Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → REPORT

BERICHT/007: Tierrechte human - zwei Fäden, eine Nadel (SB)


Tierbefreiung und Antikapitalismus

Herbstakademie der Assoziation Dämmerung am 9. November 2013 in Hamburg



Die gesellschaftliche Auseinandersetzung um den Tierverbrauch im allgemeinen und den Fleischverzehr im besonderen nimmt immer mehr die Konturen eines Kulturkampfes an. Zwar werden die Proteste gegen Massentierhaltung mehrheitlich von Menschen getragen, die keine grundsätzlichen Einwände gegen das Schlachten haben, sondern dies lediglich nach angeblich tierfreundlichen und artgerechten Maßgaben vollzogen wissen wollen. Das Thema steht jedoch auch über die Grüne Woche, in deren Rahmen umfassend über die Praktiken der Agrarindustrie diskutiert wurde, hinaus auf der Agenda politischer Debatten. Damit rückt immer mehr Menschen ins Bewußtsein, daß sich nicht nur die industriespezifische Mißhandlung sogenannten Schlachtviehs negativ auf die Gesundheit der Verbraucher auswirkt, sondern daß das Töten und Essen von Tieren auch mit anderen, nicht nur den individuellen Konsum betreffenden Widersprüchen behaftet ist.

Diese dringen durch die rund 9 Prozent der Bevölkerung, die eine vegetarische oder vegane Lebensweise bevorzugen, auch in den Raum alltäglicher sozialer Begegnungen vor. Kommentare passionierter Carnivoren, die sich durch die Gegenwart vegan lebender Freundinnen und Freunde, selbst wenn kein negatives Wort über ihren Fleischverzehr fällt, gedrängt fühlen, ihre Ernährungsweise zu rechtfertigen [1], verraten, daß die Frage der Tierausbeutung nicht mehr einfach ignoriert werden kann. Die Attacken an die Adresse der Kritikerinnen und Kritiker der tierausbeutenden Agrarindustrie nehmen an Schärfe zu [2]. Ihnen wird mit dem Argument der Unverzichtbarkeit vom Tier stammender Produkte [3] für eine vollwerte Ernährung unterstellt, sachfremd bis gesundheitsgefährdend zu argumentieren, oder gleich das Etikett des "Ökofaschismus" angeheftet. Spätestens seit dem Vorschlag der Grünen, einen sogenannten Veggie-Day einzuführen, hat der politische Liberalismus das Thema für sich entdeckt. Einschränkungen der eigenen Lebensweise, ob beim Autofahren - "Freie Fahrt für freie Bürger" - oder beim Fleischverzehr, werden als staatsautoritäre Angriffe auf die Freiheit zurückgewiesen, wobei stets die Freiheit derjenigen gemeint ist, die sich besonders zerstörerische Formen des Verbrauchs auch leisten können.

Dabei kommt der Kritik an paternalistischen Verhaltensvorschriften über die Verteidigung bourgeoiser Privilegien hinaus durchaus Gültigkeit zu. Kapitalismusimmanenter Konsumverzicht wird üblicherweise marktwirtschaftlich geregelt, was versorgungsbedürftige und lohnabhängige Menschen der Gefahr weiterer materieller Einschränkungen aussetzt. Die grünkapitalistische Position, umweltzerstörerische Praktiken über den Preis zu reduzieren, erweist sich als besonders perfide Form neoliberaler Angebotspolitik, weil anhand ihrer moralischen Bemäntelung etablierte Besitzstände verteidigt werden, sprich Klassenherrschaft ausgeübt wird. Der Kulturkampf, der im Zusammenprall einer von Tierrechts- und Tierbefreiungsmotiven getragenen Ablehnung des Tierverbrauchs und des Bestehens auf denselben eskaliert, läuft mithin Gefahr, die soziale Frage nicht nur zu ignorieren, sondern soziale Repression zu verschärfen.

Auf der Herbstakademie der Assoziation Dämmerung wurde die unübersichtlich erscheinende Gemengelage aus ethisch begründetem Kampf gegen die Tötung von Tieren und der herrschaftskritischen Forderung der Befreiung von Mensch und Tier zum Anlaß genommen, einige neue Überlegungen zur Theorie und Praxis der Tierbefreiungsbewegung zu diskutieren. Ausgehend von dem Mangel an materialistischer Gesellschaftskritik, die im Ausschluß der Befreiung der Tiere auf der Seite der organisierten Linken wie antikapitalistischer Bewegungen ihre Entsprechung findet, wurde vorgeschlagen, den Abstand zwischen diesen Positionen zugunsten größerer gemeinsamer Handlungsfähigkeit zu verringern: "Wir wollen deutlich machen, warum die Befreiung von Mensch und Tier ohne Kapitalismuskritik nicht zu haben ist und warum andererseits Kapitalismuskritik nicht fundamental ist, wenn sie nicht auch das Verhältnis zur Natur (und zu den Tieren im Besonderen) mit in den Blick nimmt." [4]

