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POLITIK/694: Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik - Aus Tierschutzsicht ein Flop (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2013
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

AKTUELLES AUS BRÜSSEL
Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik: Aus Tierschutzsicht ein Flop

Von Sabine Ohm



Die Debatte über die Umgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für die kommende Finanzperiode (2014-2020) fand mit einer noch nie dagewesenen Beteiligung der EU-Bürger durch Umfragen, Konsultationsprozesse und Demonstrationen statt. Die einhelligen Forderungen der Zivilgesellschaft zielten auf mehr Umwelt- und Tierschutz in der GAP (vgl. PROVIEH-Magazin 4/2011, 3/2012). Trotzdem konnte sich offensichtlich - wie befürchtet - die Agrarindustrielobby weitgehend durchsetzen.


Im Ansatz gut gedacht, aber schlecht gemacht

Vom ursprünglichen "Begrünungs"-Vorhaben des EU-Agrarkommissars Dacian Ciolos, der eine nachhaltigere EU-Agrarpolitik (GAP) zumindest in Ansätzen vorschlug, ist beim derzeitigen Verhandlungsstand kaum etwas übrig geblieben. Sein Grundprinzip sah vor, dass Subventionen aus Brüssel künftig an die Einhaltung von strengeren Umweltstandards geknüpft werden sollten. Diese Ziele verwässerten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments (EP) und die Landwirtschaftsminister im Rat Mitte März 2013 größtenteils durch ihre Beschlüsse ("Verhandlungsmandate"), in denen die wichtigen Leitlinien für die Endabstimmung der Reformen festgelegt wurden. Damit ist die historische Chance verschenkt, den erforderlichen Paradigmenwechsel hin zu einer Politik der Förderung nachhaltiger Landwirtschaft und Tierhaltung herbeizuführen.

Der seit dem 11. April 2013 in Brüssel laufende "Trilog" zwischen Vertretern von Rat, Kommission und EP dient nur noch der Feinabstimmung. Da die Institutionen mit ihren Verhandlungen spät dran sind, werden die neuen Regelungen - wie auch immer sie dann genau aussehen - nicht vor 2015 in Kraft treten können. 2014 wurde deshalb bereits zum "Übergangsjahr" mit Sonderregelungen erklärt. Deutschland erhält aus Brüssel mit knapp 5,2 Milliarden Euro etwa 2,8 Prozent weniger Geld für sogenannte "Direktbeihilfen" (produktionsunabhängige Flächenprämien, "1. Säule"). Empfindlichere Einbußen (um 10 Prozent) erwarten Deutschland ab 2015 bei den Programmen zur "Entwicklung der ländlichen Räume" (ELER, "2. Säule"), über die unter anderem Tier-, Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden können.


Die GAP geht alle etwas an

Verbesserte Fördermöglichkeiten für besonders artgerechte Tierhaltung waren und sind im Reformprojekt nicht vorgesehen - trotz all unserer Bemühungen und der Bürgerproteste. An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal herzlich bedanken bei all unseren aktiven Mitgliedern und Bündnispartnern, die sich an einer oder mehreren Aktionen beteiligt haben.

Die von PROVIEH sowie vielen Natur- und Umweltschutzverbänden geforderte Flächenbindung der Tierhaltung war schon für die Kommission ein Tabu, Rat und EP haben das heiße Eisen erst recht nicht angefasst. Denn diese würde in Ländern wie Deutschland mit einer erheblichen Minderung der Vieh- und Geflügelbestände einhergehen. Den Böden und Gewässern in unserem Land sowie der Ostsee wäre allerdings sehr geholfen, da sie alle zunehmend unter der Überdüngung leiden - häufig wegen zu viel und zu nährstoffreicher ausgebrachter Gülle.

PROVIEH hatte seit Beginn des Reformprozesses im Jahr 2010 im Rahmen einer Vielzahl von Aktionen wie Demonstrationen, Veranstaltungen, Unterschriftensammlungen, Briefen etc. eine Korrektur der Reformvorschläge angemahnt - oft gemeinsam mit anderen Organisationen wie dem Agrarbündnis, Campact und der europäischen Dachorganisation der Protestbewegung ARC (zum Beispiel der Good Food March, siehe PROVIEH-Magazin 4/2012). Die Medienberichte und Bürgerbeteiligung belegen: Das Thema Agrarpolitik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Zuletzt versuchte PROVIEH noch kurz vor der Abstimmung den Mitgliedern des Europäischen Parlaments mit Hilfe eines kurzen Forderungskatalogs eine Entscheidungshilfe für die Abstimmung im EP am 13. März 2013 an die Hand zu geben und nahm an einer Demonstration in Straßburg teil.

