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POLITIK/427: Europa - Und wo bleibt der Tierschutz? (tierrechte)


tierrechte 1.07 - Nr. 39, Februar 2007
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Und wo bleibt der Tierschutz?
Deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Von Christiane Baumgartl-Simons / Hannelore Jaresch


Die Bundesregierung hat sich für die bis 30. Juni währende EU-Ratspräsidentschaft ehrgeizige Ziele gesetzt, vor allem in der Wirtschaftspolitik. Doch der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Deshalb wird in allen offiziellen Verlautbarungen ein gemeinsames europäisches Werteverständnis beschworen. So auch in der Einleitung zum Arbeitsprogramm des Seehofer-Ministeriums für die nächsten Monate. Da ist in hehren Worten z. B. von der Agrarpolitik "als identitätsstiftendem Kern gemeinsamer (west-)europäischer Entwicklung" die Rede und von einer Europäischen Union nicht nur als "Wirtschafts-" sondern auch als "Kultur- und Wertegemeinschaft".


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Bei der konkreten Aufzählung der acht im Arbeitsprogramm des Seehofer-Ministeriums genannten Schwerpunktfelder rangiert der Tierschutz auf Platz sechs unter der Überschrift "Ausgleich von Nutzung und Nachhaltigkeit - Schutz von Tieren und natürlichen Ressourcen". Das klingt verdächtig danach, als seien die Tiere bloß nachwachsende Rohstoffe, die es nachhaltig - also bestenfalls schonend - zu bewirtschaften gilt.

o Die Ziele für den Tierschutz

Immerhin wird auf der halben Seite, die von insgesamt 17 Seiten den Tieren gewidmet ist, eingeräumt, dass der Tierschutz "in der europäischen Öffentlichkeit einen hohen Stellenwert" hat. "Um das Tierschutzniveau in der Europäischen Union weiter zu verbessern, wird" - so heißt es weiter - "die deutsche Präsidentschaft intensiv und in gezielten Bereichen an der Umsetzung des "EU-Aktionsplans zum Tierschutz 2006-2010" arbeiten". Folgende vier Ziele werden genannt, die wir aus der Sicht des Bundesverbandes kommentieren:


o Beschluss eines Import- und Handelsverbotes von Hunde- und Katzenfellen sowie von Produkten, die solche Felle enthalten

Da die EU-Kommission inzwischen über eine entsprechende EU-Verordnung berät, muss Deutschland darauf drängen, dass die Felle zukünftig eindeutig gekennzeichnet sind, um nicht unter Fantasiebezeichnungen weiter eingeführt werden zu können. Zudem muss Deutschland verhindern, dass Ausnahmeregelungen zu den Verboten zugelassen werden.


o Verabschiedung von Mindestvorschriften zum Schutz von Masthühnern

Hier droht eine EU-Richtlinie, welche die Tiere noch enger einsperren würde als es in Deutschland üblich ist. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie sich für ein Ende der quälerischen Intensivhaltung von "Masthühnern" einsetzt. Auf keinen Fall dürfen die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Ausschusses für Tiergesundheit und Tierschutz der EU (SCAHAW) unterschritten werden.


o Novellierung der Richtlinie über den Schutz von Versuchstieren (Richtlinie 86/609 EWG vom 18. Dezember 1986)

Deutschland muss zielstrebig verfolgen, dass die Richtlinie für alle Tiere gilt, die im Zusammenhang mit Tierversuchen benutzt werden. Hierzu gehören nicht nur die beiden großen Bereiche Grundlagenforschung und gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche sondern auch der Tierverbrauch in Studium und Lehre, Tiertötungen zur Organentnahme sowie die Versuchstierzucht und -haltung. Die Richtlinie muss künftig ausnahmslos für alle Tiere gelten, die Schmerzen empfinden können - also auch für Embryonen, wirbellose oder gentechnisch veränderte Tiere. Sie muss Tierversuche in mindestens acht Bereichen verbieten. Hier sind insbesondere schmerzhafte Experimente, Versuche an Affen sowie der Tierverbrauch in der Aus-, Fort- und Weiterbildung zu nennen. Zusätzlich muss diese Richtlinie die Einführung von Ethikkommissionen vorschreiben, die wenigstens zur Hälfte mit Vertretern des Tierschutzes und der Tierrechte besetzt sind. Die Kommissionen sollen Tierversuchsanträge bewerten und die Ergebnisse der Experimente nach Abschluss beurteilen.

