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ATOM/325: Norddeutschland ist eine wichtige Drehscheibe im internationalen Atomgeschäft (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 636-637 / 27. Jahrgang, 4. Juli 2013

Norddeutschland ist eine wichtige Drehscheibe im internationalen Atomgeschäft
Kampagne zur Sperrung der Bremer Häfen für alle Atomtransporte

von Thomas Dersee



Über die Stadtgebiete und Häfen von Bremen/Bremerhaven und Hamburg gehen fast täglich Atomtransporte. Norddeutschland - auch die Häfen in Nordenham und Rostock sind betroffen - ist eine wichtige Drehscheibe im internationalen Atomgeschäft. Uranoxide, das extrem giftige Uranhexafluorid, Brennelemente oder andere Produkte im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomtechnologie werden in den Häfen umgeschlagen und auch durch die Stadtgebiete transportiert. Empfänger und Absender sind Orte in der ganzen Welt: Australien, Süd-Korea, Rußland, Kasachstan, die USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, Südafrika, Namibia, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Belgien, Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Spanien, die Schweiz und Deutschland. Das ist ein extrem gut florierender, weltweiter Handel. Darauf weisen die Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS) Bremen und die Systemoppositionelle Atomkraft Nein Danke Gruppe (SAND) Hamburg in einer Erklärung vom 17. Juni 2013 hin.

Teilentwidmung der Bremer Häfen

Die bremische Bürgerschaft hatte am 31. Januar 2012 auf öffentlichen Druck hin die Teilentwidmung (Sperrung) der bremischen Häfen für den Umschlag von "Kernbrennstoffen" [1] beschlossen, nicht aber für deren Transit. Rot-Grün hatte die Teilentwidmung so formuliert, daß der Senat Ausnahmegenehmigungen ohne Beteiligung der Bürgerschaft und im geheimen erteilen kann. Ein Großteil der Atomtransporte über die Häfen ist von diesem Umschlagverbot nicht erfaßt. Circa 80 Prozent der Atomtransporte sind keine "Kernbrennstoffe", sondern Vorprodukte oder Abfallstoffe der Produktion von Atomenergie.

Die CDU hat gegen diese Teilentwidmung vor dem Staatsgerichtshof geklagt. Am 17. Juni 2013 ist darüber das Urteil gesprochen worden. Der Bremer Staatsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag, mit dem die CDU-Bürgerschaftsfraktion die Entwidmung der Bremer Häfen für den Umschlag von "Kernbrennstoffen" als rechtswidrig erklären wollte, mit 4 gegen 3 RichterInnenstimmen als unzulässig zurückgewiesen.

Ebenfalls als unzulässig wurden die beiden Hilfsanträge der CDU zurückgewiesen: das Verfahren auszusetzen, um die Streitfrage vom Bundesverfassungsgericht beziehungsweise vom Europäischen Gerichtshof prüfen zu lassen.

Die RichterInnen wiesen die Klage ab, weil die Länder selbst entscheiden dürfen, was in den Häfen umgeschlagen wird. Damit bleiben die Bremer Häfen für den Umschlag von "Kernbrennstoffen" weiterhin gesperrt.

Entwidmung durch Volksentscheid

Die Bremische Bürgerschaft hat es allerdings abgelehnt, die Häfen für alle Atomtransporte zu sperren. So können nur noch die Bremerinnen und Bremer per Volksentscheid das Gesetz ändern. Für die Zulassung sind 5.000 gültige Unterschriften nötig. Wird das Volksbegehren zugelassen, müssen später 25.000 Unterschriften gesammelt werden. Damit kann ein Volksentscheid, also eine Abstimmung ähnlich einer Wahl, erzwungen werden.

Die Bremer Initiative gegen Atomtransporte (brigat) bittet darum, die Kampagne zum Volksentscheid zur Sperrung der Bremer Häfen für alle Atomtransporte zu unterstützen.†

Am 1. Mai 2013 entging Hamburg nur knapp einer Atomkatastrophe

Am 1. Mai 2013 brannte im Hamburger Hafen der Container- und Autofrachter "Atlantic Cartier" der Atlantic Container Line (ACL). MAUS und SAND informierten die Öffentlichkeit darüber, daß dieses Schiff meistens auch radioaktive Stoffe geladen hat. Erst nach öffentlichem Druck und einer parlamentarischen Anfrage der Grünen gab der Hamburger Senat zwei Wochen später zu, wie gefährlich der Brand für die Bevölkerung war.

Nachfragen ergaben, daß um 19:30 Uhr am 1. Mai ein Feuer auf dem Schiff entdeckt wurde, berichten MAUS und SAND. Circa 30 Minuten später wurde die Feuerwehr informiert, die dann feststellte, daß Gefahrgüter an Bord waren. Neben 70 Autos, von denen 30 verbrannt sind, befanden sich auch radioaktive Stoffe wie Uranhexafluorid (UF6) und neue Brennelemente für Atomkraftwerke, sowie Munition, Ethanol und Sprengstoffe bzw. Raketenantriebsstoffe an Bord. Ein brisanter Cocktail. Die Ursache des Brandes ist unbekannt.

