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POLITIK/672: Novellierung Tierschutzgesetz - Bundesregierung will Sparversion (tierrechte)


tierrechte Nr. 61, Oktober 2012
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Novellierung Tierschutzgesetz
Bundesregierung will Sparversion

Von Christiane Baumgartl-Simons



Ab Januar 2013 müssen die Bestimmungen der EU-Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU in Deutschland angewendet werden. Um die umfangreichen Neuregelungen in deutsches Recht zu überführen, hat die Bundesregierung einen Änderungsentwurf des Tierschutzgesetzes vorgelegt und zusätzlich eine Verordnung zur Regelung der Tierversuche erstellt. Beide Rechtstexte sollen bis Ende 2012 verabschiedet werden.


Immer, wenn das Tierschutzgesetz geändert werden soll, legen sich die Tierschutzorganisationen gegen das uferlose Leiden der Tiere ins Zeug. Wenigstens für die schlimmsten Tierquälereien bei der Tiernutzung sollten doch Verbote erreicht werden. Beispielsweise für die Leiden der Tiere in Zirkussen, auf Pelzfarmen, für die routinemäßigen Verstümmelungen von Schweinen, Hühnern oder Kälbern, denen Schwänze, Schnäbel und Hörner meist ohne Schmerzausschaltung abgeschnitten werden; für den elenden Kommerz auf Tierbörsen oder für Volksbelustigungen beim Rodeo, beim betäubungslosen Schlachten und auf endlos langen Tiertransporten. Die Liste der Tierqualen ist uferlos und unerträglich.


Bundesregierung für Tierschutz-Sparversion

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat nur eins im Sinn, nämlich die umfangreichen Regelungen der EU-Tierversuchsrichtlinie termingerecht in deutsches Recht zu gießen. Ohne diesen Zwang aus Brüssel hätte sie das Tierschutzgesetz niemals und schon gar nicht ein Jahr vor der Bundestagswahl aufgemacht. Da bleiben für weitere drängende Tierschutzthemen weder Zeit noch Wille. Nur zum Verteilen von Trostpflastern reicht es. So sollen die betäubungslose Kastration der Ferkel ab 2017 und der Schenkelbrand bei Pferden verboten werden. Auch den sogenannten Qualzuchtparagraf 11b des Tierschutzgesetzes gilt es nachzubessern, damit Zuchtverbote zukünftig auch tatsächlich vor Gericht Bestand haben. Denn 2009 hat das Bundesverwaltungsgericht im sogenannten Haubenentenurteil festgestellt, dass der jetzige Wortlaut von Paragraph 11b sichere Zusagen für das tatsächliche Auftreten der Erbschäden bei den Nachkommen verlangt. Doch diese hohen Auflagen sind in der Realität unerfüllbar, so dass Paragraph 11b praxisuntauglich ist. Zu guter Letzt und nur auf massiven Druck des organisierten Tierschutzes griff die Bundesregierung das alltägliche und allgegenwärtige Katzenelend im Paragraph 13b auf. Danach will nicht der Bund selbst dem Katzenelend entgegentreten, sondern delegiert die Regelungen an die Bundesländer, die in Bedarfsfällen Lösungen per Verordnung aufstellen sollen - alles in allem ein unbefriedigendes Stückwerk.


Bundesländer für mehr Tierschutz

Auch die Bundesländer haben sich mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung beschäftigt und sie schon im Juli aufgefordert, den Gesetzentwurf in mehr als 50 Punkten nachzubessern. Die Liste der Nachforderungen ist lang und vielfältig. Sie reicht von der Kennzeichnung der Haltungsformen auf Tiererzeugnissen über die Tötung von Wirbeltieren im Rahmen der sogenannten Schädlingsbekämpfung, dem Sachkundenachweis zur Haltung von Tieren in der Landwirtschaft, der Kennzeichnung von Hunden und Katzen bis zu Regelungen von Tierbörsen und Zirkusbetrieben. Auch Verbote bestimmter Rodeopraktiken, der Pelztierhaltung, des Klonens von Tieren, des betäubungslosen Schlachtens und des Zur-Schau-Stellens von Tieren, wie es in Zirkussen geschieht, fordert die Länderkammer ein. Ende August lehnte die Bundesregierung alle Vorschläge und Nachbesserungsanregungen der 16 Bundesländer ab. Wenigen Forderungen will sie nachkommen. Hierzu gehören u.a. das Verbot des sexuellen Missbrauchs von Tieren (Sodomie), ein Ausstellungsverbot kupierter Hunde, eine Erlaubnispflicht für Hundeschulen sowie für die Einführung von Hunden und Katzen aus Südländern.


