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DEBATTE/012: Vergeßt Kopenhagen! Entwicklung von Alternativen zur herrschenden Klimapolitik (aaa)


anti atom aktuell Nr. 204/205 - Dezember 2009
Zeitung für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen

Vergesst Kopenhagen!
Die Katastrophe ist schon da.

vom BUKO
Arbeitsschwerpunkt Soziale Ökologie


Von den Klimaverhandlungen in Kopenhagen ist nichts zu erwarten. Sie sind Teil offizieller Klimapolitik, die zur Lösung des Klimaproblems auf diejenigen Marktkräfte setzt, die die sozial-ökologische Krise erst verursacht haben. Wichtig ist aus unserer Sicht nicht der Ausgang der Klimaverhandlungen in Kopenhagen, wichtig sind die Verknüpfung der Diskussion um "Umweltprobleme" mit Herrschafts- und Kapitalismuskritik und die Entwicklung von Alternativen zur herrschenden Klimapolitik. Wir wollen - mit anderen Worten - die sich verschärfende ökologische Krise ernst nehmen, ohne darüber den systemkritischen Kopf zu verlieren.


In den 1990er Jahren kannten in Deutschland nahezu alle die Werbung für Maoam-Kaubonbons. "Was wollt Ihr denn?" fragte eine anonyme Stimme, und Massen von Leuten brüllten: "Maoam!". Ähnlich ist es heute in der Klimapolitik: Wenn man anno 2008 in Deutschland in einen Raum voller Menschen "Was wollt ihr mit dem Klima tun?" ruft, tönt als einhellige Antwort "Retten!" zurück. Die derzeitig beobachtbare staatlich-mediale Politik zum Klimawandel, die sich durch einen solchen Konsens auszeichnet, stellt jedoch herrschende Interessen und Politiken nicht infrage. Kritik und Unwohlsein werden herrschaftsförmig bearbeitet. Dagegen haben wir etwas.

Die BUKO hat mit ähnlicher Stoßrichtung bereits in den 1990er Jahren die herrschende Nachhaltigkeitsdebatte kritisiert. Damals wie heute geht es uns nicht darum, die herrschende Klimadebatte mit einigen kritischen Anmerkungen robuster zu machen oder dabei zu helfen, effektivere Instrumente zum Klimaschutz und im weiteren Sinne für den Umweltschutz zu entwickeln. Wir teilen stattdessen den Ausgangspunkt des Antirassismusbüros Bremen (ARAB), den wir im folgenden präzisieren: "Ziel ist es nicht, auf den fahrenden Zug der Eliten aufzuspringen und lediglich die drohende Apokalypse an die Wand zu malen (um dann mit Angst Politik zu machen), sondern im Klimawandel einen weiteren, nicht zu unterschätzenden zerstörerischen Ausdruck der kapitalistischen Systemlogik zu identifizieren und anzuprangern" (ARAB 2008, 7).

Die klimapolitische Aufgeregtheit und ihre wirklichen Ursachen

Die Debatte um anthropogenen Klimawandel ist keineswegs so neu, wie sie heute zuweilen scheint. Dass die stetig zunehmende Freisetzung von Treibhausgasen in absehbarer Zeit erhebliche Auswirkungen auf das Klima haben würde, ist seit Ende der 1970er Jahre in wissenschaftlichen Kreisen weitgehend unumstritten. In den 1980ern setzte eine Politisierung der Klimaproblematik ein: Internationale Konferenzen (z.B. in Villach 1985 und Toronto 1988) fanden statt und endeten mit radikalen Absichtserklärungen, der Spiegel dramatisierte die Klimafolgen 1986 mit einem im Meer versinkenden Kölner Dom als Titelbild, und beim G7-Gipfel 1989 in Paris war der Klimawandel ein Hauptthema (vgl. Missbach 1999 zu dieser Phase der Politisierung). Auch in den 1990ern genoss das Klima v.a. anlässlich der Konferenzen in Rio zu Umwelt und Entwicklung (1992), in Berlin im Rahmen der Klimarahmenkonvention (1995) und in Kyoto zur Verabschiedung des gleichnamigen Protokolls (1997) einige Wellen politisch-medialer Aufmerksamkeit. Doch in den folgenden Jahren schien die Aufmerksamkeit wieder abzunehmen und dass sich auf dieser oder jener Konferenz "alles entscheidet" - in der Diplomatensprache: "we are at the crossroads" - wurde zusehends zur Selbstrechtfertigung der internationalen Klimadiplomatie globaler Ressourcen- Manager.

