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INTERVIEW/002: Gespräch mit Tierbefreierinnen und Tierbefreiern in Wietze (SB)


Im Rahmen der Berichterstattung [1] zum geplanten Bau des größten Geflügelschlachthofs Europas im niedersächsischen Wietze und den dagegen gerichteten Initiativen ergab sich am 10. Juli 2010 die Möglichkeit eines Gespräches mit den Aktivistinnen und Aktivisten, die das dafür vorgesehene Gelände besetzt haben, um die Schlachtfabrik zu verhindern. Im Interesse der Leserschaft und nicht zuletzt der SB-Mitarbeiter selbst sollte den Tierbefreierinnen und Tierbefreiern Gelegenheit gegeben werden, ihre sozialen Beweggründe und politischen Positionen über ihr aktuelles Anliegen hinaus zu vermitteln. Einige der auf dem Gelände anwesenden Personen kamen - trotz großer Hitze - zu einem fruchtbaren Gespräch zusammen, das als Dokument einer intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung weitgehend originalgetreu mit nur moderater sprachlicher Begradigung wiedergegeben wird. Die Namen der Teilnehmer wurden verändert.

Besetztes Feld am Ortseingang von Wietze

Besetztes Feld am Ortseingang von Wietze
Foto: © 2010 by Schattenblick

SB-Redakteur Stefan: Hättet ihr vielleicht Lust, daß jeder von euch ganz kurz sagt, wie er zu dem Thema gekommen ist? Gibt es jemanden, der den Anfang machen will?

Karl: Ich kann's gerne sagen. Also, bei mir hat es angefangen mit einer Konsumkritik. Ich habe schon von klein auf keine Drogen, keinen Alkohol oder ähnliches konsumiert. Mit 18 habe ich dann gemeint, ich brauche kein Fleisch mehr zu essen, weil ich keinen Sinn mehr darin gesehen habe, Fleisch zu essen, und wurde ersteinmal Vegetarier. Zwei Jahre lang. In der Zeit habe ich mir auch Gedanken gemacht über Tierethik und bin dann zu dem Schluß gekommen, daß, wenn man für Tierethik ist, man auch vegan sein sollte. Dann wurde ich vegan und habe mich mehr mit dem Thema befaßt. Ich habe mich näher mit Tierrechten und Tierbefreiung auseinandergesetzt, wollte aktiv werden und habe Aktionen gemacht.

SB-Redakteur Matthias: Und die Entscheidung, Vegetarier oder Veganer zu werden, wie kam das zustande? Wird so etwas beispielsweise in der Schule auch nur annähernd thematisiert?

Karl: Ich war da schon in der Ausbildung. Ich habe Vegetarier kennengelernt und mir halt selber Gedanken gemacht. Aber in erster Linie wurde ich aus Konsumkritik zum Vegetarier. Und zum Veganer dann aus ethischen Gründen.

SB-Redakteur Stefan: Könnte man zur Ethik sagen, daß es bei ihr darum geht, daß Starke über Schwache verfügen? Für mich ist der Begriff der Ethik auch ein Wissenschaftsbegriff, und mit Wissenschaft habe ich das Problem, daß sie für mich immer auch Herrschaftswissenschaft ist. Der Begriff der Ethik gehört für mich eigentlich dazu. Ich habe mich zum Beispiel mit dem Thema Bioethik näher befaßt, in Bezug auf Medizin, wo es zum Beispiel darum geht, daß Komapatienten Organe entnommen werden und ähnliches. Da stellst du dann fest, daß man Ethik mit allem möglichen befrachten kann, bis dahin, daß du Menschen im Namen der Ethik das Lebensrecht verweigerst.

Zunächst einmal könnte man die Position vertreten und sagen, daß der Mensch ein besonders effizienter Räuber ist - effizient ist vielleicht falsch - ein besonders großer Räuber ist, demgegenüber Tiere generell in der schwächeren Position sind.

Karl: Ja.

SB-Redakteur Stefan: Hinsichtlich der Frage der Schwäche, wie würdet ihr das in Bezug auf innermenschliche Verhältnisse, also auf Verhältnisse zwischen den Menschen sehen? Da gibt es ja jede Menge Formen von Unterdrückung, von oben und unten. Wie seht ihr das mit Blick auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier?

Ellen: Allein geschichtlich ist es ja zum Beispiel so, daß die von Europa nach Südamerika gegangen sind und es lange nicht klar war, ob das denn Menschen waren, die da lebten, die Indianer, die Indios, wie auch immer sie genannt werden. Von daher kann man es vielleicht mit dem Verhältnis vergleichen. Wobei ja inzwischen ein gesellschaftlicher Konsens besteht, daß Menschen mehr wert sind als andere Tiere, und Menschen sich inzwischen zusammen definieren.

SB-Redakteur Matthias: Kommt das für dich aus der gleichen Quelle, daß sich die Unterdrückung der Tiere durch den Menschen letztlich nicht unterscheidet von der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen? Würdest du das so bestätigen? Oder wie siehst du das?

Ellen: Ich sehe das zumindest als gleich schlimm an.

SB-Redakteur Stefan: Ich weiß jetzt nicht, wer von Euch sich speziell als Antispe bezeichnet oder sich da zuordnen würde - es gibt ja daran auch eine Kritik von Linken, die sagen, daß Antispe von der Singer-Ethik herkommt und daß im Grunde die Verhältnisse zwischen den Menschen so sehr relativiert werden, daß Menschen möglicherweise in eine benachteiligte Situation geraten. Was sagst du dazu?

Stefan: Ich lege wert darauf, da keine Wertung mit einzubringen durch ein Ausbeutungsphänomen oder indem man ein Übel mit dem anderen Übel vergleicht. Beispielsweise übe ich schwere Kritik an Holocaustvergleichen. Weil ich sehe, daß da zwei unterschiedliche Formen von krasser Ausbeutung sind, die miteinander nicht vergleichbar sind.

SB-Redakteur Matthias: Den Vergleich hat zum Beispiel Helmut F. Kaplan aus Österreich gezogen.

SB-Redakteur Stefan: Ja, und auch PETA.

Stefan: Ja, so etwas lehne ich ab, weil ich denke, daß das nicht vergleichbar ist. Weil das schon ein Ansatz von Relativierung ist. Das ist ein Punkt der Geschichte, der sich für mich als unvergleichbar darstellt, in den Auswirkungen und auch in den Gründen.

SB-Redakteur Stefan: Das Thema Vergleich ist interessant. Der Mensch wird mit dem Menschen verglichen, und ein Ergebnis ist das der Konkurrenz, das wir in dieser zugespitzten Form in dieser Konkurrenzgesellschaft haben. Für mich stellt sich die Frage, ist vergleichen überhaupt sinnvoll? Von irgendwelchen Wesen miteinander? Geht es nicht immer beim Vergleichen um ein Höher und Niedriger, so daß es für irgendeinen nachteilig ausgeht? Das wollte ich noch einmal zu dem Thema sagen. Ich finde, daß das eigentlich eine ganz wichtige Sache ist.

