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FRAGEN/024: Zoos sind und bleiben Gefängnisse! (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 2/2018
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Zoos sind und bleiben Gefängnisse!

Interview mit Colin Goldner von Christina Ledermann


Der Psychologe, Sachbuchautor und Wissenschaftsjournalist Colin Goldner hat vor kurzem gemeinsam mit Laura Zodrow das Buch "Zirkus und Zoo - Tiere in der Unterhaltungsindustrie" veröffentlicht. tierrechte sprach mit ihm über Missstände, die Legitimationsstrategien der Zoos und darüber, wie ein Ausstieg aus dem System Zoo funktionieren könnte.


tierrechte: Herr Goldner, dass man Wildtiere in reisenden Zirkusunternehmen nicht annährend "artgerecht" halten kann, verstehen die meisten Menschen. Doch wie steht es mit den Zoos? Mittlerweile gibt es neue Konzepte, in denen die Tiere in größeren naturgetreuen Umgebungen gehalten werden. Gibt es für Sie gute und schlechte Zoos?

Colin Goldner: Selbstredend gibt es bessere und schlechtere Zoos. Aber egal, wie groß und vermeintlich naturnah gestaltet ein Käfig oder Gehege auch ist: Zoos sind und bleiben Gefängnisse, in denen Tiere lebenslang eingesperrt und zum Vergnügen eines zahlenden Publikums zur Schau gestellt werden. Dabei ist die Zurschaustellung von Tieren in Zoos gesellschaftlich keineswegs in dem Maße akzeptiert, wie die Betreiber derartiger Einrichtungen immer behaupten. Wie eine repräsentative Erhebung des YouGov-Marktforschungsinstituts von Dezember 2015 ergab, ist für knapp die Hälfte der deutschen Bevölkerung (49 Prozent) die Zurschaustellung exotischer Tiere im Zoo moralisch nicht in Ordnung.


tierrechte: Wie viele Zoos gibt es in Deutschland?

Colin Goldner: Deutschland ist mit 865 Zoos und zooähnlichen Einrichtungen das insofern am dichtesten besetzte Land der Erde. In Europa gibt es rund 3.000 Zoos, weltweit sind es etwa 10.000. Unter den 80 führenden Zoos in Europa, die jeweils mehr als 500.000 Besuche pro Jahr aufweisen, haben 26 - also fast jeder dritte - ihren Standort in Deutschland. Die Besuchszahlen sind seit Jahren massiv rückläufig, was die Zoos mit künstlich nach oben manipulierten Zahlen zu kaschieren suchen.


tierrechte: Was sind die Hauptprobleme, die bei der Gefangenhaltung von Tieren im Zoo auftreten?

Colin Goldner: Zootiere leben in Dauerstress. Zusammengepfercht auf ein paar Quadratmeter Käfig- oder Gehegefläche sind sie einem ständigen Hin und Her ausgesetzt zwischen tödlicher Langeweile einerseits, die den immergleichen Alltagsablauf bestimmt und ihnen keine Möglichkeit lässt, arteigenen Bedürfnissen nachzugehen; andererseits haben sie keine Möglichkeit, sich vor den Menschenmassen zurückzuziehen, die sich Tag für Tag an ihnen vorüberwälzen. Noch nicht einmal stabile Sozialverhältnisse können sie aufbauen: immer wieder werden gewachsene Familien- und Gruppenstrukturen auseinandergerissen und nach Gutdünken irgendwelcher Zuchtkoordinatoren quer durch Europa von einem Zoo zum anderen verschoben. Viele zeigen ein Leben lang Symptome von Depression, Angst und/oder posttraumatischer Belastungsstörung. Nicht selten überleben Tiere den ungeheuren Stress nicht, aus ihrem vertrauten Familienverband herausgerissen und mit fremden Tieren zwangsvergesellschaftet zu werden. Trotz entsprechender Medikation erliegen sie Herzversagen, Kreislaufzusammenbrüchen und ähnlichem. Die Zoos werten solche Fälle als "unerklärlich" und bestellen sich Ersatz.


tierrechte: Das meistgenannte Argument, mit dem Zoos ihre Existenz rechtfertigen, ist die Behauptung, sie trügen zur Bildung der Besucher bei. Was ist davon zu halten?

