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ALTLASTEN/008: Konkretere Bewertungskriterien für Uranbergbaualtlasten - eine zeitgemäße Forderung (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 714-717 / 30. Jahrgang, 6. Oktober 2016 - ISSN 0931-4288 (Doppelnummer Okt. + Nov. 2016)

Atommüll
Konkretere Bewertungskriterien für Uranbergbaualtlasten - eine zeitgemäße Forderung im Rahmen der EURATOM 2013/59

von Frank Lange (1)


Dieser Fachbeitrag legt die Mängel der Bewertung der radiologischen Relevanz von Uranbergbau-Altlasten in Deutschland offen. Am Beispiel des Sanierungsverlaufes mit einer Vielzahl positiver Sanierungsergebnisse der bundeseigenen Wismut GmbH im Raum Ronneburg zeigen sich die Schwächen eines sich zaghaft entwickelnden Regelwerkes, die bereits durch fehlende (vor 2001) und dann nichtparitätische Vorgaben der Strahlenschutzverordnung ihren Ausgangspunkt nahmen. Die formal juristische Unterscheidung zwischen Sanierungs- und Nichtsanierungsstandorten, unabhängig vom jeweiligen radioaktiven Potential, führte zu ungleichen fachlichen Bearbeitungsebenen mit unterschiedlichen Bewertungsalgorithmen. Die folgende Untersuchung plädiert für gleiche Bewertungsmaßstäbe unabhängig von der Rechtsträgerform für die Uran-Altlasten. Zur sinnvollen Offenlegung tatsächlicher Umweltbelastungen und -gefahren durch Uran-Altstandorte wurden Vorschläge zur Verbesserung des Wertungsstandards an zwei konkreten Praxisbeispielen erarbeitet.


Obwohl der seit 1991 in Sachsen und Thüringen tätige bundeseigene Uranbergbausanierer, die Wismut GmbH, ein neues Sanierungsprogramm für Restarbeiten und Langzeitaufgaben über einen kommenden Zeitraum von 2015 bis 2045 entworfen hat, ist die eigentliche Arbeit getan: der bergmännische Rückbau und Verwahrungsaufwand, die Revitalisierung der betroffenen Landschaft und insbesondere die Eliminierung der bevölkerungsrelevanten radioaktiven Belastungen. Letztere werden in Thüringen als einziges (und abgespecktes) Kriterium bei der Betrachtung von verbliebenen und nicht in den Genuss einer Sanierung gelangten Uranaltstandorten herangezogen. Im Gegensatz dazu bildete eine ganzheitliche Expositionsbetrachtung für Mensch und Umwelt bei den Sanierungsobjekten der Wismut GmbH die Basis für den Sanierungs-Umfang, -Aufwand und -Nachweis. Die standortspezifischen konkreten Bedingungen entschieden über Art und Umfang der Einbeziehung maßgebender sogenannter Expositionspfade. Beginnend bei der örtlichen Auswahl und Festlegung der Messstellen, sind subjektive Faktoren zur Erfassung und Wertung von möglichen Einwirkungen nicht zu vermeiden.

Die verbliebenen Uranaltstandorte empfinden Thüringer Verantwortungsträger als abgelegene Orte, die für Anwohner keinerlei radiologische Belastung bedeuten und nur begrenzt und zufällig einen Belastungsherd erzeugen können. Also begrenzt auf Spaziergänger, Freizeitsportler, Pilzsucher, einige Forstarbeiter und Landwirte, zuletzt auch auf Besucher von Abenteuerspielplätzen [7].

Umfang und Herangehensweise der radiologischen Bewertung unterscheiden sich bei Alt- und Sanierungsstandorten erheblich. Das Thüringer Landesbergamt stützt sich dabei auf die gleichen Grundlagen, so dass von ambivalenten Ermessensspielräumen auszugehen ist. Die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) selbst enthält nur wenige konkrete Vorgaben, die durch "Empfehlungen" der Strahlenschutzkommission (SSK) und Anordnungen des Bundesumweltministerium bzw. des Bundesamtes für Strahlenschutz (BMU/BfS) Ergänzung fanden. Die StrlSchV vom 20.07.2001 [2] legt in Paragraph 46 eine zulässige Expositionsdosis für Einzelpersonen in Höhe von 1,0 Millisievert pro Jahr (mSv/a) fest, die durch das Regelwerk im Zusammenhang mit Uranaltstandorten lediglich als Richtwert angesetzt wird. Darüber hinaus widmet sich der Paragraph 118 [1] in Übernahme des DDR-Rechts der Berücksichtigung von Aktivitäten im Boden und Haldenkörpern,(2) allerdings begrenzt auf die Sanierung bzw. Sanierungsarbeiten.

Die Revitalisierung des ostdeutschen Uranbergbaus durch die bundeseigene Wismut GmbH war und ist zum Teil noch von umfangreichen Umweltüberwachungsprogrammen, dem sogenannten Monitoring, begleitet. Vor allem aus dieser Datenbasis heraus entwickelte sich in dem vergangenen viertel Jahrhundert ein Regelwerk mit diversen Bewertungskriterien. Zu den inzwischen mit technischen Sanierungsarbeiten (fast) abgeschlossenen Uranbergbaustandorten gehört das Umfeld der ostthüringischen Stadt Ronneburg, eine der bekanntesten und wichtigsten Orte für den ehemals sowjetisch-deutschen Uranabbau.

Anhand des Verlaufes der Radongehalte(3) der Außenluft dieser prädestinierten Bergbauregion werden im Folgenden die Rolle des sich entwickelnden Regel- und Verordnungswerkes für die Sanierung und dessen Eignung für teil- und unsanierte Uranaltstandorte aufgezeigt. Neben dem Radon finden alle wichtigen Bewertungskriterien aus dem Regelwert Beachtung.

Vielleicht klärt sich dabei die Frage, wieso die erheblichen Langzeitaufgaben für sanierte Gebiete erforderlich sind, dagegen Altstandorte mit vergleichbaren radioaktiven Potentialen keinerlei Aufwendungen in Thüringen erfordern?

Die REI Bergbau

Die Erfahrungen, die begleitend bei Stilllegung und Anlagenrückbau der Uranbergbauanlagen und deren kontaminierten Flächen im Sanierungsprozess bis 1996 in Sachsen und Thüringen gesammelt wurden, flossen in die seit 1997 nur für den Osten Deutschlands geltende "Richtlinie zur Emissions- und Immissionsüberwachung bei bergbaulichen Tätigkeiten" (die so genannte REI Bergbau [3]) ein. Sie enthält Vorgaben zu Art (Messgrößen), Umfang (Überwachungszyklen) und Methoden der Emissions- und der Immissionsüberwachung unter Beachtung bzw. Ermittlung der Ausbreitungsverhältnisse. Für die zuständigen Leitstellen der Länder zur Überwachung der Umweltradioaktivität wurden bei der Durchführung von Messungen die eigens entwickelten und angepassten Probeentnahme- und Messverfahren verbindlich. Man wollte damit auf wissenschaftlicher Grundlage den Überwachungsstellen einheitliche Messverfahren und deren Aus- bzw. Bewertungsalgorithmen an die Hand geben. Die Richtlinie stellt die Fortschreibung der DDR-Verordnungen VOAS(4) und HaldAO(5) dar. Die weiterbestehende Gültigkeit für den "Sonderfall" Stilllegung und Sanierung der Betriebsanlagen und -stätten des Uranbergbaus geschah dann durch Aufnahme in den Paragraphen 118 (Fortgeltung des DDR-Rechts) und in den Paragraphen 48 (Immissions- und Emissionsüberwachung bergbaulicher Tätigkeiten) der StrSchV [2].