Weiter mit realistischem Blick

Tatsächlich sind die Bundesländer aber gar nicht gefragt. Denn der von der Bundesregierung vorgelegte Änderungsentwurf des Tierschutzgesetzes benötigt die Zustimmung des Bundesrates nicht, sondern lediglich das Votum des Bundestages. Mit anderen Worten: Der Regierungsentwurf wird vermutlich ohne große Änderungen von den Regierungsfraktionen vor Weihnachten beschlossen werden. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass einigen Christdemokraten die Tierschutzregelungen ihrer Parteikollegin Ilse Aigner schon deutlich zu weit gehen und sie nichts lieber täten als gegen diese zu stimmen. Schade ist, dass der von der Grünen Bundestagsfraktion unter Federführung der Tierschutzpolitischen Sprecherin Undine Kurth eingebrachte Gesamtentwurf eines elementar-neuen Tierschutzgesetzes aufgrund der politischen Mehrheiten zurzeit keinerlei Aussicht auf Zustimmung des Bundestages hat. Dennoch ist der Grünen-Entwurf das richtige Zeichen zur richtigen Zeit, weil er die Diskussionen um den Schutz der Tiere für den Bundestagswahlkampf eröffnet und hierfür die Meßlatte schon mal auf ein hohes Niveau legt. Der grüne Gesetzentwurf ist zudem ein erster Gegenhieb auf die Ohrfeige, die der Verfassungsrechtler Professor Dr. Gerhard Robbers am 24. Juli verteilte. Auf der 10. Jahresfeier für das Staatsziel Tierschutz, zu der Bundesministerin Ilse Aigner ihn als Gastredner eingeladen hatte, degradierte er das Staatsziel Tierschutz zum Symbol ohne Auswirkungen. Natürlich gibt es genügend Juristen, die in dem Verfassungsrang des Tierschutzes die Verpflichtung zu mehr Tierschutz als bindend betrachten, doch diese kamen auf der Veranstaltung nicht zu Wort.


Und die Tierversuche?

In der vorigen Ausgabe, der tierrechte 2.12, haben wir ausführlich über die Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie (2010/63/EU) berichtet. Bisher werden Tierversuche in Deutschland ausschließlich im Tierschutzgesetz geregelt. Ab 2013 wird dies anders. Dann legen einige Paragrafen des Tierschutzgesetzes, das ja zu diesem Zweck jetzt geändert wird, und erstmals auch eine Verordnung die Bestimmungen zu Tierversuchen fest. Anders als beim Tierschutzgesetz muss zur Verabschiedung der Verordnung auch der Bundesrat zustimmen. Die wenigen Wochen bis zum Jahresende werden also anstrengend, denn unsere Kritik an beiden Rechtsentwürfen der Bundesregierung ist groß. Wir werfen der Bundesregierung vor, dass sie den Umsetzungsspielraum, den die EU einräumt, nicht zugunsten der Tiere ausschöpft und Deutschlands höhere Tierschutzstandards nicht uneingeschränkt beibehält. So will sie Tierversuche für Bereiche zulassen, die im bisherigen Tierschutzgesetz nicht ausgewiesen waren, wie z.B. für gerichtsmedizinische Untersuchungen.

Außerdem folgt sie nicht der EU-Tierversuchslinie, die für alle Tierversuche eine Genehmigungspflicht vorsieht, sondern will manche Tierversuche nach wie vor nur anzeigepflichtig lassen. Zu den zentralen Forderungen unseres Bundesverbandes gehört das Prüfrecht der Behörden. Sie müssen berechtigt und verpflichtet werden, die gesetzlich geforderten Voraussetzungen zur Durchführung des beantragten Tierversuchs eigenständig zu überprüfen. Es muss in jedem Fall ausgeschlossen werden, dass sie lediglich die Angaben des Antragstellers auf ihre Plausibilität durchleuchten dürfen. Außerdem wollen wir erreichen, dass Deutschland von den Ausnahmebestimmungen, die die Richtlinie vorsieht, keinen Gebrauch macht.

Das heißt:
1. Es muss eine obere Schmerz-Leidensgrenze gelten, die in keinem Fall überschritten werden darf,
2.  für Affenversuche darf es keine Ausnahmeregelungen geben und
3. Versuche an Menschenaffen müssen verboten werden.


Fazit

Die Durchsetzung unserer Forderungen ist angesichts der realen Situation ein pragmatischer Schritt vorwärts auf unserem Weg zum Ende der Tierversuche. Unser Bundesverband kennt letztlich nur eine Grundposition: Menschen für Tierrechte lehnt Tierversuche aus ethischen, medizinischen und wissenschaftlichen Gründen ab und verfolgt das Ziel der Abschaffung aller Tierversuche.

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Quelle:
tierrechte - Nr. 61/Oktober, 2012, S. 14-15
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2012