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INTERVIEW/001: Geflügelschlachthof Wietze - Norbert Juretzko und Ursula Helmers, BI Wietze (SB)


Gespräch mit Norbert Juretzko und Ursula Helmers von der Bürgerinitiative Wietze -
Für den Erhalt unseres Aller-Leine-Tals e.V. am 10. Juli 2010 in Wietze

Ursula Helmers, SB-Redakteur, Norbert Juretzko

Ursula Helmers, SB-Redakteur, Norbert Juretzko
Foto: © 2010 by Schattenblick

In Wietze bei Celle soll die größte Hähnchenschlachtfabrik Europas entstehen. An sechs Tagen die Woche dürfen hier laut der Genehmigung durch das Gewerbeaufsichtsamt bis zu 432.000 Masthähnchen geschlachtet werden, 7,5 pro Sekunde. In dem 8000 Einwohner zählenden Städtchen hat sich Widerstand gegen die Schlachtfabrik und die Zuliefer-Mastbetriebe formiert. Zum einen wurde das für den Betrieb vorgesehene Baugelände von Tierbefreiern besetzt, zum anderen versucht die Bürgerinitiative Wietze - Für den Erhalt unseres Aller-Leine-Tals e.V. über Öffentlichkeitsarbeit und Mitwirkung im Gemeinderat den Bau der Schlachtfabrik zu verhindern. Am Samstag, den 10. Juli 2010, sprach der Schattenblick mit dem Vorsitzenden der BI Wietze Norbert Juretzko und der stellvertretenden Vorsitzenden Ursula Helmers.

Schattenblick: Wie ist es überhaupt dazu gekommen, daß sich eine Bürgerinitiative gebildet hat? Was war Ihr Anliegen und wie kamen Sie dazu, das zu machen?

Ursula Helmers: Der eigentliche Auslöser war, daß für Wietze angekündigt wurde, hier geht es wirtschaftlich los, tausend Arbeitsplätze. Dann haben wir ein bißchen recherchiert, geguckt, was ist das, was steckt dahinter, ein Schlachthof, was bedeutet das? Und sind dann sehr schnell darauf gekommen, daß man dazu Massentierhaltungsanlagen braucht, die in der Umgebung sein müssen. Und zu Anfang hat die lokale Presse einfach überhaupt nicht darauf reagiert. Die haben das total totgeschwiegen und auch so getan, naja, wir wären so ein paar Spinner, so ungefähr.

Bekannt wurde das im September. Wir haben uns dann ein bißchen damit beschäftigt, eine Bürgerinitiative gegründet gleich danach im Oktober. Haben dann angefangen und versucht, dazu Fakten zu ermitteln. Im Februar sollte sich dann in der Infrastrukturausschußsitzung der Gemeinderat mit dieser Problematik beschäftigen. Wir haben dann auch ein bißchen demonstriert dagegen, und dann stellte sich kurz vor dieser wichtigen Ausschußsitzung raus, daß die Zahlen alle falsch waren, die genannt wurden! Das hat uns natürlich mächtig auf die Palme gebracht, und uns erst mal überhaupt ein bißchen darauf gebracht, daß hier vielleicht irgendwas durchgezogen werden soll, worüber gar nicht gesprochen wird. Bumms, dann steht das Ding, und die Folgen sind natürlich ganz klar und nicht mehr veränderbar.

Wir haben dann gesagt: War das Absicht? Der Unternehmer Rothkötter hat diese Zahlen veröffentlicht, die er für seine Baugenehmigung, für dieses BImsch-Verfahren [1] braucht - er mußte ja beim Gewerbeaufsichtsamt seinen Antrag einreichen -, und da haben wir die Schlachtkapazitäten erfahren und uns daraus errechnet, was es eigentlich bedeutet. Hier wurde immer von 150 Mastställen für diesen Schlachthof gesprochen mit 1000 Arbeitsplätzen, und es stellte sich raus, es sind mehr als 420 Mastställe, mindestens so viele, 40.000er, mindestens so viele. Dann wird bei den Arbeitsplatzzahlen so ein bißchen gemogelt. Anfangs 250 ...

Norbert Juretzko: Die Zahlen, die positiv und prominent waren, die wurden großgemacht, und die so ein bißchen negativ sind, die wurden kleingemacht. Und wir haben gesagt: Ist das jetzt Dummheit der Politik gewesen oder war das einfach nur Unvermögen oder sind die richtig über den Tisch gezogen worden? Wir haben dann festgestellt, daß sie völlig überfordert waren. Sie haben das so gemacht wie eigentlich immer. Sie vertrauen einer Verwaltung, die ihnen Zahlen vorgibt, gucken selber nicht nach, informieren sich selber nicht und sagen: Na, wenn die Verwaltung das sagt, dann machen wir das auch. Dann kamen diese Politiker in ganz eigenartiger Weise in eine Rolle, wo man gemerkt hat, sie fühlen sich unwohl, aber sie können nicht mehr zurück.

SB: Schon zu diesem frühen Zeitpunkt?

NJ: Ja. Das war Anfang des Jahres. Und ich habe immer gesagt, wir müssen die Kritik so machen, daß jeder sozusagen noch in der Lage ist, eine Rolle rückwärts zu machen.

UH: Genau.

NJ: Daß sie ohne Gesichtsverlust aus der Nummer wieder rauskommen. Das ging aber nicht mehr. Die waren dermaßen unter Druck.

UH: Wir haben dann ein Moratorium gefordert: Alle halten nochmal an, überlegen nochmal gemeinsam, was machen wir genau, was bedeutet das ...

NJ: Darauf hat sich keiner mehr eingelassen, es war niemand mehr bereit, auf uns zuzugehen. Eine Ratsfrau der SPD ist deshalb mittlerweile aus dem Rat ausgeschieden. Und die beiden Abgeordneten, also der von den Linken und der von den Grünen, haben fleißig dagegen gestimmt. Aber sie waren hoffnungslos in der Unterzahl. Die waren wie zwei Einzelkämpfer gegen eine breite Front.

Für uns sind eigentlich zwei Dinge wichtig: Es ist einmal dieses Projekt Schlachthof, die Entwicklung auf dem Markt, die Massentierhaltung. Das ist die eine Sache. Was ich aber auch ganz spannend finde in dem Zusammenhang, ist die Frage: Was macht eigentlich Politik heute? Und wie boxen sie solche Projekte durch, halten dabei vermeintlich alle Regeln ein, alle Spielregeln, zumindest erstmal vordergründig. In Wahrheit wird hier das Großkapital bedient. Fünf Millionen Euro an Subventionen fließen an Rothkötter. Wenn ich mir vorstelle, fünf Millionen hier investiert, in diesen Ort, da hätten wir Arbeitsplätze in mindestens gleicher Höhe auf eine viel längere Zeit. Und der Ort würde tatsächlich Geld verdienen. Das wird er ja nicht, wenn so ein Schlachthof kommt. Also diese beiden Dinge finde ich ganz, ganz spannend. Denn alle regen sich darüber auf, was macht Politik heute. Die Menschen sind politikverdrossen. Das ist ja gar kein Wunder.