Geschlachtete Tiere in Deutschland 2012 - Infografik: CC-BY-SA Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, Le Monde Diplomatique

Fleischproduktion für den Erfolg der Exportnation - Fleischatlas 2014
Infografik: CC-BY-SA Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, Le Monde Diplomatique


Oligopol des Schreckens

Das auf dem Workshop über die ökonomischen Strukturen der deutschen Fleischindustrie in den Blick gefaßte Ausmaß des dabei angerichteten Tierleides wie des Konzentrationsgrades ihrer oligopolistischen Struktur läßt sich anhand der im "Fleischatlas 2014" [5] präsentierten Daten gut nachvollziehen. Allerdings wird in der von dem Naturschutzverband BUND zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Le Monde Diplomatique herausgegebenen Studie weitgehend darauf verzichtet, den Warencharakter der dabei verbrauchten Tiere zum Problem zu erheben. Die Zahl der 2012 geschlachteten 3.244.000 Rinder, 58.350.000 Schweine und 627.941.000 Millionen Hühner, um nur die am meisten erwähnten Gruppen betroffener Tiere zu nennen, stellt das Begreifen dessen, was dies für das einzelne Schlachtopfer bedeutet, vor ein ähnliches Problem, wie die Zahl von 25.000 Schweinen, die in Deutschlands größtem Schlachthof täglich ihr Leben lassen müssen. Daß geschätzte 250.000 Tiere im Jahr bei einer Taktrate von zwei Sekunden, die die sogenannten Stecher in großen Schlachtfabriken haben, um ein Schwein "tiergerecht abzustechen", danach nicht tot sind und noch auf dem Schlachtband wieder wach werden, um bei lebendigem Leib verbrüht zu werden [6], macht die Sache, wie der Gourmet sagen würde, nicht eben appetitlicher.

Zur Ware gemacht gilt das individuelle Tier als für die Herstellung diverser Endprodukte notwendiger Rohstoff, als bloße Phase in einem Prozeß der Produktion, der weit vor den Schlachthöfen in den Labors und auf den Feldern der Saatgutkonzerne, im Verbrauch von Ackerland und Wasser, beim Ausbringen von Dünger und Pestiziden und der dabei verausgabten Arbeitskraft beginnt. Die ökologischen, sozialen und geostrategischen Folgen der globalen Futtermittelproduktion sind eine eigene Abhandlung wert. So grasen in Deutschland zur Fleisch- und Milchproduktion gehaltene Rinder verbrauchstechnisch betrachtet in den einst vielfältig belebten, nun auf eine gigantische Soja-Monokultur reduzierten Savannen Brasiliens. Mit dem Verzehr ihrer Produkte werden das Wasser des Landes, die von Pestiziden zerstörte Gesundheit seiner Bevölkerung, die unter Bedingungen der Lohnsklaverei verrichtete Feldarbeit wie der Lebensraum der für Sojaanbau vertriebenen indigenen Völker konsumiert. Mangelproduktion im großen Stil, die unter anderem zur Folge hat, daß das Problem des Hungers durch die für die Fleischproduktion erforderlichen Agrar- und Weideflächen verschärft wird.

Das hervorstechende Leistungsmerkmal des weltgrößten, aus brasilianischen und US-amerikanischen Unternehmen gebildeten Fleischverarbeitungs- und Fleischvermarktungskonzerns JBS besteht im täglichen Schlachten von 85.000 Rindern, 70.000 Schweinen und 12 Millionen Vögeln [7]. Aus den Schlachtfabriken in Brasilien, Argentinien, den USA und Australien werden Fleisch und andere Tierprodukte in 110 Länder exportiert. Je größer die Marktmacht, desto kosteneffizienter läßt sich die Produktion organisieren und desto mehr Einfluß haben die an der Börse notierten Fleischkonzerne auf Steuer-, Umwelt- und Handelspolitik. Tiermastbetriebe, die in den USA bereits die Dimension von zeitgleich 100.000 über eine möglichst kurze Lebensspanne möglichst viel Fleisch ansetzenden Schweinen erreichen, verwandeln ganze Landstriche in güllegetränkte Einöden. Sie auch nur von weitem zu filmen, hat in einigen US-Bundesstaaten strafrechtliche Folgen, werden in Anbetracht der tierbefreierischen Aktivitäten doch immer mehr sogenannte Ag-gag-Gesetze erlassen, die die bloße Dokumentation des dort angerichteten Tierleides als Terrorismus kriminalisieren.

