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BERICHT/114: Ebermast - klar die beste Alternative zur Ferkelkastration (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2013
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

KAMPAGNE
Ebermast - klar die beste Alternative zur Ferkelkastration

Von Sabine Ohm, Europareferentin



Noch vor fünf Jahren hieß es: Finger weg von der Jungebermast, Eberfleisch stinke zu oft. Dank des Anstoßes durch die PROVIEH-Kampagne ist Jungebermast in mehrfacher Hinsicht zu einem Erfolgsmodell geworden. 1) Der Kastrationsverzicht erspart den männlichen Ferkeln Schmerz, Stress und Keimeinträge durch die Operationswunde. 2) Die naturbelassenen Jungeber verwerten das Futter erheblich besser als die Kastraten, brauchen für die gleiche Gewichtszunahme also weniger Futter und erzeugen deshalb weniger Gülle. 3) Eberfleisch ist magerer als das von Kastraten und weiblichen Mastschweinen, was dem Wunsch vieler Kunden nach magerem Fleisch entspricht. Der Kastrationsverzicht nützt also den Jungebern, den Bauern und den Kunden.

Seit PROVIEH im Sommer 2008 seine Kampagne begann, werden für die Zeit nach der Abschaffung der betäubungslosen Kastration (2018) neben der Jungebermast auch die Kastration unter Betäubung und die Immunokastration diskutiert.

Auch unter Betäubung führt die chirurgische Kastration zu Stress und Schmerz für die sehr jungen Ferkel. Das Fortnehmen von der Mutter ist Stress, und das Einspannen ins Narkosegerät ist traumatisch, weil die Ferkel mit dem empfindlichen Bäuchlein nach oben liegen müssen, was sie von allein niemals tun würden. Die in den Niederlanden übliche CO2-Betäubung quält die Ferkel regelrecht, weil das konzentrierte CO2 auf den Schleimhäuten stark brennt und die Tiere unter Erstickungsängsten leiden. Das in Deutschland selten verwendete Narkosegas Isofluran belastet die Ferkel weniger, kann den Kastrationsschmerz aber nicht richtig ausschalten, auch wenn das Ferkel reaktions- und bewegungsunfähig im Narkosegerät liegt. Der Kastrationsschmerz kann nur durch die Gabe eines Schmerzmittels etwa 20 Minuten vor der Kastration verhindert werden. Doch in der Praxis wird das Ferkel gefangen und gleich nach der Injektion des Schmerzmittels kastriert. Isofluran ist außerdem leber- und klimaschädlich. Schwangeren Frauen wird von der Nutzung wegen drohender Missbildung des Fötus abgeraten.

Die vom Pharmakonzern Pfizer patentierte Immunokastration mit dem Impfstoff Improvac stresst die Tiere weniger, hat aber andere Nachteile: Es können Impfabszesse entstehen, Fehlimpfungen sind möglich, Tierbetreuer könnten sich aus Versehen selbst impfen (vor allem für Schwangere gefährlich), und statt einer sind zwei Impfungen nötig, eine im Ferkelalter, die zweite im Mastalter. Nach der zweiten Impfung fressen die Immunokastraten deutlich mehr Futter als die Jungeber und setzen viel mehr Fett an. Und nicht zu vergessen: Wer will von einem Pharmakonzern abhängig sein, der den Preis als Monopolist über Jahre hinaus allein bestimmen kann?

