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BODEN/160: Die Haut der Erde (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 124/1.2015

Die Haut der Erde
2015 ist das Internationale Jahr des Bodens

Von Christiane Weitzel


Als Dreck unter unseren Schuhen, als Staub in der Luft oder beim Umgraben im Garten bekommen wir den innigsten Kontakt zu der neben Luft und Wasser wichtigsten Ressource auf unserem Planten - dem Boden. Dass dieser "Dreck" Basis unserer Landwirtschaft ist, wissen die meisten Kinder, dass er eine zentrale Rolle beim Klimaschutz spielt, wissen dagegen wenige Menschen. Vielleicht richtet sich ja im neuen Jahr der Blick der Öffentlichkeit und der politisch Verantwortlichen auf diese Lebensgrundlage, denn 2015 wurde zum Internationalen Jahr des Bodens ausgerufen.


Böden sind die Grundlage für unsere Ernährung. 90 Prozent unserer Nahrungsmittel hängen direkt oder indirekt von gesunden Böden ab. Die ungebremste Versiegelung und der weltweite Raubbau am Boden, macht die Ressource immer knapper. Nur 12 Prozent der Erdoberfläche sind landwirtschaftlich nutzbar, mit abnehmender Tendenz. Laut IASS (Potsdamer Institute for Advanced Sustainably Studies) stehen jedem Menschen weltweit nur noch 0,22 Hektar fruchtbaren Bodens zur Verfügung, 1960 war es rechnerisch noch die doppelte Menge.

Auch in Deutschland werden auf fruchtbarer Erde immer noch viel zu viele Straßen, Häuser und Gewerbegebiete gebaut. Der Anteil dieser sogenannten Siedlungs- und Verkehrsflächen liegt bei 13,6 Prozent der Landesfläche, etwa die Hälfte davon sind versiegelt, das heißt bebaut, betoniert, asphaltiert, gepflastert oder anderweitig befestigt. Damit gehen wichtige Bodenfunktionen, vor allem die Wasserdurchlässigkeit und die Bodenfruchtbarkeit, verloren. Jedes Jahr nimmt die Bodenversiegelung zu - im Jahr 2011 um rund 100 Quadratkilometer. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, die neue Fläche für Bebauung und Verkehr von 130 Hektar pro Tag im Jahr 2000 auf 30 Hektar pro Tag im Jahr 2020 zu reduzieren. Dieses "30-Hektar-Ziel" wurde 2002 in die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen, nachdem es im Jahr 1998 erstmals von der damaligen Bundesministerin für Umwelt, Angela Merkel, formuliert worden war. Doch Deutschland ist meilenweit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen. Der Trend zu mehr und mehr Versiegelung ist ungebrochen.

Millionenfaches Leben

Unsere Böden stecken voller Leben. In einem Teelöffel Boden lassen sich allein eine Million Bakterien, 120.000 Pilze und 25.000 Algen finden - alle mikroskopisch klein. Diese Kleinstlebewesen erfüllen wichtige Funktionen im Stoffkreislauf. Im Zusammenspiel mit den Bodentieren, wie Fadenwürmer, Regenwürmer, Milben, Asseln, Springschwänze und Insektenlarven verarbeiten sie Pflanzenreste zu stabilem Dauerhumus. Unter einem Quadratmeter Boden leben Hunderttausende bis Millionen dieser Bodenlebewesen. Hochgerechnet auf einen Hektar ergibt das circa 15 Tonnen Lebendgewicht im durchwurzelbaren Bodenraum - das entspricht dem Gewicht von etwa 20 Kühen. WissenschaftlerInnen schätzen, dass mindestens ein Viertel aller Arten im Boden leben.

Böden sind die größten Kohlenstoffspeicher der Erde und spielen eine zentrale Rolle beim Freisetzen oder Fixieren klimarelevanter Gase wie Methan und Kohlendioxid. Mit 4.000 Milliarden Tonnen speichert der Boden weltweit mehr Kohlenstoff, als Atmosphäre und Wälder zusammen.

Landwirtschaft sägt eigenen Ast ab

Die sogenannte fachgerechte Landwirtschaft führt dazu, dass die Ackerböden monotone Substrate werden, denen das tausendfache winzige Leben fehlt, das den Boden locker hält, belüftet und über die Zersetzung Nährstoffe für alle zur Verfügung stellt. Der Ackerboden wird mit kräftigen Gülle- oder Kunstdüngergaben überschwemmt, damit Jahr für Jahr die gleichen Monokulturen auf ihnen wachsen könnten. Zum Schutz vor angepassten "Schädlingen" werden dazu immer höhere Dosen an Pflanzenschutzmitteln ausgebracht.