Nicht zu vergessen bei der Untersuchung des gesellschaftlichen Einflusses der tierverbrauchenden Industrie sind die zahlreichen Branchen und Berufsstände, die mittelbar von ihr abhängen. Die Hersteller veterinärmedizinischer Pharmazeutika, Tierärzte und Fleischbeschauer, Forschungsinstitute und Universitäten, Anwaltbüros und PR-Agenturen, Nahrungsmittelindustrie und Einzelhandelsunternehmen, die Verarbeitungsbetriebe der Tierhäute nutzenden Verbrauchsgüter- und Modeindustrie belegen die große wirtschaftliche und soziale Bedeutung der in diesem Komplex entfachten Produktivität. Hier nicht von einem Rohstoff zu sprechen, sondern sich klar zu machen, daß jedes getötete Tier ein schmerzempfindendes Wesen ist, fällt desto schwerer, als dem Objekt kapitalverwertender Warenproduktion weder in seiner stofflichen Voraussetzung wie seinem Gebrauch die Subjektqualität individueller Unverwechselbarkeit zugestanden wird. Dem Tauschwert unterworfen und über Geld als Ware vergleichbar gemacht existiert das sogenannte Nutztier immer nur im Verhältnis zu fremden Ansprüchen, nicht jedoch als autonomes Lebewesen, dem das fundamentale Interesse zugestanden wird, nicht gequält und nicht getötet zu werden.

Um die Frage zu entwickeln, inwiefern sich eine antikapitalistische Position für die Tierbefreiung fruchtbar machen läßt et vice versa, wurde in dem Workshop insbesondere die Struktur der deutschen Fleischindustrie analysiert. So existiert hierzulande ein Schweinemarkt-Oligopol aus vier Unternehmen, die einen Marktanteil von 75 Prozent auf sich vereinen. Ähnliche oligopole Strukturen haben sich auch auf dem Rindfleisch- und Geflügelmarkt entwickelt. Wobei der Umsatz bei Rindern und Schweinen zwischen 2000 und 2004 kaum zugenommen hat, wohl aber bei Geflügel. Dieser Sektor verzeichnet eine hohe Umsatzsteigerung sowie einen radikalen Konzentrations- und Zentralisationsprozeß ab dem Jahr 2004. Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung von 2007 ist der Konzentrationsprozeß in der deutschen Fleischindustrie noch nicht abgeschlossen. [8]

Dabei wird angestrebt, immer mehr Produktionsanteile in die eigene Verwertungskette zu integrieren. So baut ein Lebensmittelkonzern komplette Produktionsketten zur Vermarktung von Biofleisch von der Aufzucht über die Schlachtung bis zur Verarbeitung auf. Dies insbesondere deshalb, weil in diesem Sektor im Unterschied zur konventionellen Fleischproduktion noch deutliche Zuwachsraten zu erzielen sind. Nicht zuletzt die Kritik an der Massentierhaltung sorgt für den Aufbau neuer Marktsegmente, was den dabei verbrauchten Tieren vielleicht etwas Linderung in der Haltung einbringt, die Aussichtslosigkeit, ihrem Schicksal als Schlachtvieh zu entkommen, jedoch zementiert. Nicht anders als bei aus humanitären Gründen geführten Angriffskriegen oder der Entwicklung umweltverträglicher Waffen, beim Social Sponsoring oder der ethischen Unternehmensführung produziert der Kapitalismus geldwerte Legitimation, was zivilgesellschaftlichen Akteuren des karitativen wie etwa auch tierschützerischen Zwecken verpflichteten NGO- und Non-Profit-Sektors ein die berufliche Existenz sicherndes Betätigungsfeld eröffnet.

In der deutschen Fleischindustrie waren 2012 etwa 28.000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, doch wird insgesamt von etwa 80.000 Arbeiterinnen und Arbeitern in Schlachthöfen ausgegangen. Unter diesen nimmt der Anteil derer, die nach Tarif entlohnt werden, kontinuierlich ab. Viele haben Leiharbeitsverträge, und seit dem Jahr 2010 erhält eine wachsende Zahl von Beschäftigten nur noch Werkverträge. Bei den unter diesen Bedingungen Beschäftigten sind Stundenlöhne von drei bis fünf Euro keine Seltenheit. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, da sie sich nach dem Ursprungsland richten, wo zahlreiche Menschen darauf warten, freiwerdende Arbeitsplätze in den deutschen Fleischbetrieben aufzufüllen und damit weitere Lohnsenkungen begünstigen. Die hohe Produktivität der deutschen Fleischindustrie sorgt zudem dafür, daß immer mehr Tiere aus dem europäischen Ausland eigens zum Schlachten in die Bundesrepublik transportiert werden, also ihr der Kostensenkungsratio unterworfenes Schicksal noch leidvoller wird.