Die Emissionserfassung betraf den Uran-, Radon-, Radonfolgeprodukte-Austrag und Aktivitätskonzentrationen radioaktiver Stäube, die bei Bergbau-Abwettern sowie radioaktiver Abluft und Abwässern anfallen können. Die bis dato Bezeichnung "radioaktiver Auswurf" änderte man in die harmlosere Bezeichnung "Ableitung". Immissionsseitig kamen gleiche und weitere Untersuchungen, z. B. auf Radium und die Ortsdosisleistung, hinzu. Einbezogen wird die Gesamtheit von Luft-, Boden- und Wasserpfad (hier Oberflächen-, Sicker- und Grundwasser) an sogenannten Einwirkungsstellen. Diese richten sich nach der erforderlichen Abbildung des Istzustandes, resultierend aus der Strahlenexposition der Ableitung und Freisetzung radioaktiver Stoffe durch die bergbauliche Tätigkeit, worunter auch Sanierungs- und Verwahrungsarbeiten gerechnet wurden.


Abb. 1: Radongehalt in der Außenluft Region Ronneburg (in Bq/m³). Überwachung 1991 bis 1997. Datenquellen: [13],[14]

Abbildung 1 stellt eine Wertung des Sanierungserfolges durch die Wismut GmbH für den Raum Ronneburg am Beispiel des Radongehaltes in der Außenluft dar, die mit als Grundlage für die REI Bergbau diente. Im Sommer- und Winterhalbjahr erfolgten entsprechende Dosimeter-Messungen. Durch die Unterteilung der Messpunkte in Nahbereich (bergbaulich beeinflusst) und Fernbereich (bergbaulich nicht beeinflusst) differenzierte man die Immissionsüberwachung.

Ziel der Unterteilung war die bessere Verdeutlichung eines natürlichen Hintergrundbereiches für die Region ohne Bergbaubelastung, aber auch eine "Entschärfung" des Durchschnittswertes der Radonbelastung der Region. Seit 1996/97 wurde die Unterscheidung üblich. Indem sich bergbaunahe Bereiche den ferneren annäherten, wurde ein Gesamt-Sanierungserfolg nachgewiesen. Daraus schlussfolgernd reduzierte die Wismut GmbH den Umfang des Messstellennetzes. Neben dem Ort stellt die Anzahl der Messpunkte eine wichtige Größe der Vergleichbarkeit der Datenreihen dar. Als Nahbereich wählte man Betriebsflächen und jeweils erste Wohnbebauungen in deren Nähe, aber auch unbewohnte Stellen. Diese bezeichnet man bis heute als "Nicht-Pegelmessstellen", im Fernbereich als "Pegelmessstellen". Eine Ermittlung von Kollektivdosen für die Bevölkerung war dabei allerdings nur überschlägig machbar, dagegen sind Individualbelastungen an der jeweiligen Messstelle unter Hinzuziehung von Annahmen, z.B. der Aufenthaltszeiten, ausweisbar. Es verwundert nicht, dass es im Betrachtungszeitraum der Abbildung 1 im Fernbereich ab 1993 zu keiner Feststellung von Überschreitungen der Bevölkerungsdosis kam (vgl. Tabelle 1). Der Nahbereich hatte lediglich Einzelfälle höherer Belastung aufzuweisen; auf den Betriebsflächen selbst galt ohnehin der Berufswert von 20 Millisievert pro Jahr (mSv/a).

Handlungsrichtlinien für die Umweltüberwachungen (Monitoringprogramme) wären schon bei Beginn der Sanierungsarbeiten der Wismut GmbH sinnvoll, sogar notwendig gewesen. Das Neuland der Sanierung bergbaubedingter Radioaktivität forderte auch hier Tribut. Die Praxis eilte, wie nicht selten bei nuklearen Problemen, theoretischen Kenntnissen voraus. Im konkreten Fall traf dies bereits für die Ermittlung zulässiger Restbelastungen bei den objektspezifischen Sanierungszielen und für die Ausweisung vorbergbaulicher natürlicher Strahlungspegel zu.

Wie die abnehmenden Durchschnittswerte in Abbildung 1 belegen, stellte sich heraus, dass Reduzierungen über und selbst bis 1 Millisievert pro Jahr infolge bergbaulich verursachter Mehrbelastung nicht (mehr) nötig waren, da diese insbesondere an Wohnstandorten, aber auch auf den meisten anderen Arealen gar nicht (mehr) erreicht wurden. Demzufolge hätte die Sanierung rein theoretisch eingestellt werden können bzw. sich auf wenige Maximalbereiche reduzieren lassen. Für den Erhalt sanierungsbedingter Strahlenschutzgenehmigungen führt die Wismut GmbH spezifizierte Umweltbewertungen durch. Sie beinhalten radiologische Untersuchungen und bewerten ein konkretes Sanierungsvorhaben im Vorfeld, um dem Optimierungsgebot des Strahlenschutzes gerecht zu werden. Die sich anschließenden Expositionspfadanalysen ergaben sanierungsbegleitende und die Sanierungsergebnisse überwachende Messprogramme, deren Messgrößen, -orte und -intervalle oft über den Anforderungen der REI Bergbau lagen, um einen Effekt überhaupt nachweisen zu können. Mitunter bestimmten aber auch erst die erreichbaren Ergebnisse der Praxis die Festsetzung der Zielgrößen. Im Wesentlichen geht es um den Betrag der Reduzierung möglicher Bevölkerungsexpositionen, die selbstredend eine bergbaubedingte Zusatzbelastung von 1 Millisievert pro Jahr in Anlehnung an Paragraph 46 StrlSchV unterschreiten müssen. Im Durchschnitt wurde im Zeitraum der Abbildung 1 in bewohnten Bereichen Ronneburgs dieser Wert bergbaubedingt nicht mehr erreicht.(6) So reduzierte sich die Größe des nachzuweisenden Reduzierungsbetrags für die ansässige Bevölkerung deutlich unter 1 mSv/a. Unter solchen Bedingungen dann einen höheren Belastungsnachweis aus Uranaltstandorten ableiten zu wollen, ist illusorisch.