Grundsätzlich muss unter der deutschen Ratspräsidentschaft die ideelle sowie finanzielle Förderung der tierversuchsfreien Forschung und die Einleitung eines Paradigmenwechsels "Weg vom Tierversuch - hin zu tierversuchsfreien Verfahren" nachhaltig verfolgt werden. Ein obligatorischer Schritt ist hierbei die drastische Erhöhung der Gelder, die für die Entwicklung und Etablierung tierversuchsfreier Verfahren zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich sind alle Maßnahmen zu ergreifen, damit tierversuchsfreie Verfahren eine gesellschaftliche Aufwertung und eine breite wissenschaftliche Akzeptanz erfahren.


o Stärkere Verankerung des Tierschutzes in anderen Politikbereichen

Deutschland will sich ganz besonders um die Akzeptanz der bisher durch einige Staaten blockierten EU-Verfassung bemühen. Der Tierschutz steht in Artikel III-121 des Entwurfes, doch leider mit einer nicht akzeptablen Einschränkung. Er muss sich nämlich religiösen Riten, kulturellen Traditionen und regionalem Erbe bei Interessenskonflikten unterordnen. Hier muss die Bundesregierung den Schutz der Tiere als ein uneingeschränktes Ziel durchsetzen.

Daneben hat sich Deutschland auch dafür stark zu machen, dass bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) und im Rahmen des einjährigen deutschen G8-Vorsitzes internationale Vorschriften zum Schutz der Tiere und eine entsprechende Kennzeichnung von Produkten aus Drittländern beschlossen werden.


o Diskussion um Lebensmittelkennzeichnung

Geplant ist unter deutscher Präsidentschaft bereits, "an einem gesonderten Tierschutztag", dem 28. März 2007, in Brüssel die "Kennzeichnung tierschutzfreundlich erzeugter Lebensmittel" mit Experten und politisch Verantwortlichen zu diskutieren. Eine Kennzeichnung von Produkten tierischer Herkunft nach Tierschutzstandards, darunter auch von Verarbeitungsprodukten wie eihaltigen Teigwaren, ist dringend notwendig und muss zügig angegangen werden. Der Begriff "Tierschutztag" für dieses eingeschränkte Thema erscheint aber doch etwas hoch gegriffen.


o Die Zeit nutzen!

Sechs Monate sind nicht viel. Deshalb hat sich auch der Bundesverband in seinen Forderungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auf die oben genannten Schwerpunkte konzentriert. Dennoch muss die Bundesregierung alles dafür tun, dass auch in anderen Problembereichen die Weichen richtig gestellt werden: Die EU-Richtlinien zur Schweinehaltung, zur "Legehennen"-Haltung, zu Tiertransporten und zur Schlachtung von Tieren müssen entscheidend verbessert werden. Für einige Tierarten wie Puten, Rinder und Kaninchen fehlen immer noch jegliche Tierschutzvorschriften. Die zuchtbedingten Leiden und Gesundheitsschäden in der "Nutztier"-Haltung müssen angepackt werden.

Machen wir der Bundesregierung gemeinsam deutlich, dass wir von ihr ein konsequentes Engagement für die Schwächsten der Europäischen Gemeinschaft, die Tiere, und damit eine Vorbildfunktion bei diesem Herzensanliegen vieler Menschen erwarten! Diese Verpflichtung erwächst auch aus dem Protokoll zum EG-Vertrag über den Schutz und das Wohlergehen der Tiere sowie aus der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung und dem Staatsziel Tierschutz. Bitte schreiben Sie ebenfalls mit Ihren Worten an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesminister Horst Seehofer und unterstützen Sie unsere Kampagne "Wir machen Seehofer Feuer unterm Hintern!".

- Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin
Fax 030-40 00 18 03

- Bundesminister Horst Seehofer
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz
Wilhelmstraße 54, 10117 Berlin
Fax 030-20 06 31 12


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Quelle:
tierrechte - Nr. 39/Februar 2007, S. 16-17
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2007