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SCHLACHTEN/055: Belastungen von Nutztieren bei der Schlachtung (PROVIEH)


PROVIEH Heft 4 - Dezember 2007
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Welchen Belastungen sind Nutztiere bei der Schlachtung ausgesetzt?

Von Dr. Dirk Schäffer


Angst, Schmerzen und Leiden sind Emotionen, denen Nutztiere nicht ohne vernünftigen Grund ausgesetzt werden dürfen. Ebenso sind gesundheitliche Schäden zu vermeiden und ein artgemäßes Bewegungsbedürfnis zu gewährleisten, so schreibt es der Gesetzgeber für die Haltung von Tieren vor. Allzu oft wird aber vergessen oder auch verdrängt, dass Schlachthöfe - bis zur Betäubung des Tieres - auch Orte der Tierhaltung und nicht nur der Lebensmittelerzeugung sind. Der Aufenthalt der Nutztiere im Schlachthof stellt zwar im Vergleich zum Wachstum bis zur Schlachtreife nur einen kurzen Abschnitt im Leben des Tieres dar, ist aber für jedes betroffene Tier ein physiologisch belastendes und einschneidendes psychisches Erlebnis. Vorangestellt erlebt jedes Schlachttier den Austrieb (Schweine, Rinder) oder den Fang per Hand bzw. Maschine (Geflügel) aus seiner gewohnten Haltungsumwelt (Stall, Bucht), das anschließende Eintreiben in das Transportfahrzeug oder das Verladen in den Transportkäfig (Geflügel) und den Transport. Alle diese Vorgänge verlaufen im Akkord, so dass sich die Schlachttiere in kurzer Zeit auf neue und unbekannte Umwelten, Vorgänge, Klimareize und Menschen einstellen müssen. Dafür sind sie weder physiologisch trainiert noch besitzen sie jedwede Vorerfahrungen, um ihr Verhalten kurzfristig und der jeweiligen Situation entsprechend anpassen zu können. Bereits mit dem Verladen der Tiere sowie beim Transport werden durch nervliche und körperliche Belastungen Stoffwechselzustände induziert, welche die Adaptationsfähigkeit des Einzeltieres bis zur Grenze der Regulierbarkeit beanspruchen. Bei besonders belastungsanfälligen Tieren (Schweine und Geflügel) tritt dies verstärkt auf und kann bis zum Tod des Einzeltieres führen.

Alle Schlachttiere müssen sich bereits nach dem Verlassen der ihnen bekannten Bucht, ihres Käfigs bzw. ihres Stalles mit ihnen unbekannten Artgenossen auseinandersetzen. Aggressionen und Rangkämpfe bei geringem Raum führen besonders bei Schweinen im Transportfahrzeug und im Ruhestall des Schlachthofes zu Verletzungen und ausgeprägten Kreislaufbelastungen.

Um die das Tier betreffenden Vorgänge im Schlachthof in ihrer Komplexität zu verstehen, ist es auch notwendig, sich mit den morphologischen und physiologischen Voraussetzungen der Masttiere zu beschäftigen. Nutztiere der Mastrichtungen verfügen - entsprechend den Marktanforderungen - über eine wesentlich größere Muskelmasse, einen geringeren Fettansatz und ein schnelleres Wachstumsvermögen. Dieses Wachstum wird in der Regel bei eingegrenzter Bewegungsmöglichkeit und reduziertem Kontakt zum Menschen realisiert. Die Zucht auf Muskelmasse hat besonders Schweine, Masthähnchen und Puten morphologisch verändert und zu physiologischen Fehlanpassungen geführt. So zeichnet sich das heutige Hausschwein durch ein niedriges relatives Herzgewicht, geringeres Blutvolumen und einen mangelhaft ausgestatteten Wärmeabgabemechanismus aus. Bei stressempfindlichen Schweinen führt der verminderte Anteil an Kapillaren in der Muskulatur zu einer begrenzten Sauerstoffverfügbarkeit. Belastungen sind daher mit einer erhöhten Herzfrequenz und einem Anstieg des Blutdruckes verbunden. Bei Masthähnchen führte die intensive Zucht innerhalb von 75 Jahren zu einer Halbierung der Mastzeit bei nahezu Verdopplung des Mastendgewichtes. Puten werden auf eine ausgeprägte Brustmuskulatur selektiert, die durch ihre Fülle zu einer verminderten Bewegungsaktivität der Tiere führt. Mangel in den Haltungsverfahren (schadhafte Fußböden, feuchte Einstreu und harte Liegeoberflächen), unangepasstes Stallklima (Lichtmangel, Hitzestress, Schadgase) und fehlerhaftes Management (zu hohe Besatzdichten, Mangel an Fressplätzen, unzureichende Tierkontrolle) führen zusätzlich zu gesundheitlichen Schäden (Gelenk- und Klauenschäden bei Rindern und Schweinen, Brustblasen und Fußballengeschwüre beim Mastgeflügel). Der Mangel an Beschäftigungsmaterial hat bei allen Nutztieren Verhaltensstörungen zur Folge und verhindert eine ständige Auseinandersetzung mit neuen Reizen.