Berechnungsgrundlagen Bergbau - BglBb

Parallel zur REI Bergbau [3] entstanden die Berechnungsgrundlagen Bergbau (BglBb) [4]. Das selbstgestellte Ziel der Strahlenschutzkommission lautet für die ersten Fassung der BglBb noch: "Die Berechnungsgrundlagen Bergbau dienen zur Ermittlung der Strahlenexposition in Interventionssituationen aufgrund erhöhter Umweltradioaktivität durch bergbauliche Hinterlassenschaften in den neuen Bundesländern." [4]

Bezogen auf die Bevölkerung sollten die Berechnungsgrundlagen der Einschätzung von Strahlenexpositionen im Rahmen von Altlasten- und Standortuntersuchungen dienen, sofern diese für expositionsverringernde Maßnahmen (also Sanierung) vorgesehen waren. Dabei galt und gilt 1 Millisievert pro Jahr als einzuhaltender Dosisrichtwert bei der Realisierung der Arbeiten (Intervention).

Die Anwendung bei Nutzung, Sanierung und Folgenutzung aller Uranbergbauflächen und -einrichtungen, Altlasten und Sanierungsgebieten der Wismut GmbH erhielt in der aktuellen Fassung von 2010 in einem wichtigen Punkt Präzisierung: "Die Berechnungsgrundlagen Bergbau beschränken sich auf die Angabe von Verfahren zur Berechnung der bergbaubedingten Strahlenexposition. Sie enthalten keine materiellen Strahlenschutzanforderungen wie z.B. Regelungen zu Sanierungszielen oder Angaben, unter welchen Voraussetzungen Sanierungsmaßnahmen gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt sind" (Zitat aus [4] S. 2 und [5] S. 12).

In die Verordnung [4] gingen nun endlich die bis dato nicht bzw. separat betrachteten "... Strahlenexpositionen durch Inhalation von Radon und seinen kurzlebigen Zerfallsprodukten infolge bergbaubedingter Umweltradioaktivität" [6] ein. Jetzt, nachdem die Radonhöhen der Uranstandorte keine kritischen Werte mehr erreichten, war die Gesamtheit der möglichen Szenarien aller wirkender Expositionen auszuweisen: Die äußere Gammastrahlung, Inhalation (Staub und Radon), Bodenaufnahme sowie die Ingestion über Wasser und Lebensmittel. Szenario bedeutet immer auch die subjektive Festlegung von Einwirkstellen, Referenzpersonen und Aufenthaltszeiten für jeden speziellen Fall.

Inzwischen wurden die Vergleichsmessungen in den Sanierungsgebieten der Wismut GmbH fortgesetzt. Abbildung 2 dokumentiert das für Stadt und Umgebung Ronneburgs. Im Diagramm fehlen von 1998 bis 2002 die bergbaulichen "Nahzonen", da hier keine Angaben mehr veröffentlicht wurden. Rückwirkend ab 2003 konnten vom Umweltkreis die Daten direkt bei der Wismut GmbH abgefragt werden. Sanierungsbedingt traten gewisse Differenzen zum normalen Hintergrund weiterhin auf, was spezifischen Ursachen geschuldet ist. Hierzu gehören punktuelle Belastungen aus der Umsetzung konkreter Sanierungsprojekte und (noch) verbliebene Maximalbelastungen unsanierter Bereiche (vgl. Abbildung 4).


Abb. 2: Durchschnittlicher Radongehalt der Außenluft (in Bq/m³). Umgebungsüberwachung Ronneburg über den gesamten Sanierungszeitraum 1991 bis 2015; Datenquellen: 1991-1997 [13],[14], 1998-2003 [14], 2003-2015 [15]

Die Expositionspfadanalysen galten als wesentliche Voraussetzung zur Ermittlung des Sanierungsbedarfes. Allerdings reichten sie objektkonkret Anfang der 1990er Jahre auch bei Einbeziehung des Radonpfades nicht mehr für die Überschreitung der eigentlich notwendigen 1 mSv/a zusätzlicher Bevölkerungsbelastung aus. Für Insider war das spätestens nach Beseitigung der Laugungshalde Gessen der Fall. In Ronneburg wurden nach 1994 noch zirka 93 Prozent des gesamten Haldenmaterials mit über 130 Millionen Kubikmeter umgelagert, ohne dass es zu Überschreitungen der 1 mSv-Regel für die Bevölkerung kam. Erst recht kann dieses Maß kein Entscheidungskriterium bei der Bewertung von Altstandorten sein.

Aus Abbildung 2 geht der Schwankungsbereich der natürlichen Hintergrundbelastung Ronneburgs hervor, die zwischen 15 und 35 Becquerel pro Kubikmeter Luft (Bq/m³) schwankt. Die Wismut GmbH schätze bereits 1992 intern einen Betrag um 20 Bq/m³. Der nunmehrige relativ breite Schwankungsbereich ist noch nicht abschließend erklärbar.

Die Anzahl der Messpunkte wurde stufenweise reduziert. Für Altstandorte außerhalb der Sanierungsgebiete existieren derartige Messreihen nicht.

Empfehlungen der Strahlenschutzkommission

Die Empfehlungen und Stellungnahmen der Strahlenschutzkommission(7) (SSK) haben meist Verordnungskraft und widmeten sich infolge unzureichender gesetzlicher Vorgaben besonders Anfang der 1990er Jahre der Absicherung des Sanierungsprozesses im Uranbergbau. Dabei wurde das DDR-Recht einbezogen. Strahlenschutzgrundsätze [10] gab es nun für: Verwahrung und Nutzung von Halden, zur Freigabe von Gebäuden, Flächen, Schrott und Geräten des Uranbergbaus und deren weitere gewerbliche oder landwirtschaftliche Nutzung bis hin zur Umwandlung in Parkanlagen.

Von Anfang an orientierte sich die SSK auf Richtwerte, die für die Bevölkerung eine zusätzliche potentielle Strahlenexposition von 1 mSv/a (effektive Dosis) als Folge des Bergbaus mit sich bringen. Zuletzt versuchte man mit der Stellungnahme zur 274. Sitzung im Februar 2015 [9] diesen Grundsatz in Übereinstimmung mit der 2013/59/EURATOM und der Internationalen Strahlenschutzkommission (z. B. deren ICRP 103) zu bringen. Die Grundsätze der SSK aus dem Jahre 1991 gingen im Wesentlichen auch in alle Folgeregelungen RAI Bergbau [3] und BglBg [4] ein, was durchaus zu Widersprüchen führte. Die Vielfalt der Einwirkungen, die zusammenzutragen wären, geriet an Problemstellen in Konflikt mit den "verbindlichen Empfehlungen" der SSK zum Umgang mit den Hinterlassenschaften des Uranbergbaus. Ein Beispiel bilden die Radonvorgaben, die anfangs getrennt als Einzelszenario(8) betrachtet wurden.

