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TIERHALTUNG/525: Intensive Massentierhaltung - Massenhafter Antibiotika-Missbrauch (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN, Ausgabe 04/2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Massenhafter Antibiotika-Missbrauch
Bioterror aus der intensiven Massentierhaltung

Von Sievert Lorenzen


Die intensive Massentierhaltung ist gemeingefährlich. Natürlich fallen wir nicht tot um, wenn wir ein Produkt aus diesem Industriezweig essen, aber eine schleichende Gefahr geht von ihm schon aus und fordert allein in Deutschland eine mittlerweile fünfstellige Zahl von Menschenleben pro Jahr. Warum?

Der Grund ist der Antibiotika-Missbrauch in der Tierindustrie. Alles fing so schön an. 50 Jahre lang wurden Antibiotika ganz legal als "Leistungsförderer" in der "Intensivveredelung" der industriellen Tierhaltung der EU eingesetzt. In subtherapeutischen Dosen wurden sie massenhaft dem Futter beigemischt, so dass die Vermehrung von krankheitserregenden Bakterien nur verlangsamt und nicht gestoppt wurde. Die Darmflora von Schweinen und Geflügel und die Pansenflora von Rindern reagierten positiv auf die Behandlung und ermöglichten den Tieren, die aufgenommene Nahrung besser zu verwerten. Mehr Leistung bei gleicher Futtermenge, das versprach Rendite. Ferkel reagierten sogar mit dem Aufbau eines gesunden Immunsystems. Was wollte man mehr?

Doch schon bald wurde die hässliche Rückseite der Medaille sichtbar. Seit 60 Jahren ist bekannt, dass der massenhafte und zu schwach dosierte Einsatz von Antibiotika die Zucht von Bakterienstämmen fördert, die resistent gegen die eingesetzten Antibiotika sind. Schon 1946 meldete eine Londoner Klinik Penicillin-resistente Staphylokokken. Als Ausweg wurden immer neue Antibiotika entwickelt, doch jedes Mal zogen die Bakterien mit und entwickelten wieder resistente Stämme. Wurden die Dosierungen erhöht, gewannen abermals die Bakterien. Ähnliches erlebten wir mit dem Insektizid DDT, das zunächst gegen alle Insekten wirkte und dann unaufhaltsam wirkungsloser wurde, weil das "Ungeziefer" jeden Wettlauf gewann und gegen jedes neue Insektizid noch immer gewinnt.

Antibiotika-resistente Bakterienstämme wurden vor allem in der intensiven Massentierhaltung "gezüchtet", weniger in der Humanmedizin durch den ebenfalls zu leichtfertigen und zu häufigen Einsatz von Antibiotika in Krankenhäusern und anderen stationären Einrichtungen. Manche Bakterienarten können gleichermaßen bei Mensch und Tier schwere Krankheiten verursachen. Sind krankheitserregende Bakterien Antibiotika-resistent, so stammen sie meistens aus der Tierindustrie, weniger aus der Humanmedizin. Zusammen fordern sie schon rund 40.000 Menschenleben pro Jahr in Deutschland. Biologische Kriegsführung könnte nicht raffinierter sein.


"Die Natur schlägt zurück"

Aufrüttelnd ist daher das Buch "Die Natur schlägt zurück - Antibiotika-Missbrauch in der intensiven Nutztierhaltung und Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt", das der frühere Amtstierarzt Hermann Focke jüngst veröffentlicht hat. Es zeigt, dass Bakterien nur fünf bis fünfzehn Jahre brauchen für die Entwicklung von Stämmen, die resistent gegen ein neues, massenhaft eingesetztes Antibiotikum sind. Bakterien können ihre Resistenz-Gene über die Artgrenze hinaus auf Bakterien anderer Arten übertragen. Das beschleunigt den fatalen Prozess.

Doch es kommt noch schlimmer. Die meisten der mit dem Futter aufgenommenen Antibiotika werden unverändert ausgeschieden, landen in der Gülle, werden auf die Felder ausgebracht und gelangen dann in Nutzpflanzen wie Getreide, Mais, Kartoffeln, Feldsalat, oder sie werden ins Grundwasser gewaschen. Mit staubiger Abluft aus Tierfabriken können die Antibiotika-resistenten Bakterien und Antibiotika auch ins Freie gelangen, in menschliche Siedlungen verweht und dort von Menschen eingeatmet werden, die dann z.B. an Lungenentzündungen erkranken, die nicht oder nur schwer zu heilen sind. Kurz: Wir sind von Antibiotika und Antibiotika-resistenten Bakterien förmlich umzingelt.