Seit Herbst 2006 jedoch hat die Klimathematik in den Medien, in staatlicher Politik, aber auch auf Seiten der Unternehmen und NGOs Hochkonjunktur. Das Neue an der aktuellen klimapolitischen Aufgeregtheit ist zum einen ihre enorme Intensität; zum anderen scheint die Klimafrage ihr episodisches Dasein verlassen zu haben und zum Dauerbrenner geworden zu sein. Der scheinbar harmonische Chor von Klimarettern entpuppt sich jedoch bei näherem Hinsehen als ein merkwürdig polyphoner Haufen mit recht unterschiedlichen Interessen und Motivationen, die teilweise gar nichts mit dem Klima zu tun haben.

Was sind die wesentlichen Ursachen der gegenwärtigen Hochkonjunktur der Klimathematik?

Zunächst spricht der aktuelle Stand der Forschung eine klare Sprache: Im Vergleich zu früheren Berichten formulierte der 2007 erschienene vierte Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, der so genannte Weltklimarat der Vereinten Nationen) noch deutlicher, dass es im 20. Jh. eine globale Erwärmung von etwa einem dreiviertel Grad gab und dass diese größtenteils menschengemacht ist - eine Aussage, an der selbst hartnäckige Klimaskeptiker kaum noch vorbeikommen. Daneben richteten sich einflussreiche Interventionen von Seiten der Mainstream-Ökonomie gegen das uralte Argument, Klimaschutz sei volkswirtschaftlich zu teuer. Dies nimmt der so genannte Stern-Report (2006) mit seiner Kernbotschaft wirkungsvoll auf: sofortiger energischer Klimaschutz ist kostengünstiger als Nichtstun und Warten auf unkalkulierbare Schäden. Hinzu kommt die Tatsache, dass Wetterextreme in nördlichen Breiten wie das Elbe-Hochwasser 2002, der Hitzesommer in Europa 2003 und der Hurrikan Katrina in New Orleans 2005 erstmals medienwirksam in den Kontext von Klimawandel gestellt wurden.

So gelangte in den reicheren Ländern ins Bewusstsein, dass Klimafolgen nichts Abstraktes sind, die ausschließlich die Zukunft oder den globalen Süden betreffen. Ein weiteres Moment stellen Entwicklungen im globalen Süden und deren Wahrnehmung durch die Industrieländer dar: Die Emission von Treibhausgasen durch Nicht-Industrieländer beträgt bereits heute etwa 55% der globalen jährlichen Emissionen - Tendenz steigend.

Neben dieser Gefährdung des Weltklimas gerät zunehmend in den Blick, dass aufgrund ungleich verteilter Klimawirkungen, größerer Verwundbarkeiten und geringerer Anpassungsmöglichkeiten der Klimawandel den globalen Süden vermutlich weitaus stärker treffen wird als den Norden. In den reicheren Ländern wird dieser Sachverhalt in erster Linie als Gefahr durch "Klimaflüchtlinge" thematisiert.

Das Klima hat auch aus wirtschaftlicher Perspektive Konjunktur: Klimapolitik eröffnet neue Anlagefelder für Unternehmen und soll Kapitalakkumulation und Wettbewerbsfähigkeit fördern. "Je früher Europa sich bewegt, umso größer die Chance, dass es sein Knowhow und seine Technologie zur Belebung von Innovation und Wachstum nutzen und dabei von seiner Pionierrolle profitieren kann", schreibt die EU-Kommission in einem jüngst veröffentlichten Papier (2008). Für effizientere und erneuerbare Technologien zum Klimaschutz, aber auch für Ideen zur Anpassung an den Klimawandel eröffnen sich riesige Zukunftsmärkte und für die Industrieländer zusätzliche Exportchancen. In einigen Ländern wie Deutschland oder Kalifornien wird Klimapolitik mit ihren staatlichen Subventionen und flankierenden Emissionsreduktionszielen sogar unumwunden als Konjunkturprogramm ausgegeben, das auch dann funktionieren würde, wenn es gar keinen Klimawandel gäbe.

