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INITIATIVE/420: Die Pferdeklappe - Eine zweite Chance (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

"Die Pferdeklappe: Eine zweite Chance"

Von Kathrin Kofent


In Deutschland leben geschätzt mehr als eine Million Pferde und Ponys. 8.526 Tiere starben 2014 beim Schlachter. Darunter waren alte und kranke Pferde, aber auch Jungtiere als sogenannter "Zuchtüberschuss".


Krank durch falsche Haltung

Für die ehemaligen Steppenbewohner ist viel Bewegung an frischer Luft sowie der beständige Kontakt zu Artgenossen enorm wichtig. Pferde haben sehr empfindliche Lungen und benötigen eine bestmögliche Luftqualität. Leider werden immer noch die meisten Pferde in Boxen gehalten. Mangelnde Bedürfnisbefriedigung und Reizarmut in dieser Haltungsform können zu Verhaltensstörungen führen, zum Beispiel zum Fressen großer Mengen der Stroh-Einstreu. Dadurch kann es zu Verdauungsproblemen kommen, bis hin zu gefährlichen Koliken. Viele Verletzungen bei Pferden entstehen durch eine falsche Belastung beziehungsweise Überlastung im Sport, oft begünstigt durch eine Unwissenheit des Reiters. Da überrascht es nicht, dass die häufigsten Ursachen für den Tod durch Schlachtung oder Einschläfern, Schäden an den Gliedmaßen, Atemwegserkrankungen sowie Koliken sind.


Überforderung

In den letzten 15 Jahren haben sich die Kosten in der Pferdehaltung drastisch erhöht. Raufutter und Einstreu, Weidepacht und entsprechend die Stallplatzkosten schnellten in die Höhe. Für viele Pferdehalter sind die monatlichen Belastungen hoch. Zudem benötigen Pferde Pflege und Zuwendung. Die Zeit dafür haben in unserer heutigen Gesellschaft aber immer weniger Menschen. Kommen dann noch eine Erkrankung des Tieres oder persönliche Belastungen und Nöte hinzu, wird es für manchen Pferdebesitzer schwer.


Vermeidbares Leid

Der einzige Ausweg ist für viele dann der Verkauf. Sind die Pferde jedoch alt, krank, in einem schlechten Zustand oder lange nicht geritten worden, ist eine Vermittlung in vertrauensvolle Hände schwierig bis aussichtslos. Pferde gelten als lebensmittelliefernde Tiere. Sie dürfen geschlachtet werden. Viele Pferde haben einen festen Platz im Herzen der Halter. Statt aber nach einer besseren Alternative zur Schlachtung zu suchen, verharren viele Menschen. Die Not wächst von Tag zu Tag, und die Tiere leiden unnötig, weil Geld für das Futter oder den Tierarzt fehlt oder die Menschen einfach mit ihrer Lebenssituation überfordert sind. Im schlimmsten Fall verwahrlosen die Tiere und werden oftmals viel zu spät von Polizei, Ordnungs- oder Veterinäramt entdeckt.


Zu Besuch in Deutschlands erster Pferdeklappe

Damit es möglichst nicht so weit kommt, gibt es seit nunmehr drei Jahren eine besondere Einrichtung. Gegründet im Juni 2013 bemüht sich der Verein Pferdeklappe e.V./Notbox betroffene Halter und Pferde aufzufangen. Der Verein bietet bedürftigen, in Not geratenen Menschen die Möglichkeit, ihre Pferde oder Ponys guten Gewissens abzugeben.

PROVIEH besuchte Ende April 2016 die Pferdeklappe im Schleswig-Holsteinischen Norderbrarup. Die erste Vorsitzende Petra Teegen führte uns und andere Interessierte über Hof und Weiden.

Petra Teegen selbst kümmert sich bereits seit 27 Jahren um Not leidende Pferde und Ponys. Das erste Pferd, das zu ihr kam, lebt heute noch bei ihr. Pony Pirat ist mit seinen 29 Jahren noch sehr fit und hat gemeinsam mit zwei weiteren Wallachen den wichtigsten Job. Auf einer kleinen Weide erwartet er, sobald die Witterung es zulässt, Tag und Nacht mögliche Neuankömmlinge. Die Pferde können hier - angelehnt an die Babyklappe für Säuglinge - auch anonym abgegeben werden. In einer kleinen Kiste am Eingang der Koppel, findet der Besitzer alle Informationen zur Pferdeklappe. Er unterschreibt einen Abtretungsvertrag und hinterlegt im besten Fall den Equidenpass und die Eigentumsurkunde seines Pferdes. Diese Unterlagen entsprechen dem "Personalausweis" eines jeden Pferdes und sind mittlerweile gesetzlich vorgeschrieben. Jedes abgegebene Pferd wird schnellstmöglich vom Tierarzt untersucht, entwurmt und gegebenenfalls behandelt.

Die Tiere werden bewusst nur kurzzeitig aufgenommen und bestenfalls schnellstmöglich in nachweislich gute Hände weitervermittelt. Die Pferdeklappe ist kein Gnadenhof, sondern sucht für die Pferde und Ponys neue Besitzer, die ihnen eine zweite Chance geben und sie liebevoll pflegen und respektvoll behandeln. Es werden entsprechend nur Tiere bis 20 Jahre aufgenommen, die nach Definition des Tierschutzgesetzes als vermittelbar gelten. Wichtig ist, dass die Besitzer der abgegebenen Pferde wirklich in Not sind und nicht einfach ihres Pferdes überdrüssig geworden sind. Jeder sollte sich vor der Anschaffung eines Tieres klar machen, dass er eine lebenslange Verpflichtung eingeht.


Ein Herz für Pferde

Engagiert und mit ganz viel Herz und Empathie, sowohl für die Tiere als auch für die Menschen, ist Petra Teegen bei der Sache. Manches Pferd kommt in schlimmem Zustand auf dem Hof an. Abgemagert durch Mangelernährung oder schwere Zahnprobleme mussten auch schon viele Pferde aufgepäppelt werden. Manche hatten unbehandelte Verletzungen oder drohten zu erblinden.

Bei unserem Besuch steht die kleine Shetlandponystute Smilla in einer Box. Sie wurde vor wenigen Tagen verlassen mitten in der Feldmark gefunden. Dort irrte sie vermutlich seit Wochen umher. Aufgrund von Zahnproblemen hatte die Kleine Schmerzen und ist zu dünn. Petra Teegen und die anderen Mitglieder und Helfer der Pferdeklappe gewinnen nun mit viel Geduld und Liebe Smillas Vertrauen. Sollte sich der Eigentümer binnen vier Wochen nicht ermitteln lassen, werden sie auch für diese kleine Stute ein neues Zuhause finden.

Weitervermittelt werden die Pferde anhand einer Warteliste. Findet sich hier niemand, postet Petra Teegen den Neuankömmling auf der Facebook-Seite des Vereins. Die Tiere werden gegen Schutzvertrag und Erstattung der angefallenen Kosten abgegeben. Alle eventuell vorliegenden Mängel sind darin genau notiert. Der neue Eigentümer verpflichtet sich auf zwei Jahre monatlich Fotos des Pferdes an die Pferdeklappe zu senden, die zeigen, wie sich das Tier entwickelt und dass es ihm gut geht. Bei Unklarheiten wird ein Tierarzt zur Kontrolle geschickt.

500 Pferde und Ponys wurden seit Vereinsgründung bereits in gute Hände vermittelt.

Weiter so!

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2016, Seite 35-37
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2016

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