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FISCHE/060: Fisch des Jahres gar kein Fisch? Neunauge ohne neun Augen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 169 - August/September 2012
Die Berliner Umweltzeitung

Fisch des Jahres gar kein Fisch?
Neunauge ohne neun Augen

von Christoph Vinz



Durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und mehrere Verbände, darunter der Deutsche Anglerverband (DAV), wurde das Neunauge (Petromyzontida) zum Fisch des Jahres 2012 ausgerufen.

Das aalähnliche Tier gehört zu den ältesten, noch lebenden Exemplaren der Wirbeltierklasse unserer Erdgeschichte. Ihre Entwicklung kann auf das stolze Alter von 400 bis 500 Millionen Jahren verweisen. Und so zählen Neunaugen eigentlich noch nicht zu den Fischen, sondern zu den Kieferlosen oder sogenannten "Rundmäulern". Im Vergleich zu ihren jüngeren Fisch-Geschwistern sind bei ihnen Wirbelsäule, Schwimmblase und Kiemendeckel noch nicht vorhanden.

Der schuppenlose, aalförmige Körper dieses Wasserbewohners zeigt in der Seitenansicht sieben Öffnungen (die Kiemen), ein Nasen"loch" und ein Auge: Die so sichtbaren neun "Augen" haben zur Namensgebung geführt. Das kieferlose kreisförmige Maul besitzt statt Zähnen scharfe Hornplättchen, mit denen zwar nicht gebissen, aber erfolgreich geraspelt wird - manchmal bis ins tiefste Innere kleinerer Fische.

In Deutschland kommen vier Arten von Neunaugen vor: Da ist das nur bleistiftdünne Bachneunauge (Lampetra planeri), das lediglich eine Länge von maximal 15 Zentimetern erreicht und im Oberlauf verbleibt.
Das Flussneunauge (Lampetra fluviatilis) kommt auf eine Länge von höchstens 40 Zentimetern und gehört zu den sogenannten Wanderarten, die nach Umwandlung zum erwachsenen Tier aus dem Oberlauf der Flüsse in Brackwasserregionen oder ins Meer wandern. Das Gleiche passiert mit dem Meerneunauge (Petromycon marinus), das es bis auf die imposante Länge von einem Meter bringen kann.
Eine noch weithin unerforschte Art ist das seltene Donaubachneunauge (Eudontomyzon vladykovi). Gemeinsam ist allen Arten das Laichen im Süßwasser, wo auch die "Geburt" erfolgt.

Zum Fortpflanzungsakt steigen Fluss- und Meerneunaugen oft mehrere hundert Kilometer zu ihren Laichgebieten in den Quellbächen der Flüsse auf. Daher werden sie auch als "Lang-Distanz-Wanderer" bezeichnet.

Liebesspiele bis zum Exitus

Das Laichen der Neunaugen wird als spektakuläres Naturereignis beschrieben. Hier bilden dreißig bis vierzig heftig ineinander verschlungene Kreaturen den so genannten "Neunaugenzopf". Diese zur Frühlingszeit gebildeten Laichgesellschaften heben während der Paarungsspiele mit Hilfe ihrer Saugmäuler Laichgruben aus, indem sie Steine aufsammeln und entfernen. Nach dem Laichakt stirbt das Neunauge dann vor Entkräftung.

Die geschlüpften Larven (Querder genannt) sind blind und vergraben sich in Sand oder Schlamm, so dass nur noch der Kopf herausragt. Mit ihm werden feine Nahrungspartikel aus dem Wasser gefiltert. Dieses Larvenstadium dauert mindestens fünf Jahre und ist bereits die längste Zeit im Leben dieses Wasser-Methusalems. Nach ihrer Umwandlung zum erwachsenen Tier beginnt die Zeit der Wanderung, in der die Ernährung parasitisch erfolgt: es kommt zum Festsaugen an Fischen, Aufraspeln der Haut und zur Entnahme von Blut und Gewebeteilen.
Lediglich das Bachneunauge verzichtet mit Erreichen des Erwachsenenstandes auf jegliche Nahrungsaufnahme. Mit dem Erreichen der Geschlechtsreife ist es auch mit dem Appetit der anderen Arten vorbei.

Die noch im 19. Jahrhundert. häufig vorkommenden Arten verloren durch Gewässerregulierungen oft ihre kiesigen Laichplätze oder Sandbänke. Wasserkraftwerke und Querbauwerke in den Flüssen setzten und setzen dem Neunauge unüberwindliche Hindernisse und führten fast zum Verschwinden der Arten.
Daher rufen Bundesamt für Naturschutz und interessierte Verbände dazu auf, diese noch lebenden Urahnen unserer Fische angemessen zu schützen und bei wassertechnischen Planungen zu berücksichtigen.

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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 169 - August/September 2012, S. 13
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2012