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ENERGIE/240: Lange Leitungen - Die Konflikte um Stromtrassen nehmen zu (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/11
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Lange Leitungen
Die Konflikte um Stromtrassen nehmen zu

von Helge May


Das Ziel ist klar: "Verhinderung der Leitung generell". Nicht mehr und nicht weniger. Gut 2500 Menschen aus Thüringen und Bayern haben sich inzwischen in der Interessengemeinschaft "Achtung Hochspannung" zusammengeschlossen. Von Halle bis nach Schweinfurth soll die 380-Kilovolt-Leitung einmal führen. Erfurt ist bereits erreicht, längst läuft die weitere Planfeststellung.

380 Kilovolt bedeuten 60 Meter hoch aufragende Strommasten entlang einer 70 Meter breiten Trasse - "in bewaldeten Abschnitten 100 Meter", so der Bauherr und Netzbetreiber 50Hertz Transmission GmbH. Auf den anstehenden 210 Kilometern Neubaustrecke werden sich "bewaldete Abschnitte" wohl nicht vermeiden lassen, denn die 250 Millionen Euro teure Trasse führt mitten durch den Thüringer Wald. Wahrlich keine schönen Aussichten für so manche Fremdenverkehrsgemeinde, für Naturschützer und für Anwohner, die die Entwertung von Grundstücken ebenso fürchten wie Gesundheitsrisiken.


Proteste überall

Schon heute sind zwei Dutzend "vordringliche Leitungsbauvorhaben" per Bundesgesetz festgelegt, fast überall regt sich Protest. In Brandenburg zum Beispiel haben sich an 30 Orten Bürgerinitiativen gegründet, in Südniedersachsen demonstrieren Landwirte und Bürgermeister Hand in Hand.


Geht es nach den allerdings in Fachkreisen umstrittenen Berechnungen der Deutschen Energie-Agentur (Dena), müssten bis 2020 weitere 3600 Kilometer Hochspannungsleitungen folgen. Konflikte sind vorgezeichnet, wie kommt man da voran? "Die Dynamik, mit der nach der Wiedervereinigung Autobahnen und Schienentrassen in den neuen Ländern gebaut wurden, muss heute das Vorbild für die Realisierung der Energiewende sein", wünscht sich Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Notfalls müsse man halt "naturschutzrechtliche Vorschriften suspendieren", meint sein Parteifreund, Hessens Wirtschaftsminister Posch.


Mit offenen Karten

Das sieht NABU-Energieexperte Elmar Große Ruse ganz anders: "Je mehr Behörden und Konzerne mauern, desto größer wird der Widerstand. Die Beteiligung muss frühzeitig, umfassend und transparent erfolgen. Das im Sommer verabschiedete Gesetzespaket zur Energiewende sorgt hier für ein deutlich verbessertes Planungsverfahren mit mehr Möglichkeiten zur Beteiligung der Öffentlichkeit. Auch die Netzbetreiber müssen dabei ihre Karten offenlegen. Bisher hieß es immer 'Geschäftsgeheimnis', wenn es um die konkreten Lastflussdaten, also die transportierten Strommengen ging. Ob eine neue Leitung nötig ist, kann man so natürlich nicht nachvollziehen. Jetzt entscheidet die Bundesnetzagentur und letztendlich der Bundestag über den tatsächlichen Ausbaubedarf."

Die von der Dena genannten Zahlen hält Große Ruse für zu hoch angesetzt. Grundsätzlich ist ein weiterer Netzbausbau aber mittel- und langfristig unvermeidlich, der Strom muss von den Erzeugern zu den Verbrauchern. Doch wie viel Strom und auf welche Weise?


