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BERICHT/106: Straßenhunde - Rettung durch Import? (tierrechte)


tierrechte 3.11 - Nr. 57, August 2011
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Straßenhunde: Rettung durch Import?

von Christina Ledermann


In vielen Staaten Süd- und Osteuropas ist das Elend der streunenden Hunde "himmelschreiend" und Tierschützer kämpfen vor Ort einen oft verzweifelten Kampf. Viele Tierschutzorganisationen bringen mittlerweile Hunde nach Deutschland, um sie hier zu vermitteln. Die Veterinärbehörden sehen die steigenden Zahlen allerdings äußerst skeptisch - ein schwieriges und emotionsgeladenes Thema.

Eine der Hauptbefürchtung seitens der Behörden ist, dass von Auslandstieren Mittelmeerkrankheiten eingeschleppt werden können, da die tierseuchenrechtlichen Vorschriften bei der Einfuhr nicht immer beachtet würden. Zudem vermutet man bei einigen Tierschutzvereinen einen gewerbsmäßigen Handel mit den Tieren. Es sei beobachtet worden, dass unter dem Deckmantel des Tierschutzes ein lukratives Geschäft mit Welpen aus Massenzuchten betrieben und so das Elend noch verschlimmert würde. Gegenmaßnahme von Seiten der Behörden: Der Versuch, die Anzahl der Import-Tiere durch erhöhte tierseuchen- und tierschutzrechtliche Auflagen zu begrenzen.

Auf der anderen Seite stehen die Tierschutzvereine, die meist verzweifelt gegen das Tierelend vor Ort kämpfen. Oft ohne Unterstützung der einheimischen Behörden kümmern sie sich um verletzte Tiere und organisieren Fang- und Kastrationsaktionen. Doch was tun mit den Tieren, die bereits da sind und denen im Herkunftsland die Tötungsstation droht oder die einfach nicht vermittelt werden können?


Lukratives Geschäft?

Gegen den Vorwurf, aus finanziellen Interessen Straßenhunde nach Deutschland zu importieren, verwahren sich die meisten Tierschützer. Das Tier müsse in seinem Heimatland und in Deutschland tierärztlich behandelt, kastriert und verpflegt werden. Verletzte Tiere trieben die Behandlungskosten in die Höhe. Das Fazit vieler Tierschützer: Ernsthafter Auslandstierschutz ist kein Geschäft, sondern äußerst kostenintensiv. Was das Einschleppen von Krankheiten betrifft, wird darauf verwiesen, dass seriöse Tierschutzvereine einen kompletten Mittelmeercheck bieten. Das heißt, die Hunde werden vor der Vermittlung auf Leishmaniose-, Ehrlichiose- und Babiose getestet.


Vermittlungskonkurrenz?

Kritiker äußern zudem, dass Hunde, die zuvor auf der Straße gelebt haben, sich nur schwer an ein Leben als Haustier in deutschen Städten gewöhnen und ängstlich oder aggressiv reagieren können. Zudem nähmen sie den Hunden, die in deutschen Tierheimen säßen, die Chance auf eine Vermittlung. Dem entgegnen viele Tierschützer, dass in den Tierheimen überwiegend die Opfer einer tierfeindlichen Gesetzgebung(*) oder menschlichen Versagens säßen, die oft verhaltensgestört oder gar gefährlich seien. Die gut sozialisierten Hunde aus dem Süden würden den "Unvermittelbaren" sogar helfen, indem sie über ihre Vermittlungsgebühren deren Tierarzt- und Futterkosten mitfinanzierten. Der Aussage, dass Auslandshunde dazu neigten, verhaltensgestört zu sein, widersprechen sie mit Hinweis auf die Beißstatistiken. Auf den vorderen Plätzen ständen der Deutsche Schäferhund und andere Rassehunde. Der Mischling, also der typische Auslands-Vertreter, läge indessen weit hinten.


Fazit: Die EU und die Mitgliedsländer sind in der Pflicht

Wer hier eine Lösung finden will, muss sich gerade in dieser emotional aufgeheizten Debatte von Pauschalisierungen fernhalten und sachlich die Interessen aller Beteiligten abwägen. Es gilt zwischen dubiosen Geschäftemachern und seriösen Organisationen zu differenzieren, aber auch die berechtigten Bedenken der Behörden ernst zu nehmen und entsprechend zu kooperieren. Die Verbringung von Auslandshunden nach Deutschland hilft zwar einzelnen Individuen, stellt aber keine Lösung da.

Der einzige Ansatz, um das Elend der Straßentiere nachhaltig zu beenden, ist und bleibt die Problemlösung vor Ort. Die Missstände können nur durch Kastrationsprogramme, Aufklärungsarbeit und den Aufbau von Tierheimen in den Herkunftsländern aufgelöst werden. Hier sind die EU und die Mitgliedsstaaten in der Pflicht. Einige Abgeordnete sind kürzlich aktiv geworden und haben eine "Schriftliche Erklärung zur Kontrolle der Hundepopulation in der Europäischen Union" (0026/2011) verfasst. In dieser weisen sie u.a. die EU-Kommission darauf hin, Artikel 13 des Lissaboner Vertrages und den EU-Aktionsplan für Tierschutz zu beachten. Die Mitgliedstaaten werden dazu aufgerufen, umfassende Strategien zur Kontrolle der Hundepopulation aufzunehmen, wie Kastration, Sterilisation und Impfungen. Dazu gehören auch Maßnahmen gegen Tiermisshandlung, die Förderung einer verantwortungsvollen Haustierhaltung sowie eine verpflichtende Identifizierung und Registrierung aller Hunde.

Wenn Sie helfen möchten, bitten Sie die EU-Abgeordneten, die "Schriftliche Erklärung zur Kontrolle der Hundepopulation in der Europäischen Union (0026/2011)" zu unterzeichnen.

Unterzeichnet die Mehrheit der EU-Abgeordneten, wird das Thema im Plenum behandelt.

Die Adressen der EU-Abgeordneten finden Sie unter:
www.abgeordnetenwatch.de → EU


Anmerkung:

(*) In Deutschland haben die Landeshundegesetze und -verordnungen der Bundesländer viel Leid für Hund und Mensch hervorgerufen. Aspekte hierzu werden in einer der folgenden tierrechte-Ausgaben dargelegt werden.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 57, August 2011, S. 11
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2011