ROBIN WOOD magazin - Nr. 156/1.2023
Baum des Jahres 2023
Die Moor-Birke
von Rudolf Fenner
Es wird wohl nur wenige geben, die eine Birke nicht sofort
erkennen. Zu einzigartig, zu auffällig und schön sind ihre
glatten, weithin sichtbaren weißen Rindenpartien und ihre lichte,
frischgrüne Laubkrone. Sie ist ein Sinnbild des Frühlings. Zum
Ausschmücken aller kirchlichen Festtage in dieser Jahreszeit -
Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam - werden gern
Birken genommen. Auch der noch heute in vielen mitteleuropäischen
Ortschaften alljährlich aufgestellte Maibaum oder der beim
Richtfest in den Dachstuhl gestellte Richtbaum ist häufig eine
Birke.
Doch Achtung: Es gibt zwei zu Bäumen heranwachsende Birkenarten
in Mitteleuropa - die Moor- und die Sand-Birke. Beide zu
unterscheiden ist allerdings nicht ganz leicht. Selbst der große
Pflanzensystematiker Carl von Linné ging noch Mitte des 18.
Jahrhunderts davon aus, dass es lediglich eine einzige
baumförmige Birkenart in Europa gibt.
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Steckbrief der Moor-Birke
Die Moor-Birke, Betula pubescens, blüht ab April getrennt in
männlichen und weiblichen Blütenkätzchen. Die männlichen Kätzchen
hängen am Ende der Langtriebe nach unten, die weiblichen stehen
aufrecht am Ende frisch austreibender Kurztriebe.
Die jungen Triebe, Blattstiele und Blätter der Moor-Birke sind
fein samtig behaart. Im Unterschied zur Sand-Birke, bei der die
jungen Triebe unbehaart und mit kleinen klebrigen, Harz
ausscheidenden Warzen besetzt sind. Die beiden Birkenarten zu
unterscheiden ist nicht leicht und erfordert den Vergleich
mehrerer Merkmale. So hängen die jungen Triebe der Sand-Birke in
der Krone nach unten. Die jungen Triebe der Moor-Birke wirken
eher steif und hängen niemals freischwingend nach unten.
Wenn Moor-Birken und Sand-Birken, direkt nebeneinander stehen,
lassen sie sich im unteren Stammbereich gut unterscheiden. Nur
die Sand-Birke, rechts im Bild, entwickelt mit zunehmendem Alter
im Stammfuß eine schwarze, korkige Schuppenborke.
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Das natürliche Verbreitungsgebiet der Moor-Birke umspannt fast
den halben Globus. Es reicht von Süd-Grönland über Island und
Nordeuropa bis nach Ostsibirien hinein. Obwohl also eher ein Baum
der Taiga, ist sie durchaus auch im milderen Klima südlich dieser
nordischen Wälder zu Hause. Nur in Südeuropa - südlich der
Pyrenäen und der Alpen - und in den asiatischen Steppengebieten
fehlt sie. Ihre Stärke steckt tatsächlich in ihrer ungewöhnlich
hohen Kältetoleranz.
In den nordischen, den sogenannten borealen Wäldern, ist sie eine der wenigen waldprägenden Baumarten bis hin zu reinen Moor-Birkenwäldern. Im Norden Skandinaviens und in Nordwest-Russlands bildet die Moor-Birke sowohl in den Bergen als auch nach Norden zur Tundra hin die Baumgrenze. Auch in den alpinen Gebieten Mitteleuropas klettert die Moor-Birke mehr als 2000 Meter bis zur Baumgrenze hoch. Das Verbreitungsgebiet der Sand-Birke überschneidet sich in weiten Teilen mit dem der Moor-Birke. Es reicht allerdings nicht ganz so weit nach Norden, dafür aber weiter nach Süden in den mediterranen Raum hinein.
