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ETHIK/028: Gezüchtet, genutzt und patentiert (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Gezüchtet, genutzt und patentiert
Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier im Wandel der Zeiten

Von Susanne Aigner


Seit Darwin wissen wir, dass sich der Mensch aus der Tierwelt heraus entwickelte. Obwohl wir deshalb noch immer eng mit den Tieren verbunden sind, hat sich unsere Beziehung im Laufe der Geschichte doch wesentlich verändert. So ist etwa das Rind, welches einst das Überleben des Menschen garantierte, heutzutage oft nur noch ein Instrument zur Milchproduktion. Rinder, Schweine und Hühner dürfen leben, solange sie Milch, Fleisch und Eier liefern. Andere Haustiere wie Katzen und Hunde haben keinen direkten Nutzen. Qualzuchten wie etwa Hunde mit Defekten an Hüftgelenk und Wirbelsäule sind an der Tagesordnung. Nach dem Empfinden des Tieres wird selten gefragt, und nicht zuletzt entscheidet der Mensch darüber, ob und wie ein Tier leben darf oder sterben muss.

Die Viehzucht entwickelte sich ungefähr zeitgleich mit Beginn des Ackerbaus vor etwa 8.000 Jahren. Anfänglich wurden wilde Tiere zu Nutzzwecken gezähmt. Der sich aus dem Wolf heraus entwickelnde Hund begleitete den Menschen schon sehr früh. Katzen hingegen wurden erst relativ spät - vor etwa 3.500 Jahren - domestiziert. Einige Tierarten - Rinder, Ziegen oder Schweine - wurden zu überlebenswichtigen Begleitern. Diese Tiere haben sich über Jahrtausende an die unterschiedlichsten klimatischen Regionen anpassen können. Vor allem vom Rind machte sich der Mensch Arbeitskraft, Fleisch und Milch, zunutze. Letztere galt sogar über lange Zeit nur als Nebenprodukt. Im Mittelalter wäre der arme Bauer ohne seine Kuh mitsamt Familie den Hungertod gestorben. Doch auch über den materiellen Wert hinaus hatte das Vieh eine große Bedeutung. Man gab ihm Namen und sprach mit ihm. Der Bauer kannte seine Stärken und Schwächen, Vorlieben und Gewohnheiten. Wenn es pfleglich behandelt wurde, blieb es lange erhalten und sicherte die Existenz der Familie. Denn Rinder hatten nicht nur Milch zu geben und ihre Kälber zu säugen, sie wurden auch für Feldarbeiten vor den Pflug gespannt - über Jahrtausende hinweg.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielten zunehmend Maschinen Einzug in Ackerbau und Tierhaltung. Die Ernteerträge wurden gesteigert durch Kuhmist und Mineraldünger. Die Landbevölkerung wanderte in die Städte, um in Fabriken zu arbeiten. Auf Grund der wachsenden Bevölkerung hatte jeder Bauer nun viel mehr Menschen zu ernähren. Zugtiere wurden von Traktoren abgelöst. Bauernhöfe wurden zu "Landwirtschaftlichen Betrieben". Um effizienter zu wirtschaften, spezialisierte man sich auf einzelne Produktionszweige: Die einen bauten nur Feldgemüse an, andere verlegten sich auf die Schweinemast. Wieder andere hielten nur Milchkühe.