Der Problematik Radon in und außerhalb von Gebäuden räumt die SSK seit langem eine gewisse Priorität ein. Zum Radon-Thema positionierte sich die Kommission von 1980 bis 2007 in 12 Stellungnahmen. Bestimmend wurden die "Grundsätze zur Bewertung der Strahlenexposition infolge Radon-Emissionen aus bergbaulichen Hinterlassenschaften in den Uranerzbergbaugebieten Sachsens und Thüringens" [11] aus dem Jahr 1994. Gedacht waren die Empfehlungen vor allem zur Bewertung der atmosphärischen Belastung durch Grubenlüfter und großflächige Bergbauhinterlassenschaften. Dabei ging man davon aus, dass es eine normale Hintergrundbelastung in Gebieten gibt, die geologisch höhere Urangehalte aufzuweisen haben. Ohne bergbauliche Tätigkeit würde diese 80 Becquerel pro Kubikmeter Luft (Bq/m³) betragen. Da 1 mSv/a zulässige Dosis angesetzt wird, können weitere 50 Bq/m³ bergbaubedingt zugelassen werden. Diese Belastungen sollten nicht etwa für die Emissionsstellen (Halden) gelten, sondern für die nächstgelegenen Wohngebiete. Die Halden im Sanierungsprogramm der Wismut GmbH und eben auch die Altlaststandorte bzw. Althalden außerhalb überschreiten diese Toleranzgröße an den Wohnstellen selten. So wird der Pfad der Exhalation von Radon aus den Haldenkörpern für diese meist als nicht relevant eingeschätzt und nicht mit erfasst.

Bereits nach Einstellung des Uranbergbaus in Ronneburg wurde deutlich, dass es einen "naturgegebenen" Hintergrund von 80 Bq/m³ in den Uranbergbaugebieten der früheren DDR nicht gibt (Beispiel Abbildung 3 für Ronneburg), trotzdem wird er bei der Zusammenstellung von Szenarien nach wie vor beachtet. In Thüringen reduziert sich daher derzeit die Neu- bzw. Umwertung der alten Uranhalden auf die Messung der äußeren Gammastrahlung.


Abb. 3: Durchschnittlicher Radongehalt der Außenluft (in Bq/m³). Umgebungsüberwachung 1985 bis 2015. Datenquellen: 1985-1989 [12], 1991-1997 [13],[14], 1998-2003 [14], 2003-2015 [15]

Abbildung 3 berücksichtigt im Gegensatz zu den vorangegangenen Darstellungen auch die aktive Bergbauzeit. Generell sind die geschilderten Radoneingrenzungen von 80 und 50 Bq/m³ für "ruhende" Bergbaulasten ungeeignet und das unabhängig vom Grad der vorhandenen Sanierung oder Abdeckung. Die angeblich normalen Hintergrundbelastungen vom 80 Bq/m³ konnten in Sachsen und Thüringen nur in aktiven Bergbauzeiten erreicht werden. Dann waren sie aber kein Normallevel mehr. Die Daten der Abbildung 3 zeigen, dass zwischen Nah- und Fernbereich eine Korrelation bei jedem Belastungs-Niveau besteht. Allerdings waren während des aktiven Bergbaus fast alle Messpunkte in Ronneburg bergbaulich beeinflusst, also auch viele Messpunkte der unbeeinflusst vermuteten Fernbereiche! Je weiter weg man diese damals auswählte, desto stärker konnte die Durchschnittsbelastung "gedrückt" werden. Die Messpunktzuordnung bzw. -benennung blieb zwar über die Jahrzehnte gleichbleibend, doch gingen Messstellen aus dem Monitoring heraus und auch neu ein.

Die völlige Nichteignung der heute noch im Regelwerk kursierenden und von der Wismut GmbH formal nach wie vor zur Bewertung herangezogenen SSK-Regel wird deutlich, wenn man die Entwicklung der internationalen Auffassungen dazu verfolgt. Diese entwickelten sich interessanter Weise auch aus den Ergebnissen der deutschen Uranbergbaubewertung. Die SSK würde mit 80 Bq/m³ (vermeintliche Grundbelastung) + 50 Bq/m³ (Toleranzausschöpfung von zusätzlich 1 mSv/a) = 130 Bq/m³ zulässigen Radons in der Außenluft sogar den seit einigen Jahren diskutierten Innenraumgehalt von 100 Bq/m³ überschreiten und den 2010 von der ICRP aufgestellten 200 Bq/m³ [17] verdächtig nahe kommen. Auch ohne auf die in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse aus epidemiologischen Daten für neue Dosiskoeffizienten, biokinetische und dosimetrische Modelle hier eingehen zu können, ist diese Sichtweise des Jahres 1991 endlich zu den Akten zu legen. In Tabelle 1 führt die SSK-Betrachtung zu keiner bis geringer zulässiger Belastung für die Bevölkerung, selbst in der aktiven Bergbauzeit! Für die Expositionsberechnung in Abbildung 4 und die Bewertung nach Abbildung 5 findet nicht der SSK-Wert, sondern der tatsächliche Radon-Hintergrund Berücksichtigung, sonst würde der Sanierungserfolg der Wismutregion kaum nachweisbar.


Tab. 1: Bergbaubedingte durchschnittliche zusätzliche Expositionen durch Radon der Außenluft für die Bevölkerung Ronneburgs (Fernbereiche). Aus den Datenreihen der durchschnittlichen Radonwerte der bergbaulich nicht beeinflussten Gebiete der Abbildung 3 ergeben sich je nach Ansatz unterschiedliche bevölkerungsrelevante Belastungsbereiche, die in den gewählten Zeitdistanzen charakteristisch waren. Dabei wurde der tatsächliche Hintergrund im Min/Max-Vergleich entsprechend zugeordnet (Tabelle 1).

ICRP und EURATOM 2013/59

Die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) präzisierte 2007 in der Empfehlung 103 [18] die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Biologie und Physik von Strahlenexpositionen, was die SSK dann 2015 übernommen hat [9]. Die Differenzierung zwischen natürlicher und künstlicher Radioaktivität wurde abgeschafft, nachdem bereits die ICRP 60 aus dem Jahre 1996 eine Gleichbehandlung empfahl, die nie Eingang in das deutsche Strahlenschutzrecht fand. Eine ganzheitliche Betrachtung auf Personen einwirkender Expositionen mit aktuellen Dosiswerten setzte sich gegen bisher praktizierte Differenzierungen durch, und die Ausdehnung auf Umweltprobleme ist vorzusehen: "Es wird klargestellt, wie diese auf Strahlenquellen, die Expositionen verursachen, und auf Personen, die exponiert werden, anzuwenden sind. (...) Die Empfehlungen enthalten auch einen Ansatz, um einen Rahmen für den Strahlenschutz der Umwelt zu entwickeln." [18]