Die deutsche Fleischindustrie steigert ihren Profit vor allem über den Export der Produkte innerhalb und außerhalb der EU, da der deutsche Markt gesättigt ist. Es wird mehr und mehr produziert, was zu einem starken Wettbewerb und zur Verdrängung beiträgt. Allgemein haben die Fleischausfuhren aus Deutschland zwischen 2005 und 2010 um 60 Prozent zugenommen, Geflügel ist dabei die treibende Kraft. Selbst auf den Märkten Asiens findet sich deutsche "Qualitätsware", da die Transportkosten, trotz der erforderlichen Kühlung von Fleisch, vergleichsweise gering sind. Und weil in den Abnehmerländern meist unterschiedliche Hygienevorschriften gelten, hilft die Bundesregierung auf politischer Ebene aus, bahnt vertraglich die erforderlichen rechtlichen Angleichungen an und subventioniert die Fleischindustrie. Ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gemäß sind die Führungskräfte der deutschen Fleischindustrie umworbene Partner der Bundesregierung und in diversen Organisationen aktiv, die Fleischkonsum nicht zuletzt als Säule wirtschaftlicher Stabilität propagieren.

Schweinteile vorsortiert am Bild des ganzen Tiers - Foto: © By Jjw (Own work) / CC-BY-SA-3.0, via Wikimedia Commons

Geboren, um zerteilt zu werden
Foto: © By Jjw (Own work) / CC-BY-SA-3.0, via Wikimedia Commons

Im Zirkelschluß des Mensch-Tier-Verhältnisses

Diesem Komplex der kommerziellen Tierverwertung in der Absicht entgegenzutreten, das Schlachten nicht nur "tierfreundlicher" zu gestalten, sondern abzuschaffen, wirkt auch bei dem erreichten Stand der gesellschaftlichen Debatte um Massentierhaltung und Fleischverarbeitung nicht weniger utopisch als die Vorstellung, in absehbarer Zeit den Kommunismus zu verwirklichen. Man könnte auch sagen, daß beides so viel miteinander zu tun hat, daß es schon einer über die Grenzen der jeweiligen Zielsetzung hinausgehenden Konzeption bedarf, um nur in die Nähe konkreter Fortschritte zu gelangen. So wenig ein die Überwindung des Gegensatzes zwischen Mensch und Natur ausschließender Entwurf ausreichte, um die Aufhebung der Herrschaft des Menschen über den Menschen zu verwirklichen, so wenig wird eine vegane Lebensweise ausreichen, die Tierausbeutung begründenden gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse zu überwinden. Eine Position und Praxis zu entwickeln, die die Interessen der schwächsten und verletzlichsten Menschen einschließt, ist unter Aufrechterhaltung der gegen Tiere gerichteten Gewalt schwer vorstellbar.

Diese Widerspruchslage wurde in einem Workshop über das Verhältnis zwischen der antispeziesistischen Bewegung und der diesen Kampf ignorierenden oder gar als menschenfeindlich verurteilenden antikapitalistische Linken aufgegriffen. Aus der synonymen Kritik an Schlachthofbesitzern wie deren Arbeiterinnen und Arbeitern, unterschiedslos Tierausbeutung zu betreiben, wurde der Schluß gezogen, daß mit der abstrakten Opposition zwischen Menschen und Tieren die zugleich beklagte Konstruktion eines Mensch-Tier-Dualismus reproduziert würde. Die zu Recht geübte Kritik an der undifferenzierten Verwendung des Begriffs "Tier" hebt sich praktisch in der kategorialen Verurteilung des Menschen als Nutznießer dieser Hierarchie auf.

Demgegenüber anzuerkennen, daß der Mensch als gesellschaftliches Wesen in einer Klassengesellschaft lebt, in der die Fronten einander ausschließender Interessen vor allem durch die Produktionsverhältnisse bestimmt sind, relativierte das Problem der Tierausbeutung nur insofern, als die Kritik kapitalistischer Verwertung in der tierverbrauchenden Industrie eben auch die Lohnabhängigen einschlösse, die ihre Arbeitskraft in diesem Sektor verkaufen. Ein Antispeziesismus, der die Klassengesellschaft ignoriert und bei dem abstrakten Dualismus zwischen Mensch und Tier stehenbleibt, könne im Grunde nur moralisch argumentieren. Daraus müsse dann der Schluß gezogen werden, daß der Speziesismus die Ursache aller Gewalt ist, die Tieren angetan wird, so die Referentin, die den in der industriellen Fleischproduktion hervortretenden Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit am Beispiel des Theaterstücks Die Heilige Johanna der Schlachthöfe von Bertolt Brecht entwickelte.