Holger: Zu den bestehenden Herrschaftsmethoden gehört auch, daß ein Konstrukt aufgemacht wird von Dualismen wie Mensch/Tier. Genauso wie bei zwischenmenschlichen Herrschaftsformen wie Mann/Frau oder die Einteilung in Rassen. Nach dem dekonstruktionistischen Verständnis macht es Sinn, das Mensch-Tier-Verhältnis abzuschaffen, weil es so gar keinen Sinn macht. Weil zum Beispiel Menschenaffen viel näher an Menschen dran sind als Menschenaffen an Regenwürmern. Und deswegen geht es aus einer antispeziesistischen Sicht nicht um eine Abwertung von Menschen. Anders herum geht der Ausbeutung vom Menschen eigentlich auch immer ein Tiervergleich voraus. Beispielsweise indem Menschen die Menschlichkeit aberkannt wird und sie zu Tieren gemacht werden. In diesem Vorgehen wird dann Krieg legitimiert. Das wäre aber im Prinzip gar nicht mehr möglich, wenn man nicht so mit Tieren umgehen würde.

Stefan: Noch ganz kurz ein ergänzender Einwurf. Wenn der Umgang in der Gesellschaft nicht so wäre oder wenn nicht das Verständnis so wäre, mit Individuen oder mit fühlenden Wesen so umzugehen, das heißt sie auszubeuten oder ein Oben-unten-Verhältnis zu schaffen, wenn es also gar nicht zur Debatte stünde, andere Individuen zu quälen, umzubringen, auszubeuten, dann wäre die Frage, ob es überhaupt dazu käme, daß dann in der linken Szene, beziehungsweise aus anderen Teilen der linken Szene ein solcher Vorwurf kommt, durch Antispeziesismus werde relativiert oder würden Menschen abgewertet. Aber wenn der gesellschaftliche Umgang nicht so wäre, dann stellte Antispeziesismus ja auch gar keine Abwertung des Menschen dar, sondern eine Aufwertung der nichtmenschlichen Tiere.

Karl: Ich wollte noch einmal kurz etwas zu den Vergleichen sagen. Ich finde, daß man alles irgendwie vergleichen kann, sei es auch noch so kurios, nur sollte dabei die Wertigkeit nicht sein. Da könnte es immer zu Mißverständnissen kommen. Wenn man einen Vergleich zieht, der nicht wertet, dann finde ich, daß das nicht schlimm ist, wenn es hilft, Dinge besser zu verstehen. Das ist damit gemeint.

SB-Redakteur Stefan: Wo würdet ihr sagen, fängt eigentlich der Raub an? Natürlich leben Tiere unter anderem von Tieren, nicht alle, da sind alle verschieden. Aber Pflanzen sind auch Wesen in meinen Augen. Wie geht ihr damit um, daß Tiere dieses Naturprinzip des Raubes, ich würde das jetzt mal so nennen, praktizieren? Oder fühlt ihr euch als Anwälte der Tiere, weil sie einfach nicht repräsentiert werden, weil der Mensch einfach über sie verfügt? Das ist ja ein Grundproblem, das ganze Problem der Natur ist ja völlig ungelöst in meinen Augen.

Das ist eine sehr schwierige Frage, das ist mir klar. Da kann sicherlich keiner eine bündige Antwort geben. Ich gebe das nur deshalb zu bedenken, weil ich ein Problem damit habe, die Natur zu idealisieren. Würdet ihr das in ein Verhältnis setzen zum Thema des Menschen oder des Raubbaus, den der Mensch betreibt? Würdet ihr das einem Naturprinzip gegenüberstellen, das ihr positiv definiert? Oder wie würdet ihr das sagen?

Jörg: Ja, ich denke, daß die Menschen immer sehr schnell versuchen, der Natur irgendwo eine Wertigkeit zu unterstellen, weil diese Kategorien gut und böse so allgegenwärtig sind. Auch die Natur, was auch immer das für jedes Individuum sein mag, irgendwie einzuordnen. Allein daran ist schon Kritik angebracht, das überhaupt zu versuchen, weil die Natur so allumfassend ist, daß ich sie weder allgemein noch für mich werten kann.

Es gibt da Versuche zu beiden Seiten hin. Die Natur wurde in der Geschichte hunderttausendmal romantisiert dargestellt, als Verklärung im positiven Sinne. Gleichzeitig wurde sie zum Beispiel im Nationalsozialismus reduziert auf dieses Leben-und-Überleben-Prinzip, was für mich auch eine Verklärung darstellt. Sie wurde zum Beispiel radikal entemotionalisiert. Deswegen sage ich nicht, daß man nicht für sich darüber nachdenken soll, was Natur für einen bedeutet, sondern daß man Kategorien wie gut und böse oder auch zum Beispiel von anderen Wertigkeiten wie denen einer Schuld oder einer Verantwortung oder auch, ja, wissenschaftliche Kategorien wie Ursache und Wirkung einfach außen vor lassen sollte. Die Natur als eine Symbiose aus Wissenschaft und Spiritualität ist gar nicht einzuordnen in irgendwelche Fachkategorien, innerhalb derer ich das irgendwie auswerten könnte.

SB-Redakteur Stefan: Ja, da hat man auch das Problem, daß Natur ein menschengemachter Begriff ist. Der Mensch verhält sich zur Natur. So gesehen hat er die Natur geschaffen, sonst würde es diese Dualität gar nicht geben. Du wolltest noch etwas dazu sagen?

Bernd: Ja, ich wollte dazu sagen, daß für mich diese Dualität ein Problem ist, zwischen Mensch und Natur, oder Kulturlandschaft und Kultur. Menschen handeln zumindest so, als hätten sie nichts mit dem Planeten und der sogenannten Natur zu tun und als wäre es völlig unwichtig, was da passiert, als würde letztendlich nichts passieren. Es wird normalerweise so gehandelt, als bestünde ein totaler Herrschaftsanspruch sämtlicher Umgebung gegenüber oder sämtlichen nicht so starken oder als minderwertig angesehenen Individuen gegenüber, ob das jetzt Menschen oder Tiere sind. Historisch gesehen waren die Grenzen zwischen Menschen und Tieren anders, als sie jetzt sind. Und ich weiß nicht, ob sie nochmal irgendwann verschoben werden in die eine oder andere Richtung. Aber historisch gesehen waren die Grenzen nicht da, wo sie jetzt sind, zwischen Menschen und Tieren in der normalen Rechtsprechung oder Philosophie vom Menschen. Also, Frauen wurden oftmals als Eigentum vom Mann gesehen, Kinder auch, Sklaven waren sowieso tierisch und irgendwelche konstruierten Rassen wurden dann auch als tierisch angesehen. Da bestand immer so ein paternalistischer Herrschafts- und Fürsorgeanspruch bis hin zum Tod.