Eine intensive Landwirtschaft, wie sie in Deutschland auf 93,8 Prozent der genutzten Fläche üblich ist, zerstört die natürlichen Böden und damit ihre eigene Basis. Äcker werden zulasten von Niedermooren oder Grünland ausgeweitet. Wird auf diesen Flächen dann in riesigen Monokulturen Energie-Mais angebaut, ist das pervertierter Klimaschutz. Durch den Umbruch wird mehr Kohlendioxid freigesetzt, als sich nachher durch Pflanzensprit oder Biogas einsparen lässt. Im Nordwesten Deutschlands hat die Massentierhaltung mit ihrer Güllewirtschaft auf den Moorböden eine lohnende Landwirtschaft erst möglich gemacht: Mit allen negativen Folgen für die empfindlichen Moorböden und das Klima.

Wenn der Acker wegfliegt oder -schwimmt

Jedes Jahr verringern sich die Bodenflächen weltweit um etwa 10 Millionen Hektar. Der Hauptgrund: Erosion. Ein Viertel der weltweiten Bodenfläche enthält heute schon deutlich weniger Humus und Nährstoffe als vor 25 Jahren oder lässt sich nicht mehr als Ackerland nutzen. Der Nordosten der Bundesrepublik kämpft vor allem im Frühjahr mit gigantischen Sand- und Staubstürmen. So kam es am 08. April 2011 auf der A19 in Mecklenburg zur Katastrophe, als etwa 80 Fahrzeuge ineinanderrasten. Plötzliche Staubvernebelung von den Äckern hatten den FahrerInnen komplett die Sicht genommen. Auf den Ackerflächen rechts und links der Autobahn war fehlende Bodenbedeckung im Frühling eine Ursache für die Katastrophe. Der Maisanbau auf riesigen Schlägen ist hier vor allem verantwortlich. Gerade wenn der Mais gesät wird, ziehen die schweren Frühjahrsstürme auf.

Starkregen im Sommer 2014 ließ in vielen Mittelgebirgen in Deutschland die Ackerböden wegschwimmen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover warnte: Etwa ein Drittel der deutschen Ackerfläche, vor allem in Hanglagen, sei durch Erosion infolge extremen Niederschlags gefährdet. Dabei wirkt auch hier der Maisanbau besonders negativ: Zur typischen Starkregenzeit im Frühsommer sind die Maispflanzen noch viel zu klein und stehen zu weit auseinander, um den Abfluss des Wassers bremsen zu können. Nichtsdestotrotz nimmt auch in Hanglagen der Maisanbau weiter zu. Das kommt uns alle teuer zu stehen: Nicholas Stern, der frühere Chefökonom der Weltbank, hat im Stern-Report den Verlust von Ackerboden durch Erosion auf 70 Dollar pro Kopf und Jahr berechnet.

Umsteuern in der Landwirtschaft

Doch gerade in der Landwirtschaft gibt es Möglichkeiten umzusteuern. So ist nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft die ganzjährige Bedeckung der Böden wichtig und machbar. Nach der jeweiligen Hauptkultur müssten geeignete Zwischenfrüchte angebaut werden und Pflanzenreste stehen bleiben. Eine ausgewogene Fruchtfolge sei nötig und nicht nur Mais, Mais, Mais. Geradezu verheerend ist es, wenn in erosionsgefährdeten Gebieten Grünland umgebrochen wird. Denn Grünland bremst besonders gut den Abfluss des Wassers.

Ökologen der TU München kamen 2012 zu dem Schluss, dass je mehr Pflanzenarten auf einer Wiese wachsen, umso mehr Biomasse wird dort produziert und desto fruchtbarer wird auch der Boden. "Es kommt auf jede einzelne Pflanzenart an. Überflüssige Arten gibt es nicht", so der Studienleiter Nico Eisenhauer. Für Mähwiesen hieße das etwa: Je größer die Artenvielfalt desto mehr Ertrag würden sie abwerfen. Auch die Vielfalt in Grünstreifen rund um die Felder hätten direkt für den Acker Vorteile: Mit jeder zusätzlichen Pflanzenart steigt auch die Diversität der Räuber, die z.B. die Zahl der Blattläuse reduzieren.

Öl und Schwermetalle erst in den Boden und dann ins Grundwasser

Nicht nur der Eintrag von Gülle belastet unsere Böden, auch der massenhafte Einsatz von Pestiziden vergiftet sie. Dabei sind Böden besonders wichtig für sauberes Grundwasser, aus dem Dreiviertel unseres Trinkwassers gewonnen wird. Ein Hektar Boden kann durchschnittlich 1.300 Kubikmeter Grundwasser pro Jahr bilden, die voranschreitende Bodendegradation wirkt sich dabei extrem negativ auf die Qualität des Grundwassers aus. So wurden im vergangenen Jahr 14 von insgesamt 123 Grundwasserkörpern in Niedersachsen ein schlechter Zustand nach der Wasserrahmenrichtlinie bescheinigt. Ob die Funde von Cadmium im niedersächsischen Grundwasser ebenfalls mit den ausgebrachten Pestiziden zusammenhängen, wird noch untersucht. Und die nächste Zeitbombe tickt schon unüberhörbar: Nach mehreren Zeitungsberichten wurden in Niedersachsen in den vergangenen Jahrzehnten ölhaltige Bohrschlämme einfach in die Landschaft verkippt und zugedeckt. Wann diese Schadstoffe im Grundwasser ankommen, ist nur eine Frage der Zeit.