Ihrer Ansicht nach verhalte es sich umgekehrt. So täten Schlachthofarbeiterinnen und -arbeiter Tieren in der Regel keine Gewalt an, weil sie Tiere haßten oder Lust am Quälen hätten, sondern sie verrichteten Lohnarbeit zum Erhalt des eigenen Lebens. Dabei legitimiere der Speziesismus, also das anthropozentrische Postulat klassifikatorischer Höherwertigkeit, zwar das eigene Handeln im Schlachthof. Die eigentliche Triebkraft ihrer Tätigkeit sei allerdings der Zwang, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und nicht der Speziesismus als Ideologie, so die Referentin.

Die anhand einiger Texte aus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung dokumentierte These, der Mensch-Tier-Dualismus sei maßgeblich für die Tierausbeutung verantwortlich, schließe den Produktionsprozeß in den Schlachthöfen und damit auch die Möglichkeit, die davon betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter in den Kampf der Tierbefreiungsbewegung einzubeziehen, aus. Dabei ständen die Belegschaften der Schlachthöfe objektiv nicht auf derselben Seite der Barrikade wie die Schlachthofbesitzerinnen und -besitzer, sondern auf der Seite der Tierbefreiungsbewegung. Zwar wollte die Referentin nicht ausschließen, daß es auch Schlachthofarbeiterinnen und -arbeiter gibt, die Spaß am Quälen von Tieren haben oder die ihr Handeln ideologisch begründen, doch sei zu fragen, mit welchen Strategien sich positive Veränderungen für die Tiere in den Schlachthöfen und Mastanlagen sowie die dort beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter erzielen ließen.

Ohne Abschaffung des Kapitalismus werde es nicht gelingen, Mensch und Tier zu befreien, was die Nutzung der marxistischen Analyse des Kapitalismus nahelege. Schlachten sei ein Problem der gesellschaftlichen Praxis, und deren Veränderung sei nicht über die bloße Veränderung des Denkens oder der Sprache zu erreichen. Es gelte, die Entfremdung der Lohnarbeiterinnen und -arbeiter von den Produkten ihrer Arbeit wie dem Arbeitsprozeß selbst in den Blick zu nehmen. Dies werde aufgrund der massiven Produktivitätssteigerung in den Betrieben zusehends schwieriger, hätten die Arbeiterinnen und Arbeiter doch kaum mehr einen Bezug zu den Körpern, die sie in großer Zahl bearbeiteten und deren Leiden sie nicht mehr sähen.

Mit den Belegschaften und Gewerkschaften in einen Dialog über Tierausbeutung einzutreten und an der Seite der Arbeiterinnen und Arbeiter für bessere Arbeits- und damit Kampfbedingungen zu streiten, um eine Verringerung der Produktivität und damit auch der Tierausbeutung zu erreichen, lautete einer der Vorschläge, mit Hilfe derer neue Wege im Kampf gegen das Schlachten beschritten werden könnten. Im Falle eines solchen Engagements sollten Aufrufe zur betrieblichen Organisierung immer auch eigene Forderungen enthalten. Schlachthöfe zu enteignen und zu vergesellschaften, um Konversionsprogramme durchzuführen, mit denen die Betriebe auf die Produktion veganer Nahrung umgestellt werden könnten, wäre auf jeden Fall ein Ziel, für das sich zu kämpfen lohnt.

Werbung für US-Kriegsanleihen im Zweiten Weltkrieg - Foto: © Public Domain, U.S. National Archives and Records Administration

"Fleisch für Stärke, um zu arbeiten und zu kämpfen" - Office for Emergency Management 1941 - 1945
Foto: © Public Domain, U.S. National Archives and Records Administration

Entfremdung aufheben

Um den Versuch, lohnabhängige Menschen vom zerstörerischen Charakter ihrer Arbeit zu überzeugen, praktikabel zu machen, wäre nach Ansicht dieses Autors die angesprochene Frage der Entfremdung eine weitere Untersuchung wert. Während die Unterstützung von Arbeitskämpfen im Rahmen der herrschenden Produktionsverhältnisse nichts an der Entfremdung des Lohnverhältnisses ändert und sogar zu einer Befriedung der Arbeiterschaft im Rahmen nationaler Standortsicherung führen könnte, wird die Frage danach, auf welche Weise der Mensch arbeiten möchte, nicht umsonst systematisch umschifft.