SB-Redakteur Matthias: Was dann beispielsweise zur Eroberung Afrikas oder Südamerikas führte.

Bernd: Unter anderem wurde das damit legitimiert. So eine Ideologie ist ja immer wichtig.

Transparent 'Freiheit für alle Tiere!'


Foto: © 2010 by Schattenblick

Ellen: Ich wollte auf die erste Frage eingehen, weil du gefragt hattest, ob man sich jetzt als Anwalt der Tiere sieht. Ich persönlich habe die Vorstellung, daß vielleicht ein Leben, bei dem niemand mehr über irgend jemanden entscheidet, schön wäre und daß deshalb der Anspruch dabei ist, daß man für kein Lebewesen irgendwie Entscheidungen treffen kann.

Lena: Ich weiß gar nicht, wie ich jetzt darauf gekommen bin, aber irgendwas bei der ersten Frage hat mich darauf gebracht. Die Tiere fressen sich ja auch gegenseitig und da ist mir aus irgendeinem Grund eingefallen, daß der Unterschied der ist, daß die meisten Tiere sich das nicht aussuchen können. Das sind zum Beispiel reine Fleischfresser, das sind einfach Raubtiere, und die können sich das nicht aussuchen. Das ist der Unterschied zu Menschen, die halt ...

Jörg: Mischkostler sind und keine reinen Fleischfresser.

Lena: Ja genau. Erstmal haben wir die Wahl, und außerdem sind wir uns auch klar darüber, daß so ein Wesen leidet, wenn man es umbringt, oder auch wenn wir es total unnatürlich in irgendwelchen Mastställen halten. Das heißt, über unser Mitgefühl haben wir die Verantwortung dann auch für das, was wir tun, weil wir es nicht mehr unbewußt machen, sondern bewußt. Das ist der Unterschied: Wir wissen, was wir da machen, und wir haben die Möglichkeit, wir haben auch irgendwie einen freien Willen, daß wir uns dann halt umentscheiden und es anders machen können.

Ellen: Ich wollte noch auf das "Wir" eingehen. Daß du das für alle Menschen festlegst und alle anderen haben das Bewußtsein nicht - ich weiß nicht, Entschuldigung, das fand ich gerade ein bißchen schwierig.

Lena: Ja, stimmt, das ging mir so durch den Kopf ... aber theoretisch ist es doch so, oder?

(Lachen)

SB-Redakteur Matthias: Also ich würde sagen, ich weiß nichts von den Tieren. Ich weiß nicht, ob die nicht auch diese Gedanken haben oder das, was wir Gedanken nennen.

Mehrere: Ja, genau. Stimmt.

SB-Redakteur Matthias: Und die Wissenschaft findet immer mehr heraus, daß Tiere leidensfähig sind.

Annette: Ja, das auf jeden Fall.

SB-Redakteur Matthias: Was mich nicht überrascht, aber was die Wissenschaft überrascht.

Annette: Also, ich weiß, daß Tiere Mitgefühl haben ...

Mehrere: Ja.

Annette: ... und man kann das auch beobachten. Wir sehen das vielleicht bei Tieren nicht so oft wie bei anderen Menschen, aber vielleicht beobachten wir sie auch nicht so genau wie andere Menschen. Auf jeden Fall gibt es Mitgefühle bei Tieren. Der Punkt, weswegen ich vegan bin, ist, daß für mich die Bedeutung der Gefühle einer Person irgendwie davon abhängt, wie stark diese Gefühle sind, und da ist es mir dann egal, ob die Person auf vier Beinen geht oder auf zweien, ob sie intelligent ist oder irgendwelche Tests besteht oder ähnliches. Wenn sich jemand etwas sehr intensiv wünscht, dann hat das für mich immer die gleiche Bedeutung. Ja, und ich orientiere mich also - nochmal zu diesem Tiere-essen-einander-ja-auch -, ich orientiere mich dann an denen. Aber ich muß mich ja nicht unbedingt am Krokodil orientieren, ich kann mich ja auch am Pferd oder am Hasen orientieren.

SB-Redakteur Matthias: Ja, das halte ich für ein treffendes Argument.

Annette: Was mir wirklich wichtig ist, das ist, daß ich keine Grenze ziehe, wer Gefühle für mich hat. Für mich sind es wirklich die Gefühle, die von Bedeutung sind. Und wenn jemand leidet, dann ist das immer gleich schlecht, und wenn ich Glück verbreiten kann, dann ist das immer großartig.

Lena: Ja, das stimmt. Bei Tieren ist es ja genauso wie bei Menschen. Wenn man ihre Jungtiere wegnimmt, dann schreien die, rennen rum, die suchen sie und zeigen alle Anzeichen von Verzweiflung oder Depression, die man auch bei einem Menschen sehen würde. Und Glück, ja, das sieht man, und Freude, die ist bei Tieren genauso da. Das ist eigentlich total offensichtlich irgendwie. Und sie helfen einander, wenn einer in Not ist.

SB-Redakteur Matthias: Also ich sehe es so, daß jedes Tier, das ich fangen will, genau das nicht will. Es will weg. Und das reicht für mich als ein Ausdruck seines Willens, daß es diese Gewalt nicht will. Das gilt für die kleinste Fliege wie für den großen Säuger, das spielt keine Rolle. Aber da hatten sich einige gemeldet?

Karl: Ich wollte noch einen ganz anderen Punkt ansprechen, aber andere waren vorher dran. Deshalb warte ich ersteinmal.

Annette: Ich würde gern ein Bild gerade noch loswerden, was mich im Moment beschäftigt: daß Tiere auch fühlen. Ich habe vor einiger Zeit eine Stute gesehen, die vergewaltigt worden war. Die war gefesselt und angebunden worden, und die hat danach genauso - das war nachzufühlen -, die stand total apathisch im Stall und hat sich so hin und her gewiegt, war klatschnaß geschwitzt. Und das hat jeder Mensch, der die angeguckt hat, sofort nachvollziehen können, das war genauso ein Gefühl wie bei anderen Personen auch.

Lena: Zu den Pflanzen und daß das auch Lebewesen sind, die irgendwie mitkriegen, was passiert. Da gab es mal solche Tests, wenn man irgendwelche Elektroden an die Pflanzen anschließt und, was weiß ich, man hält dann ein Feuerzeug drunter, dann zeigen sich da Streßreaktionen. Oder auch in der Natur, da können sich Bäume über irgendwelche Duftstoffe gegenseitig mitteilen: Hier sind irgendwelche blöden Scheißkäfer, die fressen mich an. Hier, produziert mal das und das Gift und so. Das heißt, die kommunizieren miteinander, das ist auch eine interessante Frage.