In Übereinstimmung mit der ICRP-Publikation 103 bezeichnet die Euratom 2013/59 [1] Uranbergbau-Altlasten als kontaminierte Gebiete mit bestehenden Expositionssituationen, für die nach Artikel 73 Schutzstrategien und ständige Begrenzungen von Expositionen realisiert werden müssen. Referenzwerte, die Bandbreite möglicher Belastungen, Ab- und Eingrenzung betroffener Gebiete mit Kontroll-, Informations- und Überwachungsmechanismen bilden Aufgabenfelder, die die bisherige Praxis in Thüringen weit übersteigen würden. Nun wird von drei Kategorien ausgegangen: "geplante", "bestehende" und "Notfall"-Exposition. Der Grundsatz von Dosisgrenzwerten existiert dann nur für "geplante" Expositionen. Bei den anderen gilt die 1 mSv/a nur als Richtwert, der mit mittelfristigen Referenzwerten überschritten werden kann. Für Altlasten würde entsprechend SSK [9] so 1 bis 20 mSv/a möglich. Die Euratom 2013/59 nennt lediglich "geeignete Referenzwerte" mit Angabe zulässiger Überschreitungen, sowohl über als auch unter 1 mSv/a (Anhang 1). Im Artikel 5b geht die Richtlinie über diese Strahlenschutz-Belange hinaus und im Artikel 7 wird gefordert, bei den festzulegenden Referenzwerten sowohl Anforderungen des Strahlenschutzes als auch gesellschaftliche Kriterien einfließen zu lassen. Als Praxisvergleich soll an dieser Stelle wieder das Sanierungsgebiet Ronneburg dienen.

Bezogen auf die Dosisbelastungen der Bergbauregion Ronneburg belegt die Durchschnittsentwicklung in Abbildung 3, dass nach Beendigung des Bergbaus die Anzahl der (Mess-)Stellen, die eine Sanierung zur Reduzierung unter den Wert von 1 mSv/a erforderlich machen, überschaubar war. Insbesondere bewohnte Bereiche waren spätestens seit den Außerbetriebnahmen der Abwetterschächte nicht mehr über den Dosisrichtwert belastet.

Abbildung 4 zeigt die Maximalwerte der Radonexposition (4a) und die daraus abgeleiteten bergbaubedingten Dosisbelastungen (4b) in den Jahresscheiben von 1986 bis 2015.


Abb. 4a u. 4b: Maximaler Radongehalt der Außenluft (in Bq/m³) (4a) mit resultierender Exposition (nach Abzug der tatsächlichen Hintergrundsituation) in Ronneburg 1985 bis 2015 (4b)

Die tatsächliche Hintergrundbelastung liegt in Ronneburg entsprechend Abbildung 3 zwischen 15 und 35 Bq/m³. Zur vereinfachten Darstellung gingen 25 Bq/m³ in die Betrachtung ein.

Die Expositionspfade für Ingestion, externe Strahlung, Inhalation von Alphastrahlern und Staub betragen für Erwachsene nach [16] bis rund 20 Prozent der Richtdosis. An Krisenstellen auch höher, z.B. bis 38 Prozent in [19]. Unter der (konservativen) Annahme, dass in den 0,2 mSv/a auch die terrestrischen Expositionspfade (keine erhöhte Ortsdosisleistung (ODL)) mit abgedeckt sind, kämen Radongehalte von 50 Bq/m³ x 0,8 = 40 Bq/m³ für die Ausschöpfung des Dosisrichtwertes von 1 mSv/a als zulässig in Frage. Unter Berücksichtigung des regionalen Hintergrundes würde diese Dosis in Ronneburg bei zirka 25 + 40 = 65 Bq/m³ Radon-Außenluftbelastung überschritten. Im Vergleich dazu fängt nach Annahme des SSK-Wertes die zusätzliche bergbaubedingte Belastung bei 80 Bq/m³ erst an und wäre erst bei 130 Bq/m³ als Richtwertausnutzung beendet.


Abb. 5: Anzahl der Messpunkte (MP) mit zusätzlicher Exposition von 1 mSv/a; Prozentanteil auf alle Messstellen bezogen.

Aus Abbildung 5 geht die Anzahl der betroffenen Messstellen hervor, die von der Überschreitung einer zusätzlichen Bergbaubelastung von 1 mSv/a betroffen waren. In der Bergbauzeit lagen 50 bis 100 Prozent aller Messstellen über dem zulässigen Wert; nach Lesart der SSK allerdings deutlich weniger.

Wann erreichte die "natürliche" und "ruhende" radioaktive Belastung in den Uranbergbauregionen eigentlich noch zusätzliche 1 mSv/a? Nach Einstellung des aktiven Bergbaus 1991 betraf das drei Schwerpunkte [16]:

Alle anderen Szenarien sind hypothetisch und nicht praxisrelevant. Im Sanierungszeitraum wurden lediglich Einzelstandorte lokalisiert. Die Sachlage verändert sich mit der 2013/59/Euratom. Die Entsorgung der radioaktiv kontaminierten Materialien bei der Sanierung stellen keine "bestehende" Situation mehr dar und unterliegen dem Kernbrennstoffsektor mit einem Dosiskriterium von 10 µSv/a. Der Nachweis derartiger Größenordnungen in bewohnten Bereichen stellt sicher kein Problem dar. Ob nun 1 mSv/a oder 10 µSv/a, beide sind für die Bewertung gesundheitlicher Relevanz ungeeignet. Es geht um Wahrnehmungsgrößen für vorhandene, weitgehend unbekannte radioaktive Potentiale. Diese können bei Uranaltlasten durch gewollte oder ungewollte Freisetzung, z.B. durch Freilegung der oft unzureichenden Abdeckung von Althalden, sehr schnell zu enormen Belastungswerten führen. Nicht sichtbar und nicht erkennbar ist dann rasch das Niveau tatsächlicher Gesundheitsschädigungen erreicht, die unbekannt bleiben oder in überregionalen Krebsstatistiken verschwinden, jedoch bis heute in der Bevölkerung dieser Gebiete verdeckt Angst und Unsicherheit erzeugen.


Tab. 2: Auswahl verwendeter Prüfkriterien des Altlastenkatasters aus [20])/bisherige Kriterien

