um. Er verbeißt sich oftmals schmerzhaft im Kamm der Stute, ehe er sein Ziel erreicht.

Nach 328-343 Tagen Tragzeit in den meist lauen Frühsommernächten kommen die Fohlen zur Welt. Die Mehrzahl der Geburten findet in der Zeit von April bis Juni statt. Während der Geburt des Fohlens legt sich die Stute nieder, steht aber sofort danach wieder auf, um die Fruchthülle zu entfernen. Pferdemutter und Neugeborenes halten sich anfangs von der Herde fern und bleiben für sich. Das Fohlen kann der Mutter schon vom ersten Augenblick folgen und läuft schon im Alter von 2 Wochen mit der Herde.

Eines dieser Semi-Reservate, in der das Przewalski-Pferd natürliches Verhalten wiedererlernen soll, liegt in Schorfheide nördlich von Berlin. Ein wirklich selbstbestimmtes Leben in Freiheit, werden diese Tiere jedoch wohl kaum erleben. Wie gesagt, ist es noch sehr fraglich, wann der Wildpark "Mongolei" fertiggestellt sein wird. Und so dienen auch diese Tiere nur als Studienobjekte zu dem Zweck, herauszufinden, wie weit ihre ererbten Instinkte schon verkümmert oder noch ausreichend vorhanden sind - was irgend wann einmal dem Auswilderungsprojekt Mongolei zugute kommen soll. Armes Przewalski-Pferd.


Woher kamen die Przewalskipferde?

Das eigentliche Przewalski-Pferd stammt aus der Wüste Gobi im chinesisch-Mongolischen Grenzgebiet vom Rual an ostwärts. Es ist nach Meinung der Zoologen die letzte und einzige Unterart der Wildpferde, die bis in die Gegenwart überlebt hat.

In seinem Schädel fallen die großen Backenzähne auf. Nur 135-145 cm ist dieses kleine Urpferd groß. Mit seiner gelblichen Farbe, der kurzen Stehmähne, dem klobigen Köpfen und dem schwarzen Aalstrich erinnert es ein wenig an Fjordpferde.

Dennoch ist das Przewalskipferd sicher nicht, wie oft angenommen wird, der Stammvater aller Hauspferderasen. Bei der Entstehung der Hauspferde und Ponys haben verscheidene Wildpferde mitgewirkt.

Wie schon in den Berichten über wildpferdähnliche Rassen erwähnt, nimmt man allgemein an, daß die Urheimat aller Pferdevorfahren in Nordamerika lag. Während der Eiszeiten sollen die ersten Urwildpferde immer wieder von dort über Asien bis nach Europa gezogen sein. Damals waren Nordamerika und Asien durch eine Landbrücke miteinander verbunden. So erklärt man sich zumindest, daß auch in Asien und Europa Überreste von Urwildpferden zu finden sind. Als deren einzige überlebende Nachkommen gelten schließlich der Tarpan und das Przewalski-Pferd. Seltsamerweise hat es diese beiden Wildpferde den Funden nach in Nordamerika nie gegeben. Dort starben schon vorher sämtliche Equiden aus.

Nur noch die mongolische Rasse, das Przewalski-Pferd, ist als einziger direkter Nachfahre dieses Urwildpferdes erhalten geblieben. In vorgeschichtlicher Zeit kamen Wildpferde in weiten Teilen Asiens und Europas vor. In einem so ausgedehnten Verbreitungsgebiet mit unterschiedlichem Klima und einer Vielzahl von Biotopen hat zweifellos eine Anzahl von Unterarten bestanden, wie sie ähnlich auch bei den Halbeseln zu finden sind. Nach altsteinzeitlichen Höhlenmalereien kam in Südfrankreich und Nordspanien ein Wildpferd vor, das in Form, Fellfarbe und Zeichnung große Ähnlichkeit mit dem Przewalski-Pferd hatte. Außer diesem Typus sind jedoch auch andere Formen dargestellt worden, die gleichzeitig nebeneinander vorgekommen sein müssen, so daß sich verschiedene Unterarten, Typen und Rassen miteinander mischen konnten. Eine eindeutige Stammeslinie läßt sich unmöglich klar erkennen, auch wenn man sie mit Brachialgewalt und vielen durchaus logischen Erklärungen zu ziehen sucht. Alle Theorien über die Vorgeschichte der Pferde bleiben, was man bei aller Faszination nie vergessen sollte, reine Spekulation.