Karl: Ja, das ist das Thema, das ich ansprechen wollte. Das finde ich interessant, denn es wird immer wieder das Argument vorgebracht, Pflanzen sind ja auch Lebewesen. Da kann man, wenn man jetzt die Veganerseite vertritt, erstmal mit einem Gegenargument kontern, daß für eine Veganer-Lebensweise viel weniger Pflanzen sterben müssen, allein über die Futtermittel, etcetera. Ich persönlich mache mir da auch hin und wieder Gedanken, habe auch schon mal ausprobiert, Fruitarier zu werden, aber habe das noch nicht in die Praxis umgesetzt. Wahrscheinlich weil das Thema auch ein bißchen fern von dieser Gesellschaft ist. Na ja, und das Verhältnis gegenüber der Natur ist auch so eine Sache. Der Mensch hat sich schon so viel erlaubt an extremer Ausbeutung, so daß wir auch erstmal selbst reflektieren: Brauchen wir das alles? Was richten wir damit an?

Hütte mit Aufschrift 'Go vegan'


Foto: © 2010 by Schattenblick

Holger: Ich hätte da eine andere Kritik am Umgang der meisten Veganer. Und zwar es geht bei einigen im Prinzip nur darum, ob die Produkte im Supermarkt vegan sind oder nicht, bis ins letzte Detail. Ohne zu reflektieren, ob Ackerbau in dem Sinne, wie er betrieben wird, vegan sein kann - was ich nicht denke. Pro Quadratmeter Acker sterben endlos viele Tiere. Und wenn ich jetzt Milchprodukte essen würde, würde eine noch viel größere Ackerfläche entstehen, wo noch mehr Tiere sterben würden. Insgesamt sehe ich das als eine Strategie, die über den Kapitalismus funktioniert, anstatt über eine Selbstermächtigung. Was ich zum Beispiel interessant finde in England, da gibt es ziemlich viele Höfe, die bioveganen Landbau ausprobieren und Methoden entwickeln, wie man Ackerbau betreiben kann, bei dem keine Tiere dabei umkommen.

Ellen: Es ist ja alleine auch so, daß Menschen nicht freiwillig diese Arbeit praktizieren. Die einfach aus Menschenausbeutung besteht, Menschenausbeutung oder Tierausbeutung. Da machen sie ja nicht freiwillig mit.

SB-Redakteur Stefan: Wenn man feststellt, daß man natürlich nichts über andere Lebewesen weiß, weil man nicht in ihrer Haut steckt, und der Mensch als Gattungswesen natürlich schon den anderen sozusagen als sich selbst wahrnehmen kann, stellt sich für mich die Frage, wenn man jetzt moralisch an das Problem herangeht und sagt, man macht sich schuldig damit, daß man Leben vernichtet, dann würde ich erstmal davon ausgehen, daß es gar keine Möglichkeit gibt, sich nicht schuldig zu machen als Mensch. Weil man als Mensch geboren ist, mit Zähnen, als ein Wesen, das andere Wesen verstoffwechselt. Daher fände ich es interessant zu sagen, daß man, wenn es zum Beispiel um Themen wie Ethik und Moral geht in diesem Zusammenhang, diese Begriffe auch daraufhin überprüft, inwieweit das eigentlich Strategien der Rechtfertigung sind, die die Verhältnisse so belassen, wie sie sind, anstatt daß es wirklich darum ginge, irgend jemanden damit wirklich zu helfen oder jemanden Leid zu ersparen. Das fände ich eigentlich eine interessante Frage in dem Rahmen.

Jörg: Ja, ich denke, in dem Zusammenhang geht es bei Veganismus in erster Linie um eine Annäherung, so wie es bei einer Ethik generell um eine Annäherung geht, die nicht gleichzustellen ist mit der Zielsetzung. Sondern es geht um ein Herantasten an eine Zielsetzung, die dann irgendwann formuliert wird und dann nochmal im nächsten Schritt dann irgendwann eventuell umgesetzt wird. Aber es macht immer noch einen Unterschied aus, ob ich an dieser Annäherung teilhabe oder ob ich eben nicht teilhabe; ob ich gar nicht erst versuche, diese Verhältnisse zu überwinden oder bestimmte Kritikpunkte zu hinterfragen und zu versuchen, eine neue Handlungsbasis daraus für mich zu schaffen. An dieser Stelle trifft vielleicht mal wieder der Satz: Der Weg ist das Ziel. (mehrere lachen) Wenn wir uns auf den Weg begeben oder ...

Holger: Es ist ja nicht so, daß wir verdammt dazu sind, Tiere zu töten - oder was hattest du gesagt?

SB-Redakteur Stefan: Das habe ich nicht gemeint, daß wir dazu verdammt sind. Ich habe damit gemeint, daß, wenn man die Frage moralisch angeht, zum Beispiel mit gut oder böse, das eigentlich keine relevante Fragestellung ist an einer Stelle, wo sich der Mensch per Geburt, um bei einem moralischen Begriff zu bleiben, schuldig macht. Einfach durch die Tatsache, daß er sich ernähren muß.

Holger: Ja gut, aber das sehe ich nicht so. In einer Überflußgesellschaft gibt es ja die Möglichkeit, einen Konsum zu haben, der real keine Auswirkungen hat. Wenn man Sachen ißt, die sonst weggeschmissen werden.

SB-Redakteur Stefan: Nein, ich meine damit nicht, daß man andere verurteilt. Sondern mir geht es eigentlich mehr darum, daß man eine Frage stellt, eine Frage formuliert, auf die man nicht sofort eine Antwort hat. Nämlich zum Beispiel eine Antwort wie: Das ist jetzt mehr oder weniger gut und deshalb mache ich das Bessere. Es könnte ja sein, daß die Frage an die Natur, an dieses Naturprinzip, weiterführt und einem neue Möglichkeiten eröffnet, an die man vielleicht noch gar nicht gedacht hat.

Ellen: Weil es ja auch kein objektives Gut gibt, wo jeder in eine Richtung strebt. So daß jeder sein eigenes Gut oder Schlecht hat. Wo beispielsweise einige den Tod für schlecht halten und andere halten ihn für gut, weil er zum Leben gehört. So würde eigentlich jeder seine eigene Wertvorstellungen entwickeln, wenn sie nicht von der Gesellschaft vorgegeben wären.

Lena: Angenommen, man ernährt sich frugan und achtet darauf, daß in der Landwirtschaft keine Insektenmittel zum Einsatz kommen, dann läuft man ja trotzdem noch übers Feld und tritt trotzdem noch Tiere tot.

SB-Redakteur Stefan: Ganz genau.

