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ATOM/988: Poker um Atommüll-Lagerung (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 15 / Winter 2011/2012

Poker um Atommüll-Lagerung

Der Castor-Protest brach alle Rekorde - aber Norbert Röttgen versucht Gorleben weiter durchzusetzen. Dazu braucht er die rot-grün-regierten Bundesländer. Machen die mit?

von Jochen Stay


Es muss ja nicht gleich so enden, wie es Thorsten Denkler in der Süddeutschen Zeitung gefordert hat. Er sprach sich dafür aus, jedem Demonstranten (und wohl auch jeder Demonstrantin) gegen den Castor-Transport nach Gorleben "mindestens" das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, weil sie "sich in einem ganz klassischen Sinne um das Wohl des Landes verdient gemacht" haben.

Aber vielleicht wird man in späteren Jahren den November 2011 als entscheidenden Umbruch im Dauerkonflikt um Gorleben ansehen. Länger als je zuvor war der Castor-Transport diesmal unterwegs. Über 100 Blockadeaktionen vom Start in Frankreich bis nach Gorleben hielten die Atommüll-Fuhre immer wieder auf. Die Großdemonstration in Dannenberg war mit 23.000 Menschen die zweitgrößte in 35 Jahren Gorleben-Konflikt. Nur im Ausnahmejahr 2010 - direkt nach dem Beschluss der Laufzeitverlängerung - waren noch mehr Menschen ins Wendland gekommen.

Dabei hatte sich Bundesumweltminister Norbert Röttgen alle Mühe gegeben, den Druck aus dem Dauerstreit um Gorleben rauszunehmen. Nach der Stilllegung von acht Atomkraftwerken im Sommer und vor allem nach seiner Ankündigung, auch in anderen Regionen der Republik nach einem Endlager zu suchen, hatte er gehofft, dass kaum noch einer demonstrieren würde, wenn der Castor rollt. Was für ein Trugschluss!


Reger Aktivismus der Gorleben-Befürworter

Die Botschaft des Protest war eindeutig: Der geologisch ungeeignete Salzstock Gorleben (siehe Seite 10) muss als Standort für ein Atommüll-Endlager endlich aufgegeben werden. Bleibt er bei einer zukünftigen Standortsuche im Topf, ist das Risiko viel zu groß, dass angesichts der dort verbauten Milliardensummen am Ende doch alles an Gorleben kleben bleibt.

Wie real diese Gefahr ist, zeigt der rege Aktivismus der Gorleben-Befürworter in den Behörden. Für knapp 9 Millionen Euro lassen sie die ganze Riege von atomfreundlichen Instituten an einer sogenannten "Vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben" (VSG) schreiben (siehe Seite 11). Dass diese Wissenschaftler, die schon das einsturzgefährdete "Endlager" für schwachaktiven Müll im Salzstock Morsleben und die absaufende Asse für absolut sicher erklärt haben, nun auch einen Eignungsnachweis für Gorleben liefern werden, gilt als ausgemacht. Und hat Gorleben erst einmal diesen ach so neutralen wissenschaftlichen "Geeignet"-Stempel, dann wird es natürlich sofort Druck geben, die teure und umstrittene Suche nach Alternativen abzubrechen, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat.


Die Mär vom Baustopp

Derzeit verhandeln Bund und Länder über ein Endlagersuchgesetz, das noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Röttgen und der niedersächsische CDU-Ministerpräsident David McAllister zünden Nebelkerzen, um zu verschleiern, dass die VSG munter fortgesetzt wird. Aus Hannover kam der "Kompromiss"-Vorschlag, Gorleben nur noch bis 2013 zu erkunden und danach abzuwarten, was die Erforschung möglicher Alternativen ergibt. Bis dahin wäre die "Sicherheitsanalyse" allerdings abgeschlossen und ein Endlager im maroden wendländischen Salzstock plötzlich viel wahrscheinlicher.

Röttgen kündigte im November eine "weiße Landkarte" bei der Standortsuche an. Schon das vermeldeten viele Journalist-Innen fälschlicherweise als Abkehr von Gorleben. Im Dezember legte der Minister nach und verkündete nach einem Bund-Länder-Treffen sogar einen sofortigen "Baustopp" im Wendland. Die Verhandlungsführerin der rot-grünen Bundesländer, die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne), war so überrascht, dass sie dies spontan als großes Entgegenkommen wertete. Erst hinterher stellte sich heraus, dass Röttgen sehr eigenwillig zwischen Bau und Erkundung unterscheidet und nur zugesagt hat, bis zum Ende der Verhandlungen keine neuen Stollen im Bergwerk aufzufahren - was aber ohnehin nicht geplant war. Das bedeutet also, dass alle vorgesehenen Bauarbeiten in den bereits angelegten Gängen in Gorleben ebenso wie die VSG einfach weiterlaufen. Röttgens Mär vom "Baustopp" wurde trotzdem über alle Kanäle verbreitet.