Tierhaltung in der Gegenwart

Heute gilt nur ein spezialisierter landwirtschaftlicher Betrieb als rentabel. Der Bauernhof mit seiner Vielfalt an Tierarten ist ein Auslaufmodell. Anstelle von Selbstversorgung muss das Milchkontingent erfüllt werden. Die Molkerei nimmt Milch lediglich mit niedrigen Keimzahlen und festgelegten Eiweiß-Fett-Prozenten ab. Das Tier und seine individuellen Eigenschaften treten in den Hintergrund. Kälbern werden Marken mit Nummern ins Ohr geknipst, und sie werden mitsamt Stammbaum in Herdbüchern erfasst. Gemolken wird nur noch mit Melkmaschine, in Betrieben mit sehr hoher Tierzahl sogar mit einem Melk-Roboter. Im Stall herrscht Sauberkeit, und an erster Stelle steht die Melkhygiene, um zu verhindern, dass sich Keime ausbreiten. Die neuen Hochleistungkühe geben wesentlich mehr Milch als die alten Rinderrassen. Allerdings brauchen diese auch zusätzliches Kraftfutter, Pellets und Getreide. Wenn kein eigenes Getreide mehr angebaut wird, müssen Futter und Stroh extra zugekauft werden. Die Tiere stehen auf Spaltenböden, da dies billiger und einfacher zu handhaben ist. Außerdem kommen sie nur noch selten oder gar nicht mehr auf die Weide. Als Folge des fehlenden Auslaufs entzünden sich Klauen und Gelenke. Deshalb und auch aufgrund der höheren gesundheitlichen Anfälligkeit der neuen Hochleistungstiere steigen die Kosten für Tierarzt und Medikamente. Antibiotika werden oft dem Futter aller Tiere beigemischt, statt erkrankte Einzeltiere damit zu behandeln.

Die moderne Milchkuh hat mit ihren Vorfahren nichts mehr gemein. Hornlos, mit großem Skelett und riesigem Euter wäre sie nicht mehr fähig, in freier Natur zu überleben. Sie soll nur noch maximale Milchleistung erbringen. Die 10.000 Liter-Kuh ist heute keine Seltenheit mehr. Auf der anderen Seite ist zu viel Milch auf dem Markt, weshalb die Milchpreise ständig sinken. Die Folge ist, dass die Milchbauern von ihren Erträgen nicht mehr leben können und ihre Betriebe aufgeben müssen. Allein zwischen 1975 und 1985 verschwanden 1,5 Millionen Milchbetriebe in der EU. Um rentabel zu sein, muss ein deutscher Milchviehbetrieb heute mindestens 60 Kühe halten. Laut ADR gab es 2008 in Deutschland 928 Betriebe mit mehr als 300 Kühen. In solchen Größenordnungen ist es kaum mehr möglich, ein persönliches Verhältnis zum einzelnen Tier zu entwickeln. Die Gesamtzahl der Tiere verringert sich zwar ständig, dafür muss eine Kuh viel mehr Milch geben - ihre Menge wird bei jedem Melkvorgang automatisch gewogen. Das Tier wird nur noch als Produktionseinheit registriert. Die "Abgänge" - so der Betriebsjargon - werden gegen die betriebliche Gewinnspanne aufgerechnet. Auf der anderen Seite ist uns unser Haustier lieb und teuer. Meerschweinchen, Hunde und Katzen werden verhätschelt und gut genährt, der Hobby-Pferdehalter opfert sich auf für sein Pferd.

Und auch heute gibt es noch einige wenige Bauern, die ihre Kühe beim Namen rufen. Denn je kleiner die Herde, desto vertrauter der Umgang mit dem einzelnen Tier.


Moderne Tierzucht

Heute hat sich die Rinderzucht in zwei Richtungen spezialisiert: auf Fleisch und auf Milch. Das Zuchtziel bei den Milchrindern war zunächst eine hohe Milchmenge, später Inhaltsstoffe, wie Fett und Eiweiß. Wie bei allen Säugetieren ist die Milch im Euter der Kuh dafür gedacht, ihr Kalb zu ernähren, auch heute noch. Doch der Kuh wird das Kalb wenige Stunden nach der Geburt weggenommen, weshalb sie ihre mütterlichen Instinkte nicht mehr ausleben kann. Wie es der Kuh damit geht, ist wissenschaftlich nicht untersucht. Ihr oft lang anhaltendes Gebrüll lässt darauf schließen, dass sie ihr Kalb vermisst.