Fachleute wissen das alles schon lange, aber ihre Appelle zur Beendigung des Antibiotika-Missbrauchs verhallten zunächst. Doch schließlich wurden erst einige und ab dem 1. Januar 2006 alle Antibiotika als Leistungsförderer in der Tierhaltung verboten. Das störte die Tierindustriellen nicht, sie wollten auf die billigen "Leistungsförderer" nicht verzichten und wandten einen billigen Trick zur Umgehung des Verbots an. Die Antibiotika würden nur noch vorbeugend gegen bakterielle Erkrankungen der Tierbestände eingesetzt werden. So wird z.B. in der Zeitschrift Nutztierpraxis aktuell (Ausgabe Dezember 2009) empfohlen, das Antibiotikum Doxycyclin (ein Präparat aus der Wirkstoffgruppe der Tetracycline) für "produktionsorientierte Behandlungen" von Schweinen einzusetzen, um sie vorbeugend (!) immun gegen acht namentlich genannte Bakterienarten zu machen. Die Bakterien werden auch diesen Wettlauf gegen ein Antibiotikum gewinnen.


Es wird eng für die Tierindustriellen

Am 28. Oktober 2010 stellte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) den "Bericht zum Zoonosen-Monitoring 2009" vor. Er ist unter www.bvl.bund.de abrufbar. Einleitend werden Zoonosen als Krankheiten vorgestellt, "die auf natürlichem Weg direkt oder indirekt zwischen Menschen und Tieren übertragen werden können." Zoonose-Erreger aus vier Bakteriengattungen und das harmlose Darmbakterium Escherichia coli wurden auf Antibiotika-Resistenz untersucht. Proben wurden genommen von Legehennen, Masthähnchen, Puten, Milchrindern, Mastkälbern und Mastschweinen, aber auch von Milch (von Milchrindern), Kot, Stallstaub, Frischfleisch und frischen Fleischzubereitungen der Tiere. Die erzielten Ergebnisse bestätigen Fockes Befunde auf ganzer Linie. Sensible und einfach resistente Stämme der untersuchten Bakterienarten sind selten geworden, multiresistente Stämme herrschen deutlich vor. Auf Frischfleisch von Puten und Hähnchen kommt das Bakterium Staphylococcus aureus nur noch in Form gefährlicher multiresistenter Stämme vor. Aus solchen Gründen rät das BVL in seiner Presseinformation vom 28. Oktober 2010, "empfindliche Verbrauchergruppen, wie Kleinkinder, Schwangere und alte Menschen sollten bei der Zubereitung von Lebensmitteln stets eine angemessene Lebensmittel- und Küchenhygiene einhalten." Mit anderen Worten: Die tierindustriellen Produkte sind gemeingefährlich.

Die Bundesregierung reagierte auf diesen Skandal nur halbherzig. Am 22. November 2010 meldete der elektronische Bundesanzeiger, alle Pharma-Unternehmen und Großhändler müssen ab dem 1. Januar 2011 ihre jährlichen Verkaufszahlen von Antibiotika und bestimmten hormonellen Stoffen regional aufgegliedert an ein zentrales Register beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) bis zum März des jeweiligen Folgejahres melden. Der BVL betreut das Verfahren inhaltlich. Ein paralleles Verfahren soll auf EU-Ebene gestartet werden. Die vielen Bürgerinitiativen, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), PROVIEH und andere Organisationen, die ihre Kräfte im Netzwerk "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" bündeln, setzen sich energisch für ein Ende des unwürdigen Treibens der Tierindustrie ein. Sollten deren Verantwortliche uneinsichtig bleiben, müssen sie sich auf Talfahrt einstellen.


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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN, Ausgabe 04/2010, S. 28-31
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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Tel.: 0431/2 48 28-0, Fax: 0431/2 48 28-29
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2011