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TIERHALTUNG/596: Tierwohl im Lehrplan (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 367 - Juni 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Tierwohl im Lehrplan
Niedersachsens überbetriebliche Ausbildungsstätte für Tierhaltung baut um

von Claudia Schievelbein



Das alles hier", Martina Wojahn macht eine ausladende Handbewegung, "wird abgerissen und neu gebaut." Läuft man mit ihr, der Geschäftsführerin, über das Gelände der, auch mit einem neuen Namen versehenen, landwirtschaftlichen Lehr- und Versuchsanstalt in Echem bei Lüneburg bekommt man den Eindruck eines Neuanfangs. Landwirtschaftliches Bildungszentrum (LBZ) heißt der 200 Hektar-Betrieb nun und Martina Wojahn ist es wichtig zu betonen, dass hier nicht nur baulich verändert wird. "Wir stellen uns auch inhaltlich auf die zukünftigen Anforderungen, beispielsweise in Sachen Tierschutz, Antibiotikaeinsatz, Verbraucherakzeptanz der Tierhaltung, ein." Jeder und jede landwirtschaftliche Auszubildende in Niedersachsen kommt während der Lehrzeit nach Echem, um dort im Rahmen des überbetrieblichen Teils der Ausbildung Grundkenntnisse in der Tierhaltung zu erlernen. Die Lehrlinge leben, lernen und arbeiten gemeinsam für eine Woche auf dem Betrieb mit derzeit noch 75 Milchkühen, einer Mutterkuhherde, Bullen, Legehennen, Ziegen und Schafen. Den Kurs zur Schweinehaltung absolvieren sie bislang im oldenburgischen Wehnen, auf einem weiteren Betrieb der Landwirtschaftskammer. Dieser Standort, so wurde schon vor Jahren beschlossen, soll aufgegeben werden und die Schweinehaltung nach Echem umziehen. Zunächst dachte die Kammer damals darüber nach, den Bereich an die DEULA zu übertragen, ein Konzept für einen Stallneubau mit 3.000 Mastplätzen stand zur Diskussion. Es begann zu rumoren im Dorf und der Gemeinde Scharnebek. Bürgerbedenken angesichts möglicher Geruchs- und Keimbelästigung entwickelte sich, aber auch Widerstand gegen eine konventionelle Tierhaltungsanlage erheblichen Ausmaßes als einzigem Lehrort zur Schweinehaltung in der überbetrieblichen Ausbildung.

Schließlich wurden die Kooperationspläne mit der DEULA aufgegeben, die Kammer selbst wollte das Projekt doch noch zu einem guten Ende bringen. "Plötzlich gab es die Idee, da auch einen Biostall zu bauen", erinnert sich Jan Hempler, Landwirtschaftlicher Berater bei der Kammer für artgerechte Tierhaltung. Als sich dann bei den niedersächsischen Kommunalwahlen 2011 die Mehrheitsverhältnisse in der Gemeinde Scharnebek änderten, entwickelte sich eine neue Dynamik. Mehrere rot-grüne Vertreter des Gemeinderates verhandelten mit der Landwirtschaftskammer. Einer von ihnen ist Wolfgang Biederstedt, der sich rückblickend und ein wenig augenzwinkernd an ein "Musterbeispiel für demokratisches Verhalten" erinnert. Endlich gab es den erforderlichen Kommunikationsprozess. Am Ende steht aus Biederstedts Sicht eine "vernünftige Lösung", an deren zustande kommen Martina Wojahn mit ihrer Fähigkeit, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, einen erheblichen Anteil trage. Gebaut werden nun zwei Schweineställe, darüber hinaus eine Biogasanlage, auch um der Sorge der Anwohner nach Güllegestank auf den Feldern zu begegnen. Und auch die Kühe ziehen in einen neuen Stall, die Herde wird auf 145 Tiere aufgestockt, es wird weiterhin einen Melkroboter und einen klassischen Melkstand geben. Kühe und Jungvieh gehen weiterhin auf die Weide, wenn auch allein schon bedingt durch die Tatsache, dass sie "Ausbildungsobjekte" sind, nicht so lang wie vielleicht auf anderen Milchviehbetrieben. Aber das Signal, was hier gesendet werden soll wird deutlich: Modernität guckt aufs Tier. Dafür nimmt das Land richtig Geld in die Hand, rund die Hälfte der angepeilten 22 Mio. Euro Investitionssumme.