Als optimale Milchkuh hat sich das "Deutsche Holstein" Rind durchgesetzt: 2,2 Millionen Kühe dieser Rasse stehen weltweit in der Milchleistungsprüfung. Das Ergebnis aller Zuchtbemühungen ist ein großrahmiges Tier mit riesigem Euter, das jährlich um die 10.000 Liter Milch liefert. Es hat einen funktionalen Körperbau, nimmt viel Futter auf und erfüllt die Ansprüche moderner Melksysteme. Die Hornlosigkeit ist dabei nur ein züchterisches Nebenprodukt. Auch in der Fleischrinderzucht sind Rekorde zu verzeichnen. Ein Beispiel von angezüchteter extremer Fleischfülle sind die Weißblauen Belgier. Auf Grund des mutierten Proteins Myostatin wird die Steuerung des Muskelwachstums behindert. Darum bildet die Rasse bei geringem Fettansatz viele Muskeln aus. Das ist auch erklärtes Zuchtziel. Wie sich die Tiere fühlen, steht dabei nicht zur Debatte.

Rinderzüchtung ist heute ein profitables Geschäft. Die Kuh, die vom Stier gedeckt wird, ist selten geworden. Im Normalfall wird das tiefgekühlte Sperma von weit her geholt, nachdem sich der Züchter den Zuchtbullen mit der besten Genetik im Katalog ausgesucht hat. Und der Besamungstechniker sorgt dafür, dass die Kuh in jedem Fall trächtig wird. Embryotransfer und Superovulation stellen sicher, dass die Gene mit den gewünschten Eigenschaften gezielt an die Nachkommen weitervererbt werden. Und die Zeitintervalle werden immer kürzer. Ein Beispiel ist die Genomische Zuchtwertschätzung: Seit Ende 2009 kann jeder Rinderzüchter auf der Basis modernster Chip-Technologie (Single Nucleotide Polymorphism - SNP 50) das genetische Potential seiner Tiere bestimmen lassen. Dabei werden Merkmale wie Milchleistung, Zellzahl und Exterieur zu den genetischen Markern des Tieres in Beziehung gesetzt. Erbanlagen von Rindern und Bullen werden früher erkannt, bewertet und gentypisiert. Bullenmütter und Tiere für Embryotransferspülungen können noch besser selektiert werden. Im Ergebnis werde der Zuchtfortschritt beschleunigt - so jubeln die Rinderzuchtverbände.


Erst genverändert, dann patentiert

Künstliche Besamung, Embryonentransfer, Genomische Zuchtwertschätzung - das sind die Eintrittskarten in die schöne neue Welt der modernen Rinderzucht. Wo innerhalb der neuesten Züchtungsmethoden die Gentechnik anfängt, ist dabei nicht mehr so leicht auszumachen. Denn das moderne Tier wird schon längst im Labor erschaffen: Zu Beginn der sechziger Jahre entstanden die ersten Chimären - schwerkranke Tiere, in denen ein oder mehrere Zelltypen aus zwei oder mehreren Zygoten oder Keimzellen vereinigt wurden. Das Klonen ist eine weitere Methode, um Tiere mit den gewünschten Genen zu vervielfältigen. Hier werden die leistungsstärksten Tiere ausgesucht, um Lebewesen zu erzeugen, die mit ihnen genetisch identisch sind. Und obwohl ca. 90 % der geklonten Tiere kurz vor oder nach der Geburt sterben, ist in den USA ihr Fleisch bereits zum Verzehr zugelassen. Durch das Einfügen körperfremder Gene in das Tier werden lebende Wesen "verbessert". Besser für wen und gemessen woran? Die Antwort kennen offenbar nur die Züchter und Wissenschaftler. Denn auch diese Tiere sind fast immer krank.