Leider nützte alles nichts. Die EU-Parlamentarier stimmten zunächst nicht einmal gegen die von der EU-Kommission vorgesehene Aufrechterhaltung von Subventionen für Lebendtierexporte. Offenbar lag aber ein Abstimmungsfehler vor; denn auch die konservative Mehrheitspartei (EVP) wollte eigentlich für die Abschaffung stimmen. Das betonte die deutsche Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle (CDU) in einer Sitzung der "Intergroup for Animals" im Straßburger EP, einer Tierschutz-Arbeitsgruppe aus EU-Parlamentariern und Vertretern aus Tierschutz und Gesellschaft, an der auch PROVIEH teilnahm. Sie zeigte sich über das verheerende Abstimmungsergebnis - 558:71 für die Beibehaltung - entsetzt.


Verbleibende Gestaltungsspielräume

PROVIEH regte anlässlich der Fachtagung des "Agrarbündnisses" am 11. und 12. April in Hofgeismar deshalb an, die Forderung nach Abschaffung aller Exportsubventionen möglichst auch über Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner in den oben erwähnten "Trilog" über die Agrarreform einzubringen. Frau Aigner kann den deutschen Steuerzahlern im Wahljahr wohl kaum vermitteln, dass mit unseren Geldern auch weiterhin das grausame Leid tausender Tiere auf Langstreckentransporten nach Südeuropa und bis in den Mittleren Osten gefördert wird. Mindestens diese aus Tierschutzsicht übelste aller im Reformvorschlag enthaltenen Regelungen sollte noch auszumerzen sein.

Bedauerlicherweise gab und gibt es in der sogenannten "2. Säule" (den ELER-Programmen) aber auch das weit gefasste Konzept der "Förderung der Wettbewerbsfähigkeit" durch erhebliche Investitionszuschüsse. Darunter verstand man bisher fast überall die Subventionierung von Megastall-Neubauten statt der Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft und artgerechte Tierhaltung (siehe Infobox). Diesen Interpretationsspielraum wollte die EUKommission trotz Druck seitens PROVIEH und seinen internationalen Partnerorganisationen partout nicht streichen. Sie will den Mitgliedsstaaten, die die ELER-Programme kofinanzieren müssen, lieber die Wahl lassen - und wäscht ihre Hände so in Unschuld.


Chancen im Wahljahr 2013

Es gibt also trotz der ziemlich verpatzten Reform noch einiges zu tun, da Teile der Agrarpolitik sozusagen re-nationalisiert wurden. So dürfen die Mitgliedsländer selbst entscheiden, ob sie Obergrenzen für Subventionsempfänger ("Deckelung" oder auch "Kappung" genannt) einführen wollen. Die deutsche Agrarministerkonferenz sprach sich zwar noch im April 2013 gegen eine Deckelung in Deutschland aus, aber dieser Beschluss ist nicht in Stein gemeißelt. Die Wahlen in Bayern, Hessen und auf Bundesebene im September 2013 könnten die Nutzung dieser und weiterer Spielräume befördern. Dazu zählt auch die Umschichtung von Mitteln aus der ersten in die zweite Säule der Agrartöpfe, also weg von den pro Hektar gezahlten Flächenprämien, hin zu mehr Förderung für Tier-, Klima und Umweltschutz durch entsprechende ELER-Programmgestaltung. Wie positiv sich rot-grüne Regierungen auf die kofi nanzierten EU-Programme und sonstige Agrarpolitik auswirken, kann man besonders in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sehen, den Bundesländern mit der höchsten Tierhaltungsdichte, aber auch in Baden-Württemberg. Das macht uns Mut.

Fakt ist, dass weder Brüssel noch die Bundesund Landesregierungen auf Dauer an den Wünschen der Bürger vorbeiregieren können; denn sonst werden sie abgewählt. Oder der Druck steigt so, dass die Agrarsubventionen ganz abgeschafft werden müssen, weil sie Legitimation und Rückhalt in der Bevölkerung verspielt haben. Aus Tierschutzsicht wäre dies derzeit gar nicht mal so schlimm. Über anders gestaltete Programme auf Bundes- und/oder Länderebene könnten die Mittel im Zweifel viel zielgerichteter für artgerechte Tierhaltung als bisher unter der GAP eingesetzt werden.

Sabine Ohm, Europareferentin


INFOBOX
In Hessen fließen laut Hans-Jürgen Müller von der Vereinigung Ökologischer Landbau jährlich etwa 12-15 Millionen Euro in Investitionsförderung für neue Megaställe zur Nutztierhaltung. Und das, obwohl es schon eine Überversorgung von 120 Prozent des Bedarfs mit Hühner- und Schweinefleisch und Milch gibt. Die Subventionsempfänger gehörten in der Regel schon vor der Förderung zu den wirtschaftlich erfolgreichen Betrieben und eine Evaluierung des Landes Hessen zeigte, dass die meisten Landwirte die Ställe auch ohne Förderung gebaut hätten.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2013, Seite 34-36
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2013