Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL - Presseinformation, 08.08.2023
Zwei Drittel der weltweiten Artenvielfalt lebt im Boden
Der Boden ist der artenreichste Lebensraum der Erde. Zu diesem Schluss kommt eine Übersichtsstudie eines Schweizer Forschungsteams. Demnach leben zwei Drittel aller bekannten Arten im Boden. Pilze sind die Gruppe mit den meisten bodenlebenden Arten, nämlich etwa 90 Prozent, gefolgt von den Pflanzen mit ihren Wurzeln.
Korallenriffe, die Tiefsee oder die Baumkronen der Regenwälder gelten als die Hotspots der Artenvielfalt. Sie alle werden jedoch von den Böden abgehängt: Gemäss einer neuen Studie sind die Böden weltweit die artenreichsten Ökosysteme. Ihre Bedeutung für die menschliche Ernährung ist enorm, und der Anteil der Böden weltweit, die als beeinträchtigt oder zerstört gelten, wächst stetig. Ein Forschertrio unter Leitung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL hat nun erstmals eine Schätzung der globalen Artenvielfalt der Böden gemacht.
Die Forscher der WSL, der Universität Zürich und der
landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Agroscope durchsuchten dafür die
bestehende Fachliteratur, oder sie werteten bestehende Datensätze über
die in Böden bestimmten Arten erneut aus. Ihre Ergebnisse deuten
darauf hin, dass zwei Drittel aller Arten im Boden leben, berichten
sie im renommierten Fachjournal PNAS. Dies ist mehr als doppelt so
hoch wie frühere Schätzungen über den Artenreichtum des Bodens. Nach
ihnen lebten nur 25 Prozent aller Arten im Boden.
Typischer Bodenbewohner: Der Springschwanz (Dicyrtomina minuta)
auf Schneckeneiern.
Foto: © Andy Murray
Die Gruppe mit dem höchsten Anteil an im Boden lebenden Arten sind die
Pilze - 90 Prozent von ihnen leben dort. Es folgen Pflanzen mit ihren
Wurzeln mit 86 Prozent Anteil. Regenwürmer und Weichtiere wie
Schnecken kommen auf 20 Prozent. «Vor allem aber für die ganz kleinen
Organismen wie Bakterien, Viren, Archaeen, Pilze und Einzeller hat
noch niemand eine Schätzung der Vielfalt versucht», sagt der
Erstautor, Mark Anthony von der WSL. Dabei sind gerade sie
entscheidend für das Rezyklieren von Nährstoffen im Boden, für die
Kohlenstoffspeicherung, sowie wichtig als Krankheitserreger und
Partner der Bäume.
Zusammenstellung der Biodiversität im Boden
Diversität der wichtigsten Lebensformen im Boden. A) Felsenspringer
(© F. Ashwood), B) Springschwanz (© H. Conrad), C)
Stickstoff fixierende bakterienhaltige Knöllchen auf Kleewurzel
(© M. van der Heijden), D) Raubmilbe (© H. Conrad), E) Assel
(© F. Ashwood), F) von Ektomykorrhizapilzen besiedelte
Kiefernwurzel (gelb) (© M. Anthony), G) Regenwurm (© G.
Brändle), H) Nematode (© A. Murray), I) von arbuskulären
Mykorrhizapilzen besiedelte Maiswurzel (blau) (© F. Bender), J)
Springschwanz (© F. Ashwood), K) ein häufiges Bodenbakterium
Bacillus (Creative Commons Attribution-Share Lizenz, Foto von M. Das
Murtey und P. Ramasamy), L) Hornmilbe (© H. Conrad), M),
Pseudoskorpion (© F. Ashwood), N) Phage, der ein Bodenbakterium
infiziert (© T. de Carvalho), O) Tausendfüssler (© F.
Ashwood).
Da die Datenlage zur Bodenvielfalt äusserst lückenhaft ist - insbesondere im globalen Süden -, weisen die Resultate der Studie teilweise riesige Bandbreiten auf. Bei Bakterien zum Beispiel liegt der Mittelwert bei 40 Prozent im Boden lebender Arten - die Spanne reicht aber von 25 bis 88 Prozent. Auch bei Viren, die hauptsächlich als menschliche Krankheitserreger erforscht werden, sind die Unsicherheiten enorm. Entsprechend wappnen sich die Autoren für einige Kritik an ihren Methoden und Schlussfolgerungen. «Unsere Arbeit ist ein erster, aber wichtiger Versuch abzuschätzen, welcher Anteil der globalen Artenvielfalt im Boden lebt», sagt Anthony.
Das Ziel sei es, die Basis für dringend notwendige Entscheidungen zum
Schutz der Böden und ihrer Lebewesen weltweit zu liefern. «Die Böden
stehen enorm unter Druck, sei es durch landwirtschaftliche
Intensivierung, den Klimawandel, invasive Arten und vieles mehr»,
betont Anthony. «Unsere Studie zeigt, dass die Vielfalt in den Böden
gross und entsprechend wichtig ist und sie somit im Naturschutz viel
stärker berücksichtigt werden sollte.»
Grafischer Überblick über den Anteil der im Boden lebenden Arten. Die
Donuts zeigen den prozentualen Anteil der Arten im Boden im Vergleich
zu allen anderen Ökosystemen zusammen (z. B. Meer, Süsswasser, bebaute
Umwelt, Wirtsorganismen wie der Mensch). Der grössere Donut oben zeigt
den Gesamtanteil der Arten, und die kleineren Donuts zeigen die
einzelnen Anteile der artenreichsten und bekanntesten Gruppen,
geordnet von der grössten bis zur geringsten Spezialisierung im
Boden.
Quelle: © WSL-Presseinformation vom 8. August 2023
Originalpublikation:
M.A. Anthony, F.S. Bender, M. van der Heijden (2023). Enumerating soil
biodiverstiy. PNAS, https://doi.org/10.1073/pnas.2304663120.
Weitere Informationen:
https://www.wsl.ch/de/newsseiten/2023/08/zwei-drittel-der-weltweiten-artenvielfalt-lebt-im-boden.html
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL - Presseinformation, 08.08.2023
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 8. August 2023
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