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HIPPOS/84: Dressur, Anspannung bis in die Schweifwurzel (SB)


Verschleierte Gewalt und subtiler Verschleiß


Schon die Bezeichnung "Dressur" läßt den Laien an Tierdomteure, lange Peitschen und vergitterte Zirkusmanegen denken, in denen wilde Tiere zum Männchenmachen und zu anderen Kunststücken gezwungen werden, die sie freiwillig und ohne Anwendung oder Drohung verdeckter oder offener Gewalt nie tun würden. Wenn aber Pferd und Reiter in perfekter Übereinstimmung gemeinsam durch das Dressurviereck tanzen, dann möchte man gerne glauben, daß dies nichts mit den üblichen Klischees der Unterwerfung von Tieren zu tun hat.

Dabei liegt man mit der unmittelbaren Assoziation von Härte und Grausamkeit zum Thema "Dressur" nicht einmal falsch. Das, was dieser Tage unter "Dressurreiten" oder auch unter der "klassischen Reitkunst" verstanden wird, gründet sich auf einer von dem italienischen Edelmann Grisone im 16. Jahrhundert eingeführten Reitakademie in Neapel, in der Fürsten und Königssöhne aus ganz Europa ihre reiterliche Ausbildung erhielten und die für unerbittliche Strenge und Grausamkeit gegenüber Mensch und Tier berüchtigt war.

Bereits der Grieche Xenophon (etwa 430 vor Chr. geboren) hatte erkannt, daß ein Pferd als Schlacht- und Kriegsroß dazu gebracht werden konnte, komplizierte und für Pferde völlig unnatürliche Bewegungsabläufe auszuführen (beispielsweise Courbetten, Pirouetten und Kapriolen, siehe dazu auch "HIPPOS/78: Barocke Pferde - geliebt, geadelt und geschunden"). Im Nahkampf konnte sich ein Reiter auf diese Weise Platz verschaffen, da die einfachen Soldaten aus Furcht vor dem unberechenbaren, "wilden Monster" zurückwichen. Als Xenophon im Alter von 74 Jahren starb, hinterließ er unter anderem auch auch zwei Lehrbücher über die Reitkunst, auf die in späterer Zeit immer wieder verwiesen wurde. Sein Gesamtwerk wurde etwa 2.000 Jahre danach, als die ersten Reitschulen entstanden, der sogenannten "Hohen Schule" zugrunde gelegt.

Allerdings wurde Xenophon, der selbst auf das gute Einvernehmen von Pferd und Reiter bedacht war, von späteren Rittmeistern sehr eigenwillig in eine brutale Richtung interpretiert. So übernahm der Edelmann Grisone wohl den von Xenophon empfohlenen Sitz, lehrte aber vor allem die gewaltsame Unterwerfung des Pferdes, was auch die zahlreichen von ihm erfundenen Gebisse beweisen, die die reinsten Marterwerkzeuge waren.

Erst im 17. Jahrhundert wurde diese äußerst harte Dressurmethode von Reitmeister de la Guérinère, der heute als der eigentliche Begründer der klassischen Reitkunst und "hohen Schule" gilt, etwas weniger streng ausgelegt. Ob allerdings die Bedürfnisse des Pferdes dabei berücksichtigt wurden, ist durchaus fraglich.

Auch andere Reitmeister der Hohen Schule im Zeitalter des Barock, die sich auf Grisones Lehren beriefen, wie Antonius von Pluvinel, lehrten einen vermeintlich humaneren und auf das einzelne Pferd zugeschnittenen Stil. "Besser immer mit Güte als mit Strenge ..." war sein Motto, doch schon sein Ziel, ein Pferd für den Einsatz in der Kavallerie vorzubereiten, also zum Kriegswerkzeug heranzuziehen, straft diesen Satz Lügen.

Es ist daher auch naiv zu glauben, daß es, wie von la Guérinère in seinen Schriften behauptet, so etwas wie eine geistige Harmonie zwischen Pferd und Reiter geben könne, oder daß man, wie Pluvinel, allein mit Güte und Einfühlungsvermögen ein Pferd zur Dressurarbeit überreden könnte.

