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ETHIK/018: Kulturschock (Ingolf Bossenz)


Kulturschock

Von Ingolf Bossenz, 26. April 2011


»Es ist vollbracht«, waren laut Johannes-Evangelium Jesu letzte Worte am Kreuz. Seit vergangenem Karfreitag, dem christlichen Gedenktag der Kreuzigung, kann sich die französische Regierung diesen Satz zu eigen machen - mit Blick auf eine ähnlich qual- und leidvolle Angelegenheit: den Stierkampf. Nicht, dass das vor allem im Süden veranstaltete grausame Spektakel in der Arena endlich verboten wurde. Das Gegenteil ist der Fall: Im Land Voltaires, Diderots und Sartres steht die Misshandlung und Tötung von Tieren zur Unterhaltung einer johlenden Menge jetzt auf der vom Pariser Kulturministerium geführten Liste des immateriellen nationalen Kulturerbes. Exakt zum Beginn der französischen Stierkampfsaison erklärte sich Frankreich damit zum weltweit ersten Land, in dem eine derartige Tortur zum Kulturgut erhoben wurde. Damit nicht genug. Die UVTF, ein Zusammenschluss südfranzösischer Städte, in denen regelmäßig Stierkämpfe veranstaltet werden, will bei der UNESCO gar beantragen, das blutige Schauspiel als »Kulturerbe der Menschheit« zu sanktionieren. Doch sollte man die Verantwortlichen für derartigen Wahnwitz nicht nur in Frankreich (und Spanien) sehen. Der EU-Vertrag von Lissabon nimmt beim Tierschutz ausdrücklich auf solche »kulturellen Traditionen« Rücksicht - ein Freibrief für Rücksichtslosigkeit.


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Quelle:
Ingolf Bossenz, April 2011
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 26.4.2010
http://www.neues-deutschland.de/artikel/196170.kulturschock.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2011