Am laufenden Band die Hälse an ihren Hinterläufen aufgehängter Rinder, die teilweise noch nicht tot sind und vor Schmerzen brüllen, zu durchschneiden, worauf ein Schwall warmen Blutes über die Schürze strömt und die Gummistiefel umspült, scheint keine Tätigkeit zu sein, die mit der seriellen Bearbeitung x-beliebiger Werkstücke, an denen identische Handgriffe in endloser Folge vollzogen werden müssen, gleichzusetzen wäre. Und doch müssen sich Schlachterinnen und Schlachter genauso wie ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Produktionszweigen, wenn sie diese Arbeit dauerhaft ausführen wollen, darauf konditionieren, sich so wenig wie möglich mit dem jede Empfindsamkeit abtötenden und körperlich einschränkenden Charakter ihres Tuns zu konfrontieren.

Anders gesagt: wollen sie diese Arbeit auch unter verbesserten Bedingungen verrichten, müssen sie sich mit ihrer zerstörerischen Wirkung arrangieren. Zu erkennen, daß diese nicht auf das "Werkstück" beschränkt ist, sondern das Werkzeug, also der das Messer führende Körper und Geist, nicht unbeschadet aus dem Verwertungsprozeß hervorgeht, wäre vielleicht der direkteste Weg, um das Interesse an der grundlegenden Überwindung dieser Produktionsweise zu wecken. So unterliegt nicht nur das sogenannte Schlachtvieh, sondern auch der Mensch der industriellen Rationalisierung eines Produktionsprozesses, der das dafür eingesetzte Kapital so kosteneffizient wie möglich verwerten soll. Wird Tieren in immer kürzeren Zeiten und auf immer engerem Raum unter Einsatz züchterischer und pharmazeutischer Mittel die Maximierung des Fleischwachstums abgenötigt, so wird die Arbeitskraft der Menschen im tayloristischen Ausschluß unnötiger Bewegungen und unproduktiver Zeiten nicht weniger intensiv verdichtet.

Die seriell organisierte Prozeßlogik der Schlachtfabriken stand am Anfang der Entwicklung jener Fertigungsstraßen, aufgrund derer die Ära des Industriekapitalismus auch als Fordismus bezeichnet wird. Wegen der massenhaften Zerlegung des Fleisches in handels- und verkehrsfähige Portionen werden die Arbeiterinnen und Arbeiter in US-amerikanischen Schlachthöfen Meat Packers genannt. Sie sind bloße Partikel in einem Prozeß, der mit dem traditionellen Beruf des Schlachters nicht mehr viel Ähnlichkeit aufweist, und sie arbeiten in einer Branche, die, ähnlich wie in der Bundesrepublik, für ihre besonders schlechten, gefährlichen und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen berüchtigt ist. Wenn die beim Zerteilen gefrorenen Fleisches vorgeschriebenen Kettenhandschuhe ausgezogen werden, um schneller arbeiten zu können, dann kann es schon einmal geschehen, daß ein Finger verloren geht und dies erst später bemerkt wird, weil die Kälte alle Empfindung abgetötet hat.

In der Schlachtfabrik verhält sich Fleisch zu Fleisch, lediglich voneinander geschieden durch die Funktionslogik des Produktionsprozesses, ähnlich wie bei seiner Verstoffwechselung im menschlichen Körper - dieser muß einigen Aufwand betreiben, im Verdauungsprozeß fremdes und eigenes Gewebe voneinander zu unterscheiden, und verbrennt dabei immer auch selbst. So könnte der Schlachthof als eine von vielen Stationen im umfassenden Prozeß menschlicher Zurichtung auf die Interessen einer Herrschaftsicherung und Verwertungspraxis verstanden werden, deren wesentliches Instrument das Unterscheiden und Vergleichen zum Zwecke der Anerkennung oder Unterdrückung eigener Subjektivität ist. Als Kind den über die Familie vermittelten Normen einer Gesellschaft ausgesetzt, die das dem Animalischen zugewiesene Leben als moralisch verwerflich erachtet, in der Schule indoktriniert mit einer Sprache, in der das Wilde und Ungezügelte, das Unberechenbare und Unangepaßte der Rechtlosigkeit des Tieres unterworfen wird, als von angeblich animalischen Trieben gelenkter Krimineller im Knast der Freiheit beraubt oder als Verrückter in der Psychiatrie ruhiggestellt, um am Lebensende in der weißen Fabrik womöglich selbst als Bioressource fremdnützig verwertet zu werden - das menschliche Tier ist sich seiner Menschlichkeit so wenig sicher, daß die Subjektivität ungeteilten Lebens keinen Bestand haben darf. Sie muß funktionalisiert, partikularisiert, individualisiert und atomisiert werden, um kontrollierbar und verfügbar zu sein.