Schon recht bald nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren waren weite Gebiete in Mitteleuropa mit lichten Birkenwäldern bedeckt. Diese Birkenzeit - rund tausend Jahre hat sie immerhin gedauert - endete, als zuerst Kiefern und Haseln, später dann auch all die übrigen heute in Mitteleuropa heimischen Waldbaumarten nach und nach zurückkehrten.
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Die Pionierin:
Die Moor-Birke hat - wie auch die Sand-Birke - die typischen
Merkmale und Eigenschaften eines Pionierbaums, der baumfreie,
rohe Böden schnell besiedeln kann und in dessen Schutz dann die
späteren Waldbaumarten heranwachsen können. Sie blüht schon
ungewöhnlich früh im Alter von fünf bis zehn Jahren und bildet
alljährlich große Mengen kleiner, leichter und geflügelter Samen,
die vom Wind weit getragen werden und die auf rohen Böden gut
keimen können. Sie kommt mit den auf Freiflächen extremeren
Klimaverhältnissen ohne Weiteres zurecht.
Ihre Laubkrone ist ziemlich lichtdurchlässig, so dass das
Heranwachsen anderer Baumarten kaum behindert wird. Sie hat aber
selbst eine äußerst geringe Schattentoleranz. Eigene Nachkommen
können in ihrem Schatten schwerlich hochkommen. Sie wird nicht
sehr alt, zumeist nur etwa 80, selten 100 bis 130 Jahre, und
überlässt vergleichsweise früh den langlebigeren Waldbäumen das
Feld.
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Die Birken hatten als Pioniere die rohen, eiszeitlichen Böden mit
ihrer Streu überhaupt erst wieder fruchtbarer gemacht. Nun wurden
sie, da sie aufgrund ihres hohen Lichtbedürfnisses recht
konkurrenzschwach gegenüber all diesen Rückkehrern waren, auf die
unwirtlicheren Standorte verdrängt: die Sand-Birke auf eher
trockene, sandige, die Moor-Birke überwiegend auf die kalten und
moorigen Standorte. Nur wenn durch Feuer, Sturm, Schädlingsbefall
oder später durch die Eingriffe des Menschen Freiflächen in den
Wäldern entstanden, waren die Birken meist schnell wieder da -
erneut als Pioniere, die den Neustart der Waldentwicklung auf
diesen baumfreien Flächen in Gang setzten.
In der heutigen Kulturlandschaft trifft man recht häufig auf Birken: an Wald-, Feld- und Wegrändern oder angepflanzt als Straßen-, Park- oder Gartenbäume. Ganz überwiegend handelt es sich dabei aber um Sand-Birken. Genauere Zahlen gibt es zumindest für die Waldgebiete in Deutschland. Birken stehen dort immerhin auf etwas mehr als fünf Prozent der gesamten Waldfläche. Das Gros davon sind wieder die Sand-Birken, nur gut zehn Prozent sind Moor-Birken. Diese wiederum stehen überwiegend in Moor-, Bruch- und Auenwäldern oder zumindest auf humusreicheren, sogenannten anmoorigen Waldböden. Die Moor-Birke ist somit anders als die Sand-Birke in Deutschland ein relativ seltener Waldbaum mit dem Verbreitungsschwerpunkt auf Feuchtstandorten.
Es gibt nur sehr wenige Plätze in der mitteleuropäischen Natur, wo die Moor-Birke auch langfristig zu Hause sein kann und nicht auf die kurzfristige Rolle der Pionierin beschränkt wird. Allerdings sind das meist recht unwirtliche, kalt-feuchte Standorte wie Felsblockhalden an den Nordhängen der Mittelgebirge und Alpen zum Beispiel. Auch ganz oben an der Baumgrenze in den Alpen ist sie zu finden, allerdings dort meist nur noch strauchförmig. Auch Schotter- und Sandbänke in Flüssen sind typische Moor-Birken-Standorte.
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Weiß und wasserfest
Das charakteristische, bei der Moor-Birke meist mehr oder weniger
abgetönte Weiß der Rinde rührt von farblosen, nadelförmigen
Kristallen in den luftgefüllten Korkzellen der äußeren Rinde her.