SB: Wieviele Mitglieder hat die Bürgerinitiative mittlerweile?

NJ: Über 700. Der Großteil ist hier aus dem Ort. Aber natürlich auch aus den Gemeinden ringsherum. Es gibt zum Teil auch Unterstützer aus dem Ausland, da gibt es eine Handvoll ...

UH: Die hier Urlaub machen, aus der Schweiz. Die sagen: Das darf nicht wahr sein ...

NJ: Das darf nicht sein, ja. Denn wir wollen hier nicht mit dem Rad von Maststall zu Maststall radeln. Sondern wir wollen hier irgendwie die Natur so belassen.

SB: Sie sind ja in der Partei "Die Linke". Hat die Bürgerinitiative einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Linken oder ist der Widerstand gegen die Schlachtfabrik letztlich parteiübergreifend?

NJ: Das ist ganz interessant und macht auch eigentlich sehr viel Spaß. Wir haben in der Bürgerinitiative Tierschützer. Wir haben Leute, die aus der christlichen Überzeugung gegen diese Massentierhaltung sind. Wir haben politisch überzeugte aus allen Parteien. Aus allen Parteien. Und ich bin dann irgendwann gebeten worden, weil man einen Vorsitzenden suchte. Dann wurde ich gefragt, Mensch, willst du das nicht machen. Weil ich eben auch dagegen war. Ich bin natürlich parteipolitisch engagiert, mache das aber völlig unabhängig von dieser Parteischiene. Das versuche ich auch ganz konsequent auseinanderzuhalten.

SB: Macht das die BI auch für andere zugänglicher?

NJ: Ja, das macht sie für andere zugänglicher. In Wahrheit mache ich dann natürlich auch wieder Werbung für meine Partei, wenn die sehen: Der kann sich da neutral verhalten und trommelt nicht immer auf den linken Busch.

Ursula Helmers


Ursula Helmers
Foto: © 2010 by Schattenblick

UH: Das fällt mir schon schwerer. Ich bin Mitglied in der SPD. Wie Herr Juretzko auch vorher ...

NJ: Wir waren 39 Jahre in der SPD ...

UH: Er ist leider abgesprungen. Aber ich überlege, ob ich länger in dieser Partei bleiben kann. Aufgrund dieser Dinge. Weil die SPD in dieser Frage eigentlich eine, ich sage mal, sehr verlogene Haltung hat. Sie argumentieren tatsächlich so: Der Schlachthof ist gut, wir wollen den Schlachthof, aber keine Mastanlage.

SB: Das ist ein Widersinn.

UH: Ich habe es in dieser Partei erlebt - ich habe früher einmal tatsächlich in der SPD gearbeitet und war hier im Unterbezirk in Celle angestellt. Dadurch kenne ich viele Leute, Ortsvereinsvorsitzende, und, und, und. Die habe ich also bombardiert und habe gesagt: Ihr könnt nicht für diesen Schlachthof sein, aber gegen Mastanlagen. Das ist unmöglich, das bedingt einander. Und dann sagen die: Ja, aber die Mastanlagen, die wollen wir nicht. Sie haben einfach keine Position, für sie zählen nur die Arbeitsplätze.

SB: Ein Argument der Schlachtfabrikgegner lautet, daß diese Arbeitsplätze üblicherweise an Osteuropäer unter Niedriglohnbedingungen vergeben werden.

UH: Das ist für uns ein ganz schwieriges Feld. Weil wir auch einfach keinen Einblick haben, was diesen Rothkötter angeht. Von der Schweineschlachtung der Fleischindustrie weiß man das. Aber beim Geflügel, da weiß man das nicht so ganz genau, und wir Politiker durften ja diesen Betrieb besichtigen. Die haben behauptet, es seien alles deutsche Arbeitnehmer. Daraufhin haben einige Besucher gesagt: Naja, da haben wir aber andere Töne gehört, und warum wird da Deutschunterricht gegeben? Die Antwort lautete: Das sind Deutsch-Russen, die wohnen im Nebenort. Von denen werden alle hier beschäftigt.

Es wird immer gesagt, daß das ein Arbeitgeber ist, der sozial in Ordnung ist. Der zahlt etwas über 10 Euro die Stunde zu Anfang und später 12 Euro 50 im Akkord, es sind Festangestellte. Und wenn besonders viel los ist, wird dazu geliehen. Aber sonst ist es ein fester Stamm, er baut einen Kindergarten, und sie hätten mit dem Arbeitgeber keine Probleme.

Wir haben bei den Gewerkschaften nachgefragt, und die haben gesagt: Tut uns leid, wir haben da keinen Fuß drinnen. Da waren Betriebsratswahlen, da wurden wir nicht reingelassen. Wir haben - leider anonyme - Hinweise darauf, daß Jobagenturen für Rothkötter Leute sammeln. Es gibt auch Anzeigen in der Zeitung, die sie uns auch zugeschickt haben.

NJ: Das deutet darauf hin, daß da eben doch Leiharbeitsfirmen sind.

SB: Heißt das, daß die zehn Euro nur an die Leiharbeitsfirma gezahlt werden?

UH: Das haben sie bei der Gewerkschaft gesagt: Die Leute fliegen raus und werden dann über die Leiharbeitsfirma wieder für 7 Euro 50 eingestellt. So liefe das. Aber wir erhalten da keine gesicherten Informationen.

NJ: Aber wenn man eins und eins zusammenzählt, gibt es schon eine Tendenz. In Münster läuft jetzt gerade ein Prozeß gegen solche Leiharbeitsfirmen, die 14 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Diese Leiharbeitsfirmen haben für alle gearbeitet, Wiesenhof, Stolle, wie sie alle heißen. Das ist ein sehr umkämpfter Markt. Wo knallhart mit Preisen kalkuliert wird. Ich weiß nicht, wie Rothkötter es schaffen sollte, fast das Doppelte an Löhnen zu bezahlen und trotzdem am Markt durchzuhalten. Das heißt also, alle Indizien, die wir haben - jetzt auch wieder über diesen Prozeß - zeigen uns, daß er im Prinzip dasselbe macht wie alle anderen auch. Nur: Wir können kein Papier auf den Tisch legen und sagen: Hier, das ist der Beleg.

SB: Wie ist die Perspektive auf Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinde? Gibt es da irgendwelche Aussichten?

NJ: Nein. Der Bürgermeister sagt selbst, Steuereinahmen wird es in den nächsten Jahren nicht geben, weil das eben eine große Investition ist und man erstmal davon ausgeht, daß er abschreibt ...

UH: Im ersten Jahr gibt es keine Steuereinnahmen.