Die jungpaläolithischen Pferdeknochen von Solutrée in Frankreich gehörten zu einer relativ kleinwüchsigen Form, dem vor einigen tausend Jahren ausgestorbenen Urwildpony Equus przewalskii gracilis. In Norddeutschland und im unteren Rheingebiet fand man die eiszeitlichen Reste einer großwüchsigen Unterart, Equus przewalskii robustus, das Westpferd. In Südrußland lebte ein gelblich-mausgraues Wildpferd, wahrscheinlich der erste und wichtigste Vorfahr aller Hauspferde, der Steppentarpan (Equus przewalskii gmelini) mit breitem Aalstrich, leicht konkavem Nasenpfrofil und manchmal quergestreiften Beinen. Alle diese Pferde zeigten gewisse Ähnlichkeiten mit dem heutigen Przewalskipferd und die Möglichkeit, im Verlauf ihrer Wanderungen auch dessen späteren Lebensraum zu durchkreuzen.

Im 19. Jahrhundert wurde der Tarpan vollständig ausgerottet. Eine kleinere Unterart, der Waldtarpan (Equus przewalskii silvaticus), kam bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Polen vor. Wahrscheinlich lebten einige Exemplare dieses Tieres bis ins Mittelalter auch in Deutschland. So erlegt Siegfried im Nibelungenlied anläßlich einer Jagd im Wasgenwald einen "grimmigen Schelch". In diesem sogenannten "Schelch" glaubt man einen Hengst des Waldtarpans erkannt zu haben.


Die Verwirrung mit dem Equus Przewalskii

Die vielen verschiedenen Wildpferdeunterarten, denen trotz zum Teil großer Unterschiede immer das "Equus przewalskii" im zoologischen Namen gemeinsam ist, haben für einige Verwirrung auch unter Pferdekennern gesorgt. Sie entstand jedoch im wesentlichen dadurch, daß irgendwann einmal in einem Fachbuch behauptet wurde, sämtliche Hauspferderassen stammten vom Przewalski-Pferd ab. Das ist mit Sicherheit falsch, da, wie wir schon gesehen haben, das asiatische Steppenwildpferd, von dem hier die Rede ist, nicht der alleinige Stammvater und nicht einmal der wichtigste der heutigen Hauspferderassen sein kann. Doch Irrtümer dieser Art halten sich manchmal hartnäckig, auch wenn sie schon lange aufgeklärt wurden, vor allem dann, wenn Fachbuchautoren untereinander abschreiben und ein Fehler sich über Generationen von Büchern fortpflanzen kann. So wird das Prezwalskipferd in unzähligen Pferdebüchern als Stammvater der Hauspferde vorgestellt.

Im folgenden will ich kurz versuchen, diesen Irrtum aufzulösen, mag dies auf den ersten Blick auch noch mehr Verwirrung stiften.

Dazu muß man erst einmal wissen, was der Begriff "Unterart" zoologisch bedeutet: Das oben erwähnte Solutréepferdchen, das Westpferd, der Steppentarpan, der Waldtarpan und das Przewalski- Pferd, verschiedene Formen von Wildpferden die später domestiziert wurden, ähnelten sich äußerlich kaum. Es gab pummelige Ponys, mächtige Tundrenpferde, gazellenhaft feine und schnelle Pferdchen der Wüstengebiete sowie auch verschiedene Zwischenstufen. Alle diese Formen waren sogenannte "geographische Rassen" - weil sie in verschienen Gegenden der Weltgeographie lebten - bzw. sogenannte Unterarten. Diese Tiere gehören nämlich trotz der oft großen Unterschiede im Körperbau, alle zur selben Art (d.h. sie sind alle Wildpferde), sowie zur selben Gattung Pferd bzw. Equus. Unterarten können sich beliebig miteinander paaren, wenn sie zusammenkommen, und zeugen fruchtbare Nachkommen. Wohingegen Vertreter verschiedener Arten, beispielsweise Wildpferd (Equus przewalskii) und Esel (Equus asinus), die nahe miteinander verwandt sind, gemeinsam nur ausnahmslos unfruchtbaren Nachwuchs zeugen können; Maultiere oder Maulesel können sich also nicht weiter fortpflanzen.