Praxis zeigen

Zurück zu den Schweinen, gebaut wird voraussichtlich ab dem Sommer ein konventioneller Stall für 250 Sauen und 1.100 Mastschweine, zumindest mit mehr Platz pro Tier, mehr Fensterflächen und Variationen unterschiedlicher Ferkelplätze. "Das war eine Kritik", sagt Wojahn, "dass sich die ersten Planungen nur auf dem Niveau der Nutztierhaltungsverordnung bewegten." Da habe man drauf reagiert, auch vor dem Hintergrund des noch von CDU-Landwirtschaftsminister Gerd Lindemann vorgelegten Tierschutzplans und dem Anspruch, als Kammer zukunftsorientiert zu beraten, so Wojahn. Gleichzeitig macht sie aber auch geltend, dass man, so lange es erlaubt sei, eben auch das zeige, was in der Praxis gängig ist, sei es nun das Kastrieren der Ferkel oder das Enthornen der Rinder. "Wir wollen alle mitnehmen, niemanden vor den Kopf stoßen." Neben dem konventionellen Stall wird es aber auch einen Stall mit 32 Sauen und 260 Mastplätzen geben, der den Anforderungen der ökologischen Anbauverbände entspricht. "Eigentlich streben wir auch eine Verbandsanerkennung an, vielleicht über eine Futterkooperation mit einem Biobetrieb im Ort", erklärt Wojahn. Die Auszubildenden werden beides kennen lernen und nicht nur die. Denn außer 1.600 angehenden Bauern und Bäuerinnen, kommen auch landwirtschaftlich Tätige in Weiterbildungskurse und 2.000 Besucher im Jahr auf den Hof, der größte Teil davon Schulkinder. Schon lange gibt es eine Kooperation mit dem Schulbiologischen Zentrum in Lüneburg, das Kinder aller Altersklassen zum Thema Bauernhof und Nutztierhaltung nach Echem holt. "Wir betreiben hier auch Verbraucheraufklärung und können zeigen, dass jeder mit seinem Konsumverhalten etwas entscheiden kann", sagt Martina Wojahn. Dass man das in Sachen Schweinehaltung dann demnächst direkt nebeneinander sehen kann, macht nicht jeden glücklich. Örtliche Bauernverbandsvertreter sind zumindest hinter vorgehaltener Hand nur begrenzt begeistert, wenn auch Sprüche wie "da schick ich meine Lehrlinge nicht mehr hin", wohl eher Stammtischphrasengedresche sind.


Kritischer Dialog

"Wir wollen einen kritischen Dialog mit allen Beteiligten", bekräftigt Martina Wojahn ihren Anspruch, auch weiterhin für alle da zu sein. Gerade hatte sie Vertreter zweier Kirchenkreise zu Besuch, die die Rolle der Kirche in der Frage der Nutztierhaltung bearbeiten wollen, als Folge kommen demnächst die Konfirmanden von dort. Und auch wenn im Moment viele Tiere umziehen in Echem, kommen Besucher und Lehrlinge weiterhin. Über einen würde sich Martina Wojahn besonders freuen, den neuen Landwirtschaftsminister. "Wir hoffen natürlich, dass Herr Meyer uns bald besucht, für uns geht es schließlich auch darum, wie wir als Ausbildungsstätte zur Agrarwende beitragen können."

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 367 - Juni 2013, S. 20
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2013