Norbert Juretzko


Norbert Juretzko
Foto: © 2010 by Schattenblick

NJ: Es wird Grundsteuer geben. Im Jahr sind das für dieses Gelände circa 60.000 Euro. Aber das ist auch nichts, was die Gemeinde umhauen sollte. Umgekehrt wäre zu fragen, was da vielleicht an anderen Menschen wegbleibt. Das haben wir in einigen Fällen erleben können. Viele Leute, die vorhatten hierherzuziehen, machen es nicht, weil dieser Schlachthof kommt. Das ist eine klare Tendenz. Ich weiß das von einem ganz konkreten Fall, der hatte sich hier umgehört und bei der Gemeinde nach Grundstücken gefragt. Als er das dann hörte, ist er abgesprungen und hat gesagt: Nee, das will ich nicht, da ziehe ich nicht hin. Gerade auch bei den Jüngeren, die frisch hierhergezogen sind, haben wir sehr viele Mitglieder. Die kommen unter anderen Voraussetzungen hierher und sagen: Mensch, dieser Gestank, das wollen wir alles nicht mehr.

SB: Ist denn das Tourismusargument überhaupt valide? Es gibt das Argument, daß dann der Tourismus wegbrechen wird und daß es Einnahmeneinbußen geben würde.

NJ: Na, ob der wegbricht, das kann man so natürlich nicht sagen. Aber Einbußen gibt es schon. Man kann schwerlich für den Tourismus und das schöne Aller-Leine-Tal Werbung machen, Reiterferien und so weiter empfehlen, wenn hier überall Mastställe gebaut werden, die gebraucht werden. Also 400, 450 Mastställe müssen gebaut werden.

SB: Ist es zu erwarten, daß einige davon hier ganz in der Nähe entstehen?

NJ: Je dichter sie dran sind, desto kostengünstiger kann er produzieren. Das ist einfach so.

UH: In Celle liegen drei Bauanträge von Landwirten vor. Ich denke, daß die Landwirte nicht so unklug sein werden, früh damit rauszukommen. Die werden warten. Da laufen Verhandlungen. Wiesenhof hat ja auch bei den Landwirten geworben, Rothkötter und Wiesenhof. Ich nehme an, die werden nicht so unklug sein, wenn sie für Rothkötter mästen wollen, daß sie das so früh sagen. Die warten, bis er eine Baugenehmigung erhält. Erst danach ist damit zu rechnen, denke ich. Andererseits sagen viele, Heidebauern sind keine Mäster und machen das nicht so leicht.

SB: Was sagen die Bauernverbände dazu? Wie fallen deren
Stellungnahmen aus?

UH: Der Deutsche Bauernverband unterstützt eigentlich die Massentierhaltung. Die sagen immer, das ist eine Zusatzeinnahme, die Bauern haben wenig Arbeit davon, und es ist eben eine lohnende Zusatzeinnahme. Dazu kommt jedoch das Problem der Gülle, der Kot von den Hühnern. Das ist ein ziemlich dickes Problem, das die Emsländer, die im westlichen Niedersachsen Massentierhaltung betreiben, schon haben. Da gibt es sogar schon Güllebörsen. Die schicken ja schon ihre Gülle hierher. Wir haben Flächen und nehmen das aus dem Emsland ab. Jetzt kommt also die Massentierhaltung auch noch hierher, und das nächste große Rad, an dem gedreht wird, sind die Biogasanlagen. Die Mega-Biogasanlagen. Damit wird geworben. Das betrifft Mais und ähnliches. Das lohnt sich für die Landwirte. Wir sehen natürlich auch, daß in der Landwirtschaft wirklich ein Strukturwandel stattfindet. Wir werden Mais hier haben und alles, was damit zusammenhängt.

SB: Kann man davon ausgehen, daß auch größere Mengen Hühner importiert werden, beispielsweise aus Brasilien? Was wissen Sie darüber?

UH: Was wir exportieren und was wir importieren, ist ungefähr gleich.

NJ: Das hält sich die Waage.

UH: Ja, das hält sich die Waage. Doch darüber weiß man eigentlich auch nicht so genau Bescheid. Ich habe Ihnen den kritischen Agrarbericht mitgebracht. Da wird beschrieben, wie Subventionen dafür gezahlt werden, daß Fleisch ins Ausland exportiert wird, obwohl man hier immer behauptet, das tue man nicht. Aber die Bundesregierung fährt nach China und verspricht ihnen die Lieferung von Schweinefleisch. Und die werden hier gemästet, ist ja klar. Das kann es doch nicht sein, so ein großes Land.

SB: Der Bedarf in Deutschland an Hühnerfleisch ist ja gedeckt. Das heißt, wenn jetzt eine riesige Schlachtfabrik aufgebaut wird, daß dann exportiert wird ...

UH: Ja, das sagt er auch.

SB: ... und das Fleisch geht ins europäische Ausland. Aber Hühnerreste, die hier nicht verarbeitet werden, da der Konsument immer nur das weiße Fleisch haben will, die werden nach Afrika exportiert.

NJ: Die Hühnerreste gehen dann nachAfrika ...

UH: Da werden die Märkte kaputt gemacht ...

SB: Kann man sagen, daß da im Grunde genommen etwas sehr Ähnliches passiert wie hierzulande, wo die kleinen Bauernhöfe eben auch kaputtgemacht werden?

UH: Ganz genau.

NJ: Das sind aber Bauernhöfe, die wir hier über die Entwicklungshilfe subventionieren ...

UH: Die wir in Gang bringen, damit jeder Bauer zum Beispiel eine Kuh hat ...

SB: Werden solche Fragen im Gemeinderat thematisiert?

UH: Nein!

NJ: Nein, eben nicht! Es wurde ja auch nie wirklich diskutiert. Es gab eine Diskussionsrunde. Der NDR hat das fürs Radio veranstaltet. Es ist keiner gekommen. Da ist der Landrat nicht gekommen, der Bürgermeister ist nicht gekommen. Wer sich getraut hat, war der Kreislandwirt, Herr Mente. Und jemand vom BUND aus Berlin, und eine Dame vom Gewerbeaufsichtsamt.

UH: Und von der Landwirtschaftskammer.

NJ: Aber die, die sozusagen die Entscheidungen treffen, die haben sich nie einer wirklichen Diskussion gestellt, zu keiner Zeit. Ich finde, das zeigt auch, warum die Menschen - ich komme immer wieder auf diesen Punkt - so politikverdrossen sind. Hier an diesem Beispiel kann man genau sehen, woher das kommt. Wir machen ein Bürgerbegehren, und es wird aufgrund von drei fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Wir wissen, bei einer Klage würden wir das gewinnen. Da bin ich fest von überzeugt. Wir haben ja gestern die Klage eingereicht. Und trotzdem wird das abgebügelt, weil der genau weiß, daß die Zeit den Grund für dieses Begehren überholt. Da ging es um Teilfinanzierung und ähnliches. Die Zeit überholt den Grund. Und wenn wir mal recht kriegen, können wir zumindest dieses Begehren, so wie wir es formuliert hatten, nicht einsetzen.