Rot-grüner Dissens

Die Einigung über ein neues Verfahren zur Endlagersuche zwischen Bund und Ländern steht und fällt mit der Gorleben-Frage. Und es ist nicht gerade vertrauenserweckend, dass der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit am Verhandlungstisch sitzt, der im Vorfeld des Castor-Transports die Sinnhaftigkeit der Proteste anzweifelte.

Nachdem die SPD auf ihrem Parteitag im Dezember die Forderung nach einer vollständigen Abkehr von Gorleben beschlossen hatte, waren manche Grüne etwas peinlich berührt, denn maßgebliche VertreterInnen ihrer Partei forderten in letzter Zeit nur noch einen Bau- und Erkundungsstopp für Gorleben, wollten den Standort aber nicht ausschließen -ein Zugeständnis an Kretschmann, der die von ihm zugesagte Endlagersuche im Südwesten besser legitimieren kann, wenn Gorleben im Topf bleibt.

Spitzengrüne aus Niedersachsen befürchten nun, dass am Ende im Gesetz die Kriterien für ein Endlager doch wieder so formuliert werden, dass alles, was gegen Gorleben spricht, keine Rolle mehr spielt. Dagegen bot die grüne Verhandlungsführerin Eveline Lemke sogar an, in Gorleben ein Untertagelabor für die Endlagerforschung einzurichten - der nächste Etikettenschwindel wäre vorprogrammiert.

Noch laufen die Verhandlungen und die rot-grün regierten Länder haben deutlich gemacht, dass sie einem Endlagersuchgesetz nur zustimmen werden, wenn es auch eine Einigung in Sachen Gorleben gibt.


Unsere Forderungen sind klar:

Gorleben muss vollständig und endgültig raus aus dem Endlagerstandorte-Topf, weil es kein Vertrauen gibt, dass das weitere Verfahren ehrlich gemeint ist. Zu oft schon wurde in den letzten 35 Jahren getrickst und zu deutlich trickst Norbert Röttgen auch jetzt immer wieder. Bleibt Gorleben wider alle Vernunft doch im Topf, braucht es einen sofortigen Bauund Erkundungsstopp und einen Abbruch der "Vorläufigen Sicherheitsanalyse". Erst wenn anderen Standorte genauso weit erkundet sind wie Gorleben und dort genauso viel Geld ausgegeben wurde, kann ein objektiver Vergleich stattfinden.

Die von allen Seiten immer wieder postulierte Transparenz und BürgerInnenbeteiligung muss schon im Diskussionsprozess um das Endlagersuchgesetz oberste Maxime sein. Bisher laufen die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und die Betroffenen bleiben außen vor.

Eine neue Endlagersuche macht erst dann Sinn, wenn nicht weiter Atommüll produziert wird. Deshalb müssen die restlichen neun AKW jetzt stillgelegt werden

Wie viel all die Versprechen, jetzt alles besser und transparenter zu machen, wert sind, lässt sich derzeit am Beispiel Asse erkunden. Was dort momentan passiert, ist wie ein Blick in die düstere Zukunft von Gorleben, falls das Endlagerprojekt im Wendland durchgesetzt werden sollte.


Menetekel Asse

Vor zwei Jahren hatte die Bundesregierung beschlossen, den Atommüll aus den 126.000 Fässern, die in den 60er und 70er Jahren in das alte marode Salzbergwerk bei Wolfenbüttel gekippt wurden, wieder herauszuholen. Bis heute ist es noch nicht einmal dazu gekommen, zwei Lagerkammern anzubohren, um nachzuschauen, wie es drinnen aussieht. Weder in Berlin noch in Hannover ist irgendjemand aus den Regierungen in der Lage oder überhaupt bereit, ernsthaft Verantwortung für das Problem zu übernehmen. Die Menschen rund um die Asse fühlen sich völlig alleingelassen.

Uns bleibt nur eins, nämlich die Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr mit in 2012 zu nehmen: Wenn viele auf die Straße gehen, wie nach Fukushima oder gegen den Castor, dann bewegt sich auch die Politik. Damit Gorleben endlich leben kann, braucht es also noch mal kräftig Druck - auch ohne Bundesverdienstkreuz.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Das Atommüllproblem und wie die Politik es lösen will. .ausgestrahlt-Aktion am 4.11.2011 in Dessau
- Dannenberg, 26.11.2011: Auf dem Weg zur Castor-Auftaktdemo


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Quelle:
Rundbrief 15, Winter 2011/2012, S. 10-11
Herausgeber: .ausgestrahlt
Normannenweg 17-21, 20537 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2012