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INTERVIEW/027: Feiern, streiten und vegan - Schafft tierqualfreie Orte ...    Anke Guido im Gespräch (SB)


Fremdem Nutzen entzogen - auch Tiere brauchen Asyl

Interview auf dem Veganen Straßenfest in Hamburg am 13. September 2014



Anke Guido ist Zweite Vorsitzende von Free Animal. Im Bündnis mit anderen Tierrechts- und Tierbefreiungsgruppen hat der gemeinnützige Verein das erste Vegane Straßenfest in Hamburg organisiert und angemeldet. Zu diesem Anlaß beantwortete Anke Guido dem Schattenblick einige Fragen zu den Lebenshöfen, die Free Animal unterstützt und betreut - und die den durch Solispenden erzielten Überschuß des Festes erhalten werden, so daß die dort lebenden Tiere eine Zukunft haben[1].

Plakat mit drei befreiten Tieren am Stand des Free Animal e.V. - Foto: 2014 by Schattenblick

Wenn namenloses Elend ein Ende hat
Foto: 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Anke, könntest du bitte etwas über die Arbeit und die Ziele von Free Animal e.V. sagen?

Anke Guido: Free Animal ist ein Verein, der Lebenshöfe für Tiere finanziell und durch Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Das machen wir seit 1996. Finanziell getragen wird das durch Mitgliedsbeiträge, Patenschaften, Spenden und aus dem Verkauf von Merchandising zum Beispiel auf Straßenfesten. Unsere Mitgliedszeitung La Vita erscheint zweimal im Jahr. Unter anderem berichten die Höfe darin über ihre Arbeit. Redaktionell widmen wir uns zudem verschiedenen Tierrechtsthemen, die meistens mit Lebenshöfen in Zusammenhang stehen. Wir unterhalten eine Facebook-Seite, die sehr gut läuft, und haben auch eine Webseite. Natürlich drucken wir auch Infomaterial, obwohl die elektronische Öffentlichkeitsarbeit immer wichtiger wird, zumal sie Kosten einspart.

SB: Wieviele Höfe sind bei euch angeschlossen?

AG: Wir haben deutschlandweit sieben Höfe und weitere Projekte im In- und Ausland. Das Projekt im Ausland ist die Katzenhilfe Lanzarote, die anderen Projekte sind alle in Deutschland. Wir haben auch Patenschaften für einzelne Tiere, zum Beispiel für Kühe, die auf anderen Lebenshöfen leben. Insgesamt finanzieren wir rund 450 Tiere.

SB: Wie schaffen es die Höfe, finanziell über die Runden zu kommen?

AG: Durch Spendeneinnahmen, aber auch durch selbstverdientes Geld. Man darf sich die Höfe jedoch nicht wie Riesenkomplexe oder Tierheime vorstellen, in denen zahlreiche Angestellte tätig sind. Die Höfe werden von Privatpersonen geleitet und versorgt. Oft sind sie als Vereine organisiert, weil sie dadurch besser Spenden einnehmen und vor allem Spendenbescheinigungen ausstellen können. Meistens sind es Paare, wo dann eine Person den Lebensunterhalt für die Familie verdient und die andere Person sich rund um die Uhr um die Tiere kümmert. Aber im Prinzip werden die Höfe durch Spenden und Patenschaften getragen oder durch das Geld, das von Free Animal kommt.

Allerdings können wir keinen festen Haushalt planen, der auf ein ganzes Jahr berechnet ist, weil wir nicht wissen, was an festen Geldern reinkommt. Manchmal kommt eine größere Spende, dann haben wir natürlich eine bessere Planungssicherheit. Im letzten Jahr hat ein veganes Kosmetikunternehmen den Gewinn aus dem Verkauf eines ihrer Produkte in der Weihnachtszeit an uns und andere Organisationen gespendet. Das bringt dann auf einen Schlag einen größeren Betrag ein, aber dauerhaft können wir natürlich nichts planen. Es ist wirklich mühsam eingenommenes Geld und reicht eigentlich nie aus. Im Augenblick haben wir einen Aufnahmestopp. Natürlich können wir den Höfen nicht vorschreiben, was sie machen, aber wenn kein Geld mehr vorhanden ist, kann man auch kein weiteres Tier aufnehmen.