Colin Goldner: Auch wenn Zoos von sich behaupten, es gebe keinen Lernort, an dem man Natur besser beobachten und verstehen lernen könne, ist doch das genaue Gegenteil der Fall: Zoos eignen sich zu nichts weniger, als einen sinnfälligen Bezug zur Natur herzustellen. Studien zeigen, dass die Besucher kaum mehr über Tiere wissen als Menschen, die sich überhaupt nicht für Tiere interessieren und noch nie in einem Zoo waren. Die durchschnittliche Verweildauer der Besucher vor den einzelnen Gehegen liegt, unabhängig von der Art und Anzahl darin gehaltener Tiere, bei unter einer Minute pro Käfig. Lediglich während der Fütterungszeiten liegt sie etwas höher, oder wenn ein Jungtier zu sehen ist. Zoos bringen den Menschen die Tiere nicht näher, ganz im Gegenteil. Wie auch sollte man die Information auf einer Tafel, Geparden seien die "schnellsten Landsäugetiere, mit Spitzengeschwindigkeiten von über 110 Stundenkilometern" überein bringen mit dem Tier, das da einsam und in stereotyp immer gleicher Bewegung am Gitter eines wenige Quadratmeter umfassenden Käfigs hin und her läuft?


tierrechte: Viele Zoos bezeichnen sich als wissenschaftsorientierte Forschungseinrichtungen. Deckt sich dies mit Ihren Recherchen?

Colin Goldner: Selbst Zoos, die noch nie eine wissenschaftliche Erhebung durchgeführt, geschweige denn ein wissenschaftliches Papier veröffentlicht haben, bestehen darauf, als "wissenschaftlich geleitet" zu gelten. Es hat dies zwei simple Gründe: Zum einen verschafft die Behauptung, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, den Zoos eine Art Meta-Legitimierung, die sie gegen Kritik immunisiert, reine Vergnügungsparks auf Kosten eingesperrter Tiere zu sein, und zum anderen bedeutet der Betrieb eines Zoos unter dem Signet der "Wissenschaftlichkeit" die einzige Möglichkeit, Tiere bedrohter Arten aus dem Ausland zu beziehen oder ins Ausland abzugeben. Nur "wissenschaftlich geführte" Zoos erhalten die entsprechenden CITES-Papiere.


tierrechte: Was leisten die Erhaltungs-, Auswilderungs- und Wiederansiedlungsprogramme der Zoos tatsächlich?

Colin Goldner: Die Behauptung der Zoos, der rapide schwindenden Artenvielfalt durch Erhaltungszucht bedrohter Arten entgegenzuwirken, hält kritischer Überprüfung nicht stand. Aus deutschen Zoos heraus werden sogenannte Erhaltungszuchtprogramme nur für ein paar wenige Arten betrieben, und für noch sehr viel weniger davon gibt es Auswilderungs- oder Wiederansiedelungsprojekte. Für die überwiegende Mehrzahl in Zoos nachgezüchteter Arten ist Auswilderung ohnehin weder vorgesehen noch möglich. Tatsache ist: Zoos züchten für Zoos nach. Die paar wenigen Auswilderungsprojekte sind reines Greenwashing.


tierrechte: Die Tötung und Verfütterung des Giraffenbullen Marius im Zoo Kopenhagen führte 2014 zu einem Sturm der Entrüstung. Nach dem Tierschutzgesetz (TierSchG) ist es Zoos - mit Ausnahmen von sogenannten Futtertieren - verboten, Tiere zu töten. Was passiert tatsächlich mit überzähligen Jungtieren?

