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FORSCHUNG/803: Klimawächter im All - Zehn Jahre SCIAMACHY auf ENVISAT (Universität Bremen)


Universität Bremen - 28. Februar 2012

Klimawächter im All: Zehn Jahre SCIAMACHY auf ENVISAT


Wie hat sich unsere Ozonschicht in den letzten zehn Jahren verändert? Wie beeinflussen Spurengase wie Stickstoffoxide, Kohlendioxid und Methan unser Klima? Wie wirken Umweltschutzmaßnahmen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich europäische Forscher, als vor zehn Jahren - am 28. Februar 2002 - der europäische Umweltsatellit ENVISAT auf einer der ersten Ariane-5-Raketen seine Reise ins All antrat. Mit an Bord des größten je gebauten Erdbeobachtungssatelliten war das deutsch-niederländisch-belgische "Scanning Imaging Absorption Spectrometer for Atmospheric Chartography" - kurz SCIAMACHY - das etwa zur Hälfte mit Mitteln des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) finanziert wurde. Die wissenschaftliche Leitung liegt bei Prof. John P. Burrows am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen. Dort und in Zusammenarbeit mit dem DLR in Oberpfaffenhofen werden die Daten systematisch ausgewertet und interpretiert. Und diese Daten haben unser Weltbild im vergangenen Jahrzehnt entscheidend beeinflusst.

Grafik: © ESA

Abbildung 1: ENVISAT im All.
Grafik: © ESA

Eine Karte der Ozonschicht

Als Teil unserer Atmosphäre schützt die Ozonschicht in 15 bis 50 Kilometer Höhe (der Stratosphäre) unsere Erde vor kurzwelliger, ultravioletter Strahlung. Die energiereiche UVStrahlung der Sonne trifft auf Sauerstoff in Form von O2 und wandelt ihn in Ozon (O3) um. Dessen erhöhte Konzentration in der Stratosphäre absorbiert die UV-Strahlung, und wird dabei wieder in gewöhnlichen Sauerstoff zurückverwandelt - der sogenannte Ozon-Sauerstoff-Zyklus. Dabei bleibt die Ozonkonzentration normalerweise im Gleichgewicht. Dieses Gleichgewicht wurde im letzten Jahrhundert durch vom Menschen gemachte chemische Substanzen - insbesondere Fluorchlorkohlenstoff-Verbindungen (FCKW) - gestört, was zur Bildung des Ozonlochs über dem Südpol führte und weltweit zu einer Ausdünnung der Ozonschicht. In Aneinanderreihung der Daten von SCIAMACHY mit denen seines Vorgänger-Sensors GOME (auf dem Satelliten ERS-2) wird die Ozonschicht und die Entwicklung des Ozonlochs seit 1996 kontinuierlich kartiert. Obwohl die ozonzerstörenden chemischen Stoffe (FCKWs etc.) nach deren Verbot durch das Montreal-Protokoll vor 25 Jahren in der Stratosphäre inzwischen auf dem Rückzug sind, kommt es durch Luftströmungen zu überraschenden Effekten. So wurde zum Beispiel erstmals ein "Ozonloch" über dem Nordpol beobachtet. Allerdings tauchte es im gesamten Beobachtungszeitraum nur zweimal auf: im Winter 1996/1997 und im Winter 2010/2011. Neben der Ozonkonzentration werden von SCIAMACHY auch Chlor-, Brom- und Stickstoffverbindungen weltweit erfasst, die ebenfalls direkt am Ozonabbau beteiligt sind.

Grafik: © M. Weber, Institut für Umweltphysik, Universität Bremen

Abbildung 2: Zeitliche Entwicklung der Ozonschicht im März über dem Nordpol für die Jahre 1996 bis 2011
Grafik: © M. Weber, Institut für Umweltphysik, Universität Bremen

Wie wirken Umweltschutzmaßnahmen?

