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GARTEN/254: Multikulti im naturnahen Garten (Vogelschutz)


Vogelschutz - 4/2012
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Multikulti im naturnahen Garten

von Birgit Helbig



Wenn wir von naturnahen Gärten sprechen, so meinen wir damit gestaltete Lebensräume, in denen sich möglichst viele heimische Tierarten aufgrund des gebotenen Pflanzenangebotes wohlfühlen. Wir bieten ihnen Nahrung und möglichst vielfältige Strukturen für ihre Wohn- und Brutstätten. Jedoch ist auch ein naturnaher Garten immer das Ergebnis jahrhundert-, ja jahrtausendalter Gartentradition, Und nur ein verschwindend kleiner Bruchteil unserer heutigen Gartenpflanzen ist wirklich "heimisch", also definitionsgemäß seit mindestens 200 Jahren hier vorkommend.

Dabei sind es nicht nur alteingesessene Arten, die der Artenvielfalt nutzen können. So ist zum Beispiel die Buddleia, auch als Schmetterlingsstrauch bekannt, neben Rau- und Glattblattastern ein beliebter Treffpunkt nicht nur für Schmetterlinge, obwohl die Pflanzen ursprünglich aus China und Amerika zu uns kamen. Doch auch das Gegenteil gibt es: So sind die beliebten Forsythien aus Ostasien oder der Essigbaum aus Nordamerika, wenn auch unbestrittenermaßen dekorativ, für die heimische Tierwelt praktisch wertlos.

Der Drang, exotische Pflanzen zu kultivieren, ist schon aus der Zeit 1.500 vor Christus belegt, als die Pharaonin Hatschepsut eingetopfte Weihrauchpflanzen an ihren Hof brachte. Die Römer brachten ihre mediterranen Kräuter und Nutzpflanzen mit nach Germanien, wo sie in den Klostergärten des Mittelalters weiter kultiviert wurden. Eine der ersten reinen Zierpflanzen dürfte die Madonnenlilie sein, die in Syrien bereits 2.000 vor Christus kultiviert und über 3.000 Jahre später in den Klöstern als Symbol für die Reinheit der Muttergottes gepflegt wurde. So entstand schon früh ein stetiger Austausch von Pflanzen über Kontinente hinweg, z.B. über die legendäre Seidenstraße.


Neubürger hinterlassen Spuren

Ein einschneidender Wandel vollzog sich in unseren Gärten mit der Entdeckung Amerikas und der nachfolgenden Einführung ungezählter Pflanzen aus der neuen Welt. Vor allem bei den Nutzpflanzen haben z. B. Kartoffeln, Tomaten oder Mais nicht nur die Essgewohnheiten, sondern auch die Landwirtschaft nachhaltig verändert. Viele der mitgebrachten Zierpflanzen erwiesen sich jedoch als zu frostempfindlich und verschwanden bald wieder. Andere wie die Kanadische Goldrute eroberten sich neuen Lebensraum auch außerhalb der Gärten. Zusammen mit weiteren expansiven "Neubürgern" aus Asien wie Drüsigem Springkraut oder Japanischem Knöterich sind sie eine ernsthafte Bedrohung für standortgebundene heimische Spezialisten, die sie ob ihrer aggressiven Vitalität einfach verdrängen.


Zwischen "pflegeleicht" und Wildwuchs
In den ausgehenden 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebten dann meist exotische Koniferen einen ungeahnten Aufschwung. Seitdem bestimmen "pflegeleichte", aber ökologisch weitgehend wertlose Thujahecken bis heute viele unserer Hausgärten.

Dieter Wieland, visionärer Autor von "Grün kaputt", forderte 1983 eine Rückkehr zur Vielfalt und eine Besinnung auf das, was Natur ausmacht: Artenvielfalt, eine Bepflanzung, die auch regionalen Bezug hat und zudem "Wildwuchs" als gestalterisches Element zulässt. Auf die Spitze getrieben durch Dr. Reinhard Witt und seine Naturgartenfreunde, der Aussaaten auf extrem abgemagerten Böden bevorzugt und gerne den Garten dem Wandel der Vegetation im Lauf der Zeit mit möglichst wenigen Eingriffen überlässt - ein "Garten" in stetiger Wandlung und Anpassung nach dem Vorbild der Natur, der sich dem Gestaltungsdrang des Gärtners weitgehend entzieht.

"Den" Naturgarten gibt es also nicht. Er ist weniger Abbild der freien Natur oder "Nachbau" gewachsener Biotope als vielmehr ein unserer eigenen schöpferischen Phantasie entsprungenes Momentbild gärtnerischer Auswahl aus einem schier unüberschaubaren Angebot von Wildformen und Kulturpflanzen, die aus allen Kontinenten unserer Welt stammen können. Daraus einen lebenswerten Raum für eine vielfältige Natur und den Menschen zu schaffen und zu erhalten, ist eine Kunst. Natürliche Biotope kann er jedoch niemals ersetzen. Ein naturnaher Garten kann jedoch als biologischer Trittstein zu deren Vernetzung dienen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Auch wenn die im Garten meist verwendeten Asternarten aus China oder Nordamerika zu uns kamen bieten sie heimischen Insekten dennoch reichlich Nektar

- In einer bunten Gartengesellschaft wie dieser sind meist Pflanzen aus aller Welt zu finden

- Drüsiges Springkraut (links) und Kanadische Goldrute (Mitte) gehören zu den aus Gärten entflohenen Pflanzen, die zu einem ernsten Problem für die heimische Fauna geworden sind

- Die Madonnenlilie gehört zu den ältesten eingeführten Zierpflanzen

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Quelle:
Vogelschutz - 4/2012, Seite 36 - 37
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V.
Verband für Arten- und Biotopschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2013