So. Und wie wirkt das auf die Menschen? Auf der einen Seite sollen wir uns beteiligen, wir sollen uns engagieren, und auf der anderen Seite ist das eigentlich nur eine Floskel, weil sie das an allen Ecken und Enden verhindern, wo eine Beteiligung möglich wäre. Ich habe dem Bürgermeister gesagt: Nehmen Sie doch diese Chance, und dann fragen wir doch die Leute. Wir haben doch dieses Instrument. Nein, die haben natürlich Angst davor, weil sie wußten, daß das eine gefährliche Kiste für sie wird.

SB: Wenn man dann noch bedenkt, daß die Futtermittel für die Hühner nicht hier aus Deutschland kommen, sondern als Sojaschrot aus Brasilien. Könnte man nicht sagen, daß dort genau das gleiche geschieht, also daß auch da die Kleinbauern wiederum die Nachteile durch die industrielle Produktionsweise in der Landwirtschaft haben?

NJ: Wir versuchen den Landwirten immer zu sagen: Wir sind ja eigentlich für euch. Wir wollen ja die Landwirtschaft erhalten. Ich finde, ein Landwirt, der von morgens bis abends arbeitet, der Geflügel züchtet in einem vernünftigen Rahmen, der muß damit auch ordentlich verdienen. Der muß davon leben können und der soll auch Geld dafür bekommen. Da wird sich das Verhalten aller etwas verändern müssen. Wir müssen vielleicht ein bißchen weniger Fleisch essen, und dann können wir es auch ordentlich bezahlen, wenn der dann Arbeitskräfte beschäftigt, die auch vernünftig entlohnt werden. Weil das so ein Kreislauf ist. Die sagen, das muß ja so billig sein, weil die Leute kein Geld haben. Ja, warum haben sie keines? Weil bei den Leuten in Wahrheit nur 6 Euro ankommen, oder 6 Euro 50. Also, irgendwo müssen wir mal anfangen, diese Schraube zurückzudrehen.

SB.: Stehen Sie in Kontakt mit dem Bauernverband vom Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft?

NJ: Ja. Mit denen stehen wir in einem engen Kontakt. Die verstehen natürlich auch unser Anliegen. Die reden ja dasselbe wie wir. Nur der Bauernverband selber, hier bei uns, hält sich noch sehr zurück. Weil er selber unsicher ist, ob das hier eine Zukunft hat. Mich hat ein Landwirt aus dem Emsland angerufen - leider anonym, ich konnte das nicht mehr zurückrecherchieren -, der sagte: "Herr Juretzko, machen Sie bloß weiter. Ich habe das gemacht mit dem Geflügel. Ich kann mir eigentlich nur noch einen Strick nehmen." Der hat fast geweint am Telefon. Der hat gesagt: "Ich bekomme jetzt pro Huhn 4 Cent. Der macht mich kaputt über den Futtermittelpreis, und tariert das so sauber aus, also über den Preis für Futtermittel und den Ankauf von Fleisch." Der sagte: "Ich kann mir den Strick nehmen!" Ich habe längere Zeit mit dem gesprochen. Da kann man nicht so drüber weggehen, denke ich.

SB: Die Investitionen sind ja auch hoch. Eine halbe Million Euro für den Aufbau eines Mastbetriebs muß erstmal wieder reingeholt werden. Das ist kaum möglich, wenn dann auch noch die Preise gedrückt werden. Gibt es da auch eine landespolitische Dimension in dem ganzen Fall, wird das in Hannover in irgendeiner Weise reflektiert?

UH: Auf jeden Fall, natürlich. Das gibt es einen Herrn Ehlen, der hat ja ...

NJ: ... den fiktiven Wald erfunden.

UH: Genau. Weil wir zuviel Wald haben, ist das alles hier ein bißchen beschränkter, und deswegen wollte man das Waldgesetz verändern. [2]

NJ: (lacht) Ich war dann schon beruhigt und habe gedacht: Naja, wenn der Wald fiktiv wird, dann wird ja vielleicht auch der Schlachthof fiktiv. Das war leider, leider nicht korrekt zuendegedacht.

UH: Und jetzt haben wir eine neue Landwirtschaftsministerin, Frau Grotelüschen, die aus der Kükenbranche kommt.

NJ: Die steht auf der Seite derer, die das vorantreiben wollen. Da ist ja auch viel Geld zu vergeben. Die EU lobt Fördermittel aus, die verteilt dann am Ende die Landesregierung von Niedersachsen.

SB.: Aus dem Agrarfond oder dem Strukturfond?

NJ: Aus dem Strukturfond. Die haben dann eben ihren Titel und sagen: Jetzt geben wir auch das Geld dafür.

Ursula Helmers


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UH: Das ist auch etwas, was wir versucht haben. Wir haben gefragt: Erfüllt er eigentlich die Bedingungen für GRW-Mittel? [3] Die sind ja für die strukturelle Entwicklung in strukturschwachen Gebieten. Wir haben auch versucht, etwas über einen Europaabgeordneten zu machen, und der hat dann gesagt: Ja, dann gucken wir mal. Ich glaube, daß sie jetzt ein bißchen strenger draufgucken wollen. Aber Rothkötter bekommt sein Geld.

NJ: Ja, nach dem Motto: Versprochen ist versprochen. Eigentlich sind die Mittel für mittelständische und kleine Unternehmen vorgesehen. Bei einem so großen Schlachtbetrieb kann man doch nicht von Mittelstand reden.

UH: Das ist ein Konzern.

SB: Wenn es für diese Region Strukturhilfe von der EU gibt, dann wird hier auch absichtlich ein Strukturwandel erzeugt ...

NJ: Ja, klar.

SB: Und genau deswegen, wegen dem Strukturwandel durch Schlachtfabrik und Mastställe, wollen Sie ja ein Raumordnungsverfahren anstrengen.

NJ: So ist es.

SB: Wäre die EU-Hilfe nicht ein Argument, mit dem man die Forderung nach einem solchen Verfahren begründen könnte?

NJ: Wir haben von Anfang an gesagt, daß das Raumordnungsverfahren das einzige Mittel wäre, um das Projekt in Gänze zu betrachten. Aber das wurde bisher nicht gemacht. Sie betrachten den Schlachthof und all diese "kleinen" Mastställe, aber sie wollen das Ding nicht in Gänze betrachten. Weil daran deutlich würde, daß das eine ganz andere Dimension hat. Dann würde auch nicht so einfach eine Genehmigung erteilt.

SB: Können Sie von der Bürgerinitiative solche Fragen der Bevölkerung vermitteln?