Nicht zuletzt eignet sich die Klimaproblematik zur ideologisch-politischen Instrumentalisierung. Nachdem globale Missionen wie der Kampf gegen Drogen oder gegen den Terror gescheitert oder zumindest diskreditiert sind, birgt das Klima als "schützenswertes globales Gemeingut" Potential zur Etablierung einer neuen "globalen Mission". Unter diesem Label lassen sich international wirksame imperiale Zwangsmaßnahmen bis hin zu militärischen Interventionen rechtfertigen. Seit einiger Zeit besitzt auch das Ringen um globale Hegemonie zwischen EU und USA eine Klimadimension, bei der die EU als gute "Klima-Pionierin" erscheint, während den USA das Image des bösen "Klimaschurken" anhaftet. Dahinter steckt jedoch kaum das leidenschaftliche Interesse der EU am Klimaschutz, sondern es liegen in erster Linie handfeste historische Differenzen der Rohstoffverfügbarkeit und der Struktur des Energiesystems zugrunde.

Wie die Krise reguliert wird: Klimadiskurs und Klimapolitik

Die Auseinandersetzung mit den vielfachen physisch-materiellen und sozialen Dimensionen von Klimawandel ist uns ein Anliegen. An dieser Stelle möchten wir uns aber besonders mit dem "offiziellen Klimadiskurs" auseinandersetzen. Denn, auch in der aktuellen Klimapolitik, sind es Diskurse, die Plausibilität und Legitimität schaffen und Handeln orientieren.

Maßgeblich bestimmt wird der offizielle Klimadiskurs von den Regierungen der Industriestaaten des Nordens, Klimaforschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden. Dabei wird der Klimawandel als globales Umwelt- bzw. Menschheitsproblem konstruiert, dem nur über gemeinsame Anstrengungen der Staatengemeinschaft in enger Kooperation mit der Wissenschaft, der Privatwirtschaft und der (internationalen) Zivilgesellschaft begegnet werden kann. Folglich regulieren internationale Abkommen und Vereinbarungen - insbesondere die Klimarahmenkonvention von 1992 und das Kyoto-Protokoll von 1997 - das Problem. Das Kyoto-Protokoll legt die Messlatte offizieller klimapolitischer Anstrengungen niedrig: Bis zum Jahr 2012 sollen die Treibhausgasemissionen der Industrieländer um 5,2% im Vergleich zum Basisjahr von 1990 reduziert werden. Ein Ziel, das hinsichtlich des weltweit rasanten Anstiegs der CO2-Emissionen nicht einmal dem berühmten Tropfen auf den heißen Stein gleich kommt. Erreicht wird es aller Voraussicht nach nicht.

Die Konstruktion des Klimawandels als "globales" Menschheitsproblem einerseits und dessen Regulierung mit ökonomischen Instrumenten andererseits sind aus mindestens zwei Gründen problematisch: Erstens überdeckt der symbolische Diskurs über die vermeintlich gemeinsame Bedrohungslage die zeitliche, räumliche und vor allem soziale Differenziertheit sozial-ökologischer Problemlagen. Nicht die Menschheit insgesamt ist von den Folgen des Klimawandels betroffen. Vielmehr führen veränderte Niederschlagsmuster, der Anstieg des Meeresspiegels, die Austrocknung von Binnengewässern oder die Überflutung von Küstenregionen zu einer Verschärfung bestehender sowie der Entstehung neuer sozial-ökologischer Verteilungskonflikte.

Für KleinbäuerInnen in Indien z.B. stellen die Folgen des Klimawandels in Wechselwirkung mit bestehenden Konfliktlagen wie Liberalisierungspolitiken im Agrarsektor, dem hochgradig ungerechten Welthandelssystem, der Einführung von Patenten für Saatgut und Privatisierungstendenzen in der öffentlichen Dienstleistungsversorgung Existenz bedrohende Krisen dar. Währenddessen ärgert sich die deutsche Mittelschicht darüber, dass die Strompreise steigen oder der Skiurlaub in den Alpen ausfallen könnte, weil die Schneefallgrenze steigt.