Der schnelle Schwenk von der Kastraten- zur Jungebermast und die Interessenlage führte zur Streuung vielfältiger Gerüchte und Vorurteile über die Jungebermast: Jungebermast erzeuge "Stinkerfleisch", "vermehrtes Penisbeißen bei Jungebern", "verstärktes Aufreiten" und ähnliche Tierschutzprobleme. Derartige Probleme existieren nur als einzelne, völlig abnorme Ausnahmefälle (wie das Penisbeißen, das bisher ganze zwei Mal beobachtet wurde) oder lassen sich durch die Einhaltung einiger Regeln gut lösen: Die Fütterung der Tiere muss an deren Bedürfnisse angepasst werden, was insbesondere für die Versorgung mit Aminosäuren gilt. Eine ausreichende Raufuttergabe wirkt laut Studien hervorragend gegen die Entwicklung des sogenannten "Ebergeruchs". Die Tiere - egal ob nach Geschlechtern getrennt oder nicht - sollten jung zusammengestallt und später nicht neu gemischt werden. Denn durch die geschwisterliche Atmosphäre und stabile Rangordnung werden das Erwachen sexueller Instinkte und das Aufreiten weitgehend vermieden. Das Absortieren schlachtreifer Tiere stört die Rangordnung erfahrungsgemäß nicht nachhaltig, wohl aber die Eingliederung gruppenfremder Tiere. Wichtig ist, dass die Jungeber am Schlachttag so wenig Stress wie möglich erleiden. Schließlich ist die Entwicklung "geruchsarmer" Zuchtlinien weit fortgeschritten, so dass die Zahl der geruchsauffälligen Nachkommen an Standorten mit stressarmer Schlachtung von vorher 4 bis 5 Prozent auf nur noch 2 bis 2,5 Prozent sank. Im In- und Ausland wurden in den vergangenen fünf Jahren schon über 70 geruchsarme Eberlinien gezüchtet.

Auch die Vermarktung von Jungeberfleisch funktioniert reibungslos: Dank der "menschlichen Riechnasen" in den Schlachthöfen, die die Schlachtkörper von Jungebern auf Geruchsauffälligkeit testen, wird der Verkauf von geruchsauffälligen Produkten wirksam verhindert. Der Handel vertreibt seit geraumer Zeit vielerorts und in verschiedenster Form Eberfleischprodukte - ohne Reklamationen. Verarbeiter und Einzelhändler folgen damit dem Beispiel der Schnellrestaurant-Kette McDonald's. Sie hatte aufgrund unserer Kampagne "Kastratenburger? Schluss damit!" im Juli 2009 angekündigt, ab Januar 2011 kein Kastratenfleisch mehr zu verkaufen (vgl. u.a. PROVIEH-Magazin 3/2009). Als umfangreiche Tests in ganz Deutschland zu keinen Beanstandungen führten, vollzog McDonald's die Auslistung von Kastratenfleisch fristgerecht und ohne Presserummel. PROVIEH ist stolz auf diesen wichtigen Kampagnenerfolg, der dank der Mithilfe unserer vielen aktiven Mitglieder im gesamten Bundesgebiet erzielt wurde.

Kleine Metzgereien könnten mit der Verarbeitung und Vermarktung von geruchsauffälligem Fleisch Probleme bekommen. Sie müssen daher besonders auf eine geruchsarme genetische Herkunft und auf Stressvermeidung in den letzten Lebensstunden beim Transport und vor der Schlachtung achten. Denn Stress gilt neben Hygienemängeln und Fütterungsfehlern noch immer als die Hauptursache für Geruchsauffälligkeit.

Angesichts der vielfältigen Erfolge des Kastrationsverzichts legte die Bundesregierung bei der Novelle des Tierschutzgesetzes einen Entwurf vor, der ein Verbot der betäubungslosen Kastration von Ferkeln ab 2017 vorsah. Der Entwurf wurde von einigen Interessensgruppen heftig bekämpft, woraufhin Landwirtschaftsministerin Aigner die Gesetzesvorlage auf ein Verbot ab 2019 änderte. Das Umschwenken der Bundesregierung kann nur verwundern. In den Niederlanden wird die Kastration schon ab 2015 verboten, und in Frankreich hat sich eine der größten Erzeugergemeinschaften (rund 20 Prozent der französischen Ferkelerzeugung) zur Jungebermast ab März 2013 entschlossen.

Die Jungebermast verbreitet sich also rasch - nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Ländern. Das war vor fünf Jahren, als PROVIEH seine Kampagne zur Abschaffung der Ferkelkastration begann, noch nicht abzusehen. Der Erfolg macht Mut und beflügelt unsere Arbeit, die auch ohne Zutun von der Bundesregierung Wirkung zeigt.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2013, Seite 34-36
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2013