NJ: Wir versuchen es, wir haben ja sehr bescheidene Mittel. Wir versuchen es übers Internet, wir versuchen es über die Informationen an die Mitglieder, über Presseerklärungen, über öffentliche Briefe, wir schreiben die Ministerien an. Und wir haben bei prominenten Bürgern in ganz Deutschland darum geworben, daß sie uns unterstützen, einfach indem sie in unserem Sinne Stellung beziehen. All das machen wir. Aber es ist natürlich ein schweres Feld, das da zu beackern ist.

UH: Was da formal abläuft, diese ganzen Genehmigungsgeschichten, dazu sagen selbst die Fachleute, daß das für Laien schwer durchschaubar ist. Ich glaube, es gibt neun nebeneinander laufende Verfahren. Zu Abwasser, Oberflächenwasser, das BImsch-Verfahren [1], die Bauleitplanung für alle Teilgebiete. Das alles läuft parallel ab, und die Möglichkeiten einzugreifen, sind sehr beschränkt. Bürgerinitiativen sind nicht klageberechtigt, sie sind keine Betroffene. Das ist eine ganz komplizierte Geschichte. Beim BImsch-Verfahren [1] hat das Gewerbeaufsichtsamt hinsichtlich der Einwendung, das raumordnerisch zu betrachten, das heißt, die Mastställe als mit der Schlachtfabrik zusammengehörig und damit raumbedeutsam anzusehen, gesagt, daß es das versteht. Dort sieht man das auch so. Aber in diesem Verfahren habe das eigentlich keine Bedeutung, man betrachte nur den Schlachthof, das andere gehöre nicht hierher.

Die Gesamtbetrachtung gehört in keines der Verfahren. Es müßte schon politisch gewollt sein und dann auf den Weg gebracht werden. Da sehen wir kaum eine Chance. Im Kreistag gibt es jetzt allerdings auch in meiner Partei die Anträge, die aber wahrscheinlich immer unterlegen sein werden, an der sich neben der SPD auch Grüne und vielleicht noch FDP beteiligen, ein Raumordnungsverfahren einzuleiten. Aber ein Raumordnungsverfahren allein für den Kreis reicht ja auch nicht. Es müßte ein Landesraumordnungsverfahren sein.

SB: Wird die Frage der Tierverwertung in der Bürgerinitiative kritisch reflektiert?

UH: Das ist ganz interessant. Am Anfang hörten wir immer das Argument: Ihr wollt den Leuten das billige Fleisch verweigern. Es gibt Leute, die können sich das nicht erlauben, denen wollt ihr das verweigern. Wir haben gesagt: Keine Spur. Wir essen alle zuviel Fleisch. Man kommt auch auf diese Diskussion, die eine völlig andere ist: Wie leben wir? Können wir so leben? Haben wir das Recht dazu? Und: Was bedeutet das eigentlich für unsere Umwelt? Das ist ein ganz interessantes Thema. In unserer Bürgerinitiative hat es eine kleine Arbeitsgruppe dazu gegeben, die zwar auch nicht so konzentriert arbeiten kann, weil alle auch beschäftigt sind, aber die auch versucht, und das ist sehr schwer, Alternativen zu entwickeln. Sie wollen Flyer drucken und die Menschen auffordern, vernünftiges Fleisch zu kaufen und sie darüber zu informieren, wo sie dies in der Umgebung überhaupt bekommen. So gibt es einen Neuland-Schlachter in Hermannsburg, 40, 50 Kilometer von hier entfernt. Es gibt in Supermärkten kleine Theken, wo es Biofleisch gibt. Aber an sich gibt es relativ wenig Angebote für Alternativen. Es wäre schön, das mit den Landwirten gemeinsam hinzubekommen. Aber wir sind keine Landwirte, wir kennen die Strukturen nicht, wir haben keine Ahnung. Es geht also darum, sie zu motivieren, das zu versuchen. "Pro Vieh" zum Beispiel ist bereit, Bauern zu beraten, wie sie ihre Betriebe umstellen. So etwas den Landwirten hier empfehlen, das ist unser Anliegen.

Natürlich sind wir auch mit dem Landvolk im Gespräch, das allerdings nicht so richtig anbeißt. Der Kreislandwirt ist recht bodenständig und zögert ein wenig. Es gibt ja nur wenig Landwirte in unserer Region, und die haben sich so aufgestellt, daß sie über die Runden kommen. Die haben kein so großes Interesse daran. Im Wendland, denke ich, ist das anders. Dort gibt es viele Angebote. Aber es geht für diese Bauern eben auch darum, von diesem Hofladenverkauf wegzukommen und selber mal eine Vermarktung zu versuchen.

Wir waren einmal bei einer Veranstaltung für interessierte Landwirte, da hat ein Vertreter der Landwirtschaftskammer einen Vortrag über die Verdienstmöglichkeiten gehalten. Laut ihm ist die Eiererzeugung jetzt, da es diese neue Verordnung gibt, günstig. Da könne man Gewinne machen. Vorher waren die Käfigeier so billig, da sprang nichts bei heraus. Dann wurde auf die Mast verwiesen, aber vorsichtig gewarnt und gesagt, daß diese Systeme von Rothkötter und Wiesenhof sehr gut sind, aber wenn eine Vogelgrippe ausbräche, dann gäbe es sofort ein Überangebot, und dann würde der Fleischpreis sinken. Das werde bei denen hier nicht passieren. Wenn eine Vogelgrippe ausbricht, dann werde nur ein paar mal der Stall nicht besetzt. Dann sagen die: Hört mal für diese Zeit auf, ihr kriegt keine Küken, ihr kriegt kein Futter. Aber dann müssen die Bauern natürlich zahlen. Das hat die Leute etwas aufgeschreckt.

Die von der Landwirtschaftskammer warnen vorsichtig, empfehlen die Hähnchenmast vielleicht, und sagen, wenn man gut arbeitet, kommt man über die Runden. Ein Drittel der Bauern macht Gewinne, ein Drittel liegt bei plus/minus null und ein Drittel fährt Verluste ein. So sieht das aus. Wir waren da ein bißchen die Exoten in diesem Kreis, haben ganz artig unsere Fragen gestellt und kamen dann mit den Bauern ins Gespräch, wo einer von den Landwirten sagt: Ja, warum vermarkten wir unsere Sachen nicht selbst? Das war kurz vor Weihnachten. Und dann sagte einer: 'Ich kriege überhaupt keine biologische Gans!' - also eine Gans wie vom Bauern - und ein anderer rief: 'Ich hab' noch eine.' So war die Stimmung dort. Es gibt also vielleicht ein paar Bauern, die man ansprechen könnte. Ich denke, darin würde eigentlich eine Chance liegen. So daß wir nicht die Verbraucher sind, daß die Bauern uns nicht als Verbraucher, sondern als Kunden kennen. Das wäre vielleicht etwas, was ich mir als Zusammenarbeit vorstellen könnte.

