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TIERHALTUNG/654: Sachverständigenrat bestärkt Arbeit von PROVIEH (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Sachverständigenrat bestärkt Arbeit von PROVIEH

Von Sabine Ohm


Nutztierhaltung in Deutschland ist dringend reformbedürftig

So viel Rückenwind für PROVIEH von offizieller Seite hat es noch nie gegeben: Im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitete der bei ihm angesiedelte Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA) ein Gutachten mit dem Titel "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung". Es wurde im März 2015 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die 17 beteiligten renommierten Wissenschaftler beklagen darin den wachsenden Kontrast zwischen der Realität der Tierhaltung und den gesellschaftspolitischen Erwartungen. Sie sehen erhebliche Defizite im Tierschutz und im Umweltschutz und befinden die derzeitigen Haltungsbedingungen der Nutztiere für großenteils nicht zukunftsfähig, weil die Gesellschaft sie nicht akzeptiert und weil sie zu ökologischen Schäden wie Überdüngung der Böden führt.

Die Sachverständigen bemängeln in ihrem 425 Seiten umfassenden Werk zahlreiche Auswüchse der modernen Landwirtschaft wie den hohen Antibiotikaverbrauch und die Fokussierung der Zucht auf immer höhere "Leistungen" wie Tageszunahmen, Ferkelzahlen und Milchmengen. Letztere gehen mit immer kürzeren "Nutzungsdauern" der Tiere einher, zum Beispiel bei Sauen nur noch etwa zwei Jahre, bei Milchkühen circa fünf Jahre.

Wir hören oft, dass "nur ein gesundes Tier, dem es gut geht, gute Leistungen zeigt". Weit gefehlt! Beispielsweise können die auf ständige Futteraufnahme gezüchteten Schweine heute laut wissenschaftlicher Studien auch bei 40 Grad Fieber noch 1000 Gramm Gewicht am Tag zulegen. Zudem wird durch die einseitige Zucht zunehmend "Ausschuss" produziert, der vernichtet wird, darunter zigtausende nicht lebensfähige Ferkel und Millionen männliche Küken von Legehennenrassen. Den inzwischen "nutz- und wertlos" gezüchteten männlichen Kälbern aus Milchkuhlinien, die kaum Fleisch ansetzen und deren Aufzucht deshalb "unökonomisch" ist, droht das gleiche Schicksal, wenn nicht zügig umgelenkt wird.

Die Gutachter bemängeln zudem die mangelhafte Kontrollhäufigkeit: Nur zwei bis neun Prozent der Betriebe werden pro Jahr geprüft. Wir unterstützen daher ihre Forderungen nach besseren Rahmenbedingungen für eine wirksamere Durchsetzung der rechtlichen Bestimmungen, unter anderem durch eine Erhöhung der Bußgelder.

Zur Herstellung der Zukunftsfähigkeit der Nutztierhaltung stellen die Autoren Leitlinien und Empfehlungen für eine gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung vor. Dazu gehören mehr Weidegang für Milchkühe, mehr Auslauf für Legehennen und mehr Beschäftigungsmaterial und Raufutter für Schweine und Geflügel, Verzicht auf die Amputation der Oberschnabelspitze von Puten und Legehennen, und die Amputation des Schwanzes von Schweinen - alles langjährige Ziele und Kampagneninhalte von PROVIEH.

Allerdings sehen die Wissenschaftler auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Tierhalter, in Deutschland angesichts des Preisdrucks durch zunehmend freien Handel mehr Tierwohl umzusetzen. Dafür schlagen sie verschiedene Instrumente vor. Ausdrücklich loben die Gutachter dabei die von PROVIEH mitkonzipierte, privatwirtschaftliche Brancheninitiative für Tierwohl (ITW). Sie sei ein wichtiges Element auf dem notwendigen Weg zu mehr Tierschutz. Die Gutachter regen auch die Entwicklung und Kontrolle "tierbezogener Indikatoren" an, wie wir sie gleich zu Beginn in die Kriterienkataloge der ITW eingebracht hatten, deren Berücksichtigung für das "Startpaket" (ab 2015) wir aber nicht durchsetzen konnten. Das Gutachten bestärkt also unseren Willen und unsere Möglichkeiten, die bereits angelaufene Weiterentwicklung der ITW in diese Richtung voranzutreiben.

Praktisch alles, was der Beirat kritisiert und empfiehlt, spiegelt sich in den langjährigen Bemühungen unseres Vereins PROVIEH wider, wie Sie es beispielhaft auch im vorliegenden Heft nachlesen können.

Dazu gehört auch die Mahnung der Gutachter an die Tierhalter zu einem konstruktiven Dialog mit der Gesellschaft. PROVIEH möchte den seit einigen Jahren zunehmend erfolgreich geführten Dialog mit den Tierhaltern, der Privatwirtschaft und der Politik weiter vertiefen. Was dem Gutachten allerdings fehlt ist der Blick über den Tellerrand über die Auswirkungen unseres übermäßigen Fleischkonsums und der hohen Futtermittelimporte, die die Vernichtung riesiger Lebensräume wie dem Amazonas-Urwald beschleunigen. PROVIEH sieht auch in diese Hinsicht wichtigen Handlungsbedarf für unsere Regierung.


INFOBOX

Das vollständige Gutachten als PDF finden Sie unter
www.bmel.de, Suchbegriff: "Gutachten".
Sie können das Gutachten auch beim BMEL anfordern.
Telefon: 02 28/24 25 26 27,
E-Mail: info@verbraucherlotse.de
mittels Brief oder Karte:
Verbraucherlotse, 53168 Bonn

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2015, Seite 30-31
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.
Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2015

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