Wenn die Tiere, die durch diese klassische Schule gehen, die Wünsche ihrer Reiter scheinbar mit den Gedanken wahrzunehmen verstehen, ist dies nur eine wesentlich ausgefeiltere, subtile Kunst der Unterwerfung, bei der die Zeichen und Hilfen der Verständigung und auch die versteckte Bedrohung für das Tier für Außenstehende unsichtbar bleiben.

Diese quasi vollendete Unterwerfung findet man heute in der aus der "Hohen Schule" bzw. der "Klassischen Reitkunst" entstandenen und vor allem in Deutschland und Europa praktizierten "Englischen Reitweise", deren sportliche Variante immer noch als "Dressurreiten" auf den Turnierplätzen in aller Welt praktiziert wird.

Allerdings wird die Leistung der Reiter, die diese verschleierte Gewalt beherrschen, im Sport allgemein unterschätzt. Beim Dressurreiten wird vom Reiter weit mehr Körperbeherrschung, Können und Fertigkeit abverlangt, um die Illusion der Freiwilligkeit aufrechtzuerhalten, als bei dem viel spektakuläreren und für das Publikum attraktiveren Springsport. Dafür wird in der Springdisziplin der reiterliche Wagemut sowie die draufgängerische Rücksichtslosigkeit von allen reiterlichen Disziplinen am meisten honoriert.

Betrachtet man allein die Preisgelder, so kommt das Dressurreiten - gemeinhin auch als Krönung der klassischen Reiterei gefeiert - auf allen Turnieren sträflich zu kurz, machen diese doch oft nur ein Viertel der für die Springprüfung dotierten Preise aus. Hier diktiert die Nachfrage den Preis, denn die den Nervenkitzel des Zuschauers angregenderen Springprüfungen, in denen edle Pferde verschlissen werden und Reiter Kopf und Kragen riskieren, sind für das "blutrünstige" Publikum wesentlich attraktiver. In dieser Hinsicht haben wir uns noch nicht sehr weit von den Besuchern der Zirkuskämpfe im alten Rom wegentwickelt.

Nun, ein Gutes hat der Dressursport gegenüber anderen Pferdesportdisziplinen, und das hat auch sein Publikum erkannt: Gut ausgebildete Pferde, mit denen ausschließlich nur natürliche Bewegungen, Tritte, Schritte und Gangarten in unterstützender Versammlung vorgestellt werden (also keine Zirkuskunststücke), werden in der Dressur seltener zuschanden geritten als in anderen Reitsportdisziplinen. Eine Kür nach Musik, in der nur die natürlichen Bewegungen des Pferdes, die aus Spiel und Gestik in der Herde stammen, unterstützt und vorgeführt werden, kann sogar zu einem echten Augenschmaus werden.

Wem werden da nicht die Augen feucht, wenn ein Pferd unverkrampft, scheinbar spielerisch und doch zu einer Einheit mit dem Reiter verwachsen, in ausbalancierter Schwebe und vollendeter Versammlung die Piaffe oder das elastische Umspringen im Galoppwechsel a tempi vorführt. Jeder Pferdefreund, der von den aufgezwungenen Kraftanstrengungen weiß, die hinter so einer Vorführung stecken, beobachtet ein solches Pferdeballet mit ambivalenten Gefühlen, denn das graziöse Wegwerfen und Fliegenlassen der Beine im Mitteltrab oder der ruhig und rund ausgeführte Galopp im Takt der Musik, die kraftvolle Galopp-Pirouette, bei der das Pferd auf der Hinterhand eine vollendete Galoppwendung ausführt und am Schluß mit stolzer Haltung völlig ruhig und gelassen vor den Richtern steht, die den Gruß des Reiters entgegennehmen, ist atemberaubend schön anzusehen.

Abgesehen von der versteckten Gewalt, die das Pferd von der Zäumung (einer scharfen Kandarre) bis zu den Hilfen, die mit einer Andeutung bzw. Androhung von weiterer Einengung (Kreuz- und Schenkelhilfen) in eine ständige Fluchtbereitschaft versetzen, die dann wieder mit Hilfe der Zügelverbindung (weiterer, drohender Schmerzen im empfindlichen Pferdemaul) unterdrückt wird, so daß das Tier in einer gewissen Anspannung (d.h. der sogenannten "Versammlung") bleibt, könnte man das Dressurreiten im Vergleich zu anderen Disziplinen sogar beinahe "fair" nennen. Denn es verlangt - korrekt ausgeführt, d.h. so, daß die Drohung aufrecht erhaltben bleibt, ohne dem Tier Schmerzen zuzufügen - vom Reiter eine ebenso große Leistung und Anstrengung wie vom Pferd. Doch in den wenigsten Fällen ist das auch tatsächlich so.