Diese sogenannten Betulin-Kristalle reflektieren das einfallende
Licht und schützen so die Moor-Birke vor einer Überhitzung ihres
unmittelbar unter der recht dünnen Rinde liegenden
Wachstumsgewebes.
Dieses Betulin, das in großen Mengen in der Rinde vorkommt, macht
die Birkenrinde wasserundurchlässig. Mit astlochfreien
Rindenpartien wurden daher früher in Nordeuropa und Sibirien
Dächer gedeckt, Boote wasserfest gemacht und sogar Schuhe und
Taschen gefertigt. Die in dünnen Schichten abziehbare äußere
weiße Rinde wurde als Papierersatz verwendet.
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Größere natürliche, von Moor-Birken geprägte Waldbestände sind
tatsächlich nur in Mooren zu finden. In alten, nach dem Ende der
Eiszeit entstandenen Hochmooren wachsen sie dort, wo die extrem
nährstoffarmen, baumfreien Torfböden des aufgewölbten Hochmoors
an die etwas nährstoffreicheren Böden grenzen.
In jüngeren, noch nicht in die Höhe gewachsenen Hochmooren - den sogenannten Übergangsmooren - können sich auch ausgedehntere Moor-Birkenwälder entwickeln. Am Rand von Mooren in den Mittelgebirgen und am Alpenrand wächst die Moor-Birke auch in lichten, wechselfeuchten Wäldern meist zusammen mit Fichten oder Kiefern.
Moor-Birken-Bruchwälder wachsen inzwischen aber auch auf abgetorften und zur Renaturierung wiedervernässten Flächen. Und auch auf oberflächlich trockengelegten Moorflächen können sich von Moor-Birken dominierte Bestände entwickeln. Allerdings dringt in diese Flächen gelegentlich auch die Sand-Birke ein und übernimmt dort häufig die Vorherrschaft.
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Holz der Moor-Birke:
Das recht helle, leicht gelbliche, zu den Harthölzern zählende
Moor-Birkenholz ist zwar nicht für die Verwendung im Außenbereich
geeignet. Dort würde es recht schnell verrotten. Aber es lässt
sich bestens für den Möbelbau, für die Furnier- und
Sperrholzproduktion und als gut zu drechselndes Holz verwenden.
Bislang allerdings geschieht dies überwiegend in Nordeuropa. Hier
in Mitteleuropa wird es leider noch immer vor allem als Kaminholz
verheizt. Es ist noch nicht lange her, dass Birken von
Forstleuten als störendes Unkraut angesehen wurden, das möglichst
schnell aus dem Bestand rausgeschlagen werden sollte.
Doch mittlerweile ändert sich der Blick. Es zeigt sich, dass im
Wald belassene Birken zur Verbesserung des Binnenklimas und der
Bodenfruchtbarkeit beitragen. Mehr noch: Birken lassen sich ohne
großen forstlichen Aufwand zu geradstämmigen und hochwachsenden
Bäumen entwickeln. Erste Anbauversuche zeigen, dass Moor-Birken
sogar bessere Holzqualitäten als Sand-Birken bringen können. Da
die gerade begonnene Forcierung der Moorrenaturierungen auch zu
nasseren Standorten in unmittelbar angrenzenden Wäldern führen
wird, bietet sich eine gute Chance für die Integration der
Moor-Birke in eine auch ökonomisch interessante, naturnahe
Bewirtschaftung feuchter Waldstandorte - beispielsweise in
Mischung mit anderen, an Feuchtstandorte adaptierten
Laubbaumarten wie Erlen oder Flatter-Ulmen.
