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QUAL/062: Qualzucht - Ein Blick in die Folterkammer des Profits (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03 / 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Qualzucht - Ein Blick in die Folterkammer des Profits

Von Sievert Lorenzen


Tiere können auf vielerlei Weise gequält werden. Man kann sie schlagen, bei vollem Bewusstsein verstümmeln, im Fastdunkel bei großem Gedränge halten, tagelang fast ohne Wasser und Nahrung ins EU-Ausland zum Schächten karren oder durch Zucht derart verändern, dass langes Leid unvermeidbar ist. Eine solche Zucht wird Qualzucht genannt.

Wir in Deutschland haben den Tierschutz im Grundgesetz zwar zur Pflicht gemacht, aber wenn es um Rendite geht, dürfen Nutztiere auch weiterhin gequält werden. Dafür kämpft die Nutztierindustrie, dagegen kämpft PROVIEH gemeinsam mit anderen Vereinen. Die Luft für die industriellen Tierquäler wird aber schon spürbar dünner.

Warum wird Qualzucht überhaupt betrieben? Hobbyzüchter von Stubentieren wie Hunden, Katzen, Vögeln oder Zierfischen wollten aparte Körperformen und -farben sehen, griffen zum Mittel der Extremzucht und nahmen die dadurch entstandenen Qualen billigend in Kauf. Das ist jetzt verboten. Nutztierzüchter neigen ebenfalls zur Extremzucht, um Rassen oder besser noch Hybriden aus ihnen zu erhalten, die in möglichst kurzer Lebenszeit bei höchstmöglicher Futterverwertung höchstmögliche Erträge bringen, also Futter möglichst effizient in Fleisch, Eier oder Milch umwandeln oder, wie die Industrie lieber sagt, Futter "veredeln". Die Tiere werden zu Bioreaktoren gemacht. Diese Form der Qualzucht ist politisch erlaubt, weil sie sehr hohen Profit bringt. Am vielleicht schlimmsten unter den Nutztieren sind die Puten und Hühner betroffen. Einen Einblick in die moderne Folterkammer des Profits geben u.a. die Bücher von Bernhard Hörning ("Auswirkungen der Zucht auf das Verhalten von Nutztieren", siehe Rezension in diesem Heft) und Hermann Focke ("Tierschutz in Deutschland - Etikettenschwindel?, siehe Heft 04-2007).

Puten (= Truthühner), die wild noch immer in den USA leben, wurden wegen des Wohlgeschmacks ihres Fleisches schon vor Jahrhunderten domestiziert. Die heutigen Mastputen stellen stets Hybriden dar, die für die weltweite Massenhaltung fast nur noch in drei Großunternehmen erbrütet werden: bei Nicholas in den USA, Hybrid Turkeys in Kanada und British United Turkeys (BUT) in Großbritannien. Alle Weibchen werden künstlich besamt, weil Zuchthähne zu schwer sind für den Sprung auf die Henne. Die Küken entstehen aus der Kreuzung von drei reinen Rassen, von denen sich zwei durch guten Fleischertrag und die dritte durch gute Reproduktionseigenschaften auszeichnen. Aus Sicht der Agrar-Großindustrie sind die Hybriden so vorteilhaft, weil sie extrem effiziente "Veredeler" sind und der Nachwuchs nur von Unternehmen der Zuchtindustrie gekauft werden kann. Das schafft lukrative Abhängigkeiten, denn die Nachkommen von Hybriden würden nach den Mendelschen Vererbungsregeln zu heterogen sein.

Wegen der vorherrschenden Teilstückvermarktung werden in Deutschland fast ausschließlich die schweren, breitbrüstigen Hybriden Big 6 von BUT gemästet. Beide Geschlechter werden gemästet. Die Hennen werden im Alter von 15-19 Wochen bei einem Gewicht von 9-10,5 kg geschlachtet, die Hähne im Alter von 20-22 Wochen bei einem Gewicht von 19-21 kg. Die schnelle Mastleistung kann nur durch Verfütterung von hochenergetischem Futter erreicht werden, dem "Leistungsförderer" (Dopingmittel!) beigemischt sind. Zu ihnen gehörten bis Ende 2005 auch Antibiotika. Diese dürfen zwar heutzutage nicht mehr als Mastförderer eingesetzt werden. Erkrankt aber unter den vielen tausend Puten im Stall auch nur eine einzige an einer bakteriellen Infektion, dürfen der ganzen Herde Antibiotika verabreicht werden. Die damit verbundene mastfördernde Wirkung wird billigend in Kauf genommen.

Die zuchtbedingten Qualen machen den Puten vor allem im letzten Drittel der Mastzeit zu schaffen. Der Skelettapparat kann nicht so schnell wachsen wie die Fleischfülle und kann zusätzlich geschwächt werden durch Osteodysphorie, die den Knochen Calzium entzieht und durch instabiles Bindegewebe ersetzt. Erweichte Knochen, schmerzhafte Beinschäden und Knochenbrüche sind die Folgen. Doch auch das Kreislaufsystem hält mit dem Fleischwachstum bei gleichzeitiger Bewegungsarmut nicht Schritt. Das kann zu Kreislaufproblemen bis hin zum Herztod oder zum Aortenriss mit sofortiger Todesfolge führen.

Wegen des enormen Brustmuskelwachstums werden die Tiere vorderlastig und liegen dann viel herum. Das Brustgefieder ist schütter, weil Zahl und Größe der Federn unverändert gegenüber der Wildform sind. Also ist der Brustbereich teilweise nackt und hat direkten Kontakt zu Kot und Unrat auf dem Boden. Das kann zur Brustblase führen, einer eitrigen Entzündung des Brustschleimbeutels. Viele Tiere sterben schon während der Mastzeit, andere werden Opfer des Transports zur Schlachtstätte, und beunruhigend viele Tiere weisen am Schlachtkörper wertmindernde Mängel auf, die von erlebten Qualen zeugen.

Ähnliche zucht- und haltungsbedingte Qualen erleiden auch die Masthühner (Broiler). Der frühere Ausdruck "Hähnchen" trifft nicht mehr zu, da die Broiler nicht die Brüder der Legehennen sind, sondern einer eigenen Hybrid-Zuchtlinie entstammen, bei der Hähne und Hennen gemästet werden. Schon im Alter von 35 Tagen erreichen sie mit 1,8 kg ihr Schlachtgewicht. Mit 18 Wochen würden sie 4,9 kg wiegen, und ohne Schlachtung würden sie qualvolles Opfer ihrer Leibesfülle und der Bewegungsarmut werden.

Wenn Konsumenten das billige Fleisch der gequälten Tiere aus der Tiefkühltruhe nehmen, sind die zu Lebzeiten erlittenen Qualen kaum noch erkennbar. Doch Vorsicht ist geboten: Manche Leistungsförderer wie Antibiotika werden erst jahrelang in der Mast eingesetzt, bevor sie wegen Schädlichkeit verboten werden. Bis das Verbot wirksam wird, haben Millionen von Menschen diese Substanzen mit dem Billigfleisch schon aufgenommen. Wird dadurch die Gesundheit angegriffen, kann Billigfleisch nachträglich sehr teuer werden.


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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03/2009, Seite 34-36
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009