Colin Goldner: Zeitgleich mit der Tötung des vorgeblich "nicht ins Zuchtprogramm passenden" Giraffenjungbullen Marius, hatte der Verband der Zoologischen Gärten (VdZ) seine Forderung nach einer "klareren Auslegung" des TierSchG bekräftigt. Es geht dem VdZ dabei um nichts weniger als den Versuch, das mühsam erkämpfte Tierschutzrecht außer Kraft zu setzen, um willkürlich nachgezüchtete und irgendwann "überzählige" Zootiere legal töten zu dürfen. Bis heute werden "überflüssig" oder "unbrauchbar" gewordene Zootiere, die ihre Aufgabe als Publikumsmagneten erfüllt haben, an externe Tierhändler verkauft, die sie an andere Zoos, aber auch an Gourmetrestaurants, Privatleute, Zirkusse, Versuchslabore oder ins Ausland weiterverscherbeln. Vielfach landen die Tiere auch bei Tierpräparatoren und Trophäenherstellern. Die Zoos bewegen sich dabei in einer tierschutzrechtlichen Grauzone.


tierrechte: Herr Goldner, für den Ausstieg aus dem Tierversuch fordern wir unter anderem einen strategischen Abbauplan. Könnte man das auf einen Ausstieg aus dem System Zoo übertragen?

Colin Goldner: Ein Masterplan wäre schnell formuliert: keine Nachzuchten und keine Neuimporte mehr. Da Zoos jährlich ein Fünftel bis ein Viertel ihrer Tierbestände verlieren, könnten theoretisch sämtliche zoologischen Gärten dieser Welt in vier bis fünf Jahren geschlossen werden, wenn denn konsequent auf Nachzucht und Neuimport verzichtet würde. Nur relativ wenige Tiere längerlebiger Arten blieben übrig, die, sofern nicht auswilderbar, in ausgewählten und zu Sanctuaries umgewandelten Zoos beziehungsweise in eigens zu schaffenden Refugien untergebracht werden könnten.


tierrechte: Wie könnte man die ehemaligen Zoos sinnvoll nutzen?

Colin Goldner: Die Zoos könnten nach dem Vorbild Costa Ricas in botanische Gärten oder Ökoparks umgewandelt werden, in denen sich gestresste Städter weiterhin erholen könnten. Zudem könnten die Anlagen genutzt werden, um Tieren in Not zu helfen: Viele exotische wie auch einheimische Wildtiere werden beschlagnahmt oder landen in Tierheimen. Hier könnten vormalige Zoos als Auffang-, Rehabilitations- und Wiederauswilderungszentren dienen, finanziert aus öffentlichen Mitteln, die nun nicht mehr zur Subvention des Zoobetriebes benötigt würden. Im Übrigen könnten freiwerdende Subventionsgelder in den Ausbau von Schutzzonen in den natürlichen Heimaten der Tiere fließen, womit wirklicher Tier-, Natur- und Artenschutz betrieben würde.


Missstände in Zirkussen und Zoos melden

Um Missstände in Zoos anonym melden zu können, hat Colin Goldner zusammen mit dem Bundesverband eine Anlaufstelle auf der Webseite tierrechte.de unter der Rubrik Zoo/Zirkus geschaffen. Mit diesem Aufruf zum "Whistleblowing" sollen Menschen, die Zoos besonders gut kennen, wie beispielsweise TierpflegerInnen, PraktikantInnen, Hilfskräfte, Azubis, (Amts-) Tierärzte, Zulieferer, Verwaltungsangestellte etc. ermutigt werden, Missstände zu melden und sie so an die Öffentlichkeit zu bringen.
www.tierrechte.de


BUCH-TIPP

Plädoyer gegen die Ausbeutung von Wildtieren
Zirkus und Zoo - Tiere in der Unterhaltungsindustrie
Laura Zodrow/Colin Goldner
175 Seiten, zahlreiche Abbildungen, kartoniert, Euro 16.-
ISBN 978-3-86569-276-4, erschienen 2017

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 2/2018, S. 18-19
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2018

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