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FORSCHUNG/156: Senckenberg-Wissenschaftlerin aus Görlitz setzt sich für Wirbellose ein (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 10.11.2010

Senckenberg-Wissenschaftlerin aus Görlitz setzt sich für Wirbellose ein


Görlitz, 10. November 2010 - Was bisher als Schätzung vorlag, ist nun Gewissheit: Die Zahl der gefährdeten Arten auf der Rote Liste der IUCN nimmt zu. Das belegt eine Studie im international renommierten Wissenschaftsmagazin Science, die kürzlich in Nagoya auf der 10. Vertragstaatenkonferenz zur Biologischen Vielfalt vorgestellt wurde. Demnach ist rund ein Fünftel der Wirbeltierarten vom Aussterben bedroht. Erstmals erfasst wurden nun auch die Wirbellosen, darunter Libellen, die als Insekten zur artenreichsten Klasse überhaupt gehören. Dr. Viola Clausnitzer vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz war an der Studie beteiligt und hat weltweit 1500 Libellenarten untersucht.

"Die publizierten Ergebnisse sind ein Meilenstein in der internationalen Diskussion um die Bedrohung der Artenvielfalt auf der Erde. Hier wird das Ausmaß der Bedrohung aller Tiergruppen deutlich", kommentiert die Senckenberg-Wissenschaftlerin vom Standort Görlitz die umfassende Studie des Autorenkollektivs. Und ähnlich wie bei den Wirbeltieren zeichnet sich auch bei den wirbellosen Tieren eine deutliche Gefährdung vieler Arten ab. Da aber gerade die Wirbellosen in großer Zahl alle Lebensräume besiedeln und empfindlich auf veränderte Umweltbedingungen reagieren, sind sie eine wichtige Organismengruppe in der Biodiversitätsforschung.

Libellen, die wassernah leben und das flüssige Element auch als Brutstätte und Kinderstube für ihren Nachwuchs nutzen, stellen ganz spezifische Ansprüche an die Wasserqualität und die Struktur ihres Lebensraums. Da ihr Vorkommen wie auch ihr Fehlen Rückschlüsse auf dessen Zustand zulässt, nutzt man die Tiere auch als so genannte Zeigerorganismen. Die Untersuchungen der Senckenberg-Wissenschaftlerin ergaben, dass vor allem Libellen-Arten an tropischen Fließgewässern gefährdet sind. In der Regel handelt es sich dabei um Gebiete, die von den Menschen verändert wurden. So fallen Gewässer unter anderem auch durch das Abholzen von Wäldern in Wassereinzugsgebieten trocken. Das, wie auch Verschmutzung und weitere Eingriffe in das Gefüge ihres Lebensraums, entzieht den Libellen und auch ihrer Beute die Lebensgrundlage. Die Populationen der schönen Tiere, denen man auch in der Mythologie verschiedener Kulturen begegnet, reduzieren sich oder verschwinden ganz.

Die menschliche Einflussnahme bleibt also nicht ohne Folgen. Dabei wirken die kontinuierlich zunehmenden Veränderungen in der Natur sich nicht nur auf diese Tierordnung, sondern auf die Artenvielfalt insgesamt aus und bleiben auch nicht ohne Folgen für die Menschen, die ja ebenfalls auf den Zugang zu sauberem Wasser angewiesen sind.

Bei ihren Untersuchungen richtete Viola Clausnitzer sich nach den Kriterien der globalen Roten Liste der IUCN (www.iucnredlist.org, "The IUCN Red List of Threatened Species"). Danach sind schon jetzt knapp 15 Prozent aller schätzungsweise 6000 auf der Erde vorkommenden Libellenarten in eine Gefährdungskategorie einzustufen. "Deshalb ist es wichtig, auf den gewonnenen Erkenntnissen aufzubauen und zur Erfassung und zum Schutz der Arten weitere Anstrengungen zu unternehmen", betont Viola Clausnitzer. Nach Meinung der Görlitzer Zoologin wurden die wirbellosen Tiere in der globalen Diskussion um die Bedrohung der Artenvielfalt viel zu lange vernachlässigt.

Die Gefährdungssituation der Libellen ist mit der der Vögel zu vergleichen, von denen mittlerweile sogar 20 Prozent als vom Aussterben bedroht gelten müssen. Hierbei ist jedoch auch der Status der erfassten Arten zu berücksichtigen: Als Wirbeltiere sind die Vögel mit mehr als 99 Prozent ihrer Arten sehr viel besser erfasst. Demgegenüber stehen lediglich 65 Prozent der Libellenarten. Über etwa 35 Prozent, also schätzungsweise 2100 Arten, weiß man bisher noch nichts.

Aktuell arbeitet die Viola Clausnitzer gemeinsam mit einem internationalen Team von Wissenschaftlern an einer vollständigen Bewertung der 6000 Libellenarten, die weltweit vorkommen. Das Ziel ist, mit der Erfassung nicht nur den aktuellen Status zu dokumentieren, sondern passende Schutzprogramme - insbesondere für die Regionen gefährdeter Arten - zu erarbeiten. Auf diese Weise lässt sich auch die Entwicklung der Populationen überwachen und die Wissenschaftler erwarten sich von ihrer Arbeit weitere Erkenntnisse für die Biodiversitätsforschung.

Dr. Viola Clausnitzer ist Mitarbeiterin in der Sektion Entomologie des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz. Die Biologin forscht seit 15 Jahren über afrikanische Libellen. Sie führt ausgedehnte Feldarbeiten in Äthiopien, Uganda, Kenia und Tansania durch. Seit 10 Jahren arbeitet sie mit der IUCN zusammen und ist zurzeit Vorsitzende der Odonata Specialist Group sowie Mitglied im Red List Committee und im Insect Conservation SubCommittee. Im Rahmen des PanAfrica Freshwater Assessments war Dr. Clausnitzer an der kompletten Erfassung der Libellen Afrikas beteiligt. Dies beinhaltete neben der Erstellung von Verbreitungskarten auch die Einschätzung des Gefährdungsstatus der rund 800 afrikanischen Arten.


Eine Zusammenfassung des Artikels in Science kann hier eingesehen werden: http://www.sciencemag.org/cgi/content/abstract/science.1194442v1

Ansprechpartner:
Dr. Christian Düker
Öffentlichkeitsarbeit
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
Tel.: 03581/ 4760-5210
E-Mail: christian.dueker@senckenberg.de

Weitere Informationen finden Sie unter http://www.senckenberg.de

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image128933 - Keilfleck-Libelle (Anaciaeshna isosceles)

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter: http://idw-online.de/pages/de/news396166

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/pages/de/institution639


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2010