Lena: Ja, und ich glaube, wenn man das dann weiter spinnt, kommt man an den Punkt, wo man behauptet, daß die Erde einfach so ist. Aber einmal angenommen, die Erde wäre ein Wesen, dann hätte sie wahrscheinlich nicht dieselbe Auffassung wie wir. Weil, wenn wir unsere Wunscherde konstruieren würden, dann wäre es wahrscheinlich so, daß wir noch nicht einmal im Schlaf Spinnen essen würden. Oder sie wäre so, daß wir alle nur Gras essen würden. Ein Paradies eben. Und dann kann man sich die Frage stellen: Ja, aber wieso ist die Erde so ungerecht? Und dann kommen völlig neue, interessante Fragen. Ist es überhaupt ungerecht oder ist es vielleicht okay? Oder ist es vielleicht einfach so, daß die Tiere umkommen, daß das nun mal so ist?

SB-Redakteur Stefan: Ich möchte nur noch mal kurz sagen, daß ich nicht so verstanden werden möchte, daß ich meine, man müsse zu dieser Konsequenz kommen und letztlich alles akzeptieren, weil man mit der Unmöglichkeit der vollständigen Gewaltfreiheit konfrontiert wird. Das ist nicht meine Aussage, sondern mir geht es eigentlich mehr um eine praktische Frage: Wie kann man sich mit dieser Gewalt konfrontieren und diese Frage weiterentwickeln? Das ist meine Stoßrichtung. Ich bin kein Positivist in dem Sinne, daß ich dann irgendwann sage, das ist nun mal so, und dann eine fatalistische Konsequenz ziehe.

Ich würde aber gern noch eine andere Frage stellen und zwar an dem Begriff der Tierrechte aufgezogen. Die Frage nach dem Recht überhaupt als einem gesellschaftlichen Verhältnis. Inwieweit erachtet ihr es für sinnvoll, sich überhaupt auf Recht zu berufen?

Holger: Ich finde es nicht sinnvoll, weil Recht immer jemanden braucht, der es auch durchsetzt und damit auch ein Herrschaftsverhältnis. Von daher würde ich eher von dem Begriff Antispe reden.

Stefan: Ja, das sehe ich ähnlich. Ich bevorzuge für mich eher den Begriff der Tierbefreiung, des Tierbefreiungsansatzes oder der Tierbefreiungsidee als den Tierrechtsbegriff. Weil ich das ähnlich sehe, weil ich eigentlich keinen Staat möchte, der Tieren Rechte zuschreibt, die genau dieselben Rechte haben wie ich, sondern ich möchte gar keinen Staat haben.

SB-Redakteur Stefan: Inwieweit kann man davon ausgehen, daß das zum Beispiel in der Antispe-Szene Konsens ist? Oder gibt es da eine sehr unterschiedliche Herangehensweise zum Beispiel an Staatskritik oder das Staatsverhältnis?

Stefan: Da gibt es unterschiedliche, sehr verschiedene Ansätze.

Transparent 'Fleisch ist Mord'


Foto: © 2010 by Schattenblick

Jörg: Antispeziezismus an sich ist eine Ethik und erstmal keine politische Ausrichtung. Ich kann aufgrund verschiedener Schlußfolgerungen über diese Ethik zu ganz unterschiedlichen politischen Standpunkten kommen. Es ist eben ein großes Problem - oder was heißt großes Problem -, das ist einfach eine Tatsache, daß Antispe, also Antispeziesismus, Tierbefreiung - und der Veganismus nochmal ganz außen vor - immer ganz unterschiedliche Paar Schuhe sind und daß ich die auf ganz verschiedene Art verknüpfen kann. Das führt einerseits zu einer Uneinigkeit in der Szene, hauptsächlich zu diesem Diskurs der Abolitionisten und der Reformisten. Und unter den Abolitionisten, die für eine komplette Abschaffung des Ganzen stehen, nochmal zu einer ganz großen Unterschiedlichkeit in den Gründen.

Nun könnte ich einerseits daraus schließen, daß das Zerstrittenheit bedeutet, oder ich könnte das andererseits als eine Allianz formulieren. Und im Sinne der Sache sehe ich es, wenn es meinen politischen oder grundsätzlichen Ansprüchen nicht komplett entgegenstrebt, immer eher als eine Allianz an. Ansonsten würde ich mich wahrscheinlich ziemlich verlieren in der Sache. Und wenn ich das ganz auf meine individuellen Bedürfnisse und so weiter projizieren würde, hätten wahrscheinlich politische Aktionen viel weniger Sinn.

SB-Redakteur Stefan: Hättest du denn eine gesellschaftliche Vision? Oder vielleicht eine postgesellschaftliche oder antigesellschaftliche? Weil du jetzt unterschieden hast zwischen Ethik und Politik.

Jörg: Meine gesellschaftliche Vision ist auf jeden Fall die Überwindung von Herrschaftsverhältnissen. Wie die sich dann letztendlich äußert, vermag ich im Prinzip gar nicht zu sagen, ob es im Anarchismus endet oder in einem ganz anderen Gedanken, der vielleicht auch noch Zukunftsmusik ist. Damit will ich mich erstmal gar nicht beschäftigen. Die Grundsätze, die meiner Vorstellung nach im Moment meine politischen Einstellungen bestimmen, sind anarchistisch. Aber ich kann wenig darüber sagen, was vielleicht noch nicht existiert. Ich denke, daß der Anarchismus an gewissen Stellen auch noch einer Kritik bedarf, vielleicht weil er verkürzt ist. Das merkt man immer sehr schnell, gerade wenn man diesen Weg aus den Herrschaftsverhältnissen der Menschen hinausgeht und dann zu den Tieren kommt und irgendwann zu den Pflanzen kommt, irgendwann verliert man sich da ein bißchen. Und deshalb ist da noch sehr viel Entwicklung nötig, um was Ganzheitliches oder eine ganzheitliche Ethik und eine ganzheitliche politische Ausrichtung zu formulieren. Aber die muß ja nicht komplett unterschiedlich sein, die kann ja noch auf bereits bestehenden Visionen fußen.

SB-Redakteur Stefan: Wie fühlt ihr euch im Verhältnis zur, ja, man kann inzwischen von der Rest-Linken sprechen? Unter denen gibt es auch Leute - ich lese das teilweise bei Indymedia -, die bei irgendwelchen Tierrechtsdiskussionen gezielt provokant sagen: So, jetzt packe ich meinen Grill aus. Das kann ich auch nicht so ganz nachvollziehen.

Stefan: Solchen Diskussionen stelle ich mich gar nicht. Inhaltlichen Diskussionen stelle ich mich gerne, jederzeit oder wenn ich mich bereit dazu fühle. Aber solchen nicht-inhaltlichen würde ich mich gar nicht erst stellen, und Indymedia find ich sehr schwierig. Was da für Kommentare abgegeben werden, also, ich weiß nicht.

SB-Redakteur Stefan: Ist klar, es gibt ja nicht so viele Foren, wo das öffentlich gemacht wird.