Maßnahmen, die Gefahrenstoffe aus dem gefährdeten Bereich zu entfernen, wurden erst um 23:08 Uhr eingeleitet. 33 Container mit gefährlichen Gütern wurden dann bis 3:35 Uhr aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich entfernt - circa 8 Stunden nach dem Ausbruch des Feuers. Der Brand konnte erst um 5:11 Uhr unter Kontrolle gebracht werden. Er war somit 9 Stunden und 41 Minuten nicht beherrschbar. Die Gesamteinsatzdauer der Feuerwehr betrug 15,5 Stunden. "Die Dauer der Löscharbeiten war bedingt durch die schwierigen Zugangsmöglichkeiten zum Brandherd verbunden mit den hohen Temperaturen und den schlechten Sichtmöglichkeiten vor Ort", heißt es in einer Antwort des Hamburger Senats vom 17. Mai 2013. [2]

Der Frachter, der regelmäßig Uranhexafluorid (UF6) transportiert, hatte neben den Autos eine brisante Fracht geladen: 20 Tonnen Container mit radioaktivem Material, darunter Behälter mit Uranhexafluorid, 2,2 Tonnen Brennstäbe, angereichertes Uranoxid, 180 Tonnen Ethanol, 3,8 Tonnen funktionsfähige Patronen und Raketenbrennstoff und weitere brennbare Stoffe. Durch die Hitze entstanden Farbblasen an der Außenwand, die Temperatur an Deck betrug 200 Grad.

Erst drei Stunden nach Eintreffen der Feuerwehr gelang es, die radioaktive Fracht mit einem Kran von Bord zu schaffen. Bis dahin durfte nicht mit Wasser gelöscht werden, weil Uranhexafluorid bei Kontakt mit Wasser (oder auch nur mit Wasserdampf) die extrem ätzende Flußsäure entwickelt, beschreibt die Hamburger Regionalgruppe der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Erst nach 15 Stunden war der Brand gelöscht.

Die vom Hamburger Senat veröffentlichte Liste der geladenen Güter nannte 9 Tonnen Uranhexafluorid (UF6) als gefährlichsten Teil der radioaktiven Ladung. Die Behälter für UF6 müssen 30 Minuten einer Temperatur von 800 Grad standhalten. Wenn sie platzen und das Material mit Wasser oder auch nur der Luftfeuchte in Berührung kommt, entsteht Flußsäure, die stärkste bekannte Säure. Sie kann Haut und Schleimhäute extrem verätzen und eingeatmet zum Lungenödem und zum Tod führen, erklärt die Hamburger IPPNW-Gruppe. UF6 ist nicht nur ätzend, sondern auch radioaktiv mit einer Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren. Wenn es in den Körper gelangt, kann es Krebs auslösen. Zudem ist Uran ein sehr giftiger Stoff, der toxisch auf Leber und Niere wirkt.

Die zuerst genannten Mengen UF6 hätten - durch eine Explosion verteilt - noch in 1000 Meter Entfernung Menschen in Lebensgefahr bringen können. Die Stadtteile Veddel und Wilhelmsburg sind zum Teil nur 600 Meter entfernt und wären vom herrschenden Wind betroffen gewesen.

Erst vor kurzem wurde mitgeteilt, daß die UF6-Behälter weitgehend geleert gewesen seien, sie hätten insgesamt nur 10,3 Kilogramm enthalten. Dennoch, die Atlantic Cartier und andere Atom-Frachter transportieren mit jeder zweiten Fahrt volle Behälter, das zunächst genannte Szenario war insofern realistisch.

Der Hamburger Senat hatte erklärt, daß im Falle einer Explosion mit großflächiger Ausbreitung des UF6 eine Evakuierung der Kirchentagsbesucher oder von Stadtteilen unmöglich gewesen wäre.

Der Hamburger Hafen liegt mitten im Stadtgebiet. Etwa 500 bis 1.200 Meter entfernt fand am 1. Mai die Auftaktveranstaltung des Kirchentages in Hamburg statt. 35.000 Menschen hatten sich dazu am nördlichen Elbufer versammelt. Eine Entzündung oder Freisetzung des Gefahrguts hätte unvorstellbare Folgen haben können.