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In Moor-Birkenwäldern herrscht eine ausgesprochen reichhaltige
Biodiversität. Es leben dort zahlreiche Insektenarten, darunter
auch einige ausschließlich oder zumindest bevorzugt auf
Moor-Birken und Moor-Birkenwälder spezialisierte Käfer-,
Zikaden-, Wanzen-, Wespen- und Schmetterlingsarten. Mehrere
Birkenpilz- und Täublingarten gehen gern mit den Moor-Birken in
Symbiose. Auch der holzzersetzende Birkenporling befällt
ausschließlich Birken. Diese ungewöhnlich hohe, spezifische
Bindung diverser Pilz- und Tierarten an Moor-Birken macht
deutlich, dass es nicht erst seit der letzten Eiszeit, sondern
schon sehr viel länger eine gemeinsame, eine sogenannte
Co-Evolution dieser Tier- und Pilzarten mit Moor-Birken gegeben
hat.
Doch über 90 Prozent der ursprünglichen Moorflächen in Deutschland sind bereits entwässert, vor allem um landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu gewinnen. Moor-Birken-Moorwälder gelten daher als stark gefährdet und sind inzwischen bundesweit gesetzlich geschützt. Das Trockenlegen der Moore bedeutet aber nicht nur einen enormen Verlust an Biodiversität, sondern auch eine erhebliche Beschleunigung der Klimaveränderung. Denn sobald die seit der letzten Eiszeit in den Mooren und Sümpfen gewachsenen Torfschichten austrocknen und mit dem Luftsauerstoff in Kontakt kommen, beginnt ihre Zersetzung.und damit die Freisetzung großer Mengen an CO2 und anderer Treibhausgase. Knapp sieben Prozent der deutschen Emissionen an Treibhausgasen stammen aus zerstörten Moorflächen. Reduzieren lässt sich das nur durch Wiederanheben der Wasserstände. Seit dem Jahr 2021 gibt es dafür nun eine Nationale Moorschutzstrategie der Bundesregierung, die in erster Linie die Reduktion der Treibhausgasemissionen aus Moorgebieten, aber auch den Erhalt und die Förderung der moorspezifischen Biodiversität zum Ziel hat. Die Moor-Birke wird zwar im Rahmen dieses langfristig angelegten Programms solche Standorte, die sie erst durch Abtorfung und Trockenlegung gewonnen hatte, bei Wiedervernässung aufgeben müssen. Durch die Renaturierung der Moorflächen entsteht auch an deren Rändern neuer Lebensraum für Moorbirken-Wälder und Moorbirken-Mischwälder. Die Moor-Birke ist und bleibt auch dank ihrer großen Fähigkeit, neue Standorte schnell zu besiedeln die Charakter-Baumart dieses Lebensraums.
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Das Wurzelsystem
Moor-Birken durchwurzeln den Boden maximal bis in etwa
40 Zentimeter Tiefe. Nur selten und nur außerhalb von
Feuchtgebieten bildet sie auch mal einzelne bis zu drei Meter
tiefgehende Absenker. Horizontal kann der Radius ihres
dichten Wurzelwerks dagegen ungewöhnlich weit reichen -
bis zu einer Länge von 25 Meter. In Feuchtgebieten bleibt ihr
Wurzelsystem oberhalb des mittleren Bodenwasserlevels und
kann daher bei hochanstehendem Bodenwasser extrem flach
ausfallen.
Wird bei einer Moorrenaturierung das Bodenwasser über ihren
Wurzelhorizont dauerhaft angehoben, geht es der Birke wie den
allermeisten Baumarten: Sie stirbt ab. Sie stirbt aber auch ab,
wenn der Bodenwasserpegel dauerhaft abgesenkt wird. Denn die
Moor-Birke kann ihr einmal ausgebildetes Wurzelsystem nur
schlecht an Veränderungen der Bodenwasserverhältnisse anpassen.
Dieses recht unflexible Wurzelsystem ist auch der Grund, warum
Birken außerhalb von Moorgebieten bei ungewöhnlich langer
sommerlicher Trockenheit deutlich vor den meisten anderen
Baumarten mit Gelbfärbung und vorzeitigem Abwurf ihrer Blätter
reagieren.
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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 157/2.2023, Seite 20-28
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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