Um die gentechnischen Eingriffe rechtskräftig abzusegnen, wird das Tier und seine Gene anschließend patentiert. Obwohl das Patentrecht besagt, dass eine Erfindung neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar sein muss, um patentiert zu werden (was bisher nur für technische Verfahren galt), wird es seit 1980 auch auf Pflanzen und Tiere angewendet. Und jedes Jahr werden es mehr. So lagen bis Ende 2008 dem Europäisches Patentamt (EPA) 3.823 Anmeldungen auf Tiere vor (3.201 davon gentechnisch verändert). Auf 777 Tiere wurden schließlich Patente erteilt (601 davon transgen). Weltweit wurden im selben Zeitraum 5.929 Tiere zum Patent angemeldet (4.815 davon gentechnisch verändert). Es handelt sich hier im Wesentlichen um Versuchstiere.

Seit einigen Jahren gibt es Patente auf Nutztiere wie Rinder und Schweine. Darin geht es um Zuchtverfahren mit und ohne Gentechnik. So hat die Firma Newsham Choice Genetics im Juli 2008 ein Schwein patentiert, das ein Schweine-eigenes Leptinrezeptor-Gen, basierend auf markergestützter Selektion, enthält. Mit diesem Gen soll das Tier schneller Fleisch ansetzen. Damit gehören alle Schweine, die mit Hilfe des Leptin-Gentests gezüchtet wurden, und deren Nachkommen diesem einen Konzern. Ein weiterer Fall ist das Patent EP 1330552, erteilt im Januar 2007. Hier wird eine Kuh-eigene DNA beansprucht, die für ein Protein kodiert, das die Milchleistung beeinflusst. Einerseits sollen Kühe mit diesem Gen auf hohe Milchleistung gezüchtet werden (durch Genotypisierung, Smart Breeding). Andererseits wurde das Gen auch in einen Vektor eingebaut, der auf andere Kühe gentechnisch übertragen werden soll. Die Kuh trägt somit mehrere Kopien dieser Gene in sich. Ob diese Kühe tatsächlich mehr Milch geben?

Es fällt auf, dass die Zahl der Anmeldungen in den letzten Jahren abgenommen hat, während bei den erteilten Patenten eine deutliche Zunahme zu verzeichnen ist. Die Zahlen sprechen für sich: Lebewesen werden zuerst genetisch verändert und dann patentiert - das liegt derzeit voll im Trend!


Ausblick

All das wirft Fragen auf. Welche Bedeutung hat der Mensch innerhalb der Schöpfung? Warum baut er fremde Gene in funktionierende Lebewesen ein? Warum patentiert er Pflanzen und Tiere? Eine ganz andere Frage ist möglicherweise die Antwort darauf: Wer profitiert davon? Weltweit agierende Konzerne wie Monsanto, Genus/PIC, Lohmann Tierzucht, BASF, Bayer, um nur Einige zu nennen. Sie eignen sich im Handumdrehen die Nutzungsrechte aller patentierten Tiere und deren Nachkommen an. Das wird weitreichende Folgen haben für alle, die künftig Tiere halten. Und der Schritt zum Patent auf Menschen ist gar nicht mehr so groß, wenn man bedenkt, dass schon heute menschliche Gene patentiert werden.


Quellen:
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter (ADR)
www.adr-web.de/strukturen in der milchkuhhaltung.html
Boschma, M. et al.: Konzentration der Produktion tierischer Erzeugnisse
www.ec.europa.eu/agriculture/envir/report/de/live de/report.htm
Thaller, G. Prof. Dr.: Genomische Selektion - Revolution in der Tierzucht? Vortrag auf der 11. Jahrestagung Thüringer Landwirtschaft in Erfurt, 29. Oktober 2009
www.tll.de/ainfo/pdf/jata/jt09 16f.pdf
Hörning, Bernhard: Auswirkungen der der Zucht auf das Verhalten von Nutztieren. Tierhaltung Band 30. Kassel University Press 2008. (60-63)
Spranger, Jörg: Tierzucht muss das Wesen des Tieres achten. In: Lebendige Erde 3/2003
Tippe, Ruth: Initiative Kein Patent auf Leben, München (schriftl. Mitteilung v. 9.1.2010)

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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März, 2010, Seite 28-33
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2010