SB: Welche Tiere werden auf den Höfen betreut? Ist es sogenanntes Nutzvieh oder sind es Haustiere, die die Besitzer nicht mehr haben wollen?

AG: Die Höfe sind speziell für sogenannte Nutztiere da, also Kühe, Pferde, Schweine, Ziegen, Schafe, Hühner, Gänse, alles Tiere, die man privat nicht aus dem Tierheim holen und dann zu Hause betreuen kann. Dennoch leben auch Katzen und Hunde auf den Höfen. Bei Pferdeglück zum Beispiel scheint es sich unter den Katzen herumgesprochen zu haben, daß man dort gut versorgt wird. Aber das sind in der Regel wildlebende Katzen, die sich dort füttern lassen. Sie kommen aus der Umgebung und werden dann eben mitbetreut. Der Schwerpunkt liegt aber ganz klar auf den sogenannten Nutztieren.

Der Grundgedanke ist natürlich, für die wenigen Tiere, die aus ihrer Ausbeutung befreit werden konnten, einen Ort zu finden, wo sie leben können. Darüber hinaus soll auch ein Zeichen in der Gesellschaft gesetzt werden, daß Tiere nicht als Nutztiere gehalten werden dürfen, weil sie ein eigenes Lebensrecht haben. Auf den Höfen können sie, ohne daß sie einen Zweck oder Nutzen für den Menschen haben, bis zu ihrem natürlichen Ende frei leben. Das führt leider manchmal dazu, daß es seitens der Nachbarn zu aggressivem Verhalten kommt. Wenn ein Bauer zum Beispiel um die Ecke schaut und sieht, daß die Tiere auf einem Lebenshof frei leben, kann es passieren, daß er zornig wird.

SB: Aus welchem Grund?

AG: Auf dem Lande gibt es für die sogenannten Nutztiere nur den Zweck, ausgebeutet zu werden, und wenn dann auf einem Hof Kühe, Ziegen, Schafe, Gänse gehalten werden, ohne sie zu benutzen, dann ist das ein starkes Symbol und zeigt den Leuten, daß ihr Umgang mit Tieren vielleicht nicht ganz so in Ordnung ist. Es ist nun nicht so, daß die Leute von den Höfen ständig angefeindet und bedroht werden, aber es ist schon vorgekommen.

SB: Gelegentlich vollziehen auch Bauern wie etwa von Hof Butenland, der von einem ehemaligen Milchbauern geführt wird, eine 180-Grad-Wendung. Kennst du noch andere Beispiele von Landwirten, die das Geschäft der Tierausbeutung abgelegt haben?

AG: Ja durchaus. Die Leute, die wir direkt unterstützen, kommen zwar überwiegend aus dem Tierrechts- oder Tierschutzbereich, aber es gibt zum Beispiel die Kuhrettung Rhein-Berg, wo wir auch eine Patenkuh haben. Dort wollte ein Milchbauer die Tiere nicht mehr schlachten. Auf seinem Land haben Leute ihre Pferde untergebracht, und mit einigen von ihnen hat der ehemalige Milchbauer vor einigen Jahren einen Verein gegründet, um für Kühe den Lebensunterhalt durch Patenschaften zu sichern. Die Tiere leben jetzt auf diesem Land ohne irgendwelchen Nutzen. So etwas gibt es also durchaus, daß Leute, die in diesem Bereich ihr Geld verdienen, irgendwann nicht mehr wollen. Aber wenn man in diesem Kreislauf drinsteckt, ist es natürlich nicht einfach, mit seiner Existenz zu brechen, weil dann auch der Lebensunterhalt wegfallen würde. Das ist aber kein Argument, weiterhin Tiere auszubeuten.

Vereinszeitung La Vita am Stand von Free Animal e.V. - Foto: 2014 by Schattenblick

Dem Leben verpflichtet
Foto: 2014 by Schattenblick

SB: Um eine breitere Öffentlichkeit auf das Thema Tierausbeutung aufmerksam zu machen, reicht es wohl nicht aus, sich aufs Land zurückzuziehen und ein idealistisches Landleben mit Tieren zu pflegen. Wie versucht ihr, das Thema in die Gesellschaft zu bringen?