Holger: Ich würde sagen, das Niveau ist ungefähr so wie bei den Jugendlichen aus dem Dorf hier. (mehrere lachen) Ich habe zum Beispiel den letzten Artikel von der jungen Linken durchgelesen und die argumentieren, daß es eine Verzichtslogik wäre, auf tierische Produkte zu verzichten, weil man dann nicht mehr lecker essen und keine coolen Klamotten mehr tragen könnte. Wo ich mich gefragt habe: Hä? Manche Leute tragen doch Adidas, sind die nicht aus Leder? Aber gut ...

SB-Redakteur Stefan: Du hattest vorhin kritisiert, daß die Auswahl der Produkte, die man wählt, um vegan leben zu können, so ein dominantes Thema ist. Also die Frage jetzt danach - nehmen wir Adidas oder Nike -, daß die in Thailand für ein Euro Stundenlohn gefertigt werden und hier 150 Euro damit verdienen werden. Also die ganzen materiellen Raubvorgänge, die jetzt natürlich alle Formen von kapitalistischer Produktivität betreffen. Wie würdet ihr euer Verhältnis dazu bezeichnen, habt ihr da einen grundsätzlichen Ansatz der Kritik, der euch zusätzlich zu dem Problem der Tierausbeutung beschäftigt?

Bernd: Für mich ist das in dem Begriff Tierbefreiung mit einbezogen, weil ich da nicht unterscheide in menschliche und tierische Tiere. Da ist bei Tierbefreiung der Mensch mit einbegriffen.

SB-Redakteur Stefan: Wieso muß du dann überhaupt differenzieren, wenn du das gleichsetzt ...

Bernd: Nein, ich würde das nicht gleichsetzen.

SB-Redakteur Stefan: Oder wenn du die Befreiung eines jeden jetzt ausdehnst auf alle Lebewesen. Wieso mußt du dann überhaupt noch differenzieren zwischen Mensch und Tier?

Bernd: Wie meinst du das?

SB-Redakteur Stefan: Du sagst, daß ein menschliches Tier genauso viel Anspruch auf Befreiung hat oder genauso viel Interesse daran hat wie ein Tier. Wenn es tatsächlich ein kreatürliches Interesse ist, ein Grundinteresse jedes Lebewesens, zum Beispiel keinen Schmerz zu empfinden - du kannst auch sagen, jedes Lebewesen weiß sofort, was Sache ist, wenn es um Schmerzen geht -, wieso unterscheidet man dann überhaupt mit einem Begriff wie Speziesismus respektive Antispe in Arten, Gattungen, in irgendwelche Kategorien?

Bernd: Ich persönlich benutze den Begriff Antispe nicht. Ich würde auch hier sein, wenn hier zum Beispiel ein Knast gebaut werden würde. Und Begriffe wie Gattung oder diese Namen für nichtmenschliche Tiere finde ich nur sinnvoll, um zu wissen, um was für eine Form es sich dabei handelt. Genau wie du sagst, da ist jemand mit blauen Augen oder mit braunen Augen oder nur mit langen Haaren oder kurzen Haaren. Es ist auf jeden Fall sinnvoll zu sagen, das ist ein Hund oder ein Mensch. Menschen verstehe ich auch besser.

SB-Redakteur Stefan: Ja klar, das ist ein Grund.

Holger: Ich finde, weil in der linken Szene oder in der Gesamtgesellschaft ein tierbefreierischer Gedanke noch nicht vorhanden ist, würde ich schon unterscheiden zwischen Aktionen, die den kapitalistischen Normalbetrieb angreifen und die Produktion von Adidas-Klamotten, und Themengebiete, die noch den tierbefreierischen Gedanken dazuholen und sich gegen die zusätzliche Ausbeutung von Tieren richten. Wo also die menschliche Ausbeutung nicht weniger vorhanden ist und wo noch eine dazukommt.

SB-Redakteur Stefan: Aber ich finde, bei dem Begriff der Art oder der Gattung hast du es ja immer mit einer Vereinheitlichung von bestimmten Gruppen zu tun. Das ist ja wie beim Begriff der Nation auch immer wieder etwas, was gegen andere ausgespielt wird. Und für mich sind das alles Begriffe, die wissenschaftsgeschichtlich aus bestimmten Ansätzen der Kategorisierung entstanden sind, die eigentlich immer mit einem bestimmten Raubinteresse verbunden waren. Da habe ich schon ein grundlegendes Problem mit der Terminologie, der Kategorisierung.

Karl: Ja, Sprache an sich ist ein ziemlich schwieriges Thema. Sprache ist eigentlich nur dazu da, um einem anderen klar zu machen, was man eigentlich meint, und da kommt auch wieder diese Sache mit der Wertung hinein. Man kann etwas so oder so sagen und es unterschiedlich werten, und es kommt dann wieder nochmal was ganz anderes raus. Es wurde auch oft diskutiert, was jetzt quasi die bessere Sprache ist. Es ist dann schwierig, wenn man versucht, jegliche Diskriminierung außen vor zu lassen, ohne sich selbst einzuschränken im Endeffekt.

Holger: Wenn man nicht unterscheidet zwischen verschiedenen Ausbeutungsformen, gerät man vielleicht schnell in so eine Hauptwiderspruch-Nebenwiderspruchs-Logik, indem man sagt, daß ja einfach alles nur an den kapitalistischen Verhältnissen liegt, aber dabei außer Acht läßt, daß auch ohne den Kapitalismus Tierausbeutung stattfinden kann.

SB-Redakteur Stefan: Also du meinst, das würde unabhängig von der Verwertungsform auf jeden Fall auch gegen Tiere gehen? Nimm einmal das Ideal des Kommunismus. Das ist ein Menschenideal oder ein Ideal der menschlichen Gemeinschaft. Da sind die Tiere, jedenfalls soweit ich das verstanden habe, erstmal nicht mit einbegriffen.

Transparent 'So lange Menschen denken, dass Tiere nicht fühlen, müssen Tiere fühlen, dass Menschen nicht denken'


Foto: © 2010 by Schattenblick

Karl: Zu dem "Szeneübergreifend" möchte ich noch sagen, daß wir alle quasi im Kapitalismus leben, aber daß das auch nur ein Ding ist, auf dem Weg zur Emanzipation oder Anarchie oder wie man es auch nennen mag. Da gibt es halt viele Wege, und jeder geht seinen eigenen Weg und macht auch dadurch andere Erfahrungen. Dadurch kommen unterschiedliche Menschen zu unterschiedlichen Ansichten, was für sie wichtiger ist. Dennoch ist der Grundgedanke irgendwo gleich. Und dann ist es eigentlich eher kontraproduktiv, wenn man schon gleiche Grundgedanken hat, daß man sich gegenseitig reibt, anstatt Aktionen in Richtung Gegenseite, oder wie man das nennen sollte, macht.