Zwischenbilanz

Sicher sind die vereinheitlichten Berechnungsgrundlagen ein sinnvolles Hilfsmittel für die letztlich angestrebte Dosisermittlung für betroffene Einwohner oder Geländenutzer bei oder auf Uranbergbaualtlaststandorten. Doch führen sie im Zusammenhang mit der Bewertung dieser Altlasten in Thüringen seit Jahren zu dem fatalen Ergebnis der Fehleinschätzung und Handlungsunfähigkeit. Kürzlich beschrieb der Kirchliche Umweltkreis Ronneburg im Strahlentelex [7] ausführlich die heutige gefährliche Umweltschädigung durch eine der am stärksten belasteten Halden(10) des DDR-Uranbergbaus überhaupt. Da diese nicht Bestandteil der in Sanierung befindlichen Betriebsflächen der bundeseigenen Wismut GmbH ist, verbleibt sie unüberwacht im Altlastpool des Landes. Die Landesregierung Thüringens kommt auf Grundlage der geschilderten Verordnungen und Bewertungsgrundlagen im Zusammenhang mit der dünnen Rechtslage gegenüber der Öffentlichkeit im Allgemeinen und dem Kirchlichen Umweltkreis Ronneburg im Besonderen stereotyp zu gleichlautenden Bekenntnissen der Ignorierung. Aktuell erfolgte eine öffentliche Stellungnahme zum Problemfall der "Gauern-Halde" in der Presse wie folgt: "Zum anderen gibt es für Uran keine bodenschutzrechtlichen Vorsorge- und Prüfwerte, aus denen Eingriffsmöglichkeiten der Bodenschutzbehörde abgeleitet werden könnten. Zudem besteh[t] auch nach dem Strahlenschutzrecht bei der ermittelten, maximal zu erwartenden zusätzlichen radiologischen Belastung derzeit fachlich keine Notwendigkeit, aber auch rechtlich keine Möglichkeit, gegenüber dem Eigentümer weitergehende Maßnahmen anzuordnen und durchzusetzen."[8]. Besser kann man die Nichteignung des vorhandenen Verordnungs- und Regelwerkes zur Bewertung der Uranbergbaualtlasten nicht begründen. Aktuelle laufende Gespräche der betroffenen Kommunalverwaltungen mit dem TMUEN verlaufen immer wieder ergebnislos. Traurig, dass nun auch die gegenwärtige Regierung in Thüringen (wie die 25 Jahre CDU-geführte vorherige) keinen neuen Ansatz bringt. Leider wird damit den Bürgern im gegenwärtigen komplizierten gesellschaftlichen Prozess wieder deutlich gemacht, dass die bisher etablierten Parteien keine wirkliche Alternative bilden. Insofern stehen die seit Jahrzehnten bürgerbewegten Mitstreiter des Kirchlichen Umweltkreises alternativlos in Opposition.

Änderungen der Bewertungskriterien für Uranaltlasten

Kriterien aus dem dargestellten Regelwerk fanden im Rahmen des Altlastenkatasters Berücksichtigung. Eine Auswahl von Parametern, die in Anlehnung an die 1 mSv/aRegel zur Einteilung der Altlaststandorte angewandt wurden, enthält Tabelle 2. Die durch Fettdruck hervorgehobenen Kriterien waren gesetzt und zuweisend, die anderen erfüllten ihre Funktion in Unterordnung an die festen Bewertungsparameter bzw. wurden mit diesen gemeinsam bewertet.

Die Einordnung der spezifischen Aktivität für die Halden- und Bodenmaterialien basierten zunächst auf der (DDR)-Bestimmung, dass Strahlenschutzauflagen bereits ab 0,2 Becquerel pro Gramm (Bq/g) Radium gelten. Die Modifizierung von der Klasse A1 über A2 zu B führte dann aber dazu, dass im Wesentlichen nur große Halden einen Sanierungsanspruch erhalten konnten. Doch führten aufgedeckte Einzelprobleme praktisch derartige schematische Vorgehensweisen ad absurdum.

Der radioaktive Kontaminationsgrad unter der Oberfläche lässt sich allein mit der Ortsdosis nicht bzw. nur ungenügend erfassen. Veränderungen der Nutzungs- und Zustandsbedingungen können nie ausgeschlossen werden. Daher ist die Kenntnis des radioaktiven Potentials der Altlast unabdingbar. "Von besonderer Bedeutung ist dabei der Wert der spezifischen Aktivität des Bodens (über) 0,2 Bq/g für ein Nuklid der Uran-Radium-Zerfallsreihe im radioaktiven Gleichgeweicht mit den übrigen Nukliden dieser Zerfallsreihe." ([21], S.52). Die nach den SSK-Empfehlungen folgenden Unterteilungen betrafen Messwerte zwischen 0,2 und 1,0 Bq/g (eingeschränkte Nutzungen, in der Regel als Forst und Grünland). Ab 1,0 Bq/g wären erst Einzelfallprüfungen durchzuführen, die unter Umständen auf Sanierungen hinauslaufen. Aus heutiger Sicht darf eine solche Unterteilung nicht ausschließend gehandhabt werden. Die Potentialbewertung muss im Zusammenhang mit allen Kriterien erfolgen und zum Beispiel Hotspots nicht durch einfache Durchschnittsberechnungen eliminieren.

Aus älteren Bestimmungen der SSK (1993) stammen die Richtwerte zur Sickerwasseraktivität, die in der Kategorie B einen zusätzlichen Dosisanteil von grösser 0,5 mSv/a über den Wasserpfad zulassen sollten. Der sehr hypothetische Dosisbeitrag als Trinkwasser-Ingestion wurde später, wenn überhaupt, zusammen mit der gesamten Nahrungsaufnahme als unter 10 Prozent ausgewiesen. Eine Beachtung auch geringerer Konzentrationen macht Sinn bei ganzheitlicher Expositionsbetrachtung. Aus späteren Berechnungsansätzen der SSK/BglBb leiten sich bei Berücksichtigung von 0,1 mSv/a (statt unwahrscheinlicher 0,5 mSv/a) folgende zulässige Nuklidbelastungen ab:

Uran-238:
8,7 Bq/l x 0,1/0,5 = 1,7 Bq/l

Radium-226:
0,6 Bq/l x 0,1/0,5 = 0,12 Bq/l

Die Handlungsschwellen verringern sich weiter, je höher zusätzliche Bestandteile der Zerfallsreihe nachgewiesen werden.

Völlig überaltert ist inzwischen die Zuordnung des Urangehaltes der Sickerwässer. Damals war der giftige Schwermetallcharakter des Urans noch unbeachtet, so dass bei aktuellen Bewertungen 10 µg/l natürliches Uran (Unat) statt der 300 µg/l Unat aus Tabelle 2 zu beachten sind.

Die Bedeutung des Kriteriums "Sickerwasser" ist im Zusammenhang mit der Ingestion von untergeordneter Bedeutung - im Gegensatz zur hydrochemischen Beeinflussung der Umgebung. Insofern bilden die errechneten niedrigen Konzentrationen beim Auftreten an den Immissionsstellen (Grundwasser, Vorfluter) ein auslösendes Handlungselement zur Ermittlung relevanter Belastungsgrößen des Wasser- und Bodenpfades.