Und was tut die Politik für den Schutz des Bodens?

Vor der Europawahl 2014 beschlossen EU-PolitikerInnen ein europaweites Gesetz zum Schutz des Bodens erstmal auf die lange Bank, aber auf jeden Fall auf die Zeit nach der Wahl zu schieben. In vielen Ländern der EU gab es Widerstand gegen das geplante Gesetzesvorhaben, die nationalen Parlamente wollten nicht auf ihre Kompetenz in dieser Sache verzichten. Auch von der Bundesregierung wird die EU-Bodenrahmenrichtlinie seit Jahren blockiert: Mit dem Argument, dass in Deutschland die Böden durch das Bundesbodengesetz ausreichend geschützt wären. Doch nur 9 von 27 Staaten verfügen über solche Gesetze, so dass eine europäische Regelung dringend notwendig ist. Außerdem ernähren wir uns von Böden aus der ganzen Welt: Fast Zweidrittel der Fläche, insgesamt 330 Millionen Hektar, die wir in Europa für Nahrungs- und Futtermittel, Energierohstoffe oder Holz benötigen, liegen in China, Russland, Brasilien und Argentinien. Fruchtbare Böden sind weltweit zu einer begehrten Ware geworden, die nur noch zu horrenden Preise gekauft oder gepachtet werden können. Die UN geht davon aus, dass eine Fläche von ca. 100 Millionen Hektar an Großinvestoren verpachtet wurde, häufig zum Nachteil der ländlichen Bevölkerung.

Den Blick auf den Boden lenken

Auf einer Tagung 2012 in Osnabrück zum Thema "Neue Wege im Bodenschutz" überlegten die WissenschafterInnen intensiv, wie sie die zentrale Bedeutung des Bodens am besten in die öffentliche Wahrnehmung rücken könnten: Der Lebensraum Boden sei faszinierend, aber auch sehr komplex. Es gäbe leider kein Patentrezept, keine schnellen Lösungen, um bei den Menschen ein Bewusstsein für die Bedeutung des Bodens zu schaffen, bedauerten die WissenschaftlerInnen. Sie wünschen sich für die Zukunft leidenschaftliche Fürsprecher zu gewinnen: an Schulen, über Exkursionen oder Kunstprojekte.

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300 Jahre für einen Zentimeter

Weltweit geht der Boden meist unmerklich verloren. Drei Kräfte sind vor allem dafür verantwortlich: Zum einen die Bodendegradation, die bedeutet, dass Nährstoffe verlorengehen, dass es zu Versauerung, Entkalkung und der Verschlechterung der Bodenstruktur kommt. Zum Zweiten die Bodendesertifikation, die Verwüstung durch Übernutzung und zum Dritten die Bodenversiegelung. Hinter all diesen Vorgängen steckt direkt oder indirekt der Mensch in seinem Bestreben sich den Naturkörper Boden entsprechend verfügbar zu machen.

Böden bilden und entwickeln sich über lange Zeiträume, viele Faktoren spielen dabei zusammen. Die wichtigsten natürlichen Einflussfaktoren sind das Gestein, das Klima, Pflanzen und Tiere, die Form und Neigung des Geländes und das Wasserangebot.

Von großer Bedeutung sind die Entwicklungszeit und die Intensität der Bodennutzung durch den Menschen, die in den letzten Jahrhunderten zu erheblichen Bodenveränderungen geführt hat.

Die eigentliche Entstehung von Boden geschieht durch die Verwitterung von Gestein und die weitere Zerkleinerung mineralischer Bodenpartikel. Die Prozesse können je nach Stärke der Einflussfaktoren unterschiedlich schnell ablaufen. Boden ist aber mehr als ein Gemenge mineralischer Partikel mit unterschiedlicher Größe. Boden ist vor allem ein Gemisch aus zersetzter organischer Substanz, dem Humus, und den mineralischen Bestandteilen durchsetzt mit Wasser und Luft sowie einer Vielzahl pflanzlicher und tierischer Lebewesen. Bis dieses Gemisch in der gewohnten Qualität und notwendigen Mächtigkeit entsteht, braucht es viel Zeit. Die Entwicklung einer 1-Zentimeter dicken, humosen Bodenschicht kann zwischen 100 und 300 Jahren dauern - jedoch bei einem einzigen starken Gewitterregen durch Erosion verloren gehen. (UBA, 2013)


Christiane Weitzel, Bremen,
magazin@robinwood.de, Tel.: 0421 59828-90


Quellen und mehr Infos:
- www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft
- Auf dem Boden der Tatsachen, Holdinghausen, taz, 20.12.12
- www.bgr.bund.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Das Bild ist die Titelseite des Reiseführers "Die Böden Deutschlands", der zum Internationalen Jahr des Bodens vom Umweltbundesamt neu aufgelegt wurde und zu vielen, spannenden Ausflügen zum Thema einlädt.

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 124/1.2015, Seite 18 - 21
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2015

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