Risiken für die Bevölkerung

Transporte von abgebrannten Brennelementen in die Plutoniumfabriken (zum Beispiel nach La Hague in Frankreich oder nach Sellafield in Großbritannien sind seit dem 1. Juli 2005 gesetzlich untersagt worden. Transporte von "bestrahlten" (abgebrannten) Brennelementen aus sogenannten Forschungsreaktoren dürfen dagegen weiterhin stattfinden. Solche Transporte sind schon allein aufgrund der hohen biologischen Wirkung der Neutronenstrahlung nicht zu verantworten, erklären MAUS und SAND. Die auftretenden Strahlendosen sind hoch und können bisher nicht mit annähernd ausreichender Genauigkeit erfaßt werden. [3]

Bei Unfällen mit Uranhexafluorid (UF6)-Transporten ist wesentlich dessen chemisch hohe Toxizität wirksam. Bei Freisetzungen von UF6 bilden sich mit der Luftfeuchte sofort Flußsäure und andere giftige Fluorverbindungen, die schwere Verletzungen der Atemwege verursachen, betonen ebenfalls MAUS und SAND. Dagegen gibt es keine effektiven Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung. Die Planungen des Katastrophenschutzes können bei schweren Unfällen im Zusammenhang mit Transporten von UF6 und Plutonium nur begrenzt greifen. Für Betroffene im unmittelbaren Umfeld gibt es keinen Schutz.

"Angaben zu den Transportfirmen und den Schiffsnamen sowie zu den Transportrouten sind aus Sicherheitsgründen bundesweit als Verschlußsache eingestuft. Im übrigen berühren die Fragen die Einsatztaktik der Polizei, über die der Senat grundsätzlich keine Auskunft gibt." Und: "Zu den Einzelheiten der Schutzmaßnahmen gibt der Senat aus Sicherheitsgründen keine Auskunft", erklärte der Hamburger Senat. [2] Aber wie sollen wir uns schützen, wenn die Transporte im Geheimen ablaufen, fragen SAND und MAUS.

Die Sicherheit der Bevölkerung werden machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen untergeordnet, erklären SAND und MAUS. Sie seien deshalb auch für die Veränderung der Ursachen, der gesellschaftlichen Verhältnisse, die solche zerstörerischen Technologien erst ermöglichen, erklären sie.

IPPNW fordert sofortigen Stop der Atomtransporte

Anläßlich der Debatte in der Hamburger Bürgerschaft am 13. Juni 2013 und vor dem Hintergrund des Brandes auf dem Atomfrachter "Atlantic Cartier" am 1. Mai fordert auch die Regionalgruppe der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW den sofortigen Stop aller Atomtransporte. Nach Ansicht von IPPNW-Arzt Matthias Plieninger ist es wegen des Risikos von Freisetzungen "ein Skandal, daß regelmäßig radioaktives Material im Hamburger Hafen umgeschlagen wird." Allein 2012 seien es 117 Atomtransporte gewesen. Das Problem sei, daß die Transporte mit dem Beschluß zum Atomausstieg Strahlentelex nicht abnehmen und auch nach dem Abschalten des letzten deutschen Atomkraftwerks weitergehen würden. "Denn Absender und Empfänger sind neben vielen internationalen Bestimmungsorten in Deutschland die Urananreicherungsanlage Gronau und die Brennelementefabrik Lingen, die für internationale Kunden produziert. Deren Kapazitäten wurde sogar noch ausgebaut", kritisiert Plieninger.

Zwar stehe der Hamburger Senat hinter dem Beschluß, aus der Atomenergie auszusteigen, so Plieninger. Durch seine Beteiligung an der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und an Hapag Lloyd verdiene die Stadt Hamburg aber an den Atomtransporten. "Deshalb ist es kein Wunder, daß der Senat nicht daran denkt, den Hafen für Atomtransporte zu sperren, wie das Bremen wenigstens teilweise beschlossen hat."

Die IPPNW weist mit großer Sorge auf die Gefahren hin, die durch die Atomtransporte im Hamburger Hafen, aber auch quer durch die Stadt und über Autobahnen und Eisenbahnen zu den westdeutschen Atomanlagen fortwährend entstehen. Sie fordert eine Sperrung des Hamburger und der anderen deutschen Häfen für Atomtransporte sowie ein Ende der Transporte radioaktiver Stoffe zu Land.


(†) Das ist möglich über die Website http://www.atomtransporteverhindern.de und über die eMail-Adresse brigat2012@web.de



Anmerkungen

[1] nach der Definition des Atomgesetzes §2 Abs. 1

[2] Antwort des Hamburger Senats, Drucksache 20/7891 vom 17.5.2013

[3] siehe hierzu auch: Horst Kuni: CASTOR gefährdet Gesundheit, Otto Hug Strahleninstitut, Bericht Nr. 19-20 1998, ISSN 0941-0791, und Helmut Hirsch: Die biologische Wirkung von Neutronenstrahlung wird weiterhin unterschätzt,, Strahlentelex 254-255 v. 7.8.1997, und dort zitierte Literatur.



Weitere Informationen unter
www.nadir.org/sand,
www.maus-bremen.de,
http://aabhh.noblogs.de,
www.urantransport.de.


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_13_636-637_S10-12.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juli 2013, Seite 10-12
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2012