SB-Redakteur Stefan: Ich würde ganz gern nochmal kurz zu dem Sprachthema etwas sagen, was du angesprochen hattest. Das ist natürlich generell ein Problem, weil Sprache immer trennt. Wenn du jetzt zum Beispiel die Geschlechterdifferenz nimmst, dann stößt du darauf , daß es Leute gibt, die sich keiner Seite zuordnen wollen. Du bekommst es mit einem immer größeren Problem der Differenzierung und Komplizierung zu tun.

Karl: Ja.

SB-Redakteur Stefan: Gleichzeitig gibt es aber auch wieder ein verbindendes Element womöglich, wo du diese ganzen Probleme gar nicht hättest, wenn du dich darauf überhaupt einigen würdest. Aber letztlich komme ich meiner Ansicht nach um die Sprachprobleme gar nicht herum, weil ich die Welt natürlich in Sprache sehe.

Karl: Ja.

Ellen: Ich weiß, daß es in vielen Sprachen viele Differenzierungen nicht gibt, zwischen Mehrzahl, Einzahl, männlich, weiblich, das gibt es in vielen Sprachen nicht. Das wäre schon mal ein Anfang, wenn es nur ein Wort für Mann und Frau gibt. Das ist in vielen Sprachen so.

SB-Redakteur Matthias: Es ist ja modern geworden, immer dieses -Innen anzuhängen. Zum Beispiel BesetzerInnen.

Ellen: Mit Strich.

SB-Redakteur Matthias: Ja, mit großem I in der Mitte und dann noch einem Unterstrich.

SB-Redakteur Stefan: Mit Strich für die Nicht-dazu-Gehörigen.

SB-Redakteur Matthias: Würde das nicht eigentlich die Trennung noch verstärken?

Ellen: Ja.

SB-Redakteur Matthias: Weil sie damit sprachlich und schriftlich in dieser Form festgeschrieben wird.

Ellen: Ich habe generell ein Problem mit der Identifikation, wenn man sich als männlich, weiblich oder sonstwas identifiziert. Das finde ich generell schwierig, deswegen finde ich ein Wort für alles gut.

SB-Redakteur Stefan: Das ist eine gute Idee!

SB-Redakteur Matthias: Das finde ich auch gut.

Karl: Ich finde das auch gut, sich möglichst geschlechterneutral zu äußern. In schriftlicher Form ist das noch einfacher als im Alltag.

SB-Redakteur Matthias: Natürlich, das kann man kaum sprechen.

Karl: Es ist schon möglich. Das ist halt nur, daß man dann eben Wörter nur verbal, also in der Verbform nutzt. Oder es gibt auch Leute, die eine i-Endung machen wollen.

Stefan: Ja, das "-is". Aktivistis statt AktivistInnen.
Oder Besetzis.

SB-Redakteur Stefan: Ach so, ja. Neulich in Berlin hat Judith Butler - ich weiß nicht, ob ihr davon gehört habt - den Preis für Zivilcourage, der ihr von den Veranstaltern der Christopher Street Day-Parade, auf der auch Mitglieder der CDU und anderer bürgerlicher Parteien vertreten sind, nicht angenommen ...

Bernd: Da war eine ehemalige Ministerin
dabei, die ihr den übergeben wollte.

SB-Redakteur Stefan: Ja, genau.

Bernd: Das war, glaube ich, auch einer der Neben- oder
Hauptgründe für die Ablehnung.

SB-Redakteur Stefan: Und dann hat sie den abgelehnt und anderen Organisationen zugesprochen, die kleine Gruppen, türkische Schwule und schwarze Lesben und so weiter, repräsentieren. Sie sagt zum Beispiel, daß die Geschlechterrolle immer eine soziale Zuschreibung ist. Wo du es rein theoretisch mit einer unendlichen Zahl von Identitäten zu tun hast, wo sich für mich natürlich letztlich grundsätzlich die Frage stellt, inwieweit Identitäten überhaupt erforderlich sind. Weil das ja auch wieder gesellschaftliche Zuschreibungen sind. Das heißt, eine Identität hat nur irgendeinen Effekt in der Interaktion mit anderen.

Plakatwand mit aufgemaltem Huhn


Foto: © 2010 by Schattenblick

Ellen: Das ist ja genauso wie mit der menschlichen Identität. Es gibt Menschen, die sich nicht als Menschen fühlen und trotzdem dazugezählt werden. Das ist dann wieder schwierig, das ist wieder eine Identität: "Ein Mensch". "Wir Menschen", das kann man praktisch eigentlich so nicht sagen.

SB-Redakteur Matthias: Eine für Missionare oder Forscher wichtige Frage bei der Eroberung von Afrika war: "Wie nennt ihr Euch?" Viele Völker haben sich zum Beispiel einfach "Volk" genannt oder "Wir'"oder "Leute" oder ähnliches. Aber die von außen kamen, die Europäer, die beispielsweise nach Afrika oder Südamerika gingen, die haben immer gesagt: Ja, das ist das und das Volk mit dem und dem Namen. Sie haben eine wissenschaftliche Zuordnung gemacht. Das ist aber ihre Sichtweise gewesen. Und dann haben sich die Völker dem irgendwann auch angepaßt. Zwangsläufig, weil sie eben auch einen Paß und Stempel gekriegt haben, wo das dann drinstand. Aber ursprünglich war die Zuordnung von bestimmten Völkern, Gemeinschaften und eben Identitäten eine zivilisatorische Erfindung.

SB-Redakteur Stefan: Um noch mal auf das Beispiel der Tiere zurückzukommen. Tiere leben ja auch in Gesellschaften, in Verbänden oder in sozialen Gruppen, und da gibt es ja ganz unterschiedliche Formen. Es gibt zum Beispiel Wolfsrudel, die sich auf eine bestimmte Weise organisieren. Sie organisieren sich ganz anders als eine Rinderherde, meinetwegen. Die haben aber eine ganz starke soziale Verbindlichkeit, respektive auch Mechanismen, die teilweise ganz fies sind. Wenn du zum Beispiel Herdenverhalten studierst, dann kannst du feststellen, daß schwache oder verletzte Tiere, wenn Raubtierangriffe erfolgen, dann sozusagen zwischen die Herde und die Raubtiere manövriert werden.

Annette: Aber das ist nicht bei allen Tierarten so. Schafe nehmen die Schwachen und die Jungen und die Alten in die Mitte und beschützen sie.

SB-Redakteur Stefan: Das wollte ich auch nicht gesagt haben. Ich sage nur, da gibt es unterschiedliche Strategien, an denen du merkst, daß du es mit ganz entwickelten sozialen Verbänden zu tun hast und auch Strategien, die im wesentlichen daran orientiert sind, daß diese Tiere ein tatsächliches Überlebensinteresse haben. Wie man so schön sagt: die Erhaltung der eigenen Art.

Ellen: Das sind andere Wertvorstellungen. Wie gesagt, ich sehe den Tod zum Beispiel als überhaupt nichts Schlimmes an. Und das ist eben ein total normales egoistisches Verhalten für mich, daß sich irgend jemand, der sowieso stirbt, zwischen mich und die Kugel stellt.