Der Aufenthalt im Schlachthof beginnt für Rinder und Schweine mit dem Entladen, das mit dem Eintrieb in den Ruhestall endet. Aus dem Ruhestall werden die Tiere in die jeweilige Betäubungsanlage getrieben. Rinder laufen einzeln hintereinander zur Falle mit anschließendem Bolzenschuss oder Elektrobetäubung, ebenso Schweine bei anschließender Elektrobetäubung in V-förmigen Bandförderanlagen und bei der CO2-Betäubung im Gondelverfahren (2 Tiere je Gondel) nach Paternosterprinzip. Das vorrangige Verfahren für Schweine ist derzeitig die CO2-Betäubung mit 6 Schweinen je Gondel. Dafür wird die Tiergruppe durch einen automatischen Schieber seitlich in die Gondel geschoben. Mit diesem Verfahren können täglich mehr als 8.000 Schweine geschlachtet werden. Die Tötung erfolgt bei Rind und Schwein nach erfolgter Betäubung, durch Öffnung der Halsschlagader und Blutentzug.

Geflügel wird direkt aus den Transportkäfigen vom Fahrzeug herunter per Hand entnommen und kopfüber mit den Füßen in eine Förderkette eingehängt. Diese befördert die Vögel aus der Transporthalle in den Schlachtraum. Dort werden die Köpfe der Vögel nacheinander durch ein elektrisches Wasserbad gezogen, um die Vögel zu betäuben. Die anschließende Tötung erfolgt durch Blutentzug. Bereits nach dem Einhängen ist oftmals das Flügelschlagen einzelner Vögel zu beobachten, dass sich dann über alle eingehängten Vögel der Kette als Verhaltensübertragung fortsetzen kann. Ein weiteres Verfahren ist ein Tunnelsystem mit Gasen (Argon/CO2) in dem die Vögel auf Förderbändern transportiert werden.

Nutztiere besitzen stärker ausgebildete sensorische Eigenschaften als der Mensch, die jedoch beim Handling im Schlachthof beachtet werden müssen. Im Allgemeinen bewegen sich Nutztiere auf Räume mit ansteigender Beleuchtungsstärke zu und meiden Räume mit weniger Licht. Sie besitzen einen empfindlicheren Geruchssinn als der Mensch und können anhand von Pheromonen Informationen über den Zustand von Artgenossen erhalten. Geräusche werden meist - verglichen mit dem Menschen - in höheren Frequenzbereichen wahrgenommen. Angst und Schmerzen werden den Artgenossen durch laute Schreie mit Signalcharakter vermittelt und führen bei diesen zu Verhaltensänderungen. Verhaltensweisen wie häufiger Kot- und Harnabsatz, Zittern, Hin- und Hertrippeln (Nervosität) können visuell schnell festgestellt werden und sind deutliche Anzeichen von Angst.

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Angst definiert sich als Zustand von Unruhe und Aufgeregtheit bei Bedrohung bzw. der Vorstellung einer solchen. Sie ist ein aus dem Gefahrenschutzinstinkt entwickelter Affekt, der sich als akuter Ausbruch (Schreck) oder schleichend als Erschütterung bzw. Hemmung (Furcht) manifestiert.

