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ABWASSER/229: Ostdeutsche Abwasserfürsten - "Sie haben es nicht begriffen!" (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 942 vom 30. März. 2010 - 29. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Ostdeutsche Abwasserfürsten: "Sie haben es nicht begriffen!"


Frust, Verbitterung und Ärger - das ist weiterhin die Gefühlslage bei den Aktivisten in den ostdeutschen Abwasserinitiativen. Das Unverständnis gilt den Abwasserverbänden, die immer noch daran festhalten, die Flächenkanalisation weiter in die ostdeutsche Provinz ausufern zu lassen. Der Ärger gilt den Verbandsspitzen, die einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass die hohen Kosten für Bau und Unterhalt des weit verzweigten Kanalnetzes von immer weniger BürgerInnen finanziert werden müssen - ein ungebremster Kostenanstieg ist damit vorprogrammiert. Die Kosten für die geldverschlingende Kanalisation müssen über hohe Beiträge und steigende Gebühren oder über steuerfinanzierte Schuldenmanagementfonds und Zuschüsse der ostdeutschen Bundesländer finanziert werden. Volkswirtschaftlich gesehen ist das eine so unvernünftig wie das andere. Dass die Abwasserverbände nach wie vor gewillt sind, die Kanalröhren zum letzten ostdeutschen Weiler voranzutreiben, wurde einmal mehr auf der Tagung "13. Abwasserbilanz Brandenburg" am 14. Dezember 2009 im Technologie- und Gründerzentrum Wildau deutlich. Die Veranstaltung mit dem Titel "Brandenburg stellt sich den Herausforderungen" war vom INFRANEU-Hauptverband in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Brandenburgische-Berliner Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsunternehmen sowie dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, BDEW-Landesgruppe Berlin/Brandenburg ausgerichtet worden. Trotz des programmatischen Tagungsmottos war von einem Paradigmenwechsel keine Rede. Tapfer wurde von den Zweckverbandsvorsitzenden an der Gewissheit festgehalten, dass Kleinkläranlagen immer nur die zweitbeste Lösung seien. Es gäbe zwar gute Modelle, aber sie wären nicht die Lösung des Problems. Die Standardlösung ist - davon wird nicht abgewichen - der Kanal!

Trotz der dramatischen Überschuldung vieler Abwasserverbände will man weiter ausschließlich in zentrale Kanalisationssysteme investieren. Dabei fehlt schon das Geld, um die bestehende Abwasserinfrastruktur über die Runden zu retten. Denn allein in Brandenburg gelten 105 Kläranlagen als besonders sanierungsbedürftig. Um die maroden Kläranlagen zu erneuern, hat man im Potsdamer Umweltministerium eine Facharbeitsgruppe Kommunalabwasser und eine Steuerungsgruppe Projektabwicklung geschaffen. Die in diesen Gremien arbeitenden Fachleute sollen "kosteneffizienter Maßnahmenkombinationen" erarbeiten, die aber nach dem Anschein der Wildauer Tagung weiterhin vom zentralen Rohrdenken beherrscht sein werden. Dass es wegen des grassierenden Bevölkerungsrückgangs in den ostdeutschen Kleinstädten und Dörfern immer weniger Menschen geben wird, die die zentralen Anlagen wirklich brauchen und die sie bezahlen können, wurde von den Verbandsspitzen in Wildau nicht ansatzweise problematisiert. Skeptiker aus den Abwasserinitiativen, die darauf aufmerksam gemacht haben, wurden einfach ignoriert.

Offenbar geht man bei den Chefs der Abwasserverbände, der Administration und dem BDEW weiterhin davon aus, dass man auch künftig steigende Kosten immer wieder auf den Bürger umlegen kann. Obwohl in vielen Abwasserzweckverbänden die Kubikmeterpreise nahe daran sind, die Schmerzgrenze von 10 Euro zu sprengen, will man bei den Anschlusspflichtigen jetzt zusätzlich auch noch "Altanschließerbeiträge" abkassieren: Anlagen, die bereits zu DDR-Zeiten errichtet worden sind, sollen trotz Verjährung erneut mit Beiträgen belegt werden. Dass die ostdeutschen Abwasserfürsten mit ihrem ignoranten Rohrdenken auch die Idee der staatlichen Daseinsvorsorge diskreditieren, sei nur am Rande erwähnt. Für immer mehr "Anschlusspflichtige" in der ostdeutschen Provinz erscheint der Staat in Form von Unteren Wasserbehörden und Abwasserverbänden als feindlicher Moloch.

Ein völlig konsternierter Teilnehmer der Wildauer Tagung aus der brandenburgischen Bürgerinitiativ-Szene:

"Sie haben nichts gelernt. Sie verschließen die Augen vor der Entwicklung. Sie machen weiter wie bisher. Sie sind glücklich, dass es nach wie vor einen Schuldenmanagementfonds gibt. Sie hoffen, dass der Bürger brav zahlt, und wenn nicht der Bürger, dann der Staat, also doch der Bürger! Nachhaltiger, sparsamer Umgang mit Wasser, Aufbereitung und Verwertung von Schmutzwasser am Anfallort, Rückbau falsch dimensionierter Anlagen - das alles sind fremde Begriffe für sie; es sei denn, dafür gibt es Geld. Welchen Herausforderungen haben sie sich also gestellt? Ich habe das nicht herausbekommen!"

(Mehr zur ostdeutschen Abwasserpolitik in den BBU-WASSER-RUNDBR. 937/2-3 und 933.) -jd-


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 942/2010
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2010