Eine der wichtigsten Bewertungskriterien ist die Ortsdosisleistung. Aus Zeit- und Kostengründen stand diese Bewertung bei der Erstellung des Altlastenkatasters im Vordergrund, "... da wegen der Dominanz der terrestrischen Expositionspfade für Strahlenexpositionen aus bergbaulichen Objekten und Flächen damit nicht nur die möglichen Expositionsschwerpunkte, für die standortspezifischen Prüfungen Priorität haben sollten, identifiziert, sondern auch bereits bergbauliche Objekte und Flächen selektiert werden können, für die Sanierungsmaßnahmen nicht erforderlich sind." ([22], Anhang S.5). Umso wichtiger ist die Einordnung eines Handlungswertes. Bisher lautete die offizielle Lesart: "Der Wert von 170 nSv/h wurde (...) generell als Indikator für eine von den normalen natürlichen Verhältnissen abweichende Situation gewählt." ([21], S.23). Die SSK setzte noch höher an, indem ab 300 Nanosievert pro Jahr (nSv/a) der Handlungswert begann und ab 1000 nSv/h in unbedingte Handlung (Sanierung) überging. Berechnungen über Aufenthaltszeiten zum Abmindern des Beitrages an der Exposition zog man erst bei der individuellen Zusammenstellung (Szenario) hinzu. Demnach ergeben sich für 170, 300 und 1000 nSv/h zulässige Aufenthaltszeiten von 5.886, 3.333 und 1.000 Stunden pro Jahr (h/a) allein für diesen Belastungspfad. Eine ganzheitliche Betrachtung erfordert eine Änderung der bisherigen Handlungsweise: Bei direkt angrenzender Bebauung ist jeder Messwert im Niveau über dem natürlichen Hintergrund zur Bilanzierung heranzuziehen. Für größere Distanzen könnte die Einführung eines Schwellenwertes ab 50 Prozent zusätzlicher Ortsdosisleistung eine mögliche Größe sein, sofern andere Faktoren dem nicht entgegenstehen.

Weiterhin erfolgte bisher die Einstufung der Altlasten als radiologisch relevant, wenn die zusätzliche atmosphärische Radonexhalation mit über 50 Bq/m³ zu Buche schlug, was aber allein schon den Jahresrichtwert von 1 mSv ausfüllte. Demzufolge ist unabhängig von der Zuordnung von Aufenthaltszeiten eine niedrigere Festlegung notwendig. Die tolerierbare Exhalation leitet sich aus der Gesamtbilanz ab. Demnach sollte der jeweilige Betrag über dem regionalen Hintergrund in die Berechnung eingehen.

Neben der strahlenschutzrelevanten Individualbelastung erfordern die hydrologischen Auswirkungen der Uranaltlast eine prioritäre Berücksichtigung. Die Beeinflussung von Grundwasser wurde bei keinem Altlaststandort systematisch beurteilt. Dazu sind "...länger andauernde Untersuchungen zur Freisetzung aus dem Material des Objektes (z.B. Halde) und den hydrogeologischen Standortbedingungen erforderlich." ([21], S.32). Schwermetalle müssen dabei boden- und gewässerrechtlich genauso Berücksichtigung finden wie die uranbergbautypische Salzbelastung (z.B. Sulfat).

Entsprechend den Vorgaben der EURATOM 2013/59 soll die Gesamtheit der aus Tabelle 3 resultierenden Dosis zuzüglich einer Ingestion aus gärtnerischer Nutzung oder sonstigen Nahrungsaufnahme den Richtwert von 1 mSv/a nicht überschreiten. Ein Referenzwert kann davon nach oben (zeitlich befristet) und unten abweichen.


Tab. 3: Empfehlung Bewertungskriterien für Uranaltlaststandorte - konkretisierte Kriterien

Der Biopfad ist bei bergbaubedingter Auffälligkeit speziell zu untersuchen, ansonsten wurde bisher eine pauschale Berücksichtigung im Rahmen der Ingestionswertung praktiziert.

Eine Altlastenbewertung nach Tabelle 3 erfordert zusammengefasst:

Bewertungsbeispiele

Entsprechend Euratom 2013/ 59 sollen Schutz- und Kontrollmaßnahmen mit Leben erfüllt werden. Die vorgeschlagenen strahlenschutzbezogenen und ortsspezifischen Kriterien in Tabelle 3 dienen der orientierenden Untersuchung auf Verdachtsflächen umfassender als bisherige Teilbetrachtungen. Sie ergänzen die weiteren bisherigen Daten zu Altlasten der Kategorie B.

Im Strahlentelex erschienen im Jahresverlauf zwei Fachbeiträge mit Bezug auf relevante Objekte dieser radiologisch relevanten B-Kategorie. Die Uranalthalde "Gauern" verseucht nachweislich die Aue eines gärtnerisch und fischereimäßig genutzten Vorfluters mit Uran; einschließlich des Grundwassers unter einer dazwischen liegenden Dorfbebauung [7]. Im zweiten Beispiel ist die Gemeinde Dittrichshütte im Thüringischen Schiefergebirge unter anderem durch eine als Grün- und Weideland freigegebene Alt-Uranbergbauhalde in der Entwicklung ihrer Infrastruktur stark gehemmt und ein sich anschließendes Naturschutzgebiet erfährt Schwermetalleinträge aus diesem Haldenkörper, die die Vorgaben der Bodenschutzverordnungen übersteigen [25].

Die Datenlage zur Uranhalde Gauern liegt länger zurück und ist unvollständig. Die Hinzuziehung des Altlastenkatasters und einige vorgenommene ergänzende Untersuchungen ergaben eine Bewertung der Sachlage entsprechend Tabelle 4a.


Tab. 4a: Altlastbewertung und Schlussfolgerung für die Halde Gauern

Durch den Kirchlichen Umweltkreis Ronneburg erfolgten seit 2014 Aktualisierungen zur Gamma-Ortsdosisleistung (ODL) und zur Sickerwasserbelastung, insbesondere zur Immissionsbelastung angrenzender Gewässer. Zur Bewertung der Radonexhalation dienten die Messergebnisse des Messpunktes (MP) 126.20 im Rahmen des Wismut-Monitorings [24] von 2003 bis 2015. Die Halbjahreswerte im Vergleich zum jeweiligen Gesamtdurchschnitt der regionalen Radonerfassung (zuletzt noch 33 Messstellen) ergaben eine langjährige "haldenbedingte" zusätzliche Radonbelastung von 47 Bq/m³. Angaben zum Biopfad sind für das angrenzende Grünland und den genutzten Forst angebracht. Die forstwirtschaftliche Nutzung der Halde ist selbst bei gegenwärtiger Rechtslage in Frage zu stellen, was sich bei Änderungen im Sinne der EURATOM 2013/59 durchaus schnell verstärken kann. Die Halde hat nachweislich ein überaus hohes radioaktives Potential, das durch Abdeckungen überaus aufwendig zu kapseln wäre. Eine komplette Einbindung in die am Ort stattfindenden Haldenumlagerungen der Wismut-Sanierung stellt die sinnvollste Lösung dar. Andernfalls sind als Sofortmaßnahmen mindestens erforderlich:


Tab. 4b: Altlastbewertung und Schlussfolgerung für die Halde Dittrichshütte

Die Datenlage zum Altlastgebiet Dittrichshütte (Tabelle 4b) stellte sich im Vergleich zu Gauern besser dar, da hier tiefergehende Untersuchungsbefunde [22] in das Altlastenkataster eingingen. Seit der Sanierung der Halde, die im Wesentlichen ein Breitschieben in das Tal mit Aufbringung einer Deckschicht grösser 25 Zentimeter (cm) darstellte, sind fast vier Jahrzehnte vergangen. Der Zustand der sehr dünnen Abdeckung hat sich verschlechtert. In die nachgeordnete, unter Naturschutz stehende Talaue spülten jahrelang schwermetallbelastete sulfatreiche Sickerwässer aus. Im Haldenkörper versickern teilweise die Abwässer der Ortslage Dittrichshütte. Die in die Berechnung in Tabelle 4b eingegangene Radonlast beruht auf einer aktuellen Einzelmessung. Sie belegt die veränderte Gefahr, die von der Halde ausgeht, ist aber durch ein Messprogramm zu ergänzen. Die landwirtschaftliche Grünlandnutzung wäre zwar nach derzeitiger Bewertungspraxis des Landesbergamtes eingeschränkt möglich, sollte aber auf Grund der geringen und beschädigten Abdeckung [25] nicht erfolgen. Es besteht Handlungsbedarf für:


Literatur

[1] Richtlinie 2013/59/EURATOM des Rates vom 05.12.2013 zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung ...