Annette: Ich wollte gerade noch ganz kurz etwas dazu sagen, weil ich da eine andere Meinung habe als die anderen, die das gesagt haben. Ich habe das in den letzten zehn Jahren nicht mehr so verfolgt, was sich da entwickelt hat, aber für mich macht es schon Sinn, zwischen Frauen und Männern zu unterscheiden und diese Begriffe zu benutzen. Nicht, weil ich ignoriere, daß es noch mehr Geschlechter gibt und daß das Zuschreibungen sind, sondern um bestimmte Strukturen, die sich entwickelt haben in dieser Gesellschaft, klar ansprechen zu können. Da sehe ich Sprache auch als ein echt großes Problem, aber ich benutze sie nun mal, ich benutze sie auch beim Denken und meine, daß mir das Denken durch eine Reduktion von Begriffen nicht erleichtert würde. Und wenn ich jetzt manche Gruppenstrukturen sehe, die könnte ich gar nicht erkennen, wenn ich nicht sehen würde, daß da Frauen und Männer sind, die sozialisiert sind als Frauen und Männer. Und dann wollte ich noch etwas dazu sagen, worüber wir zuvor gesprochen haben. Für mich persönlich macht der Begriff Antispe genausoviel Sinn wie Antirassismus. Beides reproduziert natürlich wieder diese Kategorien, aber es ergibt für mich schon Sinn, die Begriffe zu benutzen.

Ellen: Wobei es bei Antirassismus ja immer noch so ist, daß man sagt: Okay, die sind halt schwarz, weil sie halt schwarz aussehen. Aber es ist keine negative Konnotation dabei, wobei dann, wenn wir wieder bei der Sprache sind, man Hasen wieder Hasen nennen kann theoretisch. Weil es dann wieder nur ums Aussehen geht, ob der Hase nun wölfisch sozialisiert ist oder der Mensch vielleicht nun hündisch sozialisiert ist, das spielt bei den Begriffen keine Rolle mehr, sondern es geht ja dann nur ums Aussehen.

Karl: Ja, das ist das, was ich vorhin angesprochen hatte. Daß man die Begriffe trotzdem verwenden kann, wenn keine Wertigkeit dabei ist.

Annette: Die Sprache kann vielleicht nie wirklich perfekt sein, aber wichtig ist, wie man sie benutzt. Egal, ob man einfach nur noch Mensch oder Mann und Frau sagt oder ganz viele Unterteilungen macht, wichtig ist, daß man im Hinterkopf behält, daß es auch anders sein kann, daß es nicht naturgegeben ist, so wie es ist, und daß man trotzdem die Wertigkeit heraus läßt. So daß man den Hasen Hasen nennt, ihn aber trotzdem respektiert.

SB-Redakteur Stefan: Beim Thema Rassismus ist mir aufgefallen, das habt ihr vielleicht mitbekommen, da gibt es diesen Bundesbankmanager Thilo Sarrazin, der hat eine Attacke auf Türken und Araber in Berlin losgelassen und hat dann die Leute, die er seiner Ansicht nach am liebsten aus Berlin weghätte, im gleichen Interview als unproduktiv bezeichnet. Er ist dann aber dazu übergegangen zu sagen, daß das genauso für Deutsche gilt. Die sind davon auch betroffen und die müßten dann auch gehen. Da kannst du dann feststellen, daß die Zuweisung zum Beispiel zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Herkunft gar nicht so wichtig ist wie die Frage, ob diese Leute angeblich dem Staat auf der Tasche liegen oder ob sie zum Gesamtprodukt beitragen. Dafür verwende ich gern den Begriff des Sozialrassismus, weil es meiner Ansicht nach bei der Diskriminierung von andersfarbigen Menschen oder Menschen anderer Herkunft wesentlich um soziale Fragen geht. Nehmen wir an, die Leute würden dann irgendwann einmal weg sein, dann geht es eben gegen die Leute, die in der eigenen Bevölkerung vermeintlich überflüssig sind. Ich finde, es ist auch immer ein Problem, wie die Begriffe besetzt sind, und ich habe den Eindruck, daß diese Begriffe durchaus Herrschaftsstrategien reflektieren, auf denen man ganz gut ausrutschen kann, wenn man sie zu ideologisch verwendet.

Ellen: In dem Fall ist es ja generell eine Herrschaftsstrategie, den Leuten vorzuschreiben, daß sie zu arbeiten haben in dem System. Egal, welcher Herkunft sie sind. Aber man sagt, sie müssen arbeiten und diesen Staat unterstützen. Also das finde ich daran am kritischsten, egal, ob der nun was Rassistisches oder Nicht-Rassistisches gesagt hat.

Bernd: Das war nicht nur rassistisch, was der gesagt hat, wie er das wiederholt hat. Das war eine sehr viel heftigere Stufe höher, und das erinnert mich schon an eine böse Vergangenheit.

SB-Redakteur Stefan: Ja, er hat ja zum Beispiel auch gesagt, daß die Leute weniger intelligent sind und ...

Annette: Ach, der war das!

SB-Redakteur Stefan: Er hat kürzlich noch mal nachgelegt und sich darauf berufen, daß Intelligenz vererbbar ist, mindestens zu einem gewissen Teil. Das sagt er dann so. Gemeint ist natürlich, daß es Leute gibt, die sozusagen durch die Familiengeschichte hindurch in seinen Augen durchweg dumm sind. Da hast du es mit einer Form zu tun, die auch in der Wissenschaft, zum Beispiel in der Humangenetik, in einer Weise verwendet wird, die, vorsichtig formuliert, alles andere als förderlich für Menschen ist. Damit wird nur ein ganz bestimmtes Interesse verfolgt. Auch deswegen hatte ich die Frage nach den Arten gestellt. Für mich stellt sich immer die Frage, inwieweit Kategorien, die von bestimmten Wissenschaften in die Welt gesetzt wurden, die einen akademischen Hintergrund haben, überhaupt verwendungsfähig sind. Oder ob man die nicht auch grundlegend in Frage stellen müßte.

SB-Redakteur Matthias: So wie in der Tierbefreiung der Spezies-Begriff überhaupt in Frage gestellt wird, stößt man eben auch in allen anderen Bereichen auf ähnliche Probleme. Daß die Kategorisierungen und Wertigkeiten aus einem bestimmten vorherrschenden Interesse heraus vorgegeben sind.

Möchte jemand noch etwas Abschließendes sagen? Also, ich fand das gut, ich fand es spannend und interessant, daß man von der Tierbefreiungsidee auf Sprache kommt, auf Herrschaft, auf ganz viele Bereiche. Vielen Dank für das spannende Gespräch.

Sonnenuntergang über Getreidefeld


Foto: © 2010 by Schattenblick

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0002.html

20. Juli 2010