NJ: Da sind wir als Bürgerinitiative insofern natürlich auch überfordert, weil wir im Moment schon so eine Art Rundumservice machen. Es rufen uns Bürgerinitiativen an, die haben dann fünf Mitglieder, und fragen uns: Hier soll ein Stall geplant werden, kommt mal gleich her, wir machen morgen eine Großdemo. Und wir können vor Arbeit eigentlich gar nicht mehr aus den Augen gucken. Wir machen im Prinzip eigentlich fast gar nichts anderes, und wenn wir jetzt auch das Feld beackern wollten ...

UH: Alternativen zu schaffen ...

NJ: Alternativen zu schaffen, Angebote zu machen, Produktangebote, das funktioniert nicht. Wir sind da so schon an der Grenze des Möglichen. Was wir machen ist, wir sammeln positive Beispiele. Es gibt ja Hähnchenmäster, die das wirklich sehr ordentlich machen. Die auch viel produzieren, aber freilaufende Tiere. Wir sind jetzt gerade dabei, das einmal fürs Internet zu dokumentieren, einen kleinen Film zu machen, das die Menschen sehen, es geht auch anders. Auch mit 5.000 Hühnern, die dann eben drei oder vier Monate leben, und nicht da in ...

UH: In 42 Tagen ...

NJ: In 42 Tagen schlachtreif sind. Tiere, die eigentlich dann am Ende mit Hähnchen nicht mehr viel zu tun haben. Wenn man sich die mal anguckt, die können eigentlich gar nicht mehr laufen, die können gar nicht mehr stehen.

Ursula Helmers mit SB-Redakteur


Ursula Helmers mit SB-Redakteur
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UH: Das ist ja eine Erlösung im Grunde genommen, nicht?

NJ: Die fallen vornüber aufgrund des ganzen Gebäudes, dieser Gen- Veränderung. Das ist einfach nur ein Drama und es ist widerlich.

UH: Einfach widerlich.

NJ: Ich bin kein Vegetarier. Das werde ich auch nicht, das habe ich auch nicht vor, weil ich auch mal gerne gut esse, auch mal Fleisch esse. Aber das hat meinen Geflügelkonsum schon drastisch verändert.

SB: Deswegen wäre vermutlich auch gut, diesen emotionalen Effekt mit hineinzubringen. Das machen Sie ja auch ...

NJ: Natürlich. Wir haben das bei einer Demonstration vor der Schule während eines Anhörungstermins erlebt. Einer unserer Bewohner aus dem Reihernweg 1a - ich sage immer Reihernweg 1a, das klingt ein bißchen netter als "Besetzer" -, hat sich als totes Huhn auf die Straße gelegt, mit Farbe beschmiert und so weiter. Daraufhin haben wir böse Anrufe von Eltern erhalten, die dagegen protestierten, daß man so etwas macht, weil es die Kinder verstört habe und so weiter. Diesen Anrufern habe ich immer gesagt: Fahren wir doch einmal mit den Kindern nach Haren in den Schlachthof, dann können sie sehen, wie das Leben wirklich ist: Das war Farbe, das war gespielt und das kann man auch erklären. Das wollen viele einfach nicht wahrhaben. Sie blenden das völlig aus.

UH: Ja, das wird total ausgeblendet.

SB: Wie ist denn das allgemeine Verhältnis der BI zu den Besetzern? Ich finde diese Bezeichnung in Ordnung, weil es sich um eine legitime politische Aktionsform handelt.

NJ: Das Verhältnis ist sehr gut. Wir haben zumindest ein sehr gutes Gefühl, wir betrachten sie auch als eine Unterstützung, weil es dem Ganzen in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit verschafft. Wir helfen ihnen auch, wollen aber insofern eine gewisse Trennung aufrechterhalten, weil wir natürlich nicht so leben wie sie. Wir können es nicht, und wir wollen es nicht. Aber wir akzeptieren das, und sie erhalten unsere Unterstützung. Fast täglich kommen welche von ihnen hier zu mir, weil sie unter die Dusche gehen oder ins Internet wollen oder ähnliches. Das machen wir. Aber es ist von der Art und Weise, wie man mit dem Problem umgeht, natürlich ein Unterschied. Erreichen können wir nur etwas über Prozesse, über juristische Verfahren, die wir jetzt angehen.

UH: Es ist so, daß sie sich aus unserer Arbeit raushalten und wir uns auch aus ihrer. Sie wollen auch gar nicht, daß wir wissen, was sie tun. Sie planen ihre Aktionen völlig unabhängig. Da werden wir gar nicht informiert und es ist auch okay so und wir wollen das auch so. Und es gab schon eine bedrohliche Situation, bei der es zu einer gewissen Auseinandersetzung kam. Herr Juretzko hat in diesem Fall die Polizei benachrichtigt. Daß die anrückte, fanden sie überhaupt nicht gut. Wir haben jedoch gesagt, daß wir mit der Polizei hier sehr gute Erfahrungen gemacht haben. So fand im Februar, als die neuen Zahlen herauskamen, eine Demonstration statt, da sind Bürgerinitiativen aus anderen Orten hier aufgelaufen. Wir standen vor dem Problem, wie man überhaupt eine Demonstration anmeldet, das hatten wir noch nie gemacht. Das mußten wir erst beim Landkreis einreichen, dort wurden wir mit der Polizei konfrontiert und haben das mit ihr hinbekommen. Ich fand, daß wir eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Beamten hatten.

NJ: Ja, total. Es geht natürlich bei den Polizisten auch durch die Reihen. Da gibt es sicherlich einige, denen es gleichgültig ist, ob der Schlachthof kommt oder nicht. Dann gibt es Befürworter, es gibt aber auch viele Gegner unter ihnen. Deswegen hatte ich auch einen Disput mit denen im Reihernweg. Ich habe ihnen gesagt, daß sie auch einmal davon ausgehen müssen, daß da gerade ein Polizist kommt, der eurer Meinung ist. Wenn man den gleich mit "Bullenschwein" empfängt, ist das vielleicht kontraproduktiv. Und darüber denken sie dann auch nach. Es sind eigentlich ganz intelligente und nette Leute. Wir führen einfach ein offenes Gespräch. Ich habe ihnen erklärt, daß ich mich nicht, wenn jemand an Leib und Leben gefährdet wird, auf dem Feld mit irgendwelchen Rechtsradikalen prügele, sondern die Polizei rufe. Und das werde ich immer machen. Nicht als Vorsitzender der BI. Sondern das mache ich, weil das einfach meine Pflicht ist, weil das meine einzige Handlungsoption ist. Und das haben sie auch verstanden.

SB: Sie müssen damit rechnen, daß es eines Tages zur Räumung kommen wird. Das dürfte, je nachdem, wie stark der Widerstand ist, auch überregionale Beachtung finden. Wie schätzen Sie die Rückwirkung auf Ihr Anliegen ein?

NJ: Ich meine nicht, daß es schadet.

UH: Nein, das glaube ich auch nicht.