Der Luftschadstoff Stickstoffdioxid entsteht bei Verbrennungsprozessen - vor allem in Kraftwerken und im Straßenverkehr. Diese oxidierte Form des Stickstoffs sorgt für Smogbildung in Ballungsräumen und schädigt in hohen Konzentrationen insbesondere in Kombination mit Feinstaub die Atmungsorgane. SCIAMACHY-Daten zeigen, dass Umweltschutzmaßnahmen tatsächlich wirken und sich von Satelliten aus beobachten lassen. Ein deutsch-amerikanisches Wissenschaftsteam konnte so z.B. nachweisen, dass in einigen Gebieten der USA die Stickstoffdioxidbelastung zwischen 1999 und 2006 um bis zu 35 Prozent zurückging. Der Grund: In drei großen Kohlekraftwerken wurden emissionsmindernde Maßnahmen durchgeführt. Dagegen konnten die Forscher in Ballungsgebieten, wo die Luft vor allem durch den Straßenverkehr mit Stickoxiden belastet wird, keine Verbesserungen feststellen. Für weite Teile Europas konnte für den Zeitraum der letzten 15 Jahre eine Verbesserung der Luftqualität durch Umweltschutzmaßnahmen nachgewiesen werden.

Grafik: © Kim, S.-W., A. Heckel, S. A. McKeen, G. J. Frost, E.-Y. Hsie, M. K. Trainer, A. Richter, J. P. Burrows, S. E. Peckham, and G. A. Grell (2006)

Abbildung 3: Nachweis des deutlichen Rückgangs der Stickstoffdioxid-Konzentration in den USA zwischen 1999 und 2006 durch verbesserte Abgasreinigung von Kohlekraftwerken. Exemplarisch eingezeichnet sind einige Standorte großer Kohlekraftwerke
Grafik: © Kim, S.-W., A. Heckel, S. A. McKeen, G. J. Frost, E.-Y. Hsie, M. K. Trainer, A. Richter, J. P. Burrows, S. E. Peckham, and G. A. Grell (2006)
Satellite observed U.S. power plant NOx emission reductions and their impact on air quality, Geophys. Res. Lett., 33, L22812, doi:10.1029/2006GL027749).

Explosionsartiges Wirtschaftswachstum - explosionsartige Umweltprobleme?

Eine starke Zunahme bei Stickstoffdioxid sieht SCIAMACHY in Ländern und Gebieten mit stark wachsender Wirtschaft - insbesondere in China. Anders als Stickstoffdioxid verhält sich aber Schwefeldioxid, das ebenfalls durch die Verbrennung von Erdöl und Kohle entsteht. Während die Stickstoffdioxid-Konzentration nach einer kurzen Atempause in Folge der Wirtschaftskrise 2008 und nach den vorübergehend wirkenden Luftreinigungsmaßnahmen im Zuge der Olympischen Spiele 2008 inzwischen wieder ansteigt, verringerte sich die Luftbelastung durch Schwefeldioxid seit 2007 deutlich. Das liegt daran, dass auch China umweltbewusster wird: In Kohlekraftwerken wurden systematisch Rauchgasentschwefelungs-Anlagen eingeführt.

Grafik: © A. Richter, IUP Universität Bremen

Abbildung 4: Weltweite Änderung der NO2-Konzentration zwischen 2003 und 2010. Während in großen Teilen der USA und Europas eine deutliche Abnahme beobachtet wird, sind die Konzentrationen in China stark angestiegen. Zudem ist ein deutlicher Anstieg für verschiedene Ballungszentren in Osteuropa, dem Nahen Osten und Indien zu beobachten
Grafik: © A. Richter, IUP Universität Bremen

Grafik: © A. Richter, IUP Universität Bremen

Abbildung 5: Zunahme der NO2-Säulen über Zentralchina von 1996 bis 2011. Die Daten von 1996 bis 2002 stammen von GOME auf ERS-2, die nachfolgenden von SCIAMACHY. Die jährliche Schwankung resultiert aus jahreszeitlichen Änderungen in der atmosphärischen Lebensdauer von NO2 und im Energieverbrauch
Grafik: © A. Richter, IUP Universität Bremen

Grafik: © A. Richter, IUP Universität Bremen

Abbildung 6: Variation der SO2-Säulen über Zentralchina von 1996 bis 2011. Die Daten von 1996 bis 2002 stammen von GOME auf ERS-2, die nachfolgenden von SCIAMACHY. Die jährliche Schwankung resultiert z.B. aus jahreszeitlichen Änderungen im Energieverbrauch. Der erhöhte Wert im Juni 2011 ist auf eine SO2-Wolke vulkanischen Ursprungs zurückzuführen
Grafik: © A. Richter, IUP Universität Bremen

