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INSEKTEN/329: Wo sind all die Insekten hin? (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Sommer 2023
Mitgliedermagazin des NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V.

Forschung
Wo sind all die Insekten hin?

von Lisa Gebhard


Für uns und unsere Ökosysteme sind sie unentbehrlich, doch seit Jahrzehnten schwindet ihr Bestand: Insekten. Das Forschungsprojekt DINA hat nach Gründen gesucht - und danach, was wir unternehmen müssen, um die Insektenvielfalt zu retten.


Durchschnittlich 17 gängige Pestizide pro Insekt, ein messbarer Rückgang der Insekten- und Pflanzenvielfalt: Die Bilanz des vierjährigen Projekts "Diversität von Insekten in Naturschutzarealen", kurz DINA, alarmiert. "Selbst vor Naturschutzgebieten macht der Insektenschwund keinen Halt - und das liegt zum Großteil an den umliegenden intensiv bewirtschafteten Ackerflächen", fasst Ökologin Gerlind Lehmann, DINA-Projektleiterin, zusammen.

Systemrelevant und gefährdet

Unter Leitung des NABU sind Forscher*innen aus insgesamt acht Institutionen der Frage nachgegangen, welche Umwelteinflüsse auf Fluginsekten und die Pflanzenvielfalt in Naturschutzgebieten wirken und wie Landwirtschaft und Naturschutz sie gemeinsam schützen können. Denn dass Insekten und mit ihnen die Artenvielfalt für uns und unsere Ökosysteme überlebenswichtig sind, war und ist unbestritten. Was fehlte, waren lokale Daten über die Gefährdung von Fluginsekten an bestimmten Orten.

"Wir haben 21 Naturschutzgebiete ausgewählt, die an konventionell bewirtschaftete Ackerflächen grenzen, auf denen Pestizide und Düngemittel zum Einsatz kommen. Dort haben wir sowohl in den Schutzgebieten als auch auf den landwirtschaftlichen Flächen die bestehenden Insektenpopulationen erfasst", erklärt Lehmann. Geholfen haben dabei mehr als 50 Freiwillige, die an den Standorten die sogenannten Malaise-Fallen des Entomologischen Vereins Krefeld (DINA-Projektpartner) betreut haben.

Kooperation trifft tierischen Widerstand

"Anfangs musste ich mehrmals ausrücken und zerstörte Fallen neu aufstellen. Die Randalierer kamen mit Kühen, Schafen und Wildschweinen allerdings von einer unerwarteten Seite", erinnert sich Roland Mühlethaler (DINA-Projektleitung). Kooperativer zeigten sich glücklicherweise lokale Akteur*innen wie Landwirt*innen und Behörden. "Die Bereitschaft, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, war hoch, der Dialog war ein zentraler Projektbaustein."

An drei Standorten begleitete der Projektpartner ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung in sogenannten "Social Labs" den Dialog vor Ort zwischen verschiedenen Interessengruppen. Landwirt*innen, Behörden, Naturschutzgruppen, Landschaftspflegeverbände und Flächeneigentümer*innen tauschten sich über die Projektergebnisse aus und erarbeiteten praxistaugliche Maßnahmenideen - wie beispielsweise Pufferstreifen. "Wir finden in den deutschen Naturschutzgebieten sehr unterschiedliche Situationen vor, was Ursachen und Folgen des Biodiversitätsverlustes, aber auch Interessenlagen betrifft. Mit pauschal verordneten Maßnahmen zum Insektenschutz ist den Akteuren vor Ort deshalb nicht geholfen. Es ist notwendig, dass sie vor Ort gemeinsam zu Lösungen kommen, die konsensfähig sind", so Florian Schneider vom ISOE.

Zu viele Pestizide

"Unsere Untersuchungen zeigen: Es sind viel zu viele Pestizide", bringt es Sebastian Köthe (DINA-Data-Scientist) auf den Punkt. Je mehr Nutzflächen um Schutzgebiete liegen, insbesondere im Umkreis von zwei Kilometern, desto mehr steigt die Pestizidbelastung. Selbst großflächige Schutzgebiete können die externen Belastungen nicht kompensieren, was unter anderem auch mit dem Mobilitätsradius der Fluginsekten zusammenhängt, der nicht an der Schutzgebietsgrenze aufhört.

"Dass Insekten und mit ihnen die Artenvielfalt für uns und unsere Ökosysteme überlebenswichtig sind, war und ist unbestritten."

Hinzu kommen Grüße aus der Vergangenheit. "Wir waren überrascht über die vielen Altlasten, die wir in Baumrinden gefunden haben. Wir haben mehrere mittlerweile verbotene chemische Mittel wie Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) nachgewiesen, die Umwelt und Tiere massiv schädigen", so Köthe. Zu den Leidtragenden zählt auch die Pflanzenvielfalt, wie Analysen des Projektteams über den Zustand der Pflanzen vom Rand zum Kern der Schutzgebiete ergaben.

Insbesondere seltene Pflanzen finden sich nur noch im Inneren der Schutzgebiete, in den Randzonen gehen sie um durchschnittlich 75 Prozent zurück. Ein Teufelskreis, denn das wiederum betrifft die Insekten, die auf diese Pflanzen angewiesen sind. "Alles in allem hat DINA unsere Befürchtungen zum Schwund der Insekten- und Pflanzenvielfalt bestätigt", sagt Mühlethaler.

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Info

Die DINA-Projektpartner sind der Entomologische Verein Krefeld, die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, das ISOE - Institut für sozial- ökologische Forschung, das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, der NABU, die Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau sowie die Universität Kassel.
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Mehr Öko, mehr Grün

Was also tun, um Schutzgebiete zu dem zu machen, was sie laut ihrem Namen sein sollten, und die Pflanzenvielfalt wieder zum Blühen zu bringen? "Neben weiterer Forschung wäre das Wichtigste: weniger Pestizid- und Düngemittel im unmittelbaren Umfeld von Schutzgebieten! Hier könnte die politische und finanzielle Förderung des Ökolandbaus helfen, der ohnehin bis 2030 auf 30 Prozent ausgebaut werden soll. Die Landwirt*innen brauchen Anreize und Unterstützung bei der Umstellung", so Lehmann.

Doch auch wir und unsere Städte können für den Insektenschutz aktiv werden. Öffentliche Flächen zu Grünflächen umzuwandeln helfe genauso, wie vor der eigenen Haustür ohne Pestizide und naturnah zu gärtnern. Ein erster Schritt wäre Nichtstun und wilde Ecken, die weder gemäht noch betreten werden, stehen zu lassen. So bekommen beispielsweise Brennnesseln, Gräser und Klee ihren Raum, die für viele Insekten überlebenswichtig sind.

Mehr zum Forschungsprojekt DINA:
www.dina-insektenforschung.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Skorpionsfliege, Schönbär-Schmetterling und Wiesenhummel
  • Allein in Deutschland haben wir in den vergangenen 30 Jahren 75 Prozent der Biomasse aller Fluginsekten verloren
  • Mit sogenannten Malaise-Fallen wurden die Fluginsekten gefangen
  • Die Kontaktlinie zwischen allen Ackerflächen und Naturschutzgebieten in Deutschland ist 11.000 Kilometer lang, etwas mehr als die Hälfte der Strecke zwischen Nord- und Südpol.

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Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2023, Seite 20-21
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. Juli 2023

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