AG: Es ist nun nicht so, daß man sich aufs Land zurückzieht, um idyllisch mit Tieren zu leben. Aber wenn man sich entscheidet, einen Lebenshof zu betreiben und Tiere aufzunehmen, um sie frei bis zu ihrem natürlichen Ende leben zu lassen, dann muß man das auf dem Lande machen. Ich kann keine Kuh oder Ziege bei mir im Garten oder auf dem Balkon halten. Das heißt, es geht nur auf dem Land. Natürlich ist man dadurch auch ein bißchen von der Gesellschaft abgeschnitten, und für große Öffentlichkeitsarbeit fehlt schlichtweg die Zeit, denn zu zweit einen Hof mit vielen Tieren zu führen, macht viel Arbeit und ist zeitintensiv, selbst wenn gerade kein Tier krank ist. Wir merken das auch bei unserer Vereinszeitung. Wenn ich die Leute vom Lebenshof zweimal im Jahr anschreibe und um die Berichte für die nächste Ausgabe bitte, erhalte ich oft die Antwort, mein Gott, wie soll ich das schaffen? Sie sind zeitlich einfach stark eingespannt.

Bei Pferdeglück sind aktuell einige Tiere krank. Die Frau, die die Pferde betreut, steht praktisch neben sich, weil sie keine Nacht richtig durchschlafen kann. Eben deshalb besteht die Arbeit von Free Animal darin, Öffentlichkeitsarbeit für die Höfe zu machen, Geld durch Spenden einzunehmen und das Thema in die Gesellschaft zu bringen. Bei einem veganen Straßenfest wird man natürlich wohlwollend aufgenommen, aber wir versuchen natürlich auch, das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu tragen. Aber es ist mühsam, der Gesellschaft die Tierbefreiung beizubringen.

SB: Wie kommt ein sogenanntes Nutztier überhaupt auf einen Gnadenhof?

AG: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal werden Kühe oder Rinder, weil sie vernachlässigt auf einer Weide stehen, von Leuten, die das zufällig sehen, freigekauft. Auf der Suche nach einem Platz kommen sie dann auf die Lebenshöfe. Ein andermal werden Pferde von Leuten beim Viehhandel aus Mitleid freigekauft. Manche Tiere werden tatsächlich auch gefunden oder kommen frei, wenn jemand die Tierhaltung aufgibt. Vor drei Jahren wurde der Tierpark Lübeck geschlossen. Wir haben nicht in jedem einzelnen Fall herausgefunden, wo die Tiere hingingen, aber Free Animal konnte viele von ihnen - vor allem Schafe und Ziegen - freikaufen.

SB: Steht der Freikauf von Tieren auf der Agenda von Free Animal?

AG: Es ist etwas, das wir an sich nicht unterstützen, denn wenn jemand privat ein Tier freikauft und dafür einen Platz sucht, haben wir mit dem Freikauf im Grunde nichts zu tun. Im Fall des Lübecker Tierparks gab es eine Tierrechtskampagne, die schon über Jahre lief und in die viele von uns involviert waren. Als der Zoo dann dichtgemacht hat, ergab sich die Chance, die Tiere dort herauszuholen. Weil der Zoo ohnehin geschlossen wurde, gab es nicht das Bedenken, daß das Geld in weitere Tierausbeutung investiert wird. Insofern haben wir die Tiere, teilweise durch externe Spenden, freigekauft und in Lebenshöfen untergebracht.

Manchmal werden tatsächlich auch Ziegen irgendwo gefunden. Hühner lassen sich relativ leicht aus Legebatterien befreien und kommen dann zum Projekt Befreite Hühner. Die vom Projekt selbst haben mit der Befreiung nichts zu tun, sie bekommen lediglich die Hühner, die befreit wurden. Die Tiere, die aus der Tierausbeutung kommen - Hühner, Schweine, Rinder usw. -, sind in aller Regel in einem körperlich schlechten Zustand. Sie haben nicht annähernd die natürliche Lebenserwartung, die diese Tierart eigentlich erreichen könnte. Bei den Hühnern merkt man das ganz deutlich, denn die sogenannten Masthühnchen sind nach kurzer Zeit durch die enorme Gewichtszunahme verbraucht. Bei Schweinen werden die Organe durch die Fleischmassen, die sich bei der Mast ausbilden, regelrecht erdrückt. Diese Tiere haben dann keine lange Lebenserwartung mehr.