NJ: Das glaube ich nicht. Im Gegenteil, es wird dann noch einmal wieder mehr darüber gesprochen werden, wobei ich das natürlich nicht schön fände, wenn auf so eine Art und Weise geräumt werden müßte. Ich bin auch gar nicht sicher, ob das in absehbarer Zeit bevorsteht. Ich habe nicht den Eindruck. Sie waren ja noch so nett und haben den Pächter gefragt, und der hat ersteinmal ja gesagt. Und dann, als er gesehen hat, welche Dimension das hat und er dann nein gesagt hat, war es natürlich zu spät. Sie backen ihren veganen Kuchen und bringen ihn zu einer älteren Dame, die gar nicht weit von hier wohnt, die Besitzerin des Geländes. Also es ist alles sehr sympathisch und auch wert, daß man sich um sie kümmert. Und das machen wir auch. Und trotzdem müssen wir natürlich anders agieren. Die Bürgerinitiative ist auch deshalb so groß, weil wir es organisieren. Meine Aufgabe war es, das ganze auch ein bißchen straff zu führen, ein bißchen die Zügel in der Hand zu haben, und das ist natürlich ein anderer Umgang als bei denen da draußen. Die machen dann ein Plenum, dann dauert das zwei Stunden, und dann wird es vertagt auf den nächsten Tag. Entscheidungsfindungen dauern länger. Und wir diskutieren die Dinge zwar auch, aber wir haben dann auch eine klare Aufgabenverteilung. Man kann eine Bürgerinitiative nur so führen, sonst funktioniert es nicht.

SB: Mitglied in der Bürgerinitiative zu sein heißt ja noch nicht, aktiv daran teilzunehmen.

NJ: Aber man muß natürlich bestrebt sein, alle mitzunehmen. Wir haben Mitglieder der CDU, und für die bin ich als Vorsitzender genauso verantwortlich wie für meinen Parteifreund. So sehe ich das auch, das meine ich auch wirklich so. Und von daher muß man da eine ganz klare Furche pflügen, man darf nicht rumlavieren. Und ich denke, das machen wir, wir sprechen die Dinge intensiv ab.

UH: Was wir alles in dieser Zeit lernen. Wie ist damit umzugehen: Dürfen die das? Wann dürfen sie besetzen? Wie sieht das juristisch aus? All solche Dinge. Wir lernen ungeheuer viel. Und, wie gesagt, anfangs war es der Schlachthof, und jetzt sind wir bei der Ernährung. Wenn man es überblickt, dann kommt man auf so viele Felder, die man eigentlich alle beackern möchte, und die auch alle wichtig wären, aber was wir gar nicht so leisten können.

Norbert Juretzko


Foto: © 2010 by Schattenblick

NJ: Es findet ein gegenseitiges Geben und Nehmen statt. Ich lerne auch unwahrscheinlich viel. Einmal wollten sie nach Lüchow zu einer Demonstration. Ich habe sie hingefahren, und weil ich leidenschaftlicher Koch bin, haben sie mir auf der Fahrt erzählt, was sie so kochen und wie sie kochen. Auf der Rückfahrt habe ich gesagt, jetzt notiert ihr euch einmal ein paar Salatdressings. Die sind auch vegan, aber die schmecken. Und da waren sie ganz von den Socken. Am nächsten Tag stand dann einer von ihnen in der Tür mit einem Schüsselchen und sagte: Guck mal, wir haben dein Himbeer-Dressing gemacht (Lachen). Dankeschön, morgens um zehn. Wunderbar. Ich hab mich gefreut und habe das dann artig weggelöffelt.

Aber es hat auf der menschlichen Seite etwas sehr, sehr Angenehmes. Das macht mir unwahrscheinlich viel Spaß. Man muß eben auch manchmal sagen: Leute, wenn wir uns verabreden und ich wenig Zeit habe, euch hin und her zu fahren, dann müßt ihr auch pünktlich sein. Da bin ich dann auch so. Da muß man sich einfach in die Augen gucken. Und das verstehen die auch. Wir haben eigentlich keine Probleme.

UH: Was zu der ganzen Problematik auch noch gehört: Es gibt Leute, die outen sich und sagen, ich bin dagegen. Und es gibt Befürworter, die gehen - da muß man vorsichtig sein - so ein bißchen grob damit um. Die sagen, irgendwo muß das ja herkommen, also so ein bißchen proll-artig. Jugendliche häufig, auch die, die den Besetzern gegenüber auffallen ...

NJ: Ein bißchen rechts orientiert ...

UH: Ja. Genau. Aber es gibt kaum hier im Ort Leute, die einem entgegenkommen und sagen, warum bist du eigentlich dagegen, das ist doch eine schöne Sache. Die Befürworter des Schlachthofs, die es sicherlich gibt, kommen nicht aus der Deckung.

SB: Gibt es nicht eine Webseite, die für die Geflügelfabrik ist?

NJ: Ja, so eine Art Weblog. Das ist nicht besonders charmant gemacht und war, so glaube ich, wohl eher eine Promotion-Geschichte, um überhaupt einmal etwas dafür zu machen. Der Bürgermeister leidet schon darunter, das wir natürlich sehr stark trommeln und eigentlich auch nichts auslassen, um Dinge öffentlich zu machen und auch anzuprangern. Er leidet natürlich darunter, daß er kein Instrument hat. Da gab es einen Rundbrief der CDU, da schrieb er dann dummerweise auch noch hinein: "Wo sind denn eigentlich unsere Leute?"

UH: "Wir sehen eure Gesichter nicht."

NJ: Das bekommt er natürlich dann von uns schön prominent ins Internet gestellt und kann das dann noch einmal nachlesen. Das macht natürlich ein bißchen Stimmung.

SB: Der Bauernstand in Niedersachsen gilt seit jeher als sehr konservativ. Könnten Sie sich als Mitglied der Partei Die Linke vorstellen, daß es bei diesen Menschen, die ihr Leben lang CDU gewählt haben, aufgrund der veränderten Bedingungen ihrer Produktion zu so etwas wie einer Politisierung von Links her kommen könnte?

NJ: Also ich glaube, manche denken immer noch, linke Politik ist etwas Revolutionäres. Das hat natürlich immer auch etwas mit Veränderung zu tun, aber eigentlich ist linke Politik auch immer etwas sehr Konservatives. Weil wir Landwirtschaft bewahren wollen, wie sie jetzt ist. Das wollen die Linken. Auch die Grünen und auch weite Teile der SPD. Und weil wir das wollen, ist das konservativ. Erzkonservativ. Aber wir tragen natürlich als linke Politiker jetzt so ein Schild vor uns her, da ist ein Stempel drauf, und es wird eine Weile dauern, bis die Menschen erkennen, daß da vielleicht doch noch was anderes dahinter steckt, als man plakativ zur Kenntnis nimmt.