All das hallt im Zerlegen und Zerteilen des legal tötbaren Körpers nach, so daß es nicht überraschen kann, wie hochgradig emotional die Debatte um das Für und Wider der Tierausbeutung besetzt ist. Dagegen Position zu beziehen, verlangt denn auch danach, das qualitative Zerstörungspotential der Arbeit des Schlachtens, das nicht zuletzt in den Metaphern des Krieges wiederkehrt, als Akt der Gewalt, der keinen Beteiligten unbeschadet läßt, genauer zu fassen. So strikt die Grenze zwischen Mensch und Tier gerade dort gezogen wird, wo der Kontakt für letzteres tödlich endet, so sehr steht sie in Frage, wenn begriffen wird, daß sich der gestreckte Verbrauch der Ware Arbeit wie ihr finaler Verbrauch als Ware Fleisch nicht so sehr unterscheiden, wie das darin zutage tretende Täter-Opfer-Verhältnis oder der Verzehr von Fleisch durch Schlachterin und Schlachter suggerieren könnte.

Löst das Tauschwertäquivalent Geld dieses Verhältnis in der Gleichgültigkeit abstrakter Wertbestimmung auf, so daß das in Zellophan abgepackte Steak im Supermarkt ebenso wenig über den Schmerz des Wesens preisgibt, das dafür sterben mußte, wie es etwas über das Ausbeutungsverhältnis der dabei verwerteten Arbeit verrät, dann kann die marxistisch auch als Warenfetisch bezeichnete Entkoppelung von Arbeit und Produkt auch umgekehrt werden. Tierbefreiungsaktionen, bei denen sich nackt in Fleischverpackungen liegende Menschen als tote Ware zum Verzehr präsentieren, könnten auch zu der Frage Anlaß geben, was mit den Menschen geschieht, die das Schlachten vollziehen. Geht man davon aus, daß Schmerz unteilbar ist, also jeder Mensch genau weiß, was er tut, wenn er im Tier die eigene entwicklungsgeschichtliche Herkunft wie körperliche Verwandtschaft abtötet, dann liegt nahe, daß Arbeiterinnen und Arbeiter in Schlachthöfen auch über die konventionelle Ausbeutung durch Lohnarbeit hinaus Schaden durch ihre Tätigkeit nehmen.

All dies ist einer Produktionsweise geschuldet, die zwar in ihrem Anteil an der nationalen Wertschöpfung nur eine von mehreren Abteilungen gesamtgesellschaftlicher Produktivität ist, der aber aufgrund ihrer Funktion für die Ernährung des Menschen zentrale Bedeutung zukommt. Die durch die globalisierte Fleischerzeugung befeuerte Kapitalakkumulation ist zu einem Gutteil verantwortlich für den Mangel an Grundnahrungsmitteln, unter dem rund ein Sechstel der Menschheit leidet. Der extensive Verbrauch an Ackerland, Wasser und anderen essentiellen Ressourcen für die Nahrungsmittelproduktion entzieht Menschen, die schon aus Kostengründen vorzugsweise pflanzliche Nahrung zu sich nehmen, auch noch den Rest dessen, was ihnen bereits genommen wurde.

Daß ein veganer Kapitalismus vor allem der Legitimation derjenigen geschuldet wäre, die weiterhin von der herrschenden Eigentumsordnung profitieren wollen, liegt im mangelproduzierenden Charakter der Kapitalakkumulation begründet. So könnte beim heutigen Stand der Produktivkraftentwicklung durchaus zur Konversion von tierischer zu vegetabiler Nahrungsmittelproduktion übergegangen werden. Wert durch Arbeit in einer Geldwirtschaft zu erzeugen, die ein Vielfaches an Finanzmitteln in Umlauf gebracht hat, als sich noch durch die materielle Güterproduktion decken läßt, setzt jedoch die Schaffung von Unwerten in Form unumkehrbarer Zerstörung zwingend voraus.

Die zusätzlich zur Bewirtschaftung der Felder erforderliche Arbeitskraft in der Fleischerzeugung erweitert die Mehrwertproduktion. Ihr oligopoler Charakter vergrößert die Verfügungsgewalt über eine Schlüsselfunktion der Herrschaftsicherung, die Kontrolle der Ernährung, in den Händen einiger weniger. Der im Fleisch enthaltene Verbrauch stofflicher Ressourcen trägt zur Kapitalakkumulation bei, weil die Verfügungsgewalt über die Grundlagen des Lebens in einer Welt begrenzter Ressourcen desto mehr zu einer letztinstanzlichen Währung wird, als die Zahl der Menschen zunimmt, die der existentiellen Androhung ihres Entzugs ausgesetzt werden können. Auch die großindustrielle und globalisierte Produktion veganer Nahrungsmittel wäre nicht frei von Ausbeutung und Zerstörung. Weil die Fleischproduktion mehr Kalorien pro Einheit verbraucht als die Veredelung pflanzlicher Nahrung, bietet sie einem Kapitalismus, der mit dem Schwinden seiner stofflichen Grundlagen konfrontiert ist, durch den höheren Konzentrationsgrad ihrer Fertigungs- und Verteilungsstrukturen jedoch mehr Möglichkeiten, den einzelnen Menschen unter die Kuratel ihm zugestandener respektive entzogener Lebensmittel zu stellen.