[2] Strahlenschutzverordnung StrlSchV vom 20.07.2001 (BGBl. I 2001, Nr. 38, S. 1714, BGBl.I 2002, Nr. 27, S. 1459), zuletzt geändert durch Artikel 5 der Verordnung vom 11. Dezember 2014 (BGBl.I 2014, Nr. 58, S. 2010)

[3] Richtlinie zur Emissions- und Immissionsüberwachung bei bergbaulichen Tätigkeiten vom 11.08.1997

[4] Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung der Strahlenexposition infolge bergbaubedingter Umweltradioaktivität vom 03.07.1998 (SSK-Strahlenschutzkommission) und überarbeitete Fassung vom März 2010 (BfS-Bundesamt für Strahlenschutz)

[5] Strahlenexposition infolge bergbaubedingter Umweltradioaktivität; Erläuterung zur Berechnung mit den Berechnungsgrundlagen Bergbau, BfS vom April 2012

[6] "Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung der Strahlenexposition durch Inhalation von Radon und seinen kurzlebigen Zerfallsprodukten infolge bergbaubedingter Umweltradioaktivität", BMU Berlin, 30.07.1999

[7] "Thüringen erhält sich den Ewigkeitscharakter seiner Uranbergbaualtlasten", Strahlentelex 702-703 / 04.2016

[8] "Still ruht der Teich?", Meldung der Thüringer Landeszeitung vom 31.03.2016, S. 16

[9] "Umsetzung des Dosisgrenzwertes für Einzelpersonen der Bevölkerung für die Summe der Expositionen aus allen zugelassenen Tätigkeiten", Empfehlung der SSK vom 19./20.02.2015

[10] Stellungnahmen der SSK vom 27.06.91 (Schrott, Flächen für industrielle Nutzung, vom 07.10.91 (Halden, Flächen für land-/forstwirtschaftliche Nutzung) und 11.12.91 (Gebäude und Geräte, Bauschutt)

[11] "Grundsätze zur Bewertung der Strahlenexposition infolge Radon-Emissionen aus bergbaulichen Hinterlassenschaften in den Uranerzbergbaugebieten Sachsens und Thüringens", Empfehlung SSK vom 22.09.1994

[12] Abschlussbericht zum Forschungsprojekt: "Geheime Verschlusssache Wismut", Kirchlicher Umweltkreis 2012

[13] 11. Fachgespräch "Überwachung der Umweltradioaktivität" am 28./29.03.00 in Schlema; Tagungsunterlagen S. 70

[14] Öffentliche Jahresumweltberichte Wismut GmbH

[15] Einzeldaten Radonmessstellen Region Ronneburg 20032015, Wismut GmbH

[16] P. Schmidt, A. Sperrhacke "Strahlenexposition an ehemaligen Uranbergbau-Standorten in Sachsen und Thüringen ...", Strahlenschutzpraxis 2/2012

[17] Empfehlung der Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP 115 (2010) "Lungenkrebs durch Radon/RFP"

[18] ICRP 103: Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission 2007

[19] Einfluss der Gessenhalde auf Ortslage Kauern; Anteile der radiologischen Belastung; Sanierungskonzept Wismut GmbH 1992

[20] "Unsanierte Altlasten stellen die erfolgreiche Revitalisierung der Uranbergbauregion in Ostthüringen in Frage", Strahlentelex 546-547, 2009

[21] "Radiologische Erfassung, Untersuchung und Bewertung bergbaulicher Altlasten", Abschlussbericht, BfS-Schr-22/01

[22] Radiologische Erfassung, Untersuchung und Bewertung bergbaulicher Altlasten; Abschlussbericht zur Verdachtsfläche Dittrichshütte, Salzgitter 2003, BfS

[23] "Radiologische Erfassung, Untersuchung und Bewertung bergbaulicher Altlasten; UG Seelingstädt" GRS mbH, 1998

[24] Umweltmonitoring Wismut GmbH 2005-2015

[25] "Uranbergbaualtlasten - ein Fluch für jede betroffene Kommune im Bundesland Thüringen" Strahlentelex Nr. 708-709/07.2016 S. 1-7

*


Anmerkungen

(1) Dipl.-Ing. Frank Lange, franklange44[at]web.de

(2) Demnach unterlag alles bergbauliche Material mit natürlicher Radioaktivität über 0,2 Bq/g Radium den Strahlenschutzbestimmungen. Weiterhin darf die Bevölkerung der Uranbergbauregion mit bis zu 5 mSv/a belastet werden.

(3) Radon und Radonfolgeprodukte erfasst durch halbjährliche Dosimeter-Messungen der Wismut GmbH

(4) Verordnung über die Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz v. 11.10.1984 nebst Durchführungsbestimmungen

(5) Anordnung zur Gewährleistung des Strahlenschutzes bei Halden und industriellen Absetzanlagen und bei der Verwendung darin abgelagerter Materialien v. 17.11.1980

(6) Ausnahme war die Werdauer Straße bis zur Außerbetriebnahme des dortigen Abwetterschachtes 1993.

(7) Die Strahlenschutzkommission (SSK) ist das Beratergremium des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.

(8) Hinzu kommt, dass die Expositionen durch Inhalation von Radon und seinen Folgeprodukten nicht in die Expositionsberechnung aller Pfade eingehen, sondern gesondert mit einen Richtwert bewertet werden sollte [11].

(9) Die Bezeichnung "Industrielle Absetzanlagen" galt meist für ursprüngliche Tagebaurestlöcher, die nach dem Abbau zum Einspülen und Sedimentieren stark schwermetallhaltiger radioaktiver Aufbereitungsrückstände der Erzwäschen genutzt wurden.

(10) "So gehört die Halde mit ihren Boden-Aktivitäts-Konzentrationen der maßgebenden Nuklidkonzentrationen von 2,5 bis 39,8 Becquerel pro Gramm Uran-238 (Bq/g U-238) und 1,89 bis 29,6 Bq/g Radium-226 (Ra-226) zu den höchstbelasteten Halden, die es im Ost-Thüringer Bergbau überhaupt gegeben hat." [7]


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_16_714-717_S03-14.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Oktober/November 2016, Seite 3-14
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2017

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