UH: Also wenn der Kreislandwirt Kontakt mit uns aufnimmt, dann nicht mit Herrn Juretzko. (Lachen) Dann ruft er andere an.

NJ: Oder ein anderes nettes Beispiel, weil das gestern gerade passiert war: Wir hatten einen Anwalt eingeschaltet, der ist bei den Grünen, wußte aber offensichtlich nicht, daß ich der Partei Die Linke angehöre. Ich hatte schon mehrmals mit ihm telefoniert, ein sehr kompetenter und fleißiger Mann. Und dann fragte er: "Holen Sie sich denn finanzielle Verstärkung für das Verfahren, das Bürgerbegehren?" Ich sagte: "Ja, wir werden bei den Grünen anklopfen, bei den Linken anklopfen." Da sagte er: "Machen Sie das nicht bei den Linken, nachher schreiben die das noch auf ihre eigenen Fahnen." Ich sagte: "Ja, dann werde ich das vielleicht lassen." Ich habe das dann nicht offengelegt, denn das wäre ihm dann peinlich gewesen. (Lachen)

SB: Sie sehen eben nicht aus wie ein Linker.

NJ: Nein. Und ich war viele Jahre Stadtverbandsvorsitzender der SPD in Celle. Ich war fast 39 Jahre in der SPD. Ich bin aber ausgetreten - und auch deshalb nicht bei den Grünen eingetreten -, weil die Auslandseinsätze der Bundeswehr für mich als ehemaligen Offizier ein Ding der Unmöglichkeit sind. Ich bin strikt dagegen und könnte es auch begründen, das will ich aber an dieser Stelle nicht tun. Man hat trotzdem, wenn man so lange Sozialdemokrat war, plötzlich das Gefühl, die Menschen machen einen dafür verantwortlich, daß es einmal die DDR gegeben hat. (Lachen) Das ist wirklich eigenartig. Also sogar Parteigenossen der SPD, die ich seit vielen Jahren kannte, die grüßen mich heute nicht mehr. Ich habe für den damaligen Landratskandidaten der SPD wirklich aufwendigen Wahlkampf gemacht, also meine ganze Freizeit geopfert, es war alles sehr engagiert, und auch im nachhinein war das richtig, und dazu stehe ich, aber der sagt mir heute nicht einmal mehr Guten Tag. Das ist etwas, was ich nicht verstehen kann. Nur, ich konnte in der SPD nicht bleiben wegen der politischen Gesamtentwicklung, die Partei hat sich so ein wenig aufgelöst, hat ihre Klientel vergessen, verloren, und die Auslandseinsätze haben für mich dann das Maß vollgemacht.

SB: Da stehen Sie nicht allein mit da. Es gibt ja genügend SPD-Politiker, die diesen Weg vollzogen haben.

UH: Genau. Was ich nachvollziehen kann, was ich mir eigentlich vor ein paar Monaten nicht hätte vorstellen können, die Partei zu verlassen, mit all den Schwächen, die sie hat. Aber in dieser Frage bezieht sie einfach keine Position. Und das stört mich ungeheuer. Ich habe meine Genossen im Landtag als SPD-Mitglied angeschrieben und gefragt: Nun sagt mir doch einmal, wie ihr zu der Landwirtschaftspolitik steht? Was haltet ihr davon? Es kommt keine Aussage. Sie verweigern sich. Bis hoch zum Parteivorstand. Gut, da haben einige gesagt: Schenk' es dir, mach das nicht, schreib da nicht hin, aber sie haben keine Position dazu. Das stört mich massiv. Ich denke, es ist so ein spannendes und so ein wichtiges Thema. Über dieses Thema kommt man so ins Nachdenken, weil die ganze Art unseres Wirtschaftens in Frage gestellt wird.

NJ: Und die Vorgehensweise der Politik. Das muß ich immer wieder betonen.

UH: Und die Vorgehensweise der Politik, ja. Das verstehe ich nicht. Da ist die SPD im Landtag in der Opposition, aber sie bezieht keine Position.

NJ: Sie eiert rum und laviert. Anstatt zu sagen: Wir wollen das nicht, sagt sie: Doch, den Schlachthof wollen wir, da gibt es 250 Arbeitsplätze. Was Mastställe betrifft, da sind wir natürlich dagegen. Wie kann jemand, der einigermaßen gesund im Kopf ist, so etwas behaupten?

UH: Die Sprecherin im Landwirtschaftsausschuß, Karin Stief-Kreihe, SPD, kommt aus Meppen, sagt: Rothkötter ist ein toller Arbeitgeber, da können wir nichts gegen sagen. Aber das Emsland ist voll mit Mastbetrieben. Und sie hält im Landtag eine Rede, an die CDU gerichtet, und sagt: Hier haben sie alles kaputt gemacht, hier ist es nicht mehr möglich, hier kann keine Massentierhaltung mehr stattfinden. Es würde sich sofort eine Bürgerinitiative gründen, es ist alles kaputt. Und jetzt wollen sie das gleiche ausdehnen in anderen Breiten. Und sie äußern sich nicht zu dem Schlachthof. Sie kommt hierher und erzählt den Genossen, welche Mittel es gibt, um Mastställe zu verhindern oder um das einzugrenzen, da muß man das Bundesbaugesetz ändern und, und, und. Aber zu dem Schlachthof keine Position. Es ist einfach unglaublich. Das finde ich politisch unglaublich, das verstehe ich nicht.

SB: Frau Helmers, Herr Juretzko, wir bedanken uns für das umfassende Gespräch.

Ursula Helmers, SB-Redakteur, Norbert Juretzko


Foto: © 2010 by Schattenblick

Anmerkungen:

[1] BImsch - Bundes-Immissionsschutzgesetz

[2] Mastställe, die unter anderem Stickstoff in Form von Ammoniak an die Umwelt abgeben, müssen einen Abstand von 150 Metern zum nächsten Wald einhalten. Ammoniak wird hauptverantwortlich für das Waldsterben gemacht, und etwa 90 Prozent der Ammoniakemissionen stammen aus der Tierhaltung. Der frühere niedersächsische Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen hatte einen Erlaß herausgegeben, durch den es möglich geworden wäre, daß ein Maststall unmittelbar neben einem Wald errichtet wird. Der Kniff bestand darin, daß der potentielle Investor einen Antrag auf Abholzung des Walds gestellt hätte, ohne daß er die Absicht gehabt hätte, die Bäume zu fällen. Im Falle einer Genehmigung wären sie stehengeblieben und zu einem "fiktiven Wald" geworden. Der Erlaß wurde wieder zurückgezogen, weil er Bundesrecht brach.

[3] GRW - Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur


Einen ausführlichen Bericht über den Widerstand gegen die Schlachtfabrik finden Sie unter:
Schattenblick → TIERE → REPORT → BERICHT
BERICHT/002: Den größten Geflügelschlachthof Europas verhindern ... BI Wietze und Feldbesetzer (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0002.html

17. Juli 2010