Einfluss von Kohlendioxid und Methan auf den Klimawandel

Die weltweite Verteilung der wichtigen Treibhausgase Kohlendioxid (CO2) und Methan kann SCIAMACHY vom Weltraum aus erstmalig kartieren. Das hilft dabei, zu verstehen, wo sich die natürlichen und die "vom Menschen gemachten" Quellen und Senken dieser Treibhausgase befinden. Wie wirksam sind diese Quellen und Senken? Wie beeinflussen sie den Klimawandel? Werden gar wichtige Senken wie ausgedehnte Waldgebiete, die derzeit einen Großteil unserer CO2-Emissionen aufnehmen, durch den Klimawandel in Zukunft zu Quellen, die diesen dann weiter beschleunigen? Verstärkt der Temperaturanstieg in Feuchtgebieten die Methan-Emission?

Grafik: © M. Buchwitz, IUP Universität Bremen

Abbildung 7: Karte der weltweiten Verteilung von Kohlendioxid über Land, der jahreszeitlichen Variation und des mittleren Anstiegs für die Jahre 2003-2011
Grafik: © M. Buchwitz, IUP Universität Bremen

Grafik: © M. Buchwitz, IUP Universität Bremen

Abbildung 8: Karte der weltweiten Verteilung von Methan, der jahreszeitlichen Variation und des mittleren Anstiegs für die Jahre 2003-2009
Grafik: © M. Buchwitz, IUP Universität Bremen

Die systematischen Beobachtungen mit SCIAMACHY konnten zur Verbesserung der Bestimmung von Methan aus Feuchtgebieten und zum besseren Verständnis des Kohlenstoffbudgets borealer Wälder beitragen, und sie helfen damit, die wichtigen Fragen des Klimawandels genauer zu erforschen und Abhilfe-Maßnahmen zu erarbeiten.


Was kommt nach ENVISAT?

Noch funktionieren SCIAMACHY und ENVISAT tadellos und ein Betrieb bis mindestens 2014 wird angestrebt. Allerdings geht der Treibstoffvorrat unaufhaltsam zur Neige. Für die Zeit nach SCIAMACHY plant die Europäische Raumfahrtagentur in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und dem Wettersatellitenbetreiber EUMETSAT die sogenannten "Sentinel"-Missionen S4, S5 und S5P. Dabei bauen S5P und S5 auf den mit SCIAMACHY gewonnen Erkenntnissen auf, und Sentinel 4 - ursprünglich als GeoSCIA unter der Leitung des Instituts für Umweltphysik der Universität Bremen vorgeschlagen - überträgt das Messprinzip in den geostationären Orbit. Fast alle begonnen Datenreihen werden durch diese Satellitenmissionen fortgesetzt. Eine wichtige Ausnahme bildet, neben den zukünftig fehlenden Beobachtungsmöglichkeiten zur höhenaufgelösten Kartierung der Ozonschicht ausgerechnet das wichtigste, vom Menschen freigesetzte Treibhausgas: Kohlendioxid. Hier hinterlässt ENVISAT eine große Lücke, die nicht ohne weiteres geschlossen werden kann. Daher hat ein internationales Wissenschaftlerteam unter der Leitung des Instituts für Umweltphysik der Universität Bremen im Jahr 2010 der ESA CarbonSat als spezialisierte CO2 und Methan Mission vorgeschlagen. CarbonSat wurde von der ESA für eine Phase A/B1 Studie ausgewählt und könnte als sogenannte "Earth Explorer Mission" 2019 starten. Ob SCIAMACHY auf ENVISAT bis dahin in Betrieb gehalten werden kann wird die Zukunft zeigen.


Kontakt:

Universität Bremen, FB 1, Institut für Umweltphysik

Prof. John P. Burrows
Telefon: 0421-218 62100
Fax: 0421 - 218 4555
E-Mail: burrows[at]iup.physik.uni-bremen.de

Dr. Stefan Noël
Telefon: 0421-218 62090
Fax: 0421 - 218 4555
E-Mail: stefan.noel[at]iup.physik.uni-bremen.de

Dr. Heinrich Bovensmann
Telefon: 0421-218 62102
Fax: 0421 - 218 4555
E-Mail: heinrich.bovensmann[at]iup.physik.uni-bremen.de


Web links:
www.iup.uni-bremen.de
www.dlr.de
www.esa.int


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 83, 28.02.2012
Universität Bremen
Bibliothekstraße 1, 28359 Bremen
Tel.: 0421/218-1
Pressestelle:
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-bremen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2012