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VÖGEL/921: Schwanzmeise - Nestbau mit Moosen (Unser Wald)


Unser Wald - 2. Ausgabe, März/April 2013
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Schwanzmeise: Nestbau mit Moosen

Von Jonathan Guest



Was hat die Schwanzmeise mit den Moosen zu tun? Im ersten Moment weiß man keine Antwort. Wir haben beim Biologen Jonathan Guest nachgefragt.


Die Schwanzmeise ist eine der kleinsten heimischen Vogelarten. Ohne den langen Schwanz ist sie kaum größer als das Goldhähnchen (kleinster einheimischer Vogel, 5 g schwer). Weil sie so klein ist, aber eine verhältnismäßig große Körperoberfläche hat und weil sie hauptsächlich kleine Wirbellose frisst, fällt ihr bei kalter Winterwitterung das Überleben schwer. Kurz nach dem Sonnenuntergang kuscheln sich die Individuen eines Schwanzmeisentrupps zusammen. Es entsteht eine dichte Kugel aus Federn. Nur anhand der herausragenden Schwänze kann man die Zahl der Vögel erahnen.

Dieses soziale Verhalten haben die Meisen schon als Küken im kugelförmigen Nest gelernt. Das runde Nest wird aus Moosen gebaut, mit Spinnennetzen zusammengebunden und mit einer Außenschicht aus Flechtenstücken versehen. Ein Nest in einer hohen Gabelung eines Laubbaums, mit vom gleichen Baum gesammelten Flechten bedeckt, ist von der Rinde des Baums nicht zu unterscheiden. Ein Nest mitten in einem Strauch oder zwischen Fichtenzweigen hat eine oft lückenhafte Außenschicht, die das Licht differenziert reflektiert und den Umriss des Nests verschleiert.

Beim Nestbau lässt sich die Schwanzmeise Zeit. Die grobe Struktur aus Moosen und Flechten wird oft mehrere Tage lang ignoriert. Viele angefangene Nester werden von Krähenvögeln oder anderen Räubern zerstört. Bleibt das Nest verschont, wird es kurz vor der Eiablage mit Haaren und Federn ausgepolstert. Der sitzende Vogel schleicht sich Kopf zuerst ins Nest durch ein kleines Eintrittsloch oben in der Kugel, dreht sich dann, um zur "Tür" zu schauen, bevor er sich auf die Eier setzt. Eine brütende Schwanzmeise bei der Futtersuche erkennt man an den zur Seite gebogenen Schwanzfedern.

Im dichten Nadelwald kommt die Schwanzmeise eher selten vor. Die Rinde der Fichte ist sauer, und oft trocken und schattig wegen der immergrünen Baumkrone. Moose, die nur auf der Rinde aufsitzen, ohne von ihnen zu schmarotzen, so genannte epiphytische Moose und Flechten wachsen oft nur in den sonnigen Baumwipfeln oder an der Stammbasis. Nur wenige Insektenarten sind mit der Fichte assoziiert. Die sommergrüne Lärche dagegen ist oft stark mit Epiphyten bewachsen.

In lichten Laub- oder Mischwäldern sind die Bedingungen für die Schwanzmeise ideal. Im Laubwald ist die Vielfalt an Insekten weit größer als im Nadelwald. Die Rinde der verschiedenen Laubbäume variiert auch stark im Charakter: rissig bei alten Eichen und Eschen oder glatt wie bei der Hainbuche oder Haselnuss; schwammig bei der Weide oder hart bei der Buche; sauer bei der Birke oder basenreich bei Feld- oder Spitzahorn. Ganz verschiedene Moose und Flechten sind dementsprechend vertreten.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verschwanden viele Epiphytenarten aus industriellen und benachbarten Regionen wegen schwefelreicher Luftverschmutzung aus den neuen Fabriken. Der Mangel an Moosen und Flechten als Baumaterial für die Schwanzmeise erklärt vielleicht die Seltenheit der Art als Brutvogel im Frankenwald und Fichtelgebirge. Bemühungen, den hiesigen Fichtenwald in einen Mischwald umzuwandeln, könnten mit der Zeit zu einer Zunahme der Schwanzmeise führen. Sicher ist, dass sich seit dem späten 20. Jahrhundert viele Flechtenarten wieder ausbreiten.


Autor Jonathan Guest, Biologe aus Kronach-Gundelsdorf
E-Mail: unser-wald@sdw.de

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
2. Ausgabe, März/April 2013, S. 20
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
Telefon: 0228 / 945 98 30, Fax: 0228 / 945 98 33
E-Mail: unser-wald@sdw.de
Internet: http://www.sdw.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis: Jahresabonnement 17,50 Euro
einschl. Versandkosten und 7% MwSt.
Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2013