Nicht zu vergessen bei der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Tierausbeutung sind schließlich die Nutzungsinteressen, die sich aus der biologischen Nähe zum Menschen ergeben. Das Ende des Schlachtens führte auch zur Beendigung der vivisektionistischen Praktiken, die für eine Vielzahl von Produkten und Verfahren in Anspruch genommen werden, in denen sich der Einsatz des Menschen als Versuchsobjekt zwecks Befestigung der brüchigen Grenze zum Tier verbietet. Insbesondere genetisch verwandte Primaten als auch das den inneren Organen des Menschen morphologisch besonders ähnliche Schwein fungieren als Inkubatoren medizinischer Produkte für die Xenotransplantation und beim Pharming. Sie sind unerläßlich für die biotechnologische Forschung, um genetische Verfahren des Klonens oder Enhancements zu entwickeln, bei denen dem sogenannten Tiermodell entlehnte Konzepte und Nutzanwendungen Pate stehen. Tierverbrauch und Kapitalismus ergänzen sich auch deshalb bestens, weil die Marschrichtung territorialer Expansion nach der Eroberung fast aller geografischen Räume bis auf die Ozeane auf die innere Landnahme, die Inwertsetzung des mikroelektronisch, nanotechnologisch wie humangenetisch optimierten Bioorganismus durch die Life Sciences, gerichtet ist. Daß parallel dazu die Kommodifizierung der Natur anhand der Patentierung und Lizensierung pflanzlicher Vielfalt und ihrer genetischen Manipulation erfolgt, macht diese Praxis am Tier nicht überflüssig, sondern bestätigt ihre Unverzichtbarkeit.

Um so unerläßlicher sind alle Überlegungen und Praktiken, mit Hilfe derer sich die Entfremdung von Mensch und Natur aufheben und in eine Lebensweise verwandeln läßt, die nichts und niemanden ausschließt und ignoriert, sondern den Schmerz des Schmerzes, die Trennung vom anderen bei seiner qualvollen Vernichtung, aus der Welt schafft. So unbegreiflich die negierte Subjektivität des vermassten "Schlachtviehs" ist, so nichtig ist das Individuum, das diese Trennung für einen Schutz vor dem größeren Räuber hält. Erkennt sich der Mensch nicht im Tier und in der Natur wieder, dann läuft er Gefahr, der niemals erlangten Kontrolle über die eigene Destruktivität vollends zu erliegen.


Fußnoten:

[1] http://www.cicero.de/berliner-republik/frau-fried-fragt-sich-wie-sie-sich-gegen-die-vegetarier-wehren-soll/54464

[2] http://www.cicero.de/salon/fleischesser-vs-vegetarier-wer-heuchelt-hier/56858

[3] http://www.bauernverband.de/fleisch-gehoert-vollwertigen-ernaehrung

[4] http://www.assoziation-daemmerung.de/herbstakademie2013/

[5] http://www.bund.net/themen_und_projekte/landwirtschaft/service/materialien/fleischatlas/

[6] http://www.3sat.de/page/?source=/ard/wissenaktuell/164733/index.html

[7] http://www.bund.net/themen_und_projekte/landwirtschaft/service/materialien/fleischatlas/

[8] http://www.boeckler.de/pdf/p_edition_hbs_186.pdf


Bisherige Beiträge zur Herbstakademie der Assoziation Dämmerung im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → TIERE → REPORT:

BERICHT/005: Tierrechte human - Abgründe ... (SB)
INTERVIEW/008: Tierrechte human - das eine, was man will ... Eva Bulling-Schröter im Gespräch (SB)
INTERVIEW/009: Tierrechte human - sowohl als auch, im Zweifel nicht, Maciej Zurowski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Tierrechte human - Mit Beispiel voran, David von der Gruppe Hilarius im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Tierrechte human - Gegen den Strom, Albino im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Tierrechte human - Niemand stirbt für sich allein, Tobias Hainer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Tierrechte human - Fortschritt gemeinsam, Kritik voran ... Matthias Rude im Gespräch (SB)

24. Januar 2014