Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

TIERHALTUNG/550: Industriekonformes Tierschutzlabel (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 355 - Mai 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Industriekonformes Tierschutzlabel
Die Kriterien könnten zur weichgespülten Industrievariante verkommen sein

von Marcus Nürnberger



Vor ca. einem Jahr überraschte der wissenschaftliche Beirat des Landwirtschaftsministeriums mit dem Vorschlag, ein Tierschutzsiegel einzuführen. Damit, so der Beirat, solle der wachsenden Nachfrage von ca. 20 Prozent der Verbraucher nach einer tiergerechten Haltung nachgekommen werden. Nachdem Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner jedoch zu verstehen gab, dass sie eine Europäische Lösung anstrebt und einen deutschen Alleingang ablehnt, hat sich der Deutsche Tierschutzbund der Aufgabe angenommen.


Renommee als Werbeargument

Tierschutz aus der Hand des Tierschutzbunds. Das klang vielversprechend. Vor allem auch deshalb, weil der deutsche Tierschutzbund vor über 20 Jahren der Mitinitiator und seitdem Träger des Neuland-Programms ist. Der DTB verfügt also über Kompetenz in Sachen landwirtschaftlicher Nutztierhaltung, kennt die Strukturen der Branche und dürfte mit den ökonomischen Anforderungen vertraut sein bzw. hat über Neuland einen direkten Zugang zu Detailinformationen. Überraschenderweise spielt Neuland in der weiteren Entwicklung des Siegels keine Rolle. Vorbild des für kommenden Sommer angekündigten Tierschutzlabels ist das seit einigen Jahren in den Niederlanden bekannte dreistufige Siegel " better leven". Initiator von "better leven" ist die Tierschutzorganisation Dierenbescherming und die Vion Food Group, einer der größten Fleischvermarkter Europas. Auch in Deutschland ist der Nahrungsmittelkonzern Vion der Partner zur Umsetzung und Einführung des Labels.


Tierwohl-Label

Anders als in den Niederlanden wird es in Deutschland ein zweistufiges Tierschutzlabel geben. Für die inhaltliche Festlegung der Kriterien zeichnet der deutsche Tierschutzbund verantwortlich. Allerdings hat neben verschiedenen wissenschaftlichen Beratern auch Vion Einfluss auf die Ausgestaltung der Kriterien genommen. Das Unternehmen sieht im Tierschutz eine gute Möglichkeit, sich am Markt von Konkurrenten abzugrenzen. Dr. Heinz Schwer von Vion Deutschland bescheinigt dem Tierschutzlabel großes Potenzial und schließt nicht aus, dass eine erfolgreiche Einführung die gesamte Branche verändern könnte. "Derzeit stehen wir aber noch ganz am Anfang."

Während das Unternehmen nach umstellungswilligen Landwirten sucht, die bereit sind, ihre Ställe gemäß den Anforderungen der niedrigschwelligen Einstiegsstufe umzubauen, ist offiziell noch kein verbindlicher Richtlinienkatalog verfügbar. Derzeit entwickelt die in Hannover ansässige Gesellschaft für Ressourcenschutz ein Zertifizierungssystem. Ein halbes Jahr ist für diesen Prozess angesetzt. Die ersten Markterfahrungen will Vion aber schon im Sommer in Kiel mit COOP und einem Großhändler sammeln. "Das werden wir unter dem Titel: "Aus dem Projekt Tierschutz" vermarkten", löst Schwer das vermeintliche Zeitproblem.


Stallumbau staatlich finanziert

Das Projekt Tierschutz wird vom Bundesministerium für Landwirtschaft mit ca. 1 Mio. Euro gefördert. Es soll die Einführung des Tierschutzsiegels wissenschaftlich begleiten, wird aber auch Anschubfinanzierung für Stallumbauten sein. Offenbar werden alle aktuellen Stallumbauten zu 100 Prozent aus Forschungsmitteln finanziert. Neben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) ist auch die Universität Kiel beteiligt. Erforscht werden soll während der zweijährigen Projektphase, wie die Tiere mit den neuen Ställen zurecht kommen. Verwunderlich ist, dass die Erfahrungen, die im Neulandprogramm über 20 Jahre gesammelt wurden, nicht einfließen. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, seit vielen Jahren Gast beim Neulandempfang auf der Grünen Woche, betont in ihren Reden immer wieder die Bedeutung von Neuland für den Tierschutz. Warum das Programm bei einem Forschungsprojekt des Ministeriums zum Tierschutz nicht mit eingebunden wird, ist unverständlich.


Neuland ade

Es stellt sich aber auch die Frage, warum der Tierschutzbund, der mit Neuland über ein etabliertes Tierschutzlabel verfügt, jetzt ein neues Programm mit zwei Stufen, einem Silber- und einem Goldstandard, entwickelt. Offiziell begründet wurde dieses Vorgehen mit der Notwendigkeit einer niedrigschwelligen Einstiegsmöglichkeit. Ziel jedoch sei es, alle Betriebe zum Goldstandard hinzuführen. Gewährleistet werden sollte dies, nach Aussage des Deutschen Tierschutzbundes, durch Verpflichtungen des Handels, neben dem Silberstandard immer auch den voraussichtlich höherpreisigen Goldstandard anbieten zu müssen. Strenge Vorgaben über die Produktplatzierung und Bewerbung sollten gewährleisten, dass Produkte mit Goldstandard nicht zum Ladenhüter würden. Mit der Unterscheidung in Silber und Gold wäre gleichzeitig deutlich geworden, dass es etwas Besseres als den Silberstandard gibt. Der Verbraucher wäre zum Premiumprodukt hingeführt worden. Inzwischen ist von Silber und Gold keine Rede mehr. Die Stufen heißen Einstieg und Premium. Auf dem hellblauen Logo wird der Unterschied kaum sichtbar. Nur bei genauem Hinschauen wird das Fehlen des kleinen gelben Sterns deutlich.


Tierschutz ist gefragt

In den Niederlanden ist "better leven" zum Verkaufsargument geworden. Allerdings hört man bei genauerem Nachfragen immer mehr kritische Töne: Nachlässige Kontrollen, nicht umgesetzte Richtlinien und Tierhalter, die mit den neuen Stallsystemen nicht zurecht kommen. Der Auslobung mit dem Tierschutzlogo tut dies keinen Abbruch. Aus Sicht von Vion ein voller Erfolg. Die Tierschutzorganisation Dierenbescherming hingegen sitzt in der Zwickmühle. Die für das Siegel verantwortliche Organisation hat bisher zu viel toleriert. Jetzt die Missstände aufzuzeigen würde bedeuten, die eigenen Versäumnisse zuzugeben. Es bleibt zu hoffen, dass der Tierschutzbund erkennt, mit wem er sich eingelassen hat, und seine Ideale nicht den Marktinteressen eines Nahrungsmittelkonzerns opfert.


Bildunterschrift eines im Schattenblick nicht veröffentlichten Fotos der Originalpublikation:

Im Mai 1988 stellten die AbL und der Deutsche Tierschutzbund ein Gütesiegelprogramm für "artgerechte, umweltschonende und qualitätsorientierte Schweinehaltung" in Bonn vor. Im September 1988 wurde dann der NEULAND Verein gegründet, der mit der Verabschiedung von konkreten Haltungsrichtlinien und der Vergabe eines Markenzeichens den Grundstein des NEULAND-Programms legte.

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 355 - Mai 2012, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2012