Doch auch in Deutschland artikulieren sich sowohl die direkten Folgen des Klimawandels als auch die Implikationen politischer Strategien, die zur Lösung des Problems ergriffen werden, sozial differenziert. So sehen sich NiedrigverdienerInnen zunehmend mit dem für Deutschland neuen Phänomen der "Energiearmut" konfrontiert, wenn der Strom aufgrund nicht gezahlter Rechnungen abgeklemmt wird und die Nebenkosten zur "zweiten" Miete werden.

Zweitens suggeriert die UN-moderierte multilaterale Klimapolitik (und andere Bereiche der Umweltpolitik), dass ExpertInnen, Staats- und Regierungschefs aller Staaten "gemeinsam" und unterstützt von innovativen Unternehmen und solidarischen Umweltverbänden das Problem lösen wollen und "können". Dieser Politik wird bislang gesellschaftlich ein hohes Vertrauen entgegengebracht. Es scheint den Regierenden im Netzwerk mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu gelingen, ihre eigene Legitimation über ein globales, oftmals rein symbolisches umweltpolitisches Engagement zu erzeugen. Ungeachtet aller Kontroversen im Detail ist die Zielmarge klar definiert.

Das IPCC, die Europäische Union, das Climate Action Network (CAN) und andere NGOs wie Germanwatch oder der WWF - sie alle setzen sich dafür ein, dass eine globale Erwärmung die 2°C-Grenze im Vergleich zum vorindustriellen Niveau nicht überschreitet. Ein solches global-technokratisches Umweltmanagement blendet aus, dass es solche "natürlichen" Grenzen nicht gibt bzw. jede Grenzziehung immer eine normative und v.a. politische Setzung ist, die die herrschenden Machtverhältnisse widerspiegelt. 2°C Erwärmung wären für die Länder der gemäßigten Breiten vielleicht noch kein allzu großes Problem - für viele Staaten des Südens sind die prognostizierten Folgen alles andere als "akzeptabel".

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass der breite gesellschaftliche Klimakonsens den Blick auf zentrale Interessenkonflikte und Widersprüchlichkeiten verdeckt. Kaum thematisiert wird - und dies gilt bis ins NGO-Spektrum hinein -, dass und wie Klimawandel und Ressourcennutzung mit dem kapitalistischen Produktionsmodell und dem Lebensstil vor allem in den Metropolen, aber auch der Eliten im globalen Süden systematisch zusammenhängen. Dies wird deutlich, wenn die systemimmanenten Widersprüche und Blindstellen, die sich in der Krise des Klimawandels manifestieren, und die politischen Reaktionsmuster in den Blick genommen werden.

Fossile Energien stellen einen ökonomischen Wert dar, der Verzicht auf ihre Förderung und ihre Nutzung wäre dementsprechend ein "Akt der Kapitalvernichtung" (Altvater 2008). Der kapitalistische Akkumulationszwang in Verbindung mit einem Fortschrittsglauben verursacht also erst den Klimawandel. Die Klimapolitik reagiert darauf, in dem die sozial-ökologischen Probleme zwar größtenteils anerkannt werden, jedoch im Rahmen der Marktlogik reguliert werden sollen. Die Instrumente der Wahl sind seit Kyoto technologiebasierte und marktgesteuerte Mechanismen zur Reduzierung der CO2-Emissionen - wie Emissionshandel, der Mechanismus für saubere Entwicklung (CDM), eine Effizienzrevolution sowie neuartige Formen technologischer Naturbeherrschung wie die gegenwärtig erprobte Abscheidung und anschließende unterirdische Lagerung von CO2.

Kurz: Diejenigen Marktkräfte, die die sozial-ökologische Krise verursachen, sollen sie systemimmanent auch lösen. Die Konvergenz zwischen teilweise symbolischen Bearbeitungsformen auf der einen Seite und Wachstumsstrategien auf der anderen innerhalb der kapitalistischen Weltwirtschaft wird hier mehr als deutlich. Während Energie-Multis ernsthaften Klimaschutz bekämpfen, weil sie ihre Akkumulationsbasis verteidigen müssen, versuchen sie Klimaschutz dennoch - wenn auch oft nur symbolisch - in ihre Konzernstrategien zu integrieren. Ökologische Modernisierung wird so zum Zauberwort "unserer gemeinsamen Zukunft".

