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INTERVIEW/011: Tierrechte human - Gegen den Strom, Albino im Gespräch (SB)


Faust und Stern - lyrischer Hip-Hop für Bauch und Kopf

Interview am 9. November 2013 im Acker pool Co. in Hamburg-Eidelstedt



Hip-Hop aus Deutschland, der chartkompatibel und verkaufbar sein will, lebt zu einem nicht geringen Teil von Reimen, die sich in Posen meist männlicher Stärke, Perspektiven kommerziellen Erfolgs und Platitüden durchformatierter Gefühle gefallen. Das Problem, irgendwie nichts zu sagen zu haben, dies aber jedem mitteilen zu wollen, bringt denn auch Texte hervor, in denen der Verlust dessen, was den anderen Menschen erreichen und berühren könnte, dominiert. Zu den eher seltenen Beispielen, die sich der Paßförmigkeit musikalischer Warenwelten verweigern und an die Streitbarkeit der gesellschaftskritischen und politisch radikalen Tradition des Hip-Hop anknüpfen, gehört der Rapper Albino. Zusammen mit anderen Musikerinnen und Musikern, die aufgrund ihrer politischen Ansichten abseits des Mainstreams stehen, veröffentlicht er seine CDs auf dem Label Art 4 Real.

Auf der Herbstakademie der Assoziation Dämmerung, in der neue Horizonte einer antikapitalistischen Politisierung der Tierbefreiungsbewegung wie Erweiterung linker Programmatik durch die Befreiung nicht nur des Menschen, sondern auch des Tieres ausgeleuchtet wurden, bestritt Albino nach einem langen Tag voller Vorträge und Diskussionen das musikalische Abendprogramm. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu seiner persönlichen Geschichte und seinen musikalischen Ambitionen.

Im Magda-Thürey-Zentrum - Foto: © 2013 by Schattenblick

Albino
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Albino, kannst du bitte einmal etwas zu deiner Geschichte als Rapper sagen?

MC Albino: Ich bin passiv seit 1988 und aktiv seit 1995 Hip-Hop-Aktivist und politisch immer schon interessiert gewesen. Hip-Hop- und Politaktivist bin ich seit ungefähr 2000, und seitdem versuche ich auch, beides miteinander zu verbinden.

SB: Du hast vorhin über Tierbefreiung gerappt. Machst du das von Anfang an oder ist das erst später dazugekommen?

MCA: Den Schritt, konsequent vegan zu leben, habe ich 1999 vollzogen. Seitdem ist es mir ein Anliegen, dies auch in Musik zu packen. So sind im Laufe der Zeit einige Songs entstanden, die sich mit der Thematik befassen.

SB: Hast du die Beats selbst produziert?

MCA: Nein, ich habe zum Glück ein Netzwerk von Menschen, die mich supporten und mich quasi mit Musik füttern, damit ich meine Texte dazu komponieren kann.

SB: Du hast heute abend ein paar Songs gebracht, die für mein Empfinden, zumindest verglichen mit dem Mainstream-Hip-Hop, geradezu untypisch einfühlsam waren. Es ist schließlich nicht jedermanns Sache, sich für Schwächere einzusetzen oder überhaupt Schwäche zu zeigen. Ist das die Position, die du mit deiner Musik ausdrücken willst?

MCA: Ich glaube, Authentizität ist das allerwichtigste, was man als Rapper leben muß. Ich kann nur über meine Lebensrealität, was ich mit meinen Augen sehe, mit meinen Ohren höre, mit meinem ganzen Wesen fühle, schreiben. Natürlich fließt auch in die Musik mit ein, was für ein Mensch ich bin. Selbstkritik und Schwäche zeigen sind für mich einfach eine Form der Authentizität.

SB: Du spielst ja auch auf Demos, etwa gegen Tierausbeutung oder andere Formen gesellschaftlicher Unterdrückung. Erreichst du dort viele Leute mit deiner Art? Bist du in diesen Bereichen selbst aktiv?

MCA: Ja, auf Demonstrationen erreiche ich schon viele Leute. Das ist im Grunde auch der Ort, wo ich mich am wohlsten fühle bzw. wo es am sinnvollsten ist, weil die Inhalte, die ich heute abend verbreite, von der überwiegenden Mehrheit der Menschen hier verinnerlicht werden. Das sind die Menschen, die meine Position teilen. In der Fußgängerzone weiß ich, daß ich etwas erreichen und versuchen kann, in die Herzen und Köpfe der Menschen hineinzukommen.

Albino am Stehpult - Foto: © 2013 by Schattenblick

Improvisation mit Beats vom Mobiltelefon ...
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Du machst im klassischen Sinne richtig Rap auf der Straße?