Darüber zu informieren, was den Tieren angetan wird, ist uns sehr wichtig. Aber nicht alle Geschichten sind so düster. Die Bilder von Tieren, die sich auf den Höfen ihres Lebens erfreuen, werden dann von uns auf Facebook und auf unserer Webseite gepostet bzw. in unserer Vereinszeitung La Vita veröffentlicht. Dann freut man sich richtig mit. Vor kurzem hatten wir Bilder von einem Schwein aus dem Tierlebenshof Hunsrück, den wir auch unterstützen, veröffentlicht. Man sieht auf den Bildern, wie das Tier lebensfroh herumrennt. Man muß sich vorstellen, daß es ansonsten längst in einer Kühltheke gelandet wäre.

SB: Wie hat sich dein Interesse an der Tierbefreiung entwickelt?

AG: Ich habe immer schon Menschenrechtsarbeit gemacht und mich auch anderweitig politisch engagiert. Irgendwann vor vielen Jahren ist mir klargeworden, daß Befreiung nicht beim Menschen aufhört, sondern daß wir auch die Tiere aus der gesellschaftlichen Fessel, in die sie gebracht worden sind, befreien müssen. Ich habe da immer das Bild von Max Horkheimer mit dem Wolkenkratzer im Kopf: Da unten im Fundament sind die Tiere, und wenn man die Tiere daraus befreit, dann stürzt der ganze Wolkenkratzer ein. Die Ausbeutungsverhältnisse betreffen nicht nur die Tiere, sondern auch alle Menschen.

Ich war dann mehrere Jahre bei den Tierbefreiern hier in Hamburg aktiv und habe mich mit meinen beiden Mit-Vereinsvorstandsfrauen angefreundet. Irgendwann wurde der Posten der zweiten Vorsitzenden frei, weil die Frau das Amt, das sie bisher bekleidet hatte, aus Zeitgründen nicht mehr ausfüllen konnte. Ich wurde gefragt, ob ich den Posten übernehmen möchte, und habe Ja gesagt. Meine Aufgaben sind vielleicht nicht so aufregend und vielfältig wie andere Bereiche der politischen Betätigung, weil man sehr auf ein bestimmtes Thema fokussiert ist, aber es ist nichtsdestotrotz eine wichtige und lohnenswerte Arbeit.

SB: Anke, vielen Dank für das Gespräch.

Bilder befreiter Tiere am Stand von Free Animal e.V. - Foto: 2014 by Schattenblick

Entkommen ...
Foto: 2014 by Schattenblick


Fußnote:


[1] http://www.veganes-strassenfest.de/



Berichte zum Veganen Straßenfest unter

www.schattenblick.de → INFOPOOL → TIERE → REPORT:

BERICHT/008: Feiern, streiten und vegan - Konfliktbereit für Mitgeschöpfe ... (SB)
BERICHT/009: Feiern, streiten und vegan - Von Menschen für Menschen ... (SB)
INTERVIEW/016: Feiern, streiten und vegan - Joch- und Zaumzeugaugenblicke ...    Hartmut Kiewert im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Feiern, streiten und vegan - Verständnis pumpen ...    Patrick "Der Artgenosse" im Gespräch (SB)
INTERVIEW/018: Feiern, streiten und vegan - Transporte brechen ...    Joshua Naukamp im Gespräch (SB)
INTERVIEW/019: Feiern, streiten und vegan - Von hinten aufrollen ...    Aktivistin Sandra im Gespräch (SB)
INTERVIEW/020: Feiern, streiten und vegan - Verstehen geht durch den Magen ...    Fräulein Flauschmiez im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/026: Feiern, streiten und vegan - Tier- und Menschenrecht nach vorn ...    Aktivist Dennis im Gespräch (SB)

8. Oktober 2014