naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 1/2023
Fehlanzeige beim Verständnis für Artensterben
Kein Insekten-Schutz-Gesetz
von Julia Ehritt
Über 73.000 Brandenburger*innen hatten die Volksinitiative (VI) "Artenvielfalt retten - Zukunft sichern!" unterstützt. Die Forderungen dieser VI sowie die der Landnutzer*innenverbände ("Mehr als nur ein Summen") wurden gemeinsam mit den Regierungsfraktionen verhandelt und der erarbeitete Gesetzentwurf an die Ausschüsse des Landtages übergeben. Nun wurde das Insektenschutz-Gesetz für gescheitert erklärt. Interview mit Friedhelm Schmitz-Jersch, ehemaliger NABU-Landesvorsitzender und Vertreter der VI.
Wieso konnte kein Kompromiss gefunden werden?
Nach zweieinhalb Jahren Verhandlungen war immer noch keine eindeutige Zustimmung des Landesbauernverbandes (LBV) und der Vertreter*innen von SPD und CDU zum eigentlich schon ausverhandelten Ergebnis zu erreichen. Zuletzt wurde sogar die Forderung erhoben, dass das vorgesehene Pestizidverbot nur bis 2028, also bis zum Ende der laufenden Agrarförderperiode, gelten soll. Es ist ausgeschlossen, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz unseres Wassers, Bodens und der Tier- und Pflanzenwelt aus ökonomischen Gründen zu befristen. Ein weiteres Hinhalten und das Einbringen immer neuer Forderungen waren für uns nicht hinnehmbar.
Welche Bedeutung hätte das Gesetz für den Natur- und Artenschutz in Brandenburg gehabt?
Ende 2022 hat der Weltnaturgipfel in Montreal erneut das Ausmaß und die Auswirkungen des Artensterbens verdeutlicht. Besonders dramatisch ist dieses in den Agrarlandschaften. Wir könnten sofort handeln: durch eine deutliche Reduzierung von Pestiziden und Düngemitteln allgemein und durch das generelle Verbot des Einsatzes in Naturschutzgebieten und den europäisch gesicherten FFH-Gebieten, sowie in den Gewässerrandstreifen, immerhin mit einer Länge von 37.000 Kilometern in Brandenburg. Dies hätten wir mit unserem Gesetzentwurf erreicht.
Wie bewerten Sie den Rückhalt für Ihre Forderungen bei den Bürger*innen?
Beim Sammeln der Unterschriften sind wir mit vielen Menschen in Kontakt gekommen. Die meisten konnten gar nicht glauben, dass der Einsatz von Pestiziden in Schutzgebieten nicht schon längst verboten ist. Insgesamt war die Sensibilität für das Thema Artenschutz und die Auswirkungen von Pestiziden sehr groß. Wir müssen weiterhin bewusst machen, dass das Artensterben eine gleich hohe Bedeutung für unsere Lebenswelt besitzt wie die Erderhitzung.
Für den Verzicht von Pestiziden und Düngemitteln hätte es einen finanziellen Ausgleich gegeben. Waren die Anreize so ungenügend?
Für sämtliche Einschränkungen hätten die Landbewirtschaftenden Ausgleichszahlungen erhalten. Der Ausgleichsbedarf wird von Fachleuten nach objektiven Kriterien ermittelt. Die dabei entstandenen Fördersätze hält der LBV für nicht ausreichend. Außerdem fordert er eine Art "Ewigkeitsgarantie" der Förderung über die laufende EU-Förderperiode hinaus. Dies wäre schon rechtstechnisch kaum machbar und für das System Agrarförderung erst- und einmalig.
Wie schätzen Sie rückblickend die Gespräche in den vielen Verhandlungsrunden ein?
Die Arbeitsatmosphäre in der Landespolitik Anfang der 1990er-Jahre wurde als "Brandenburger Weg" bezeichnet. Voller Optimismus hatte ich die Verhandlungen zu Beginn mit diesem Begriff unterlegt. Partner mit unterschiedlicher Ausgangslage und unterschiedlichen Interessen erreichen eine Verständigung! Nach dem unerfreulichen Scheitern sehe ich die Situation jetzt als schwierig an. Vertrauen ist aufgebraucht worden. Die Verbände müssen jetzt andere Möglichkeiten suchen, um Schutzgebiete vor Pestiziden und Überdüngung zu bewahren.
Wie bewerten Sie die Rolle der Koalitionsfraktionen?
Da es um die Verabschiedung gesetzlicher Regelungen geht, waren die Regierungsfraktionen von vornherein an den Verhandlungen beteiligt, zuletzt durch die Fraktionsvorsitzenden. Die GRÜNEN-Fraktion hat sich hartnäckig und engagiert für den Erfolg der Verhandlungen eingesetzt. Von der SPD-Fraktion kam leider keine Unterstützung. Für unsere Anliegen gab es Null Verständnis. Dies ist auch persönlich eine große Enttäuschung. Seit mehr als 50 Jahren bin ich Mitglied dieser Partei. Für mich steht sie eigentlich für Gerechtigkeit und Solidarität mit den Schwächeren, und dazu gehört gerade die Natur mit ihrer Artenvielfalt.
Zehntausende haben ihre Unterschrift gegeben. Wie glaubwürdig macht sich Politik, wenn die Anliegen der Gesellschaft derart behandelt werden?
Immer wieder werde ich gefragt und muss erklären, warum die vernünftigen und dringenden Forderungen abgelehnt worden sind. Der LBV hat in der Landespolitik derart viel Einfluss, dass er seine Interessen konsequent durchsetzen kann. Berechtigte Anliegen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen werden dann von den genannten Teilen der Landespolitik ausgeblendet. Nun bleibt den Bürger*innen nur noch die Möglichkeit, am Wahltag ihre Meinung deutlich zu machen.
Was sind Ihre Lehren aus dem Prozess?
Der NABU versteht sich als Anwalt der Natur. Deshalb ist es
unsere Aufgabe, die umweltpolitischen Rahmenbedingungen zu
verbessern. Solche Dialogprozesse, wie wir sie über zweieinhalb
Jahre geführt haben, sind nicht von vornherein sinnlos. Es muss
aber von Anfang an deutlich sein, unter welchen Grundbedingungen
verhandelt wird und wie der Zeitplan aussieht. Beim
Pestizideinsatz müssen wir jetzt verstärkt dafür sorgen, dass
zumindest die vorhandenen Regelungen strikt eingehalten werden.
INFO
Eine Übersicht über die Forderungen der Volksinitiative "Artenvielfalt
retten" finden Sie hier:
nabu-bb.de/artenvielfalt retten
Die Beschwerde zur Unzulässigkeitserklärung der VI liegt nach wie
vor beim Landesverfassungsgericht und soll im Frühjahr 2023
behandelt werden. Bei Erfolg könnte die VI mit der nächsten
Stufe, dem Volksbegehren, fortgesetzt werden.
weitere Informationen siehe auch:
https://brandenburg.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-projekte/26210.html
https://brandenburg.nabu.de/imperia/md/content/brandenburg2/22-12-15-pm_volksinitiative_artenvielfalt_retten.pdf
*
Quelle:
naturmagazin, 37. Jahrgang - Nr. 1, März 2023 bis Mai 2023, S. 34-35
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
NaturSchutzFonds Brandenburg, Stiftung öffentlichen Rechts
Natur+Text GmbH
Anschrift der Redaktion:
Natur+Text GmbH
Friedensallee 21, 15834 Rangsdorf
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Internet: www.naturmagazin.info
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 14. Juli 2023
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