Schuld an allen Fehlern und Verwechslungen ist jedenfalls die wissenschaftliche Bezeichnung dieser Urwildpferdeart "Equus przewalskii". Warum die Unterart Wildpferd nach dem polnischen Forscher Przewalski benannt wurde, der das Przewalskipferd entdeckt hat, kann man vermuten: Aller Wahrscheinlichkeit nach folgte die Einordnung sämtlicher Knochenfunde und Unterarten erst nach der Entdeckung des lebenden Verwandten, was zu dem beschriebenen Wirrwar führte. Alle Wildformen, ob wir sie nun Tarpane, Urpony, Urkaltblüter oder Urvollblüter nennen, heißen also seitdem im wissenschaftlichen Sprachgebrauch "Equus przewalskii". Das erste Wort eines wissenschaftlichen Namens - in diesem Falle Equus - bezeichnet immer die Gattung, die zweite die Art. Ist noch ein drittes Wort angehängt, so bezeichnet dieses die Unterart oder Rasse. Die exakte Bezeichnung des Prezwalskipferdes lautet demnach Equus przewalskii przewalskii.

Daher heißt der Steppentarpan auch Equus Przewalskii gmelini, der Waldtarpan Equus przewalskii silvaticus und das vor einigen tausend Jahren ausgestorbene Urwildpony Equus przewalskii grazilis usw.

Möglicherweise stammen die Pferde der mongolischen Steppenvölker vom Przewalskipferd ab. Man hat Schädelknochen von Pferden in alten Kriegergräbern gefunden, die große Ähnlichkeit mit dem des heutigen Przewalskipferdes aufweisen. Als sensationell erwies sich der Fund eines Pferdschädels in der Nähe des Dnjepr, Ukraine, der mit den Knochen des linken Vorderbeines in einer wahrscheinlich rituellen Anordnung neben den Überresten von Hunden lag und über 4000 Jahre alt sein soll. Spuren von Verschleiß an den vorderen Backenzähnen dieses Schädels, die nicht von einer natürlichen Abnutzung der Kauflächen herrühren können, halten Archäologen und Pferdefachleute für einen eindeutigen Beleg, daß dieses Pferd sogar gezäumt worden war und nach seinem Tode vom Besitzer bestattet wurde. Neben dieser Kultstätte wurden tatsächlich auch zwei durchbohrte Geweihstücke ausgegraben, die man für die Seitenteile einer Trense hielt.

Doch solche Ähnlichkeiten sind trügerisch und können kein authentischer Garant für die historische Wirklichkeit sein, in die wir nicht zurückblicken können. Ebensoviele Beispiele und Belege geben Anlaß zu der These, daß es sich bei dem, wenn auch ausgerotteten, Steppentarpan um einen der wichtigsten Vorfahren orientalischer Rassen handelt.

Wenn sich seine Rolle als Stammvater des Reitpferdes auch nicht mit Sicherheit nachweisen läßt, so war es doch zumindest teilweise an der Domestikation des Hauspferdes beteiligt. Das Przewalskipferd hat das Leben der Hirten in den Steppen Eurasiens von Grund auf verändert. Dieses kleine, ramsnasige Wildpferd mit der kurzen Stehmähne und dem dunklen Aalstrich hat sozusagen Geschichte gemacht, die vor etwa fünftausend Jahren begann, als die umherziehenden Nomaden das erste Equus ihren Rinderherden eingliederten.


Besonderheiten des Przewalskipferdes

Mit seiner Widerristhöhe von durchschnittlich 135-145 cm bei einem Gewicht von 350 kg würde man das Przewalskipferd heutzutage zu den Ponys zählen. Es ist in Größe und Gestalt mit dem norwegischen Fjordpferd zu vergleichen. Die Stehmähne hat das Wildpferd mit allen anderen wilden Einhufern gemein. Hauspferden haben immer lange Mähnenhaare, nur bei Fohlen treten noch Stehmähnen auf. Hier ist auch ein deutlicher Unterschied zum Fjordpferd erkennbar. Denn bei Fjordpferden wird der Stehmähne durch einen kühnen Schnitt äußerlich nachgeholfen. Die Mähne und auch die Haare der Schweifrübe der Wildpferde unterliegen im Gegensatz zum Hauspferd einem jährlichen Haarwechsel und bleiben deshalb stets von Natur aus als kurze, aufrechte Bürste stehen. Die Randhaare der Mähne sind kürzer und heller als die Haare aus der Mähnenmitte, so daß der Aalstrich praktisch zwischen den Ohren beginnt, sich bis in die Schweifrübe fortsetzt und in der schwarzen Schwanzquaste endet. Am längsten sind die Mähnenhaare im Frühsommer, wenn das Körperhaar bereits gewechselt hat. Eine Wildpferdemähne kann ausnahmsweise in diesem Zustand in die Stirn fallen. Nach dem Haarwechsel im Herbst ist die Mähne besonders kurz.