Transporte minimieren

Sinkt der Stromverbrauch, muss auch weniger transportiert werden. Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Effizienzsteigerung verringern daher dauerhaft den Ausbaubedarf. Zur Entlastung von Leitungen und zur Netzstabilisierung gilt es außerdem, Spitzen bei der Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien abzupuffern und Strom vor Ort zwischenzuspeichern. Vor allem in der Industrie kann man die Produktion stärker danach ausrichten, wann besonders viel Strom angeboten wird. Umgekehrt lassen sich Gasturbinen sowie Kraft-Wärme-Anlagen und die Verstromung in Biogasanlagen deutlich besser als bisher koordinieren, so dass nur dann Strom bereitgestellt wird, wenn er auch benötigt wird.

Ebenfalls vor dem weiteren Ausbau sollten die bestehenden Netze optimiert werden. Das kann eine Umrüstung auf eine höhere Spannung sein oder der Einsatz von Hochtemperaturseilen mit besserer Übertragungskapazität.


Unter die Erde

Wo dennoch neu gebaut werden muss, bietet sich als Alternative zur Freileitung eine Erdverkabelung an. Das minimiert die elektromagnetische Strahlung, es können keine Vögel mehr verunglücken und die Landschaft wird nicht "verschandelt". Erdkabel sind andererseits vergleichsweise teuer und Höchstspannungskabel mit 380 Kilovolt sind noch in der Versuchsphase. Bis einschließlich 110 Kilovolt allerdings sollten Erdkabel in jedem Fall das Mittel der Wahl sein.


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Ohne Speicher geht es nicht

Stromerzeugung und -verbrauch sind nicht immer und überall in Einklang zu bringen. Das gilt umso mehr, je stärker wir die klimafreundlichen aber unsteten Energiequellen Wind und Sonne nutzen. Strom muss also in Zeiten des Überflusses gespeichert werden, um ihn bei höherer Nachfrage wieder ins Netz einzuspeisen. Dazu werden bisher vor allem Pumpspeicherkraftwerke eingesetzt. Mit überschüssigem Strom wird Wasser nach oben in den Speichersee gepumpt. Bei Bedarf wird das Wasser wieder abgelassen, dieses treibt eine Turbine an, so dass wieder Strom entsteht. Je größer die Höhendifferenz und das Volumen der Speicherbecken ist, desto mehr Energie kann gespeichert werden.

Das System ist bewährt und hat einen hohen Wirkungsgrad, es geht bei der Umwandlung also wenig Energie verloren. Die Kehrseite: Pumpspeicher bedeuten immer erhebliche Eingriffe in Natur und Landschaft. Kein Wunder also, dass Neubauvorhaben vor Ort auf wenig Gegenliebe stoßen. Besonders in Baden-Württemberg, wo unter anderem in Atdorf und Forbach große Pumpspeicher entstehen sollen, schlagen die Wogen hoch.

Dabei hat sich der NABU-Landesverband inzwischen grundsätzlich für den "zeitnahen Bau von Pumpspeicherwerken" ausgesprochen. "Ob wir aber den Standorten Atdorf oder Forbach zustimmen, ist noch offen", so der Landesvorsitzende Andre Baumann.

So müsste in Atdorf für das Oberbecken eine Bergkuppe abgetragen und in einen riesigen Betonsee umgebaut sowie das Haselbachtal für das Unterbecken zu einem Stausee umgewandelt werden. Außerdem gefährdet das Projekt streng geschützte Moore sowie Vorkommen des vom Aussterben bedrohten Steinschmätzers. Andererseits weiß Baumann: "Die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif."


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Demonstration gegen die geplante Hochspannungsleitung durch den Thüringer Wald. Die Proteste richten sich auch gegen eine zu späte Bürgerbeteiligung und intransparente Bedarfsrechnungen.

Leitungskilometer sind nicht gleichbedeutend mit Trassenkilometern. Durch die Bündelung von Leitungen lässt sich der Neubau von Stromtrassen minimieren.

http://www.nabu.de/nabu/nh/2011/4/14251.html


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/11. S. 16-17
(Text in der Internet-Fassung)
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2012