Mit aktueller Klimapolitik werden öko-koloniale Strukturen etabliert und aufrechterhalten. Dies äußert sich im CDM, der mit dem Ziel der Förderung einer "nachhaltigen", "sauberen" Entwicklung in den Ländern des Südens angetreten ist. Als Teil herrschaftsförmiger Problembearbeitung bietet er die Möglichkeit,, unliebsame Reduktionsmaßnahmen von Nord nach Süd zu verlagern. Nicht vor der eigenen Haustür reduzieren die Energieversorgungsunternehmen ihre CO2-Emissionen, sondern in den Ländern, wo es wenig kostet.

Damit heften sie sich gleichzeitig ein "grünes" und "soziales" Image an. Daneben zeigt sich, dass etwa die Reduzierung der weltweiten "Energiearmut" durch den Ausbau dezentraler erneuerbarer Versorgungssysteme beim CDM komplett außen vor bleibt. Investitionen im Bereich erneuerbarer Energien fließen primär in große Staudammprojekte.

Diese und andere Maßnahmen, wie z.B. Aufforstungsprojekte in Form von Monokulturen oder die Förderung genetisch veränderter Reissorten, die weniger klimaschädliche Stickstoffdünger benötigen, produzieren neue lokale bis regionale sozial-ökologische Konfliktlagen, die in den Kohlenstoffbuchungen des Nordens nicht erfasst werden. Die herrschende Form der Krisenregulierung beschränkt sich jedoch nicht auf marktförmige Instrumente. Es zeichnet sich ab, dass der diskursiv verbreitete Alarmismus auch dazu herhalten wird, repressive staatliche Politiken im Namen von "Ökosicherheit" zu rechtfertigen.

In anderen Feldern der Umweltpolitik sind repressive staatliche Politiken bereits seit längerem Realität - etwa wenn in Ländern des Südens die lokale Bevölkerung vertrieben wird, um Naturschutzgebiete oder Raum für "klimafreundliche" Maßnahmen wie großflächige Forstgebiete, Anbaugebiete für Biotreibstoff oder Staudämme zur Stromerzeugung zu schaffen.

Alternative Sichtweisen und Praxen

Jenseits des sprachlich-symbolischen globalen Umwelt- und Sicherheitsproblems ist Klimawandel als eine Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse zu verstehen. Substantielle Bestandteile dieser Krise sind internationale und innergesellschaftliche Verteilungsfragen, Geschlechterverhältnisse, die agroindustrielle Nahrungsmittelproduktion, Mobilitäts- und Konsumverhalten, kapitalistische Akkumulationsstrategien ebenso wie hochgradig undemokratische Entscheidungsprozesse. Ein "Herumdoktern" an hegemonial abgesicherten Instrumenten der Klimapolitik hilft nicht weiter, solange diese Blindstellen nicht aufgedeckt und breit diskutiert werden.

Was sind Alternativen? Perspektivisch geht es bei einer linken Positionierung zum Klimawandel um globale sozial-ökologische Gerechtigkeit. Es geht also nicht um ein romantisches "Zurück zur Natur" und auch nicht um ein "Wohlfühlprogramm für die Mittel- und Oberklasse" (ARAB 2008) in den kapitalistischen Zentren. Globale sozial-ökologische Gerechtigkeit erfordert stattdessen eine radikale Orientierung an Gebrauchswerten und solidarischem Miteinander. Dies schließt auch die demokratische Gestaltung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse mit ein.

Eine linke Positionierung - auch bezüglich sozial-ökologischer Kämpfe und Veränderungen - beginnt damit, die herrschaftsförmige Darstellung und Definition von "Problemen" kritisch zu reflektieren. Hier geht es ganz wesentlich um die Wahl der Begriffe, mit denen das Problem zu fassen versucht wird - sie sind nicht neutral. Begriffe und Konzepte prägen Handeln, sie gestalten Korridore der Problemlösung, machen bestimmte Aspekte des Problems sichtbar und lassen andere im Dunkeln. Insofern beschreiben Begriffe die Welt nicht einfach, sondern organisieren auch deren Wahrnehmung und Erkenntnis..