Das Fell wechselt zweimal im Jahr. Das Sommerfell ist rötlich- braungelb. Bauch und Nase des Wildpferdes sind heller bis weißlich (Mehlnase), wie wir es von Höhlenzeichnungen alter Urwildpferde her kennen. Die Beine erscheinen in ihrem unteren Teil dunkelbraun oder schwarz. Die Helligkeit der Fellfarbe variiert in verschiedenen Falbtönen, auch fuchsrötliche Pferde kommen vor. Bei den Fohlen wird das Fell meist heller als das der Mutter, nur selten sieht man dunkle Fohlen. Ebenfalls wildpferdetypisch ist ein dunkles, wenig markantes Schulterkreuz. Im Winter ist die ursprüngliche Fellfarbe mit einer Art Grauschleier durchsetzt. Der Aalstrich ist durch das dichte Haarkleid oft nicht mehr zu erkennen. Dafür bilden die langen Winterhaare Kehlbart und eine Brustmähne aus, wie man es im Winter auch bei manchen robust gehaltenen Ponyarten beobachten kann.

Die weichen, breiten Hufe der Przewalskipferde erschweren das Einsinken in weichen Untergrund. Im Unterschied zu den Eseln und anderen wilden Equiden sind diese Wildpferde nicht zum Leben auf steinigen Untergrund geeignet. Bei Hauspferden, die ebenfalls meist weichere und breitere Hufe haben als Bergtiere, wird diese Eigenart durch Hufeisen korrigiert.

Trotz mancher äußerer Ähnlichkeiten hat unser heutiges Hauspferd kaum noch Ähnlichkeiten mit seinen wilden Ahnen, wie man sehr gut im Vergleich mit diesem letzten Vertreter seiner Art erkennen kann: Hauspferde haben zum Beispiel um neun Prozent leichtere Gehirne. Anderes hingegen ist auffälliger, so die enormen Unterschiede in der Körpergröße, das schnelle Wachstum oder die früher einsetzende Geschlechtsreife der Haustiere. Das ununterbrochene Wachstum von Haaren, das in einer ungewöhnlich langen Mähne resultiert, die geringere Härte der Hufe und die Vielzahl von möglichen Scheckungen und Fleckungen sind ebenfalls Folgen der Domestikation durch den Menschen. Dagegen ist die durchschnittliche Lebenserwartung jedoch bei beiden Arten gleich, das Höchstalter von Przewalskipferden liegt bei ebenfalls ungefähr 34 Jahren.

Welchen tiefgreifenden Einfluß das Pferd auf unsere Sprache und Kultur nehmen würde, konnten im dritten Jahrtausend vor Christus weder Mensch noch Tier vorausahnen, als die ersten berittenen Hirten auf Przewalskipferden die eurasischen Steppen durchstreiften. Sie saßen auf dem blanken Pferderücken und lenkten ihre Tiere nur mit einem einfachen Nasenriehmen und durch Schenkeldruck in die Flanken. Das Pferd half ihnen, größere Herden zusammenhalten, weite Strecken zurücklegen und so konnten sie schneller und weitreichender als andere auf den Lauf der Geschichte Einfluß nehmen. Wenn sie in Gebiete fremder Nomadenstämme eindrangen, und es zum Kampf um die besten Weideplätze kam, waren die Berittenen im Vorteil. Aus den friedlichen Hirten wurden so kriegerische Reitervölker, die mehr und mehr auf Eroberung und Raub ausgingen und ihren Vorrang behaupteten. Ebenso skrupelos verfuhren sie jedoch auch mit dem Tier, das diesen Fortschritt einst ermöglicht und sich aus eigenen Vorteilserwägungen heraus wahrscheinlich mehr davon versprochen hatte. Sowohl das domestizierte, edle Reitpferd, das traurig und vor Langeweile an seiner Holzwand nagt, wie auch das ehemals freie Wildpferd in seiner Zooparzelle sind ein Symbol dafür.

Erstveröffentlichung 1995

13. November 2007