Physiologische Belastungen von Schlachttieren wie Herz- und Atemfrequenzsteigerungen (Hecheln, Speichelfluss, Stau der Ohrvenen), werden heute mit modernen Methoden gemessen oder über visuelle Beobachtung eingeschätzt. So weisen Mastschweine einen normalen Toleranzbereich der Herzfrequenz zwischen etwa 80 bis 220 Schlägen pro Minute (S/min) und leicht darüber hinaus auf. Beim Überschreiten von 220 bis 240 S/min kommt es zur Desynchronisation und später zum Herzstillstand. Um dem entgegenzuwirken, legen sich Schweine nieder bzw. bleiben laufende Schweine stehen. Beim Entladen können teilweise Herzfrequenzen mit über 200 S/min gemessen werden.

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Durch die Reizung spezifischer Rezeptoren oder durch die Einwirkung von Reizen, die eine bestimmte Intensität überschreiten, auf andere Rezeptoren, werden Schmerzempfindungen ausgelöst. Starke Schmerzen führen zu einer Erhöhung der Herzschlagfrequenz und des Blutdruckes sowie zu Gefäßverengungen in der Haut.

Während aller Treibprozesse tritt der Mensch dem Tier als Stressor gegenüber, der den meist laufuntrainierten, aus reizarmen Haltungen stammenden Tieren hohe physiologische Leistungen in kurzer Zeit abfordert und sie dabei mit unbekannten Bedingungen konfrontiert. Dabei müssen sich die Tiere, ohne die notwendige Zeit zur Orientierung und Erkundung zu bekommen, an unbekannte Umweltfaktoren (Licht, Geräusche Farben, Böden) anpassen. Der Mehrheit der Schlachttiere fehlen die Erfahrungen zum Verhalten des Menschen, hervorgerufen durch eine wenig ausgeprägte Mensch-Tier-Beziehung während der Haltung. Einige werden erstmals überhaupt mit Menschen direkt konfrontiert. Verweigern die Tiere die Fortbewegung, werden elektrische, mechanische und akustische Treibhilfen (Elektrotreibstab, Stöcke, Klatschen, Gummirohre und Rufe) eingesetzt, um sie wieder zum Laufen zu bewegen. Oft erfolgt der Treibhilfeneinsatz routinemäßig bei allen Tieren, um die Tiere so schnell wie möglich an ihren Bestimmungsort zu treiben.

Die Anwendung des Elektrotreibstabes ist für das betroffene Tier immer schmerzhaft und kann schnell zu Panikreaktionen führen. Bereits der einmalige Einsatz bewirkt einen Anstieg von 40 auf 70 S/min, nach dem 4. Einsatz steigt die Herzfrequenz weiter auf bis zu 100 S/min an.

Der tiergerechte Umgang mit Schlachttieren erfordert daher ein hohes Maß an gesetzlicher und vor allem neutraler Kontrolle im Rahmen einer transparenten Qualitätssicherung. Die Entwicklung neuer alternativer Betäubungsverfahren und eine technische Abnahme derselben (TÜV) sind allerdings ebenso erforderlich wie der Einsatz von bekannten Lösungsalternativen (z.B. modulares mobiles Schlachtsystem am Stall zur Vermeidung von Tiertransporten). Letztendlich kann ein Umdenken im Schlachtbereich nur stattfinden, wenn Gesellschaft und Verbraucher bereit sind, höhere Tierschutzanforderungen und Schlachtzahlbeschränkungen beim Fleischkauf entsprechend zu honorieren. Die Basis hierfür kann nur die ehrliche und umfassende Aufklärung des Verbrauchers bilden.


Dr. Dirk Schäffer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und beschäftigt sich derzeitig mit der Gesundheit und dem Verhalten von Sauen im Kastenstand sowie der Bewertung der Tiergerechtheit von Haltungsverfahren.


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Quelle:
PROVIEH Heft 4, Dezember 2007, Seite 10-13
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2008