Die sozial-ökologische Krise - insbesondere der Klimawandel - wird im herrschenden Diskurs als "Umweltproblem" definiert, als Ausweg "nachhaltige Entwicklung" propagiert. Der Klimawandel erscheint als im Rahmen der bestehenden Verhältnisse bearbeitbar und Lösungen werden gleich mitgeliefert: Wie gesehen wird eine Kombination aus marktförmigen - zunehmend aber auch repressiven - Instrumenten und technischen Innovationen als Königsweg der Problembearbeitung präsentiert, sofern diese nicht gänzlich auf der Ebene symbolischer Politik verharrt.

Sprechen wir dagegen nicht von einem "Umweltproblem", sondern von einer Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, gerät in den Blick, dass ausbeuterische Formen der Aneignung von Natur mit sozialen Herrschaftsverhältnissen verwoben sind. So werden Produktions- und Konsumnormen herrschaftlich entwickelt und durchgesetzt. Das betrifft sowohl die Herstellung von (Auto-)Mobilität wie auch die Einführung neuer Technologien wie etwa gentechnisch manipuliertes Saatgut.

Was bedeutet diese Verschränkung von Sozialem und Ökologischem? Zum einen zeigt sich, dass sich in ökologischen Konflikten soziale Fragen artikulieren, dass gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse sich ganz zentral darüber herstellen und reproduzieren, wer den Zugang zu natürlichen Ressourcen kontrolliert bzw. die "Umweltbedingungen" gestaltet, und dass Kämpfe um eine Demokratisierung von Ressourcenkontrolle ein entscheidendes Moment der Befreiung von Herrschaft sind. Zum anderen schreiben sich soziale Herrschaftsverhältnisse in den Umgang mit Natur ein. Die sozial-ökologische Krise ist kein Betriebsunfall der kapitalistischen Produktionsweise, der durch ökologische Modernisierung derselben zu beheben wäre. Sie gründet vielmehr in den Funktionsprinzipien dieser Produktionsweise sowie in der Vermittlung letzterer mit patriarchalen und rassistischen Herrschaftsverhältnissen. Entscheidend ist dabei nicht, dass eine Naturaneignung stattfindet.

Menschen müssen sich diese aneignen und ihren Bedürfnissen entsprechend transformieren, um leben zu können. Entscheidend sind vielmehr die konkreten Formen der Aneignung, welche ausgerichtet sind auf Profitmaximierung, damit verbundene klassenförmige, geschlechtsspezifische, ethnisch kodierte und internationale Arbeitsteilung und Ausbeutung sowie auf die Beherrschung von Natur und deren ständige Perfektionierung. Die kapitalistische Produktionsweise eignet sich prinzipiell alles an, was sich verwerten lässt. Die herrschende Umweltpolitik versucht zwar auch das Nicht-Verwertbare politisch zu berücksichtigen, kollidiert dabei aber immer wieder mit den Imperativen der Kapitalverwertung und wissenschaftlich- technologischer Naturbeherrschung.

Ein emanzipatorischer Umgang mit der sozial-ökologischen Krise erfordert, gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse offen zu legen, zu kritisieren und zur Disposition zu stellen. Darin unterscheidet sich eine radikal-demokratische Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse von dem, was mit dem inflationär verwendeten Begriff "Nachhaltigkeit" in Politik, Zivilgesellschaft und Unternehmen zu erreichen versucht wird. Eine solche praktisch werdende Herrschaftskritik richtet sich nicht nur gegen staatliche und Unternehmenspolitiken sowie eine größtenteils affirmative Öffentlichkeit, sondern sie stellt auch die Konstitution naturzerstörerischer, auf die Anhäufung von materiellem Wohlstand getrimmter Subjektivitäten in Frage.

Herrschaft ist nicht etwas, das Individuen von außen übergestülpt, sondern sie wird von ihnen internalisiert und dadurch auch reproduziert. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass trotz des Klimahypes die herrschenden, emissions-intensiven Konsummuster (motorisierter Individualverkehr, hoher Fleischkonsum etc.) munter weiter praktiziert werden. In vielen Ländern des Südens setzen sie sich derzeit machtvoll durch.