Schon die keinesfalls faire Grundlage des Dressurreitens - die Versammlung des Pferdes - kann nur dann erreicht werden, wenn die treibende Kreuzhilfe eindrücklich auf den gesamten Rücken des Pferdes wirkt. Das ist für den Reiter äußerst strapaziös. Deshalb wird diese Anstrengung gerne mit einer harten Hand oder treibenden, mit Sporen bewehrten Absätzen ersetzt, die für den Laien das gleiche Ergebnis bringen, nämlich einen sichtbar gebogenen Nacken. Der Kenner sieht den Unterschied sofort. Und dieser ist nicht nur schmerzhaft für das Pferd, sondern läßt es durch die künstliche Abbiegung des Halses zusätzlich verkrampfen, wodurch der Spannungsbogen, der eigentlich über den Rücken bis zur Hinterhand gehen sollte, unterbrochen wird. Mit anderen Worten: Das harmonische Schweben, die kraftvollen Gänge, deren Schwung aus diesem Spannungsbogen gespeist wird, verkommen zu einem lustlosen Gezerre, zur offenen, demaskierten und für jeden sichtbaren Gewaltanwendung bzw. zu dem offengelegten generellen Verhältnis zwischen Pferd und Reiter. Doch das will keiner sehen oder wahrhaben.

Dazu kommt, daß das Dressurtraining auf subtile Weise vor allem die Nerven sensibler Pferde stark belastet. Im Extremfall, d.h. bei der hohen Dressur wie an der Spanischen Reitschule in Wien, die mit unnatürlichen Bewegungsabläufen für das Pferd und enormen körperlichen Anstrenungen verbunden ist, sollen schon manche Tiere psychische Schäden davongetragen haben. Deshalb hat man in der sportlichen Disziplin auch von "Figuren über der Erde" abgesehen.

Wenn nach dem heutigen Reglement aber nur die natürlichen, eleganten Bewegungsmöglichkeiten und -abläufe des Pferdes bei der Dressur vorgestellt und geprüft werden sollen und dies angeblich vom pferdeliebenden Publikum auch bevorzugt wird, fragt man sich natürlich, warum man die Tiere, statt sie in der Arena oder auf dem Turnierplatz zu suchen, nicht gleich in freier Wildbahn beobachtet.

Hier oder auch auf der Weide kann man das Bewegungstier Pferd bei völlig entspannten und gelösten kraftvollen Bewegungen zusehen, die ohne Last und Reiter wirklich eine reine Freude sind.

Gerade diese Freude wird Dressurpferden häufig vorenthalten, weil unter Fachleuten die weit verbreitete Meinung herrscht, Pferde würden beim Weidegang "auseinanderfallen". Gemeint ist, daß die Pferde dabei ihre künstlich mühsam aufgezwungene Anspannung verlieren, was ja auch der Fall ist. Doch wie soll ein Tier, dem Abreagieren seines normalen Bewegungstriebes beraubt, noch in der Lage sein, gehorsam den gewünschten Spannungsbogen aufzubauen (in der Reitersprache heißt das: "entspannt seinen Körper zur vollendeten Versammlung anzubieten"), wenn ihm die Boxenhaltung weitere Verkrampfungen in allen möglichen Körperteilen aufzwingt und es darüber hinaus keine Möglichkeit bekommt, sich zu lösen, zu lockern und zu entspannen.

Ein einziger Trost an dieser letztlich doch wenig fairen Reitart bleibt: Der Reiter muß sich letztlich ebenso verkrampfen und verspannen, um so bewegungslos im Sattel zu verharren, wie es das Reglement vorschreibt. Doch ein artgerechter, pferdegemäßer oder gar gleichberechtigter Sport ist es deshalb noch lange nicht.

Erstveröffentlichung 2001
Neue, überarbeitete Fassung

9. Juni 2008