MCA: Ja, auf jeden Fall. Ich bin bei Demonstrationen mit dabei und mache dann auch Musik. Das ist ein aktuelles Programm von mir, daß ich mehr Straßenmusik machen möchte.

SB: Siehst du dich in der Kontinuität der Hip-Hop-Tradition der 80er Jahre?

MCA: Ja, zumindest in der Form, daß es auf die Straße kommt und dorthin zurückkehrt. Die Hip-Hop-Kultur hat sich gerade in Deutschland sehr verändert. Als ich zu Beginn in den Hip-Hop hineingewachsen bin, gab es noch eine Community, die auch auf politische Werte gesetzt hat. Früher war das ganz selbstverständlich, aber heutzutage hat sich das mehr und mehr aufgelöst. Es gibt zwar immer noch einen kleinen Kern von Hip-Hop-Aktivisten, die das zelebrieren und leben, aber als Bewegung der Masse ist es leider verlorengegangen. So gibt es politische Inhalte, die zum Teil unwidersprochen existieren und ganz klar rechte Positionen vertreten. Das wäre 1996/97 in der Hip-Hop-Bewegung noch undenkbar gewesen. Heute ist es leider gang und gäbe.

SB: Gibt es tatsächlich einen rechten Nazi-Hip-Hop?

MCA: Ja, gibt es. Natürlich wird der Nazi-Hip-Hop von den meisten kritisiert, aber zuweilen taucht er unterschwellig auf und ist als solcher nicht leicht zu erkennen.

SB: Du meinst so etwas wie Patriotismus und sich positiv auf die Nation beziehen?

MCA: Ja.

Albino am Mikrofon - Foto: © 2013 by Schattenblick

... und am Mike mit Soundtracks vom PC
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Hast du Vorbilder im angloamerikanischen Raum, auf die du dich mit deinem politischen Rap positiv beziehen kannst?

MCA: Ja, ich habe viel Public Enemy, Paris und Dead Prez gehört. Das sind natürlich die politischen Rapper aus den Staaten, aber ich habe auch deutsche Vorbilder. Als ich Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre zum Hip-Hop kam, haben Advanced Chemistry schon politischen Rap gemacht. Von daher sehe ich mich schon in einer Tradition.

SB: Machst du ab und zu etwas mit Holger Burner zusammen?

MCA: Ja, wir sind sozusagen Genossen und waren gerade zusammen auf Tour. Für das kommende Jahr planen wir auch ein gemeinsames Projekt.

SB: Trittst du auch in autonomen Zentren auf?

MCA: Dort findet der überwiegende Teil der Auftritte statt. Leider werde ich nur selten zu reinen Hip-Hop-Veranstaltungen eingeladen. Jams existieren ohnehin fast gar nicht mehr. Deswegen beschränken sich meine Auftritte in den letzten Jahren auf politische und autonome Zentren.

SB: Gibt es dann auch Debatten um die Inhalte, die du rüberbringst?

MCA: Auf jeden Fall, in den letzten Jahren mit dem Aufkommen antideutscher Positionen, die sich immer mehr verfestigt haben, sogar verstärkt. Dann kommen natürlich Vorwürfe wie regressive Kapitalismuskritik, weil ich sage, daß das nicht nur in der Struktur angelegt ist, sondern daß Personen und Organisationen die Verantwortung für Kriege und Armut tragen. Es ist heutzutage alles andere als selbstverständlich, in linken Zentren aufzutreten, ohne kritisiert zu werden. Als Holger Burner und ich jetzt auf Tour waren, gab es kaum einen Ort, wo nicht versucht wurde, das Konzert zu verhindern, indem kurzfristig mit Stellungnahmen an die Veranstalter herangetreten wurde. Im Text hieß es dann, sie könnten solche Leute wie uns nicht bei sich auftreten lassen. Der Vorwurf des strukturellen Antisemitismus ist eine Realität, mit der ich mich immer wieder konfrontiert sehe.

SB: Sind Internationalismus und Flüchtlingssolidarität für dich Themen, die zum politischen Rap dazugehören?

MCA: Definitiv, ganz klar.

SB: Wie kann man dich dann kritisieren, ohne dich zugleich als ganzen Künstler wahrzunehmen?

MCA: Ich glaube, das wollen sie gar nicht. Wenn sie es tun würden, dann müßten sie sehen, daß Albino seit 18 Jahren Hip-Hop-Musik macht. Jeder, der sich meine Lieder anhört, weiß, wofür ich stehe. Natürlich sind solche Vorwürfe völlig absurd. Und trotzdem ist es eigentlich nicht verwunderlich, daß Leute wie Holger Burner und ich oder Master Al, der heute hier ebenfalls aufgetreten ist, bekämpft werden. Denn wir setzen eine politische Traditionslinie fort, die heutzutage nicht mehr gerne gesehen wird.