Grundlegende Veränderungen gehen nur zum Teil über große Brüche vonstatten. Sie benötigen Zeit und erfordern Lern- und Suchprozesse, in denen konkrete Alternativen zu herrschaftsförmigen Problemlösungen entwickelt werden und ein Erfahrungsaustausch über aktuelle Praktiken ermöglicht wird. Ob und wie sich grundlegende Alternativen in staatlichen Politiken oder in veränderten Produktions- und Konsumnormen verdichten, ist eine Frage sozialer Auseinandersetzungen als Teil emanzipatorischer Lernprozesse. Solche Prozesse - nicht zuletzt: Prozesse der Teilhabe - werden vom Klimahype, von dem damit erzeugten Zeitdruck und der Suche nach schnellen Antworten erschwert.

Es gehe darum, so soll uns glauben gemacht werden, "die Welt" zu retten, und dabei sei Eile geboten. Genau damit wird aber ein herrschaftsförmiger Umgang mit der sozial-ökologischen Krise favorisiert, während Alternativen, die tagtäglich und weltweit in vielfältigen sozialen Konflikten entwickelt und praktiziert werden, als zu geringfügig entwertet oder gar unsichtbar gemacht werden. Insbesondere Staaten und Unternehmen - sekundiert durch Medien und den "Druck" aus der sog. Zivilgesellschaft - reklamieren ihre Zuständigkeit. Der Staat suggeriert die Schaffung anderer Rahmenbedingungen, damit das kapitalistische und imperiale Normalgeschäft weitergehen kann. Die Unternehmen besetzen den Nachhaltigkeitsbegriff, um ihre Geschäfte weiter zu betreiben und zu legitimieren. Aus einer radikalen sozial-ökologischen wie auch internationalistischen Perspektive wird hingegen deutlich, dass die herrschenden Formen und Vorstellungen von (nachhaltiger) Politik und Produktion ein zentrales Problem sind.

Wichtig ist deshalb, soziale Rechte und politische Partizipationsrechte einzufordern und zu erkämpfen - und zwar nicht nur abstrakt. Die Erfahrungen, Kritiken und theoretischen Einsichten sozialer Bewegungen in Kämpfen um die Aneignung von Natur müssen als unabdingbarer Teil des nötigen Suchprozesses wahrgenommen werden. Oft verweisen sie auf Möglichkeiten eines weniger herrschaftsförmigen Umgangs mit Natur, die vom politischen und wissenschaftlichen Mainstream entweder vernachlässigt oder als lokale Nischenstrategie - angesichts der Tatsache, dass es ja ums globale Ganze (die Welt, die Zukunft der Menschheit etc.) gehe - abgetan werden.

Teil einer internationalistischen Strategie ist dabei nicht zuletzt, sozialen Bewegungen aus dem globalen Süden die Möglichkeit verschaffen, hier mit ihren Positionen gehört zu werden, und Wissen und Erfahrungen bezüglich schon entwickelter Widerstandsstrategien und Umgangsweisen zu teilen.

Der vorliegende Diskussionsbeitrag entstammt aus dem Kreis des sich gegenwärtig formierenden Arbeitsschwerpunkts Soziale Ökologie (ASSÖ) der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und wurde beim letzten BUKO-Jahreskongress im Mai 2008 intensiv diskutiert. Die BUKO versteht sich als Ort undogmatischer linker, herrschaftskritischer Debatten. Der Diskussionsbeitrag bezieht sich auf die derzeit - nicht zuletzt innerhalb des ASSÖ - geführte Debatte um emanzipatorische Perspektiven im Umgang mit der sogenannten "ökologischen Krise", die hier anhand des Klimawandels thematisiert wird. Ziel des Beitrags ist es, zu einer Positionierung innerhalb der Debatten um die Globale Öko-/Klimakrise anzuregen. @

* Dieser Text ist entstanden aus einem Seminar zum Thema Naturverhältnisse, das vom 8.-10. Februar 2008 in Meuchefitz stattgefunden hat sowie aus den folgenden Diskussionen. Es handelt sich um "work in progress", nicht um eine abschließende Positionsbestimmung.


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Quelle:
anti atom aktuell, Nr. 204/205 - Dezember 2009, S. 10-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2010