Gemeinsamer Auftritt - Foto: © 2013 by Schattenblick

Albino und Master Al
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Bringst du deine CDs bei solchen Auftritten unter die Leute?

MCA: Ja, das klappt schon. Wenn wir Konzerte geben, werden wir die CDs quasi aus dem Kofferraum los. Ich glaube, daß heutzutage auch viel über YouTube und solche Kanäle verbreitet wird, was auch gut ist.

SB: Wir hatten hier heute eine Konferenz zum Thema Tierbefreiung und Tierrechte, bei der du ebenfalls einen Auftritt hattest. Kannst du dir vorstellen, daß die Verbindung Antikapitalismus und Veganismus bzw. Tierbefreiung, die du selber in deinen Texten propagierst, eine größere gesellschaftliche Resonanz und Vertiefung der Problematik erfahren wird?

MCA: Ja, ich bin eigentlich das personifizierte Beispiel dafür, wie man sich weiterentwickeln kann. Ich habe zum Schluß das Lied "Ohne Rechte" gespielt. Im Laufe der Zeit habe ich darin zwei Textstellen verändert, weil ich durch die Interaktion und Rotation mit der Tierbefreiungs- und Tierrechtsbewegung auf manche Sachen aufmerksam geworden bin. Ich habe durch Bücher dazugelernt und bin mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen, daß der Veganismus, unpolitisch verbreitet, niemandem etwas bringt, am wenigsten den Tieren, sondern daß wir die soziale Frage und die Tierbefreiungsthematik als eine Einheit sehen müssen. Deswegen versuche ich beides in meinen Liedern gerade in den letzten Jahren verstärkt miteinander zu verbinden.

SB: Albino, vielen Dank für das Gespräch.

CD-Cover Anderland - Foto: © 2013 by Callya

Foto: © 2013 by Callya

Albinos jüngste, dieses Jahr veröffentlichte CD "Anderland" erfüllt den Anspruch des schwarzen Hip-Hop der ersten Stunde, als eine Art CNN von unten die Probleme und Kämpfe ansonsten nicht zu Wort kommender Menschen zu kommunizieren, auf der Höhe der Zeit. Eingespielt zusammen mit diversen Rapperinnen und Rappern, die ihre ganz eigenen Reime und Gedanken einbringen, fordert "Anderland" zum Hören, Sprechen und Handeln auf.

Während der massenmediale Kulturbetrieb die Isolation kapitalistischer Vergesellschaftung strikt auf den Horizont eigener Befindlichkeiten beschränkt, um die Marktsubjekte zwischen indifferenten Beschwerdegängen und gesellschaftlich entkoppelten Beziehungsproblemen um den eigenen Bauchnabel kreisen zu lassen, weist die von Albino und seinen Mitstreiterinnnen artikulierte Subjektivität über den Tellerrand dieser Genügsamkeit hinaus. Ökonomische und staatliche Gewalt werden frontal ins Visier genommen, historische Beispiele aus dem Befreiungskampf des schwarzen Amerikas verknüpfen sich mit dem atomisierten Elend der sozial immer weiter auseinanderdriftenden Metropolengesellschaften Europas. Albino geht mit den Widersprüchen fremdbestimmter Existenz in den Infight, ringt um Worte und Reime, die den zerreißenden Schmerz eigener Ohnmacht auf den Begriff bringen und damit handhabbar und angreifbar machen.

Die melodiösen, vorzugsweise in Moll gehaltenen Loops und Samples verbreiten eine überwiegend melancholische Stimmung, die die Fremdheit und Brutalität gesellschaftlicher Kälte widerspiegelt. Die besonderen Stärken des Albums liegen jedoch in den kämpferischen Tönen, im aggressiven Beat und kompromißlosen Streit zugunsten einer linken Solidarität, die, wie an vielen Stellen angesprochen, einer schweren Prüfung aus Anpassung und Unterwerfung ausgesetzt ist. Ernsthaftigkeit im besten Sinne nicht verhandelbarer und nicht aufzugebender Positionen paßt nicht in die Welt des schnellen Konsums und absoluten Tauschwerts. Deshalb macht "Anderland" all jenen Mut, die den Kampf für die Befreiung von Mensch und Natur nicht nur kulturindustriell simulieren oder symbolpolitisch repräsentieren wollen, sondern den zwingenden und nötigenden Zumutungen und Zurichtungen entschieden entgegentreten.

29. November 2013